Verfahrensinformation

Die Kläger wenden sich gegen die ihnen gegenüber festgesetzten Beiträge zur Industrie- und Handelskammer.


Die beklagten Industrie- und Handelskammern setzten gegenüber den Klägern Beiträge für die Jahre 2011 und 2016 (BVerwG 8 C 10.19), für die Jahre 2014 und 2015 (BVerwG 8 C 11.19) und für das Jahr 2016 (BVerwG 8 C 9.19) auf der Grundlage des im jeweiligen Beitragszeitraum erwarteten Finanzbedarfs fest. Bei der Ermittlung des Finanzbedarfs wurden u.a. die jeweils erwarteten Einnahmen und Ausgaben, die Höhe des Festgesetzten Kapitals (bzw. der Nettoposition) und die Höhe der jeweils für den Beitragszeitraum für erforderlich gehaltenen Rücklagen berücksichtigt. Im Rahmen der Bedarfsberechnung wirkten sich eine Erhöhung des Festgesetzten Kapitals und eine Erhöhung des Saldos der Rücklagen gegenüber dem Vorjahr jeweils bedarfserhöhend und eine Verringerung des Festgesetzten Kapitals und des Saldos der Rücklagen gegenüber dem Vorjahr jeweils bedarfssenkend aus. Die Rücklagen sollten u.a. der Vorsorge vor konjunkturbedingten Beitragsverringerungen (Ausgleichsrücklage), für Instandhaltungsmaßnahmen und für Pensionsverpflichtungen dienen.


Die Kläger haben gegen die Beitragsbescheide Klage erhoben. Zur Begründung haben sie u.a. vorgetragen, das Festgesetzte Kapital überschreite nach seiner Erhöhung den Wert der unveränderlichen Sachanlagen. Die angesetzten Rücklagen seien nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei die Höhe der zu befürchtenden Beitragsausfälle nicht plausibel begründet worden.


In der ersten Instanz blieben die Klagen erfolglos. Die Berufungen der Kläger hatten überwiegend Erfolg. Zur Begründung wurde vom Oberverwaltungsgericht unter anderem ausgeführt, die angesetzten Ausgleichsrücklagen beruhten auf einer fehlerhaften Prognose der beklagten Industrie- und Handelskammern. Die der Bemessung zugrunde gelegten Wertereihen seien willkürlich ausgewählt worden. Die Erhöhung des Festgesetzten Kapitals sei rechtswidrig. Seine Änderung sei nur ausnahmsweise bei Vorliegen eines sachlichen Grundes möglich. Ein solcher sei hier nicht gegeben.


Mit ihren von dem Oberverwaltungsgericht jeweils zugelassenen Revisionen erstreben die beklagten Industrie- und Handelskammern die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Urteile.


Pressemitteilung Nr. 3/2020 vom 23.01.2020

IHK-Beiträge wegen überhöhter Rücklagen und unzulässig erhöhten Eigenkapitals rechtswidrig

Die Beitragsbescheide zweier Industrie- und Handelskammern sind wegen überhöhter Rücklagen und unzulässig erhöhten Eigenkapitals rechtswidrig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.


Die beklagten Industrie- und Handelskammern zogen die Kläger u.a. zur Zahlung von Beiträgen für die Jahre 2011, 2014 und 2016 heran. Den durch Beiträge zu deckenden Finanzbedarf veranschlagten sie in jährlichen Wirtschaftsplänen, die eine Zusammenstellung der geplanten Einnahmen und Ausgaben enthielten. Die Kammern sahen für die Jahre 2011, 2014 und 2016 jeweils eine Rücklage zum Ausgleich von Beitragsausfällen und sonstigen ergebnisrelevanten Schwankungen vor und behielten ihre in den Vorjahren erhöhte Nettoposition (festgesetztes Kapital) bei. Das Verwaltungsgericht hat die gegen diese Beitragsfestsetzungen gerichteten Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Kläger hatten vor dem Oberverwaltungsgericht Erfolg.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revisionen der beklagten Kammern zurückgewiesen. Die Bildung von Vermögen ist den Kammern gesetzlich verboten. Rücklagen dürfen sie nur bilden, soweit sie hierfür einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit anführen können. Auch der Umfang der Rücklagen muss von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein. Die Prognose über die Höhe des Mittelbedarfs muss dem Gebot der haushaltsrechtlichen Schätzgenauigkeit genügen, also bezogen auf den Zeitpunkt ihrer Erstellung sachgerecht und vertretbar ausfallen. An diesen Maßstäben ist nicht nur die Bildung von Rücklagen, sondern generell jede Bildung von Vermögen - also auch die Erhöhung der Nettoposition - zu messen. Dies müssen die Kammern bei der jährlichen Aufstellung ihres Wirtschaftsplans beachten. Überhöhte Rücklagen und Nettopositionen müssen die Kammern baldmöglichst auf ein zulässiges Maß zurückführen.


