Beschluss vom 25.09.2025 -
BVerwG 1 WB 15.24ECLI:DE:BVerwG:2025:250925B1WB15.24.0

Sicherheitsrisiko aufgrund von Befehlsmissachtung im Auslandseinsatz

Leitsatz:

Das disziplinarrechtliche Tilgungsgebot und Verwertungsverbot aus § 8 Abs. 7 WDO gilt nicht im Sicherheitsüberprüfungsverfahren.

  • Rechtsquellen
    SÜG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 3 Satz 1
    WDO § 8 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 7 und 8
    WBO § 1 Abs. 3, § 17 Abs. 1 Satz 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.09.2025 - 1 WB 15.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:250925B1WB15.24.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 15.24

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Scheffczyk, den ehrenamtlichen Richter Oberst i. G. Blank und den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Plieske am 25. September 2025 beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos.

2 Der ... geborene Antragsteller ist Oberstleutnant der Reserve. Er ist seit September ... auf einem Dienstposten als Stabsoffizier für ... beim ... Corps in ... beordert, der sicherheitsempfindliche Tätigkeiten beinhaltet. Im Oktober 2017 wurde eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3) eingeleitet. Anfang Juli 2022 teilte der Geheimschutzbeauftragte des Bundesministeriums der Verteidigung dem Antragsteller mit, dass Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bestünden. Dazu nahm der Antragsteller zunächst mit E-Mail vom 14. Juli 2022 inhaltlich Stellung. Die persönliche Anhörung erfolgte am 20. September 2022.

3 Mit Schreiben vom 30. November 2022, dem Antragsteller am 8. Dezember 2022 zugestellt, teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller mit, dass seine Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos abgeschlossen werde. Er habe ausweislich eines Beschlusses des Truppendienstgerichts Süd vom 12. Dezember 2018 ein Dienstvergehen begangen, indem er bei einem Auslandseinsatz das ... Feldlager in ... aufgesucht und Fotoaufnahmen von dem Lager angefertigt habe. Dabei habe er wissentlich und willentlich gegen den ihm bekannten Befehl des Kommandeurs des deutschen Einsatzkontingentes verstoßen, wonach keine Aktionen gegen ... unternommen werden dürften, und alles, was mit ... zu tun habe, ihm vorab vorzulegen sei. Dass der Antragsteller dabei gedacht habe, das Ausspähen und Fotografieren falle nicht unter den Befehl, überzeuge nicht. Der Befehl habe insoweit keinen Interpretationsspielraum gelassen. Diese Missachtung des Befehls wiege bei sicherheitsrechtlicher Bewertung besonders schwer, weil der Antragsteller in seiner Funktion als Sicherheitsbeauftragter gehandelt habe.

4 Im Rahmen der Befragung durch Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes am 9. Juni 2021 habe er zudem falsche Angaben zu dem Dienstvergehen gemacht. Er habe ausgeführt, dass sein Fehlverhalten seitens der ... zu keiner Zeit offenkundig geworden sei. Zu keinem Zeitpunkt hätte er persönliche Kontakte/Berührungspunkte zu den Angehörigen des ... Militärs oder anderen Personen aus der ... Militärbasis gehabt. Tatsächlich seien er und die ihn begleitenden Feldjäger jedoch von den ... gestellt worden. Im Verlauf dieser Begegnung habe der Antragsteller zudem freiwillig und unaufgefordert dem ... Base Commander die Speicherkarte der Digitalkamera übergeben.

5 Das vom Antragsteller gezeigte Verhalten sei auch für vergleichbare Situationen im dienstlichen Bereich zu befürchten. Es offenbare einen erheblichen Mangel an Verantwortungsbewusstsein und sei ein Indiz für mangelnde Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit im Umgang mit Verschlusssachen. Zu seinen Gunsten werde im Rahmen der Frist für eine Wiederholungsprüfung berücksichtigt, dass er vor und nach dem Vorfall nicht disziplinar in Erscheinung getreten sei. Es sei noch ein gewisser Zeitraum der Bewährung erforderlich. Die regelmäßige Wirkungsdauer von fünf Jahren sei auf drei Jahre zu verkürzen.

