Beschluss vom 20.03.2023 -
BVerwG 1 B 7.23ECLI:DE:BVerwG:2023:200323B1B7.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.03.2023 - 1 B 7.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:200323B1B7.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 7.23

  • VG Berlin - 09.09.2021 - AZ: 29 K 323/20
  • OVG Berlin-Brandenburg - 02.12.2022 - AZ: 12 B 18/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. März 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Beschwerde ihr beimisst.

2 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.

3 Die von dem Beklagten als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen
"Indiziert eine Strafrestaussetzung zur Bewährung gem. § 57 StGB - bei einem mehrfach vorbestraften Kläger, selbst dann, wenn dieser über einen längeren Zeitraum durchweg und mit steigender Intensität straffällig geworden ist, der zudem ausländerrechtlich verwarnt wurde, auch schon früher während laufender Bewährung erneut straffällig geworden ist und bei dem die letzte Strafrestaussetzung zur Bewährung nur gut ein 1 Jahr zurückliegt -[,] dass im Rahmen der Befristungsentscheidung gem. § 11 Abs. 1 AufenthG das Fernhalteinteresse nicht mehr (auch-) spezialpräventiv begründet werden darf?"
"Indiziert eine Strafrestaussetzung zur Bewährung, dass bei einer rechtskräftigen Ausweisung, die (auch-) spezialpräventiv begründet wurde, bei der Befristungsentscheidung nicht mehr auf (auch-) spezialpräventive Erwägungen abgestellt werden darf, selbst dann, wenn die Befristung im Ergebnis - und im Einklang mit § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG - deutlich unter 5 Jahren bemisst?"
rechtfertigen eine Zulassung der Revision nicht.

4 Soweit die Beschwerde der Sache nach die Klärung begehrt, ob eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 57 StGB indiziert, dass das Fernhalteinteresse nicht mehr (auch) spezialpräventiv begründet werden darf, würden sich die von dem Beklagten formulierten - im Wesentlichen auf den vorliegenden Einzelfall zugeschnittenen - Fragen in dieser Allgemeinheit in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das gilt auch im Hinblick auf die in der zweiten Frage angesprochene Konstellation einer gegenüber dem Betroffenen rechtskräftig gewordenen Ausweisung. Das Oberverwaltungsgericht geht nicht davon aus, eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB indiziere für sich genommen einen Wegfall des Fernhalteinteresses, sondern stützt seine Entscheidung vielmehr auf eine umfassende Bewertung der Umstände des Einzelfalls.

5 Das Oberverwaltungsgericht nimmt insoweit allein an, die im Ausgangspunkt an einem Zeitraum von sechs bis acht Jahren orientierte Höchstdauer des Fernhalteinteresses halte der gerichtlichen Überprüfung deshalb nicht stand, weil die Ausweisung des Klägers nicht mehr spezialpräventiv begründet werden könne. Dabei könne dahinstehen, ob der gleichlautenden Einschätzung des Verwaltungsgerichts zu folgen sei. Der Kläger stelle im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG in dem Sinne mehr dar, dass die Begehung von vergleichbar schwerwiegenden Straftaten innerhalb des zu berücksichtigenden Prognosezeitraums nicht ausgeschlossen werden könne. Zur Begründung dieser entscheidungstragenden Erwägung zieht das Berufungsgericht auf der Grundlage von aktuellen Berichten der Justizvollzugsanstalt und des Bewährungshelfers nicht nur die Strafrestaussetzung zur Bewährung, sondern auch den Abschluss der erfolgreichen Straftataufarbeitung, die Eheschließung und vor allem die stabile straffreie Lebensführung bei sozialer und wirtschaftlicher Integration heran. Aspekte, die die positive Einschätzung in Frage stellen könnten, seien nicht erkennbar (UA S. 10 ff.). Hieran geht die Beschwerde im Wesentlichen vorbei. Aus ihren Hinweisen auf die unterschiedliche Zwecksetzung einer Aussetzungsentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB einerseits und einer Ausweisung andererseits folgt kein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf (vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2023 - 1 B 76.22 - Rn. 11 f.).

6 2. Das Vorbringen der Beschwerde, das Berufungsgericht habe § 11 AufenthG nicht richtig angewendet, auch soweit es eine fehlerhafte Ermessensausübung des Beklagten angenommen habe, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

7 Zur Darlegung der allein geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO reicht es nicht aus, im Stil der Begründung eines zugelassenen oder zulassungsfreien Rechtsmittels vermeintliche materiell-rechtliche Mängel des angegriffenen Urteils geltend zu machen.

8 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.