Verfahrensinformation

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist die Änderung eines Flächennutzungsplans, mit dem eine niedersächsische Gemeinde zusätzliche Flächen für die Nutzung von Windenergie darstellt und sie außerhalb dieser Flächen ausschließt (sog. Konzentrationszonenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Ein Eigentümer von Grundstücken, die außerhalb der Konzentrationszonen liegen und ein Windenergieunternehmen mit Nutzungsrechten an diesen Grundstücken gehen gegen die Planung vor.


Die Antragsgegnerin hatte bereits fünf Sonderbauflächen für Windenergieanlagen an vier Standorten dargestellt. Auf der Grundlage eines Standortkonzepts wies sie mit der angegriffenen Planänderung zwei weitere Sonderbauflächen aus. Dies sei nach § 249 Abs. 1 BauGB möglich, ohne dass das den bisherigen Ausweisungen zugrunde liegende Konzept infrage gestellt würde.


Das Oberverwaltungsgericht hat die Änderung insoweit für unwirksam erklärt, als ihrer textlichen Darstellung zufolge die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeigeführt werden. Es fehle an einem nachvollziehbaren schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept. Ein solches sei grundsätzlich notwendig, die Antragsgegnerin hätte die bereits vorhandenen Sonderbauflächen für Windenergie daher nicht vom Planungsraum des neuen Konzepts ausnehmen dürfen. Selbst wenn man annähme, nach § 249 Abs. 1 BauGB dürfe - über den Wortlaut der Norm hinaus - unter bestimmten Voraussetzungen von einem neuen Planungskonzept abgesehen werden, hätte die Antragsgegnerin von ihrem alten Planungskonzept ausgehen und prüfen müssen, ob die Darstellung neuer Flächen noch in das bisherige Planungskonzept passe. Hierbei hätte auch die Aktualität des ursprünglichen Konzepts untersucht und bejaht werden müssen.


Die Antragsgegnerin macht mit ihrer Revision geltend, das Normenkontrollurteil verletze § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB und setze ihrer Planungsfreiheit zu enge Grenzen.


Beschluss vom 21.06.2021 -
BVerwG 4 BN 43.20ECLI:DE:BVerwG:2021:210621B4BN43.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.06.2021 - 4 BN 43.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:210621B4BN43.20.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 43.20

  • OVG Lüneburg - 26.02.2020 - AZ: OVG 12 KN 182/17

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juni 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2020 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Rechtssache kann voraussichtlich zur Klärung der Frage beitragen, inwiefern es bei der Darstellung zusätzlicher Flächen für die Nutzung von Windenergie in einem Flächennutzungsplan einer Gesamtplanung mit umfassender Abwägung auch in Bezug auf bereits zuvor als Sonderbauflächen für die Windenergie dargestellte Flächen bedarf.

2 Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 CN 6.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 24.01.2023 -
BVerwG 4 CN 6.21ECLI:DE:BVerwG:2023:240123U4CN6.21.0

Leitsatz:

Die Gemeinde muss Flächen, für die ein Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung Windenergie festsetzt, nicht in das gesamträumliche Konzept für eine Konzentrationsflächenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB einbeziehen.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 3, § 249 Abs. 1 Satz 1

  • OVG Lüneburg - 26.02.2020 - AZ: 12 KN 182/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 24.01.2023 - 4 CN 6.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:240123U4CN6.21.0]

Urteil

BVerwG 4 CN 6.21

  • OVG Lüneburg - 26.02.2020 - AZ: 12 KN 182/17

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Decker,
Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Antragsgegnerin wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2020 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich gegen die am 27. Oktober 2016 beschlossene 4. Änderung des Flächennutzungsplans 2008 der Antragsgegnerin, mit der zusätzliche Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen dargestellt werden.

2 Die Antragsgegnerin hatte bereits in ihrem Flächennutzungsplan aus dem Jahr 1995 fünf Sonderbauflächen für Windenergieanlagen dargestellt. Außerhalb der ausgewiesenen Flächen sollten Windenergieanlagen ausgeschlossen sein. 2008 machte sie den Flächennutzungsplan neu bekannt. Mit der 4. Änderung des Flächennutzungsplans stellte die Antragsgegnerin zeichnerisch zwei weitere Sonderbauflächen für Windenergie sowie textlich eine Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dar. Von der Ausschlusswirkung wurden auch die fünf vorhandenen Sonderbauflächen des Flächennutzungsplans in der Fassung von 2008 ausgenommen.

