Beschluss vom 20.12.2022 -
BVerwG 5 B 5.22ECLI:DE:BVerwG:2022:201222B5B5.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2022 - 5 B 5.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:201222B5B5.22.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 5.22

  • VG Greifswald - 15.07.2016 - AZ: 2 A 669/16 HGW
  • OVG Greifswald - 30.11.2021 - AZ: 1 LB 377/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30. November 2021 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision kann nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen des allein geltend gemachten Verfahrensmangels zugelassen werden, weil die Beschwerdebegründung den Anforderungen an die Darlegung dieses Zulassungsgrundes (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht gerecht wird.

3 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln, nicht jedoch Vorschriften, die den Urteilsinhalt betreffen und deren Verletzung sich als Mangel der sachlichen Entscheidung darstellt (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Januar 2018 - 5 PKH 8.17 D - juris Rn. 4 und vom 22. September 2022 - 5 B 33.21 - juris Rn. 25 m. w. N.). Dementsprechend kann auch eine Entscheidung durch Prozessurteil anstatt durch Sachurteil einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darstellen. Das setzt voraus, dass die Vorinstanz die den Verfahrensablauf betreffenden Vorschriften oder die Sachentscheidungsvoraussetzungen einer Klage unzutreffend handhabt und deshalb nicht zur Sache entscheidet (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Januar 2022 - 6 B 21.21 - NVwZ 2022, 551 Rn. 10 und vom 20. Juni 2022 - 2 B 45.21 - NVwZ 2022, 1828 Rn. 36). Die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz muss also auf einer fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruhen, beispielsweise einer Verkennung ihrer Begriffsinhalte und der zugrundeliegenden Maßstäbe (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 Rn. 11 und Beschluss vom 18. Januar 2022 - 6 B 21.21 - NVwZ 2022, 551 Rn. 10, jeweils m. w. N.). Eine Entscheidung beruht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf einem Verfahrensmangel, wenn dessen Vermeidung zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Sachentscheidung hätte führen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 2019 - 5 BN 1.18 - juris Rn. 19 m. w. N.). Sowohl die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Verfahrensmangel leidet (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. August 2016 - 5 C 54.15 - juris Rn. 31 und Beschluss vom 15. Januar 2014 - 5 B 57.13 - ZOV 2014, 52 Rn. 17, jeweils m. w. N.) als auch die Entscheidungserheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 26. September 2016 - 5 B 2.16 D - juris Rn. 11 und vom 29. März 2019 - 5 BN 1.18 - juris Rn. 28, jeweils m. w. N.) sind vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte. Ein Verfahrensmangel ist zudem nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (BVerwG, Beschluss vom 22. September 2022 - 5 B 33.21 - juris Rn. 25 m. w. N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

4 Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Oberverwaltungsgericht den Fristverlängerungsantrag des Klägers vom 6. Mai 2021 infolge fehlerhafter Auslegung nicht auch als einen auf die am 6. Mai 2021 endende Berufungsbegründungsfrist bezogenen Antrag angesehen habe. Infolgedessen sei das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO durch die vom Berichterstatter am 10. Mai 2021 verfügte antragsgemäße Bewilligung der Fristverlängerung bis zum 27. Mai 2021 nicht verlängert worden und die Berufung des Klägers mithin wegen Versäumung der genannten Frist als unzulässig zurückzuweisen sei. Durch die Versagung einer Entscheidung in der Sache sei der Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verkürzt worden. An dem Ergebnis der fehlerhaften Auslegung des Fristverlängerungsantrags vom 6. Mai 2021 ändere insbesondere auch die Tatsache nichts, dass der Berichterstatter gemäß § 124a Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 6 Satz 3 VwGO für die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zuständig gewesen sei. Denn er hätte bei zutreffender Auslegung des Fristverlängerungsantrages die Akte dem Vorsitzenden vorlegen müssen, damit dieser über die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte entscheiden können. Daraus, dass der Berichterstatter dem Vorsitzenden die Akte nicht vorgelegt habe, könne kein Argument gegen die von ihr - der Beschwerde - vertretene zutreffende Auslegung des Fristverlängerungsantrags vom 6. Mai 2021 abgeleitet werden.

5 Zwar handelt es sich bei § 124a VwGO um eine prozessuale Vorschrift, deren Anwendung durch das Berufungsgericht grundsätzlich einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen kann. Dabei kann hier offengelassen werden, ob das Oberverwaltungsgericht - wie von der Beschwerde jedenfalls der Sache nach geltend gemacht - in Verkennung der Maßstäbe zur Auslegung von Prozesserklärungen (§§ 133, 157 BGB) angenommen hat, dass sich der Fristverlängerungsantrag des Klägers vom 6. Mai 2021 ausschließlich auf die ebenfalls am 6. Mai 2021 endende Frist zur Stellungnahme auf den Hinweis des Berichterstatters vom 31. März 2021 beziehe und die Berufungsbegründungsfrist infolgedessen mangels des nach § 124a Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 6 Satz 3 VwGO erforderlichen Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht verlängert worden sei. Denn die Beschwerde zeigt jedenfalls nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auf, dass die Zurückweisung der Berufung als unzulässig auf der für fehlerhaft angesehenen Auslegung des Fristverlängerungsantrages vom 6. Mai 2021 beruhen kann.

6 Das Oberverwaltungsgericht hat dazu weiter ausgeführt (UA S. 12), die Berufungsbegründungsfrist sei "wohl mangels Befugnis des Berichterstatters" auch dann nicht gewahrt gewesen, wenn der Fristverlängerungsantrag vom 6. Mai 2021 auch als auf die Berufungsbegründungsfrist bezogener Antrag auszulegen gewesen und durch den Berichterstatter verlängert worden wäre. Denn der Berichterstatter sei zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht befugt. Diese könne gemäß § 124a Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Abs. 6 Satz 3 VwGO nur durch den Vorsitzenden des Senats verlängert werden. An einer solchen Verlängerung fehle es hier. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Berichterstatter in Bezug auf eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit dem Vorsitzenden Rücksprache gehalten oder ein Vertretungsfall vorgelegen habe. Mit dieser Begründung setzt sich die Beschwerde nicht in dem erforderlichen Maße auseinander. Eine substantiierte Auseinandersetzung sowohl mit den vom Oberverwaltungsgericht diesbezüglich angeführten Tatsachen als auch mit seiner Würdigung, dass die Berufungsbegründungsfrist hier durch den Berichterstatter nicht wirksam verlängert worden sei, ist weder dem vorstehend skizzierten Vorbringen der Beschwerde noch ihren weiteren Ausführungen zu entnehmen. So legt die Beschwerde nicht dar, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der genannten Auffassung der Vorinstanz nicht zu folgen sei. Soweit die Beschwerde ausführt, der Berichterstatter hätte bei zutreffender Auslegung des Fristverlängerungsantrages die Akte dem Vorsitzenden vorlegen müssen und sich aus dem diesbezüglichen Unterlassen des Berichterstatters nichts zu Lasten des Klägers ergeben könne, rügt sie die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Auslegung des Fristverlängerungsantrages durch das Oberverwaltungsgericht. Gleiches gilt für ihr Vorbringen, der Vorsitzende hätte bei zutreffender Auslegung des besagten Antrags die Berufungsbegründungsfrist verlängern müssen, sodass es weder eines Wiedereinsetzungsantrages des Klägers noch einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über eine Wiedereinsetzung von Amts wegen bedurfte.

7 2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

8 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.