Beschluss vom 22.02.2023 -
BVerwG 9 B 17.22ECLI:DE:BVerwG:2023:220223B9B17.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.02.2023 - 9 B 17.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:220223B9B17.22.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 17.22

  • VG München - 12.03.2019 - AZ: M 2 K 18.4417
  • VGH München - 26.04.2022 - AZ: 8 B 20.1656

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Februar 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. April 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3 a) Die Frage,
ob nicht dadurch ein Vertrauenstatbestand zu Gunsten der Beklagten geschaffen wurde, dass wiederholt Verhandlungen zwischen dem Kläger und der Beklagten stattgefunden haben und nur noch die Einigung über die Höhe der Gegenleistung (den Kaufpreis für den Kauf der Grundstücksteile oder eine sonstige finanzielle Abgeltung für die Nutzung der tatsächlich-öffentlichen Verkehrsflächen durch die Beklagte) ausstand und klar war, dass der Kläger eine angemessene Gegenleistung erhalten sollte,
bezieht sich ausdrücklich - auch soweit die Begründungsschrift nachfolgend auf den Zeitraum verweist, während dessen der Kläger und seine Rechtsvorgänger die Nutzung von in ihrem Eigentum stehenden Flächen geduldet hätten - allein auf die Umstände des vorliegenden Falls. Ihr stehen zudem die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts entgegen, denen zufolge nicht zu erkennen ist, dass der Kläger oder die Voreigentümer die verkehrliche Nutzung der inmitten stehenden Grundstücke geduldet haben, und die Beklagte aus den Verhandlungen mit dem Kläger nicht annehmen konnte, dieser wolle sein Widerrufsrecht aufgeben. Diesbezüglich hat die Beklagte keine Revisionsgründe vorgebracht, sodass das Bundesverwaltungsgericht hieran gemäß § 137 Abs. 1 VwGO gebunden ist. Darüber hinaus verhält sich das angefochtene Urteil nicht dazu, dass nur noch eine Einigung über die Höhe der dem Grunde nach feststehenden angemessenen Gegenleistung zu Gunsten des Klägers ausstand. Die Revision kann jedoch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, wenn die Vorinstanz eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren erheblich sein würde (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Juni 2006 - 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 35 Rn. 8 und vom 5. Dezember 2008 - 9 B 28.08 - Buchholz 406.25 § 50 BImSchG Nr. 6 Rn. 18).

4 Im Übrigen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass eine Verwirkung nur anzunehmen ist, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Anspruchs längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hängt von den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls ab, die sich einer allgemeingültigen Klärung entziehen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2022 - 8 B 52.21 - juris Rn. 7).

5 b) Auch die Frage,
ob die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger unter Berücksichtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen eine missbräuchliche Rechtsausübung darstellt, ob bei der Bewertung dieser Frage maßgeblich in Betracht gezogen werden muss, welche Rechte und Interessen, nämlich im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an einer geordneten und dauerhaft stabilen Verkehrsanbindung und Verkehrsplanung, der Ausübung des Widerrufsrechts gegenüberstehen und ob dieses öffentliche Interesse im Rahmen einer Abwägung mit der hier (nur) behaupteten geplanten Nutzung der Grundstücke für die Landwirtschaft schwerer wiegt, sowie ob es in einer solchen Konstellation ausreicht, zukünftige mögliche Nutzungen der Flächen lediglich zu behaupten und ohne weitere Konkretisierung vorzubringen,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie bezieht sich im Wesentlichen ebenfalls allein auf die Entscheidung des vorliegenden Falls und steht im Übrigen im Widerspruch zu den - gleichfalls mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs. Danach lassen sich die Behauptungen der Beklagten, der Ausbauzustand der Happinger-Au-Straße und des Kleinschwandwegs habe sich seit der Errichtung nicht verändert und die Straßen hätten bei einer Beschränkung auf das im Eigentum der Beklagten stehende Wegegrundstück mangels Mindestbreite nicht funktioniert, nicht belegen und bleibt die Behauptung der Beklagten spekulativ, beide Straßen hätten - begrenzt auf die Wegeparzelle - die jeweilige Funktion ihrer Straßenkategorie nie erfüllen können.

6 2. Den weiteren Einwand, der Verwaltungsgerichtshof habe das vorliegende nicht nur mit einem weiteren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbinden dürfen, sondern beide zur gemeinsamen Entscheidung verbinden müssen, hat die Beklagte erstmals unter dem 18. Oktober 2022 und damit nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erhoben. Insoweit handelt es sich um keine Erläuterung der vorgenannten Fragen, sondern um eine eigenständige - indes verspätete - Rüge.

7 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.