3 Der Änderung des Flächennutzungsplans liegt ein Standortkonzept Windenergie von 2014 - Fortschreibung 2016 - zugrunde, mit dem das gesamte Gemeindegebiet einer flächendeckenden Eignungsprüfung unterzogen wurde. Nach Ermittlung der harten und weichen Tabuzonen wurden die verbleibenden Flächen auf ihre Eignung zur Errichtung von drei Windenergieanlagen überprüft und zwei Standorte empfohlen. Teile der vorhandenen Sonderbauflächen liegen in harten und weichen Tabuzonen des Standortkonzepts. Die Antragsgegnerin hielt an diesen Flächenausweisungen unter Bezugnahme auf § 249 Abs. 1 BauGB a. F. fest.

4 Der Antragsteller zu 2 ist Eigentümer von Grundstücken, die von der angeordneten Ausschlusswirkung erfasst werden, die Antragstellerin zu 1 ein Windkraftunternehmen, das mit dem Antragsteller zu 2 einen Nutzungsvertrag zur Errichtung von Windenergieanlagen auf den Grundstücken geschlossen hat.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die Änderung des Flächennutzungsplans für unwirksam erklärt, soweit damit die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeigeführt werden sollen. Es fehle an einem schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzept. Die vorhandenen Sonderbauflächen für Windenergie seien zu Unrecht von dem Planungsraum ausgenommen worden. § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB biete hierfür keine Grundlage. Der Einwand der Antragsgegnerin, für alle vorhandenen Sonderbauflächen existierten Bebauungspläne, in denen Baufenster für Windenergieanlagen außerhalb der harten Tabuzonen des neuen Konzepts festgesetzt seien, sei unerheblich. Ein Flächennutzungsplan müsse aus sich heraus den Anforderungen genügen, die an eine Konzentrationsflächenplanung zu stellen seien.

6 Mit ihrer Revision erstrebt die Antragsgegnerin die Ablehnung der Normenkontrollanträge. Das Oberverwaltungsgericht habe die Anforderungen an eine Änderungsplanung, der eine wirksame Konzentrationsflächenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zugrunde liege, überspannt.

7 Die Antragsteller verteidigen das angefochtene Urteil.

II

8 Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die tatrichterlichen Feststellungen lassen eine Entscheidung in der Sache nicht zu (§ 144 Abs. 4 und 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

9 1. Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist die planerische Entscheidung der Antragsgegnerin, mit der Änderung des Flächennutzungsplans an Standorten außerhalb der vorhandenen und neu ausgewiesenen Sonderbauflächen für Windenergie die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eintreten zu lassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 4 CN 1.12 - BVerwGE 146, 40 Rn. 18 und vom 13. Dezember 2018 - 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 29 m. w. N.).

10 Eine solche Ausschlusswirkung bestünde trotz der zum 1. Februar 2023 durch das Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353) eintretenden Änderungen im Baugesetzbuch fort. Nach der Neufassung des § 249 Abs. 1 BauGB ist zwar § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nicht mehr anzuwenden. Nach § 245e Abs. 1 Satz 1 BauGB gelten die Rechtswirkungen eines Flächennutzungsplans gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in der bis zum 1. Februar 2023 geltenden Fassung für Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB aber fort, wenn der Plan bis zum 1. Februar 2024 wirksam geworden ist. Die angefochtene Änderung des Flächennutzungsplans kann daher über den 31. Januar 2023 hinaus − längstens bis zum 31. Dezember 2027 (vgl. § 245e Abs. 1 Satz 2 BauGB) − Wirkungen entfalten, so dass nach wie vor ein Interesse an der Klärung der Wirksamkeit der Ausschlusswirkung besteht.

11 2. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Das Oberverwaltungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass auch die Änderung einer bestehenden Windenergie-Konzentrationsflächenplanung, die die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entfalten soll, ein schlüssiges Gesamtkonzept erfordert, das sich auf den gesamten Außenbereich erstreckt (a). § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB bietet keine Rechtfertigung, von diesen Anforderungen abzusehen (b). Bundesrechtswidrig ist jedoch die Auffassung, die gesamträumliche Planung müsse stets auch solche Flächen in den Blick nehmen und dem Planungskonzept unterwerfen, die bereits durch Bebauungsplan als Flächen für die Windenergie ausgewiesen sind (c).

12 a) Eine planerische Entscheidung, die die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auslösen soll, bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines schlüssigen gesamträumlichen Planungskonzepts, das sich auf den gesamten Außenbereich erstreckt. Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen öffentliche Belange einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür u. a. durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Kraft dieser gesetzlichen Anweisung führt die Darstellung von Positivflächen aufgrund der planerischen Entscheidung der Gemeinde, der Darstellung im Sinne einer "Konzentrationsflächenplanung" die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zukommen zu lassen, unmittelbar zur bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit von Vorhaben auf den nicht ausgewiesenen Flächen (sog. Ausschluss- oder Negativflächen). Der Geltungsbereich der Ausschlusswirkung wird somit − negativ − über die Konzentrationsflächen definiert (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 4 CN 1.12 - BVerwGE 146, 40 Rn. 22).