6 Eine Rechtsbehelfsbelehrung erfolgte nicht. Auf telefonische Nachfrage teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller mit, dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Die Entscheidung wurde dem Antragsteller dann am 28. Januar 2023 durch den Sicherheitsbeauftragten seiner Einheit nochmals förmlich eröffnet.

7 Schon zuvor hat der Antragsteller mit Schreiben vom 18. Januar 2023 beim Verwaltungsgericht Köln, dort eingegangen am 23. Januar 2023, Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 6. Februar 2024 (Az.: 13 K 354/23) den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen, weil es sich um eine truppendienstliche Angelegenheit handele.

8 Der Antragsteller trägt vor, die Feststellung des Sicherheitsrisikos stütze sich allein auf sein Dienstvergehen vom 16. Mai 2018. Es handle sich um ein "kleineres" Dienstvergehen, welches nur mit der einfachen Disziplinarmaßnahme einer geringen Disziplinarbuße geahndet worden sei. Es habe keinen Bezug zur militärischen Sicherheit gehabt und sei ein singuläres, nicht charaktertypisches Verhalten gewesen. Weder sein Disziplinarvorgesetzter, noch der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte, noch das Einsatzführungskommando hätten ihn nach der Ahndung des Dienstvergehens von seinem Auftrag als Sicherheitsbeauftragter entbunden, ihn vom Einsatz zurückbeordert, seinen Zugang zu Verschlusssachen bzw. zu Sabotageschutzbereichen eingeschränkt oder beendet. Das Truppendienstgericht habe festgestellt, dass es sich nur um eine Dienstpflichtverletzung gehandelt habe und die Disziplinarbuße auf 800 € herabgesetzt. Es seien fünf Jahre seit dem Dienstvergehen und zwei Jahre seit dessen Verjährung vergangen. Daher dürfe es nicht mehr als Grundlage für ein Sicherheitsrisiko herangezogen werden.

9 Der Antragsteller beantragt,
den Geheimschutzbeauftragten zu verurteilen, die Sicherheitsüberprüfung ohne die Feststellung eines Sicherheitsrisikos abzuschließen,
hilfsweise, falls ein Risiko festzustellen wäre, mit Auflagen zu arbeiten.

10 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

11 Der Geheimschutzbeauftragte sei zutreffend von einem Sicherheitsrisiko ausgegangen. Das disziplinare Fehlverhalten des Antragstellers erlange dadurch zusätzliches Gewicht, dass der Befehl, über den er sich eigenmächtig und vorsätzlich hinweggesetzt habe, dazu gedient habe, eine Konfliktsituation und diplomatische Verstrickungen zu vermeiden. Der Befehl sei dem Soldaten in einer Stabsbesprechung am 23. April 2018 und bei einem Antreten am 26. April 2018 eröffnet worden. Mit seinem Handeln am 1. Mai 2018, nur wenige Tage nach der Befehlsausgabe, habe der Antragsteller sein eigenes Urteil in bemerkenswertem Umfang über das des Kommandeurs des Einsatzkontingents gestellt. Es sei nicht glaubhaft, dass der Antragsteller gedacht habe, sein Verhalten unterfalle dem Befehl nicht. Dass er den Vorfall als kleineres Dienstvergehen bezeichne, zeige, dass er scheinbar nicht gewillt sei, die volle Verantwortung für das eigene Fehlverhalten zu übernehmen. Es sei nicht auszuschließen, dass er künftig wieder sein eigenes Urteil und seine eigene Bewertung über die des Dienstherrn stellen würde. Das lange Zurückliegen des Fehlverhaltens sei berücksichtigt worden, habe sich aufgrund der Schwere der Verfehlung jedoch nur bedingt auswirken können. Es bestehe kein Verwertungs- oder Berücksichtigungsverbot einer sicherheitserheblichen Erkenntnis. Die Tilgung einer einfachen Disziplinarmaßnahme gemäß § 8 Abs. 2 WDO habe auf die sicherheitsrechtliche Einbeziehung keine Auswirkungen. Das Fehlverhalten habe sich zudem noch innerhalb des gesetzlich vorgesehenen Betrachtungszeitraums von fünf Jahren zugetragen.