Das von den beklagten Kammern in den Jahren 2011, 2014 und 2016 vorgehaltene Vermögen war überhöht. Teils überstiegen die geplanten Rücklagen den jeweils prognostizierten Mittelbedarf. Bei den übrigen Rücklagen fehlte es ebenso wie bei den erhöhten Nettopositionen an einer schlüssigen Darlegung des jeweiligen Finanzbedarfs.


BVerwG 8 C 9.19 - Urteil vom 22. Januar 2020

Vorinstanzen:

OVG Lüneburg, 8 LB 130/17 - Urteil vom 17. September 2018 -

VG Braunschweig, 1 A 59/16 - Urteil vom 20. April 2017 -

BVerwG 8 C 10.19 - Urteil vom 22. Januar 2020

Vorinstanzen:

OVG Lüneburg, 8 LB 128/17 - Urteil vom 17. September 2018 -

VG Braunschweig, 1 A 40/16 - Urteil vom 20. April 2017 -

BVerwG 8 C 11.19 - Urteil vom 22. Januar 2020

Vorinstanzen:

OVG Lüneburg, 8 LB 129/17 - Urteil vom 17. September 2018 -

VG Braunschweig, 1 A 221/16 - Urteil vom 20. April 2017 -


Urteil vom 22.01.2020 -
BVerwG 8 C 10.19ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C10.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.01.2020 - 8 C 10.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C10.19.0]

Urteil

BVerwG 8 C 10.19

  • VG Braunschweig - 20.04.2017 - AZ: VG 1 A 40/16
  • OVG Lüneburg - 17.09.2018 - AZ: OVG 8 LB 128/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Die Revision wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines weiteren Beitrags von 44,41 € für das Jahr 2011 und eines vorläufigen Beitrags von 85,57 € für das Jahr 2016 zur beklagten Industrie- und Handelskammer durch Bescheid vom 4. Februar 2016.

2 Die Festsetzung des weiteren Beitrags für das Jahr 2011 erfolgte auf der Grundlage des Nachtragswirtschaftsplans für das Jahr 2011 vom 1. Dezember 2011, der an die Stelle des ursprünglichen Wirtschaftsplans für das Jahr 2011 vom 25. November 2010 getreten war und Einnahmen in Höhe von 14 822 400 € sowie Aufwendungen in Höhe von 12 837 500 € vorsah. Die von der Beklagten im Vorjahr vorgehaltene Ausgleichsrücklage sollte gegenüber dem Vorjahreswert um 1 984 900 € erhöht werden und am 31. Dezember 2011 5 194 000 € betragen. Das festgesetzte Kapital, das in der Eröffnungsbilanz mit 550 000 € angesetzt und im Jahr 2010 auf 2 350 000 € erhöht worden war, sollte unverändert bleiben.

3 Die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2016 erfolgte aufgrund des Wirtschaftsplans für das Jahr 2016 vom 3. Dezember 2015, der Einnahmen in Höhe von 14 324 400 €, Aufwendungen in Höhe von 16 499 400 € und eine Verringerung des Saldos der Rücklagen um 2 175 000 € vorsah. Die von der Beklagten vorgehaltene Ausgleichsrücklage sollte gegenüber dem Vorjahreswert um 560 800 € verringert werden und am 31. Dezember 2016 noch 7 071 000 € betragen. Das festgesetzte Kapital, das im Jahr 2012 von 2 350 000 € auf 5 000 000 € erhöht worden war, sollte unverändert bleiben.