13 Das Zurücktreten der Privilegierung von Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB in Teilen des Plangebiets lässt sich aber nur dann rechtfertigen, wenn die Gemeinde sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen und der Windenergienutzung in substanzieller Weise Raum verschafft wird. Eine solche planerische Entscheidung muss daher gesamträumlich sein, also nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von Windenergieanlagen freizuhalten (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <294 ff.>, vom 13. Dezember 2012 - 4 CN 1.11 - BVerwGE 145, 231 Rn. 9 und vom 18. August 2015 - 4 CN 7.14 - BVerwGE 152, 372 Rn. 8).

14 Hat die Gemeinde eine Konzentrationsflächenplanung erstellt, kann sie sich nach allgemeinen Planungsgrundsätzen dafür entscheiden, diese später aufzugreifen und zu ändern (§ 1 Abs. 8 BauGB). Dies ermöglicht ihr, die Planung aktuellen Gegebenheiten anzupassen, weitere Flächen als Konzentrationsflächen einzubeziehen und die Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf eine neue, breitere Grundlage zu stellen (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 249 Rn. 9b). Übt die Gemeinde den Planvorbehalt neu aus und begründet sie die Ausschlusswirkung neu, muss die Konzentrationsflächenplanung den sich aus § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergebenden Anforderungen (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2019 - 4 BN 4.18 - juris Rn. 6) wiederum genügen.

15 b) Das Oberverwaltungsgericht hat die angegriffene Flächennutzungsplanung als nicht gesamträumlich beanstandet, weil die Antragsgegnerin die vorhandenen Konzentrationsflächen, also die fünf "alten" Sonderbauflächen, nicht auf der Grundlage des neuen Planungskonzepts gerechtfertigt habe. Es hat angenommen, dass § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB − in der hier (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) bis zum 31. Januar 2023 geltenden Fassung (§ 249 Abs. 1 BauGB a. F.) − für dieses Vorgehen keine Rechtfertigung biete (UA S. 25). Dies steht im Ergebnis mit revisiblem Recht in Einklang.

16 Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. folgt aus dem Umstand, dass in einem Flächennutzungsplan zusätzliche Flächen für die Nutzung von Windenergie dargestellt werden, nicht, dass die vorhandenen Darstellungen des Flächennutzungsplans zur Erzielung der Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht ausreichend sind. Nach Auffassung der Revision erlaubt § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. Abstriche an einem gesamträumlichen Planungskonzept, wenn die Änderung eines Flächennutzungsplans die Ausschlusswirkung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erneut herbeiführen soll. Dies trifft nicht zu. § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. regelt diesen Fall nicht.

17 Der Senat neigt allerdings dazu, § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. über seinen Wortlaut hinaus die Befugnis der Gemeinde zu entnehmen, eine bestehende Konzentrationsflächenplanung und die von ihr bewirkte Ausschlusswirkung unberührt zu lassen und weitere Flächen als bloße Positivflächen darzustellen, ohne erneut eine gesamträumliche Planung vorzunehmen (in diese Richtung OVG Münster, Urteil vom 17. Mai 2017 - 2 D 22/15.NE - BauR 2017, 2103 <2109 f.>; Scheidler, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 249 Rn. 13 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2022, § 249 Rn. 9; a. A. OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Juni 2019 - 12 KN 64/17 - ZfBR 2019, 702 <704>; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 3. Aufl. 2019, Rn. 555). Eine solche Befugnis erkennt der Gesetzgeber inzwischen in § 245e Abs. 1 Satz 5 BauGB in der Fassung von Art. 11 Nr. 2 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 8. Oktober 2022 (BGBl. I S. 1726) jedenfalls grundsätzlich an.

18 Die Frage kann aber auf sich beruhen. Denn die Antragsgegnerin hat sich nicht auf eine reine Positivplanung beschränkt. Sie hat vielmehr eine neue Ausschlusswirkung begründet, die Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist. Für eine solche Planung gilt § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. nicht.

