Beschluss vom 24.07.2023 -
BVerwG 2 B 25.22ECLI:DE:BVerwG:2023:240723B2B25.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 24.07.2023 - 2 B 25.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:240723B2B25.22.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 25.22
- VG Berlin - 16.04.2021 - AZ: 80 K 14/20 OL
- OVG Berlin-Brandenburg - 13.01.2022 - AZ: 80 D 3/21
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juni 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Hissnauer
beschlossen:
- Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1 Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren.
2 1. Der Beklagte steht als Polizeihauptkommissar im Dienst des Klägers. Gegen den straf- sowie disziplinarrechtlich vorbelasteten Beklagten leitete der Kläger im April 2019 ein weiteres, in der Folge vorübergehend ausgesetztes Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs ein, mit dem Besitz und dem Verbreiten von Kinderpornographie im Kernbereich seiner Pflichten als Polizeivollzugsbeamter versagt zu haben. Auf die nach Verurteilung des Beklagten wegen des Verbreitens kinderpornographischer Schriften in einem Fall und des Besitzes kinderpornographischer Schriften in einem weiteren Fall erhobene Disziplinarklage entfernte das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
3 2. Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 41 DiszG BE, § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie des Verfahrensmangels (§ 41 DiszG BE, § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
4 a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
5 Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 30. April 2019 - 2 B 52.18 - juris Rn. 4).
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Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"stellt die vom Bundesverwaltungsgericht in der Disziplinarrechtsprechung als Orientierung für die Schwere des Dienstvergehens vorgegebene Ausrichtung am gesetzlichen (Kriminal-)Strafrahmen einen unzulässigen sachlichen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit dar und verhindert damit eine eigene Einschätzung des jeweiligen Disziplinargerichtes nach den Vorgaben des Disziplinargesetzes?,"
lässt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erkennen.
7 Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DiszG BE sowie den inhaltlich entsprechenden Parallelvorschriften des Bundes und der anderen Länder ist die Disziplinarmaßnahme insbesondere nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen, das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen, ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Senats ein wesentlicher normativer Anhaltspunkt bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens, ob und in welcher Weise der Gesetzgeber das Fehlverhalten des Beamten strafrechtlich bewertet. Ist bei dem in Rede stehenden strafbaren Fehlverhalten - etwa wegen der Vielfalt der denkbaren Begehungsformen - eine eindeutige Zuordnung zur disziplinaren Höchstmaßnahme nicht möglich, ist der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen der entscheidende normative Anhaltspunkt für die Maßnahmebemessung. Denn mit der gesetzlichen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht. Die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlusts am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von außerdienstlichen Straftaten und verhindert, dass die Disziplinargerichte ihre jeweils eigene (sei es strengere, sei es mildere) Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 20 f.).
8 In dieser Rechtsprechung liegt kein Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 GG). Denn mit seiner Rechtsprechung erfüllt das Bundesverwaltungsgericht vielmehr den ihm eigenen Auftrag der Wahrung und Sicherung der Rechtseinheit sowie der höchstrichterlichen Rechtsfortbildung (vgl. Buchheister, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2022, § 132 Rn. 4). Die übrigen Disziplinargerichte sind an die Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme aber rechtlich nicht gebunden.
9 b) Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 41 DiszG BE, § 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
10 aa) Die Rüge, das Berufungsgericht sei seiner Sachaufklärungspflicht nicht nachgekommen, weil es zur Frage der zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der Taten kein Sachverständigengutachten eingeholt habe, ist unbegründet.
11 § 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe - krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, eine Intelligenzminderung oder eine schwere andere seelische Störung - bei Begehung der Tat erheblich vermindert ist. Eine solche erheblich verminderte Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat ist wegen des auch im Disziplinarverfahren geltenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Schuldgrundsatzes für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme relevant.