4 Nach Klageerhebung hat die Vollversammlung der Beklagten am 15. September 2016 die Dotierung des Eigenkapitals in den Jahren 2012 bis 2015 mit den Unterpositionen festgesetztes Kapital, Ausgleichsrücklage, zweckgebundene Rücklagen und Bilanzgewinn durch Beschluss bestätigt. Den Erläuterungen der Beklagten zufolge entsprach die Höhe des festgesetzten Kapitals dem Umfang des langfristig gebundenen Sachvermögens. Zur Rechtfertigung der Bemessung der Ausgleichsrücklage für das Jahr 2011 verwies die Beklagte auf den größten Rückgang des jährlichen Gewerbeertrags im Zeitraum von 2000 bis 2011 und das durchschnittliche Umlageaufkommen der Jahre 2009 bis 2012. Ein Ansatz von 4 000 000 € sei erforderlich, um eine Minderung des Umlagenaufkommens bei Wiederholung des größten zurückliegenden Rückgangs mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % für drei aufeinanderfolgende Jahre kompensieren zu können.

5 Die Höhe der Ausgleichsrücklage für das Jahr 2016 sei mit Hilfe des sog. Risikotools des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) errechnet worden. Dieses erfasse und bewerte alle Risiken, die nicht bereits durch Versicherungen, Rückstellungen, festgesetztes Kapital oder zweckgebundene Rücklagen abgesichert seien. Jeder Risikoposition würden Werte für den besten, den schlechtesten und den wahrscheinlichsten Fall sowie eine Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet. Zu den abzusichernden Risiken zählten unter anderem das Risiko konjunkturbedingter Beitragsausfälle, das Risiko des Ausfalles großer Beitragszahler und das Risiko von Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung durch große Beitragszahler. Der Finanzbedarf zur Absicherung des letztgenannten Risikos errechne sich aus dem Mittelwert der letzten zehn Jahre der Konten "Beiträge Vorjahr" vermindert um die Hälfte des Risikowertes für den Ausfall großer Beitragszahler. Vorsorge sei außerdem für das Risiko einer Wiederholung der Kammerwahl und des Eintritts eines die Instandhaltungsrücklage übersteigenden Instandhaltungsbedarfs zu treffen. Das Präsidium habe beschlossen, die genannten und die weiteren mit dem DIHK-Risikotool bemessenen Risiken zu 95 % abzusichern. Der Umfang der Ausgleichsrücklage solle so bemessen sein, dass sie den Eintritt der abzusichernden Risiken für drei Jahre kompensieren könne. Daraus ergebe sich ein Finanzbedarf in Höhe von 8 700 000 €.

6 Am 1. Dezember 2016 hat die Vollversammlung der Beklagten eine Nachtragswirtschaftssatzung für das Jahr 2016 beschlossen, die Erträge von 17 061 300 €, Aufwendungen von 14 579 600 € und einen Saldo der Rücklagenveränderung von 1 219 000 € vorsah. Die Ausgleichsrücklage sollte 6 658 000 € betragen.