12 Einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Erteilung einer positiven Sicherheitsüberprüfung der Stufe Ü1 für die Teilnahme an der Deutschen Reservistenmeisterschaft 2024 hat der Senat mit Beschluss vom 22. Mai 2024 - BVerwG 1 W-VR 2.24 - abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Gerichtsakten in den Verfahren BVerwG 1 W-VR 2.24 und VG Köln 13 K 354/23, die Verfahrensakten des Bundesministeriums der Verteidigung sowie die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

13 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

14 1. Er ist bereits teilweise unzulässig. Das Verwaltungsgericht Köln hat den Antrag zu Recht an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen. Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende Zuständigkeit der Wehrdienstgerichte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betreffen, erstreckt sich auch auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung des Geheimschutzbeauftragten über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über die sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche Verwendung entschieden wird (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 27 bis 30). Dies gilt auch für die Sicherheitsüberprüfung von Reservedienstleistenden. Denn die sicherheitsrechtliche Überprüfung von beorderten Reservisten dient der Ermittlung der Verwendungsmöglichkeiten im Reservedienst, sodass regelmäßig sowohl eine truppendienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 WBO als auch der erforderliche zeitliche Bezug zum Wehrdienst im Sinne des § 1 Abs. 3 WBO vorliegt.

15 Der Antrag ist auch rechtzeitig gestellt worden. Die einmonatige Frist des § 17 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO begann mit der Zustellung des Schreibens vom 30. November 2022, d. h. am 8. Dezember 2022, zu laufen. Dieses Schreiben enthielt auch bereits die dienstliche Maßnahme der Feststellung eines Sicherheitsrisikos. Aus der Sicht eines objektiven Empfängers war darin nicht lediglich ein Entwurf oder eine Begründung für eine später zu treffende Entscheidung zu sehen, sondern bereits die verbindliche sicherheitsrechtliche Entscheidung. Allerdings fehlte diesem Bescheid des Bundesministeriums der Verteidigung die erforderliche Belehrung über das einschlägige gerichtliche Rechtsmittel (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1974 - 1 WB 47.73 u. a. - BVerwGE 46, 251 <252> und Beschluss vom 20. Juni 2024 - 1 WB 13.23 - juris Rn. 25). Daher war der Lauf der einmonatigen Rechtsmittelfrist nach § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 2 WBO gehemmt und endete nicht am Montag, den 9. Januar 2023. Denn eine richtige Rechtsbehelfsbelehrung ist auch später nicht erfolgt, sondern nur eine unzutreffende Auskunft. Demzufolge wahrte der am 23. Januar 2023 eingegangene Antrag beim Verwaltungsgericht Köln die Rechtsmittelfrist. Denn aus § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG folgt, dass auch die Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht im Falle einer Verweisung die Streitsache mit Wirkung für die Wehrdienstgerichte rechtshängig macht.

16 Der Antragsteller kann allerdings zulässigerweise nur die Aufhebung der Feststellung eines Sicherheitsrisikos beantragen. Ihm fehlt bereits die Antragsbefugnis für das darüber hinausgehende Begehren, das Bundesministerium der Verteidigung zu einer Sicherheitsfreigabe - mit oder ohne Auflagen - oder auch nur zu einer erneuten sicherheitsrechtlichen Überprüfung und Entscheidung zu verpflichten. Denn der Antragsteller ist als Reservist derzeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut. Sofern die Personalführung seine Heranziehung für eine entsprechende Verwendung künftig beabsichtigen sollte, ist er vorher von Amts wegen der für den jeweiligen Dienstposten erforderlichen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG). Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass er mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut wird und dass unabhängig davon eine Sicherheitsüberprüfung gleichsam "auf Vorrat" durchgeführt wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 2016 - 1 WB 35.15 - juris Rn. 25 und vom 29. September 2021 - 1 WB 28.21 - juris Rn. 16 m. w. N.).