12 Allerdings enthält das Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 21. Oktober 2019 keine Ausführungen zur Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten zum Zeitpunkt der Taten. Wegen des für das Strafgericht vorgegebenen Prüfprogramms ist jedoch beim Fehlen von Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Täters davon auszugehen, dass das Strafgericht das Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB verneint hat. Dass das Strafgericht keines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als erfüllt angesehen hat, ist eine tatsächliche Feststellung eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren i. S. v. § 41 DiszG BE und § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG und nimmt deshalb an der Bindungswirkung teil (BVerwG, Urteil vom 20. April 2023 - 2 A 18.21 - Rn. 33 ff.). Der Annahme der Bindungswirkung steht nicht entgegen, dass es sich beim Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 21. Oktober 2019 um ein nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürztes Urteil handelt. Da die Anwendung des § 21 StGB das Vorliegen einer der in § 20 StGB aufgeführten seelischen Störungen voraussetzt, gilt die Feststellung des strafgerichtlichen Urteils, dass keines der Merkmale des § 20 StGB zum Zeitpunkt der Taten vorlag, auch für den Anwendungsbereich des § 21 StGB. Wegen dieser Bindungswirkung ist dem Disziplinargericht eine eigene Beweisaufnahme insbesondere mittels der Einholung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich nicht gestattet. Dass zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung Anhaltspunkte für eine offenkundige Unrichtigkeit der Feststellung des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich des Nichtvorliegens eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB zum Zeitpunkt der Straftaten (12. Juli 2017 und 13. April 2018) mit der Folge gegeben waren, dass die erneute Prüfung nach § 41 DiszG BE und § 57 Abs. 1 Satz 2 sowie § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG zu beschließen war, wird in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt.
13 bb) Unbegründet ist auch die weitere Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe es zu Unrecht unterlassen, sich von den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils zum Merkmal des Verbreitens kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu lösen.
14 Die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 21. Oktober 2019 zum Merkmal des Verbreitens kinderpornographischer Schriften sind nach § 41 DiszG BE und § 57 Abs. 1 Satz 1 sowie § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG für das Berufungsgericht im Disziplinarverfahren bindend. Nur in dem Fall, dass die tatsächlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind, ist das Oberverwaltungsgericht berechtigt, die erneute Prüfung der Feststellungen zu beschließen. In der Beschwerdebegründung wird aber nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine solche Prüfung wegen offenkundiger Unrichtigkeit gegeben waren.
15 Das Vorbringen für eine Lösung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG muss hinreichend substantiiert sein. Pauschale Behauptungen des betroffenen Beamten reichen nicht aus. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG ergeben kann (BVerwG, Beschlüsse vom 26. August 2010 - 2 B 43.10 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 6, vom 28. Dezember 2011 - 2 B 74.11 - juris Rn. 13, vom 18. Juni 2014 - 2 B 55.13 - juris Rn. 22, vom 30. August 2017 - 2 B 34.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 51 Rn. 15 und vom 30. April 2019 - 2 B 52.18 - juris Rn. 12). Wegen des Zwecks der Bindungswirkung, die nur unter engen Voraussetzungen überwunden werden kann, müssen für die Annahme der offenkundigen Unrichtigkeit ganz erhebliche Gründe vorgebracht werden. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung des § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. November 2000 - 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> und vom 16. März 2004 - 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 - 2 B 65.07 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11 und vom 26. August 2010 - 2 B 43.10 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 5).
16 Diesen wegen des Zwecks der Bindungswirkungen hohen Anforderungen genügt das Vorbringen in der Beschwerdebegründung nicht. Denn der Beklagte trägt pauschal vor, die tatsächliche Feststellung im amtsgerichtlichen Urteil, er habe einzelnen weiteren Nutzern eines Kommunikationsdienstes per Upload eine Bilddatei mit kinderpornographischen Inhalt zugänglich gemacht, sei deshalb offenkundig unrichtig, weil er lediglich eine Bilddatei an denjenigen Chat-Teilnehmer zurückgesandt, der ihm die auf seinem Notebook sichergestellten 34 Bilder zugesandt habe. Unrichtig ist insbesondere die Annahme der Beschwerdebegründung, das Amtsgericht Königs Wusterhausen habe festgestellt, dass der Beklagte Bilddateien verschickt habe. Denn im strafgerichtlichen Urteil ist im Hinblick auf die Tat vom 12. Juli 2017 lediglich ausgeführt, dass der Beklagte per Upload weiteren Nutzern eine Bilddatei zugänglich gemacht hat.
17 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 3 DiszG BE, § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil die Höhe der Gerichtsgebühren nach der Anlage zu § 78 BDG betragsgenau festgelegt ist.