7 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben. Der der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Beitragstarif in der Nachtragswirtschaftssatzung 2011 sei nichtig. Die ihm zugrundeliegende Mittelbedarfsfeststellung genüge den rechtlichen Anforderungen nicht. Die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage werde durch ihre Mittelbedarfsprognose nicht gerechtfertigt. Diese verletze das Gebot der Schätzgenauigkeit. Danach müssten Mittelbedarfsprognosen entsprechend den auch im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Maßstäben für die Prüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts nach einer geeigneten Methode erstellt und einleuchtend begründet werden. Weil es keine besonderen Verfahrensregelungen für die Erstellung der Mittelbedarfsprognose gebe, komme es bei ihrer Kontrolle auf die vom Beklagten hierzu im Prozess vorgetragenen Erwägungen an. Diese rechtfertigten die von der Beklagten in ihrem Beschluss vom 15. September 2016 für erforderlich gehaltene Höhe der Ausgleichsrücklage von 4 000 000 € nicht. Die Auswahl der von der Prognose betrachteten Wertereihen sei willkürlich erfolgt. Es sei nicht erklärlich, warum die prognostizierte Höhe der Ausgleichsrücklage durch die Bildung eines Durchschnitts der Umlage bemessen werden können solle, die die Jahre 2011 und 2012 mit umfasse. Es sei zudem in keiner Weise plausibilisiert worden, warum ein Durchschnitt der Umlagen von vier Jahren maßgeblich sein solle, nachdem für die Schwankungsbreite eine Wertereihe aus zwölf Jahren als maßgeblich angesehen worden sei. Hinzu komme, dass der Nachtragswirtschaftsplan 2011 im Ergebnis zu einer Überschreitung des prognostizierten Bedarfs für die Höhe der Ausgleichsrücklage geführt habe. Einem prognostizierten Bedarf von 4 000 000 € stehe eine in dem Nachtragswirtschaftsplan für 2011 geplante Gesamthöhe der Ausgleichsrücklage von 5 182 900 € gegenüber. Darüber hinaus sei die Mittelbedarfsfeststellung in der Nachtragswirtschaftssatzung 2011 fehlerhaft, weil die Erhöhung der Nettoposition im Jahr 2010 nicht rückgängig gemacht worden sei. Eine Erhöhung der Nettoposition sei nur aus sachlichen Gründen zulässig. Solche hätten bei der Erhöhung des festgesetzten Kapitals im Jahr 2010 nicht vorgelegen. Insbesondere stelle der Wunsch der Beklagten, den Betrag des festgesetzten Kapitals an den in der Bilanz für das Anlagevermögen ausgewiesenen Betrag anzugleichen, keinen sachlichen Grund für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals dar. Die unzulässige Erhöhung habe im Jahr 2011 nicht fortgeschrieben werden dürfen. Der darauf entfallende Beitragsbedarf sei nicht gerechtfertigt und die Beitragserhebung insoweit rechtswidrig.

8 Der der vorläufigen Beitragsfestsetzung für das Jahr 2016 zugrundeliegende Beitragstarif sei unabhängig davon nichtig, ob für dessen Wirksamkeit auf die ursprüngliche oder auf die Nachtragswirtschaftssatzung für 2016 abzustellen sei, weil die den Satzungen zugrundeliegenden Mittelbedarfsfeststellungen den rechtlichen Anforderungen jeweils nicht genügten. Die von der Beklagten angesetzte Ausgleichsrücklage werde durch die Mittelbedarfsprognosen nicht gerechtfertigt. Diese verletzten das Gebot der Schätzgenauigkeit. Das Risiko des Eintritts eines die Instandhaltungsrücklage übersteigenden Instandhaltungsbedarfs habe die Beklagte nicht berücksichtigen dürfen. Dessen Aufspaltung in einen konkret bezifferten Bedarf und ein ihn übersteigendes, nach anderen Methoden ermitteltes Risiko sei unstatthaft. Die Bemessung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen und der Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung großer Beitragszahler vermische Schwankungen bei den Erträgen des laufenden Jahres und bei denen der Vorjahre. Fehlerhaft sei auch die Bemessung der Höhe des Risikos der Wiederholung einer Kammerwahl. Der insoweit befürchtete Reputationsschaden sei nicht ergebnisrelevant. Zudem ergebe sich in keiner Weise, wie die Beklagte zur Festlegung der jeweils angesetzten Wahrscheinlichkeitsstufen gelangt sei. Die Mittelbedarfsfeststellung für das Haushaltsjahr 2016 sei zudem fehlerhaft, weil die weitere Erhöhung des festgesetzten Kapitals im Jahr 2012 nicht rückgängig gemacht worden sei. Auch insoweit fehle ein sachlicher Grund für die Erhöhung.

9 Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, die Angemessenheit der Höhe der für die Jahre 2011 und 2016 geplanten Ausgleichsrücklagen sei zu vermuten, weil diese sich im Rahmen ihres Finanzstatuts bewegten. Diese Vermutung habe der Kläger nicht widerlegt. Es sei zulässig, bei der Kalkulation der Instandhaltungsrücklage zwischen dem zu erwartenden und dem unvorhersehbaren Bedarf zu unterscheiden. Eine präzisere Berechnung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen und der Mindereinnahmen bei der endgültigen Abrechnung großer Beitragszahler sei nicht möglich. Die Kritik an den angesetzten Wahrscheinlichkeiten greife zu tief in ihren Beurteilungsspielraum ein. Es gebe auch keinen Grundsatz der Unveränderlichkeit des festgesetzten Kapitals. Diese Bilanzposition habe die Funktion, den Gesamtbetrag des auf der Aktivseite der Bilanz aufgeführten langfristig gebundenen Vermögens der Beklagten auf der Passivseite der Bilanz abzubilden. Das rechtfertige ihre Erhöhung in den Jahren 2010 und 2012.