17 2. Der in seinem Prozessvorbringen enthaltene Antrag auf Aufhebung des Sicherheitsbescheids vom 30. November 2022 ist unbegründet.

18 a) Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m. w. N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier dem Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums für Verteidigung –, aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).

19 Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, z. B. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2012 - 1 WB 58.11 - juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).

20 Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 m. w. N.).

21 b) Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums der Verteidigung mit der den Bescheid tragenden Begründung rechtmäßig.

22 Der Geheimschutzbeauftragte ist von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Denn ausweislich des Beschlusses des Truppendienstgerichts Süd vom 12. Dezember 2018 steht fest, dass der Antragsteller entgegen den ihm bekannten Befehl des Kommandeurs des deutschen Einsatzkontingents, bis auf Weiteres keine Aktionen gegen ... zu unternehmen, vorsätzlich in ... in Sichtweite der ... Militärbasis Fotos von der Militärbasis angefertigt hat, bis er und die beiden ihn begleitenden Feldjäger von ... Soldaten gestellt wurden. Ebenso steht fest, dass der Antragsgegner dadurch seine Gehorsamspflicht verletzt und ein Dienstvergehen begangen hat.

23 Die vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Bewertung, dieses Verhalten lasse schwerwiegende Zweifel an der künftigen Zuverlässigkeit des Antragstellers aufkommen, ist sachlich nachvollziehbar und verkennt keine allgemeingültigen Maßstäbe. Denn der Geheimschutzbeauftragte konnte ebenso wie das Truppendienstgericht davon ausgehen, dass der Befehl eindeutig das ungenehmigte Auskundschaften der ... Militärbasis ausschloss, dass der Antragsteller seine eigene Lagebewertung in einem Auslandseinsatz mit spannungsgeladenem Umfeld über die Lageeinschätzung seiner militärischen Vorgesetzten stellte und dass er durch sein Handeln die Gefahr einer Verschärfung der Lage herbeiführte. Die vorsätzliche Missachtung eines militärisch besonders bedeutsamen Befehls lässt die vom Geheimschutzbeauftragten formulierten erheblichen Zweifel am Verantwortungsbewusstsein und an der künftigen Zuverlässigkeit des Antragstellers als sachlich vertretbar erscheinen.

24 Angesichts dessen durfte der Geheimschutzbeauftragte seinen Prognosespielraum in Richtung einer negativen Prognose ausüben. Konkrete und praktikable Möglichkeiten, statt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos lediglich Auflagen, Einschränkungen oder personenbezogene Sicherheitshinweise festzusetzen oder dem vorliegenden Sicherheitsrisiko durch Fürsorgemaßnahmen zu begegnen, sind weder vom Antragsteller aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Der Vorfall lag bei der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten auch nicht so lange zurück, dass er keine Rückschlüsse mehr auf das künftige Verhalten des Antragstellers zugelassen hätte. Vielmehr waren im November 2022 seit dem Vorfall vom Mai 2018 noch keine fünf Jahre vergangen, sodass sich das Ereignis im regelmäßigen Betrachtungszeitraum des § 12 Abs. 6 SÜG bewegte. Dass der Antragsteller während des Auslandseinsatzes aufgrund des Vorfalls nicht von seinem Dienstposten als Sicherheitsbeauftragter abgelöst oder repatriiert worden ist, schließt die Annahme einer Wiederholungsgefahr ebenfalls nicht aus. Denn eine längere Nachbewährung in sicherheitsrechtlicher Hinsicht ist damit nicht verbunden. Die für den Antragsteller sprechenden Umstände, namentlich der Zeitablauf seit dem Dienstvergehen und seine sonstige dienstliche Führung, wurden durch die vorzeitige Zulassung einer Wiederholungsprüfung nach Ablauf von drei Jahren angemessen berücksichtigt.