19 Die Revision stützt ihre gegenteilige Auffassung auf die Annahme, jede zusätzliche Darstellung von Positivflächen im Flächennutzungsplan ändere die Ausschlussfläche, so dass bei einer bestehenden Konzentrationsflächenplanung die Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB notwendige beziehungsweise zufällige Folge einer Positivausweisung sei. Das trifft nicht zu. Vielmehr kommt es maßgeblich auf den Planungswillen der Gemeinde an. Denn die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB treten nicht gleichsam "automatisch" mit der Darstellung von Positivflächen im Flächennutzungsplan ein. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt vielmehr voraus, dass diese Rechtswirkungen nach dem planerischen Willen der Gemeinde mit der Ausweisung einer Positivfläche als Konzentrationsfläche erreicht werden sollen. Die planende Gemeinde hat also die Wahl, ob sie mit einer positiven Standortzuweisung lediglich die dargestellten Flächen für die Windenergienutzung vorhalten und gegen konkurrierende Nutzungen sichern (sog. qualifizierte flächenbezogene Darstellungen) oder eine verbindliche Konzentrationsflächenplanung für den gesamten Planungsraum betreiben will. Entscheidet sich die Gemeinde für qualifizierte flächenbezogene Darstellungen, entfallen die spezifischen Rechtfertigungsanforderungen, die der Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB geschuldet sind. Versieht sie ihre Standortplanung − sei es in Form einer Erst- oder Änderungsplanung − hingegen mit einer Ausschlusswirkung, muss sie ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept vorlegen und die sonstigen Rechtmäßigkeitsanforderungen an eine Konzentrationsflächenplanung erfüllen (BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 4 CN 1.12 - BVerwGE 146, 40 Rn. 16 und vom 13. Dezember 2018 - 4 CN 3.18 - BVerwGE 164, 74 Rn. 19, 29 und 31).

20 c) Das Oberverwaltungsgericht hat dem Erfordernis einer gesamträumlichen Abwägung die Verpflichtung der Antragsgegnerin entnommen, die vorhandenen Sonderbauflächen unabhängig von bestehenden Bebauungsplänen in das gesamträumliche Planungskonzept einzubeziehen und insbesondere die harten Tabuzonen auf diese Flächen anzuwenden (vgl. UA S. 33). Dies steht mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht in Einklang. Denn die Gemeinde ist befugt, vom gesamträumlichen Planungskonzept solche Flächen auszunehmen, die durch Festsetzungen in Bebauungsplänen für die Nutzung durch die Windenergie bereits vorgesehen sind, und die dazu beitragen, der Windenergie substanziell Raum zu verschaffen. Ob sie in dieser Weise vorgeht, unterliegt ihrer planerischen Entscheidung.

21 aa) Mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB hat der Gesetzgeber der Gemeinde die Möglichkeit eröffnet, die Nutzung der Windenergie für den gesamten Außenbereich planerisch zu steuern. Dem Flächennutzungsplan kommt insofern eine den Festsetzungen des Bebauungsplans vergleichbare Funktion zu (BVerwG, Urteile vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 - BVerwGE 137, 74 Rn. 49 und vom 31. Januar 2013 - 4 CN 1.12 - BVerwGE 146, 40 Rn. 14 und 20), wobei sich die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf bestimmte privilegierte Vorhaben im Außenbereich beschränkt.

22 Die Gemeinde ist dadurch aber nicht gehindert, Flächen für Windenergieanlagen in Bebauungsplänen und damit im Innenbereich festzusetzen, etwa indem sie Konzentrationsflächen eines Flächennutzungsplans mit einem Bebauungsplan überplant (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2010 - 4 C 7.09 - BVerwGE 137, 74 Rn. 49 sowie Beschlüsse vom 25. November 2003 - 4 BN 60.03 - ZfBR 2004, 279 <280> und vom 21. Dezember 2017 - 4 BN 3.17 - UPR 2018, 154 Rn. 8) oder Flächen für die Windenergie durch Bebauungsplan ausweist und den Flächennutzungsplan im Parallelverfahren nach § 8 Abs. 3 Satz 1 BauGB ändert (BVerwG, Beschluss vom 25. November 2003 - 4 BN 60.03 - ZfBR 2004, 279 <280> und OVG Münster, Urteil vom 17. Mai 2017 - 2 D 22/15.NE - juris Rn. 8). Im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans ist ein Vorhaben gemäß § 30 Abs. 1 BauGB zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht. Bei einem einfachen Bebauungsplan gilt gemäß § 30 Abs. 3 BauGB dasselbe, soweit seine Festsetzungen reichen, im Übrigen richtet sich die Zulässigkeit nach den §§ 34, 35 BauGB. Die den gleichen Gegenstand betreffenden Anforderungen der §§ 34, 35 BauGB werden bei einem einfachen Bebauungsplan durch dessen Festsetzungen verdrängt (BVerwG, Beschlüsse vom 24. März 2015 - 4 BN 30.13 - juris Rn. 28 und vom 21. Dezember 2017 - 4 BN 3.17 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 38 Rn. 8). Hat eine Gemeinde Flächen für die Nutzung von Windenergie ausgewiesen, etwa durch Festsetzung eines Sondergebiets Windenergie nach § 11 Abs. 2 BauNVO, ist die Art der zulässigen baulichen Nutzung im Geltungsbereich des Bebauungsplans damit abschließend geregelt.