10 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 zurückzuweisen.

11 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12 Er verteidigt das Berufungsurteil.

13 Der Vertreter des Bundesinteresses meint, der Wechsel von der Kameralistik zur Doppik erfordere eine Anpassung der in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - aufgestellten Prüfungsmaßstäbe für die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen. Andernfalls werde der weite Gestaltungsspielraum der Kammern bei ihrer Wirtschaftsplanung nicht ausreichend respektiert.

II

14 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 144 Abs. 4 VwGO). Die Beitragsfestsetzungen für die Jahre 2011 und 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie verstoßen gegen § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (Industrie- und Handelskammergesetz - IHKG) vom 18. Dezember 1956 in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 7 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246). Die Vorschrift ermächtigt die Kammern, zur Deckung der Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nach Maßgabe ihres Wirtschaftsplans von den Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung Beiträge zu erheben, soweit diese nicht anderweitig gedeckt sind. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - Buchholz 430.5 IHKG Nr. 2 Rn. 13 ff.).

15 Die Mittelbedarfsfeststellungen in dem für die Überprüfung des angegriffenen Bescheides maßgeblichen Nachtragswirtschaftsplan für das Jahr 2011 und dem Wirtschaftsplan vom 3. Dezember 2015 für das Wirtschaftsjahr 2016 überschritten den bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen durch § 3 Abs. 2 IHKG eingeräumten Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift verpflichtet die Kammern, vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit im betreffenden Wirtschaftsjahr an ihm auszurichten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG). Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 12). Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG; BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 17). Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmenprognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16). Diese rechtlichen Vorgaben gelten auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a IHKG unverändert fort.

16 1. Die Entscheidungen der Beklagten, im Jahr 2011 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 5 194 000 € zum Ausgleich von Schwankungen im Beitragsaufkommen und im Jahr 2016 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 7 071 000 € vorzuhalten, sind jeweils - unabhängig von der Frage der Rechtfertigung der Zwecksetzung - der Höhe nach zu beanstanden.

17 a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides vom 4. Februar 2016 sind der Nachtragswirtschaftsplan vom 1. Dezember 2011 für das Wirtschaftsjahr 2011 und der Wirtschaftsplan vom 3. Dezember 2015 für das Wirtschaftsjahr 2016 maßgeblich. § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 IHKG schreibt eine Beitragserhebung aufgrund einer prospektiven Beitragskalkulation vor. Zunächst hat die Kammer den Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) für das jeweils folgende Haushaltsjahr (Wirtschaftsjahr) aufzustellen; für dieses Jahr prognostiziert er den Beitragsbedarf zur Finanzierung der Aufgabenwahrnehmung der Kammer unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben. Anschließend wird der voraussichtliche Bedarf gemäß einer Beitragsordnung im Wege der Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 12). Der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheides nach § 3 Abs. 2 IHKG sind danach die Ansätze des im Zeitpunkt seines Erlasses aktuellen, prospektiven Wirtschaftsplans zugrunde zu legen.

18 b) Die Bildung der Ausgleichsrücklagen zur Vorsorge vor Beitragsschwankungen ist durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Sie dient dazu, die Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen zu vermeiden. Dieser sachliche Zweck hält sich im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Er ist darauf gerichtet, die zeitgerechte, kostengünstige Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel zu sichern.

19 Ob auch die Bildung von Ausgleichsrücklagen zur Deckung aller übrigen von der Beklagten angeführten Risiken einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit dient, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls sind die betreffenden Ansätze für die Wirtschaftsjahre 2011 und 2016 weit überhöht.

20 c) Die Bemessung der Höhe der Ausgleichsrücklage im Jahr 2011 mit 5 194 000 € und im Jahr 2016 mit 7 071 000 € überschreitet jeweils den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16 m.w.N.).