25 c) Der Geheimschutzbeauftragte hat bei der Ermittlung des Sachverhalts auch keine Verfahrensvorschriften verletzt. Der Antragsteller weist zwar mit Recht darauf hin, dass die am 16. Mai 2018 verhängte Disziplinarbuße nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 WDO drei Jahre danach zu tilgen war und dass daher zum Zeitpunkt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos im November 2022 bereits das Verwertungsverbot des § 8 Abs. 7 WDO bestand. Nach dieser Vorschrift dürfen Disziplinarmaßnahmen nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie getilgt worden oder zu tilgen sind. Sie sind aus dem Disziplinarbuch und aus den Personalakten zu entfernen. Dieses Verwertungsverbot gilt nicht nur für nachfolgende Disziplinarmaßnahmen, sondern auch für andere Personalmaßnahmen. Ansonsten hätte die Anordnung, die Disziplinarmaßnahme aus den Personalakten zu löschen, keinen Sinn (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 8 Rn. 19). Der Soldat soll nach Ablauf der seiner Nachbewährung dienenden Tilgungsfrist durch die Bereinigung der Personalakte vor beruflichen Nachteilen geschützt werden, die bei einer weiteren Verwertung der Disziplinarmaßnahme auftreten könnten.

26 Dieses Verwertungsverbot gilt allerdings nicht im Sicherheitsüberprüfungsrecht. Dies folgt daraus, dass nach § 18 Abs. 3 SÜG die Sicherheitsakte keine Personalakte ist. Das Tilgungsgebot des § 8 Abs. 7 WDO erstreckt sich damit nicht auf die Sicherheitsakte, in der Disziplinarentscheidungen auch nach Ablauf der Tilgungsfristen verbleiben dürfen. Dies lässt darauf schließen, dass das mit dem Tilgungsgebot verbundene Verwertungsverbot im Sicherheitsüberprüfungsverfahren nicht gilt. Dies entspricht auch dem präventiven Zweck des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens, in der Vergangenheit erkannte Risiken für die Zukunft auszuschließen. In paralleler Weise lässt § 52 Abs. 1 Nr. 1 BZRG bei Straftaten die weitere Berücksichtigung nach deren Tilgung im Sicherheitsinteresse der Bundesrepublik Deutschland zu (ähnlich OVG Münster, Beschluss vom 10. September 2020 - 1 B 1716/19 - juris Rn. 47 für das Beamtendisziplinarrecht). Der Geheimschutzbeauftragte durfte damit die in seiner Sicherheitsakte befindlichen Disziplinarentscheidungen zulasten des Antragstellers verwerten.

27 Ob er berechtigt war, dem Antragsteller seine unwahren Einlassungen zu dem disziplinarrechtlich getilgten Vorfall entgegenzuhalten, kann offenbleiben. Dass die Wahrheitspflicht des Soldaten bei Fragen zu getilgten Disziplinarverfahren eingeschränkt ist, folgt aus § 8 Abs. 8 WDO. Ob und in welchem Umfang dadurch die Wahrheitspflicht gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten eingeschränkt ist, bedarf hier keiner grundsätzlichen Entscheidung. Denn der Geheimschutzbeauftragte hat dem Antragsteller bei seiner abschließenden Bewertung und bei seiner Prognose im Bescheid vom 30. November 2022 diese Wahrheitspflichtverletzung ebenso wenig zusätzlich angelastet wie seine unzutreffenden Aussagen zu den im Sicherheitsbescheid angeführten, eingestellten Strafverfahren.

28 3. Dem Antragsteller sind keine Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil der Senat die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 WBO) nicht für gegeben erachtet. Dies gilt auch hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Köln, die kostenrechtlich als Teil des wehrdienstgerichtlichen Verfahrens gelten (§ 9 GKG) und daher ebenfalls gerichtsgebührenfrei sind (§ 20 Abs. 4 WBO i. V. m. § 137 Abs. 1 WDO) mit der Folge der Rechtsgrundlosigkeit etwaiger Vorschussleistungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 1 WB 12.20 - juris Rn. 26).