23 Weil sich eine Konzentrationsflächenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB schon von Rechts wegen nicht auf Flächen erstreckt, für die ein Bebauungsplan zumindest die Art der zulässigen baulichen Nutzung wirksam festsetzt, ist die Gemeinde befugt, diese Flächen nicht den Maßstäben ihres gesamträumlichen Planungskonzepts zu unterwerfen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz überspannt die bundesrechtlichen Anforderungen an die Planung. Sie kann zudem dem Umstand nicht Rechnung tragen, dass auf den durch verbindliche Bauleitplanung gesicherten Flächen häufig bereits Windenergieanlagen errichtet sind und betrieben werden, so dass die Annahme einer harten Tabuzone beispielsweise wegen einer nunmehr abweichend dimensionierten Referenzanlage lebensfern erschiene. Auch die Konzentrationsflächenplanung für Windenergieanlagen findet - wie jede Planung - nicht "auf freiem Felde" statt (BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1974 - 4 C 50.72 - BVerwGE 45, 309 <316> und vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - BVerwGE 162, 114 Rn. 37), sondern darf einem bauplanungsrechtlich gesicherten Bestand Rechnung tragen.

24 Unterwirft die Gemeinde die durch Bebauungsplan gesicherten Flächen nicht dem gesamträumlichen Planungskonzept, muss das Konzept nur auf den verbleibenden Flächen für sich genommen die Anforderungen an eine wirksame Konzentrationsflächenplanung erfüllen, um die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeizuführen. Bei der Prüfung dieses Konzepts sind aber die durch Bebauungsplan gesicherten Flächen zur Beantwortung der Frage heranzuziehen, ob der Windkraft substanziell Raum verschafft wird. Denn dieses Erfordernis soll nur verhindern, dass die Gemeinde das gesamte Gemeindegebiet mit dem Instrument des Flächennutzungsplans für die Windenergie sperrt und diesen als Mittel dazu nutzt, unter dem Deckmantel der Steuerung Windenergie in Wahrheit zu verhindern (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <294 f.>). Ihm wird auch genügt, wenn der notwendige Raum auf durch Bebauungsplan festgesetzten Flächen bereitgestellt wird.

25 bb) Die Gemeinde ist ebenso befugt, Flächen, auf denen Bebauungspläne Festsetzungen für die Windenergie treffen, in ihr gesamträumliches Konzept für den Flächennutzungsplan einzubeziehen. In diesem Fall entscheidet sie sich im Grundsatz dafür, sämtliche Flächen dem aktuellen Planungskonzept zu unterwerfen und dessen Maßstäbe einheitlich anzulegen.

26 3. Die tatsächlichen Feststellungen lassen eine Entscheidung in der Sache nicht zu. Dies zwingt zur Zurückverweisung.

27 Das Oberverwaltungsgericht hat − von seinem Standpunkt aus zutreffend − keine näheren Feststellungen zu den für die Windenergienutzung aufgestellten Bebauungsplänen getroffen, die für die im Flächennutzungsplan bisher dargestellten Sonderbauflächen existieren. Sollten die Sonderbauflächen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Konzentrationsflächenkonzept nicht ausnahmslos durch Bebauungspläne überplant gewesen sein, die als Art der baulichen Nutzung Windenergie festsetzen, hätte die Antragsgegnerin die nicht entsprechend überplanten Flächen in ihr gesamträumliches Konzept einbeziehen müssen. Das Oberverwaltungsgericht hätte dann zu Recht einen beachtlichen Fehler im Abwägungsvorgang nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB angenommen (UA S. 32 f.).

28 Andernfalls hätte die Antragsgegnerin ihre Entscheidung, die entsprechenden Flächen nicht einzubeziehen, lediglich im Abwägungsvorgang fehlerhaft auf den insofern nicht anwendbaren § 249 Abs. 1 Satz 1 BauGB a. F. gestützt. Das Oberverwaltungsgericht wird dann zu prüfen haben, ob dieser Mangel auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre das Oberverwaltungsgericht gehalten, den weiteren rechtlichen Einwänden gegen die Planung nachzugehen.