21 aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht keine Vermutung für die Angemessenheit der Höhe der in den maßgeblichen Wirtschaftsplänen angesetzten Ausgleichsrücklagen. Die oben (Rn. 15) dargestellten rechtlichen Grenzen der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Industrie- und Handelskammern lassen keinen Raum für eine Vermutungsregel. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgelegten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Aus diesem Umstand lässt sich auch keine Vermutung der Angemessenheit ableiten. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Grundsätze ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Wirtschaftsplans. Kann das Gericht sich von ihrer Wahrung nicht überzeugen, ist der Wirtschaftsplan rechtswidrig. Für die Annahme einer Vermutung, die genannten Anforderungen seien eingehalten, lassen die Vorschriften keinen Raum.

22 bb) Der Mittelansatz der Beklagten für die Ausgleichsrücklage im Jahr 2011 in Höhe von 5 194 000 € und der Ansatz für die Ausgleichsrücklage im Jahr 2016 in Höhe von 7 071 000 € verletzen jeweils das Gebot der Schätzgenauigkeit und ist nicht mehr von ihrem gesetzlich zulässigen Zweck gedeckt, Einnahmeausfälle im jeweiligen Haushaltsjahr auszugleichen.

23 (1) Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans (Wirtschaftsplans) verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119,96 <129 f.>; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 16). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>).

24 Dieser Maßstab geht über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Er entspricht allerdings nicht dem vom Berufungsgericht angelegten allgemeinen Maßstab für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf die Eignung der Prognosemethode, die zutreffende Sachverhaltsermittlung und der einleuchtenden Begründung ihres Ergebnisses hin. Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Diesen spezifischen Anforderungen wird ein zur Bewältigung technisch-naturwissenschaftlicher Ungewissheiten angewandter Maßstab für die gerichtliche Kontrolle behördlicher Prognosen nicht gerecht. Im Ergebnis erweist sich die Annahme der Vorinstanz, die Prognose sei fehlerhaft, jedoch als richtig.

25 (2) Der Mittelansatz zur Absicherung des Risikos von Beitragsausfällen im Jahr 2011 von 5 194 000 € verletzt § 3 Abs. 2 IHKG, weil er den vom Beklagten prognostizierten Bedarf von 4 000 000 € übersteigt. Außerdem ist er rechtswidrig, weil die Prognose ihrerseits das Gebot der Schätzgenauigkeit verletzt.

26 Allerdings musste die Beklagte ihre Mittelbedarfsprognose bei Verabschiedung des Nachtragswirtschaftsplans für das Jahr 2011 nicht ausdrücklich begründen. Die Regelungen über die Aufstellung von Wirtschaftsplänen sehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, keine besonderen Verfahrens-, Anhörungs- oder Begründungspflichten vor. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen sind daher alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat.

27 Es war jedoch unvertretbar, den Mittelbedarf für die Absicherung des Risikos von Beitragsschwankungen im Jahr 2011 im Nachtragswirtschaftsplan mit 4 000 000 € zu beziffern. Zum einen orientierte sich diese Prognose nach den revisionsrechtlich bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (§ 137 Abs. 2 VwGO) unter anderem am durchschnittlichen Umlageaufkommen in den Jahren 2009 bis 2012 und bezog damit Werte ein, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung im Jahr 2011 noch nicht vorliegen konnten. Vor allem - und unabhängig davon - ist die Prognose aber unvertretbar, weil sie die naheliegenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht annähernd ausschöpft und den Ablauf des Wirtschaftsjahrs bis zur Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan völlig ausblendet. Mit der Bildung einer Rücklage für Beitragsschwankungen wollte die Beklagte das Risiko abdecken, dass die Beitragserhebung aufgrund ihrer Beitragsordnung für das Jahr 2011 weniger Einnahmen erbringen würde, als sie nach ihrem Nachtragswirtschaftsplan für ihre Tätigkeit im Wirtschaftsjahr 2011 für erforderlich erachtete. Da das Wirtschaftsjahr 2011 bei der Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan weitgehend abgelaufen war, hätte es nahegelegen, zur realitätsgerechten Kalkulation des Risikos von Beitragsausfällen zunächst auf die Daten des laufenden Jahres zurückzugreifen und zu überprüfen, inwieweit die Beitragseinnahmen hinter den Annahmen des Wirtschaftsplans zurückblieben. Der stattdessen von der Beklagten herangezogene Durchschnittswert des Umlageaufkommens aus einem Zeitraum von vier Jahren kann angesichts einer jährlich schwankenden Umlagehöhe keine sachnähere und realitätsgerechtere Prognose ergeben. Die Beklagte hat auch keine anderen sachlichen Gründe für ihre Bemessung des Zeitraumes angeführt, aus dem sie die größte abzusichernde Abweichung der Gewerbeerträge gegenüber dem Vorjahr abgeleitet hat. Die prognostizierte Höhe des Beitragsausfalls ist deshalb gegriffen.

28 Darüber hinaus ist die angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage für das Jahr 2011 unangemessen, weil sie nach dem Dreifachen des prognostizierten Beitragsausfalls berechnet wurde. Die Höhe der Rücklage hätte nur mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr realistischer Weise zu Ausfällen von Beitragszahlungen in der angenommenen Gesamthöhe kommen könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Den prognostizierten Ausfall zu verdreifachen, nimmt einen Beitragsausfall in den beiden Folgejahren vorweg, der wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Jährlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsplanung noch nicht zu prognostizieren war und nach § 3 Abs. 2 IHKG nicht auf die Beitragszahler des verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsjahres umgelegt werden durfte.

29 (3) Die Mittelbedarfsprognose, die dem Ansatz der Ausgleichsrücklage für 2016 in dem bei Erlass des Beitragsbescheides aktuellen Wirtschaftsplan zugrunde lag, ist nicht durch einen sachlichen Zweck zulässiger Kammertätigkeit gedeckt, soweit sie Mittel zum Ausgleich des Reputationsschadens für den Fall einer Wahlwiederholung vorsieht. Nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen der Vorinstanz wäre der von der Beklagten befürchtete Reputationsschaden nicht ergebniswirksam. Ob und inwieweit die Einbeziehung der übrigen von der Beklagten aufgeführten, teils nicht definierten Risiken durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt war, kann dahinstehen. Die Unvertretbarkeit der Bedarfsprognose ergibt sich insoweit jedenfalls aus einem Verstoß gegen den Grundsatz der Schätzgenauigkeit.

30 Die Bemessung des Mittelbedarfs zum Ausgleich der angenommenen Risiken schöpft naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht aus. Nahegelegen hätte es, an die konkrete Verwirklichung dieser Risiken in der Vergangenheit anzuknüpfen und aus dem jeweiligen Umfang der Risikoverwirklichung und deren Häufigkeit einen entsprechenden Erwartungswert für die Zukunft abzuleiten. Demgegenüber sind die von der Beklagten benannten Werte für den jeweils besten, wahrscheinlichsten und schlechtesten Fall ebenso gegriffen wie die jeweils angenommenen Eintrittswahrscheinlichkeiten.

31 2. Die Entscheidungen der Beklagten, im Jahr 2011 ein festgesetztes Kapital von 2 350 000 € und im Jahr 2016 ein festgesetztes Kapital von 5 000 000 € beizubehalten, waren jeweils rechtswidrig, weil die Entscheidungen, das festgesetzte Kapital 2010 um 1 800 000 € und 2012 um weitere 2 650 000 € zu erhöhen, ihrerseits jeweils rechtswidrig waren. Sie stellten jeweils eine unzulässige Bildung von Vermögen dar (a). Auf die Frage, ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals darüber hinaus auch gegen Bilanzierungsvorschriften verstießen, kommt es danach nicht mehr an (b).

32 a) Die Erhöhungen der Nettoposition festgesetzten Kapitals um 1 800 000 € (2010) und um weitere 2 650 000 € (2012) stellen jeweils - unabhängig davon, ob dies durch einen Gewinnverwendungsbeschluss oder einen Beschluss über einen Passivtausch erfolgte - eine unzulässige Vermögensbildung dar.

33 Ein Jahresüberschuss ist wegen des aus § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG folgenden Verbots, Vermögen zu bilden, grundsätzlich unverzüglich zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung und damit zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammern zu verwenden. Denn er stellt eine Möglichkeit dar, deren Kosten anderweitig zu decken. Die Entscheidung, einen Jahresüberschuss zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals zu verwenden, stellt demgegenüber stets die Bildung von Vermögen dar.

34 Gleiches gilt für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals durch Passivtausch. Ein Passivtausch verringert eine Passivposition der Bilanz um den Betrag, um den er eine andere Passivposition derselben Bilanz erhöht. Mit der Verringerung einer Passivposition um einen bestimmten Betrag dokumentiert die Kammer, dass sie diese Mittel nicht mehr für die Erfüllung der betreffenden Aufgabe benötigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ist der frei gewordene Betrag unverzüglich zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer einzusetzen. Mit der Entscheidung, ihn stattdessen zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) zu verwenden, steht er für eine Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer nicht mehr zur Verfügung.

35 Die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals der Beklagten in den Jahren 2010 und 2012 waren jeweils nicht durch einen sachlichen Grund im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt. Einen solchen stellt insbesondere der Wunsch der Beklagten, den Wert ihres langfristig gebundenen Vermögens in der Nettoposition festgesetzten Kapitals abzubilden, nicht dar. Ein sachlicher Grund für die Erhöhung der Nettoposition müsste geeignet sein, die Aufgabenerfüllung zu fördern. Das ist vorliegend nicht festgestellt oder sonst ersichtlich. Insbesondere liegt kein sachlicher Grund darin, langfristig gebundenes Anlagevermögen durch Erhöhung des festgesetzten Kapitals dauerhaft in seinem Bestand zu sichern.

36 Sowenig die Kammern Vermögen bilden dürfen, sowenig dürfen sie es um seiner selbst willen bewahren. Auch das Anlagevermögen dient der Aufgabenerfüllung; auch sein Umfang muss durch einen sachlichen, aufgabenbezogenen Zweck gerechtfertigt sein. Das Anliegen, Vorkehrungen für einen noch nicht konkret absehbaren Finanzbedarf künftiger Jahre zu treffen, reicht dazu nicht aus. Ihm kann durch Rückstellungen mit zulässigem Zweck und Umfang und durch angemessene Rücklagen entsprochen werden. Dagegen legitimiert es weder eine Erhöhung der Nettoposition noch das Beibehalten ihrer unzulässigen Erhöhung.

37 b) Ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals in den Jahren 2010 und 2012 darüber hinaus auch gegen Bilanzrecht verstießen, kann danach ebenso dahinstehen wie die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften, an die die Kammer gemäß § 3 Abs. 7a IHKG und §§ 238 ff. HGB gebunden ist, die Rechtmäßigkeit der von ihr erstellten Wirtschaftspläne und der darauf gegründeten Beitragserhebungen beeinflussen.

38 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 22.01.2020 -
BVerwG 8 C 11.19ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C11.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.01.2020 - 8 C 11.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C11.19.0]

Urteil

BVerwG 8 C 11.19

  • VG Braunschweig - 20.04.2017 - AZ: VG 1 A 221/16
  • OVG Lüneburg - 17.09.2018 - AZ: OVG 8 LB 129/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Die Revisionen werden zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 40 % und die Beklagte 60 %.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Beiträgen zur beklagten Industrie- und Handelskammer für die Jahre 2014 und 2015.

2 Die Beklagte setzte für das Jahr 2014 einen vorläufigen Beitrag von 27 € und für das Jahr 2015 einen vorläufigen Beitrag von 74,87 € fest. Mit Bescheid vom 4. November 2016 setzte sie den Beitrag für 2014 auf 167,22 € und für 2015 auf 74,87 € fest. In dem Bescheid wird ausgeführt, die Festsetzung hebe Beitragsbescheide, die zu den aufgeführten Beitragsjahren bereits ergangen seien, nicht auf, sondern ändere sie lediglich ab.

3 Die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2014 erfolgte auf Grundlage des Nachtragswirtschaftsplans der Beklagten für das Jahr 2014 vom 4. Dezember 2014, der an die Stelle des ursprünglichen Wirtschaftsplans für das Jahr 2014 vom 28. November 2013 getreten war. Der Nachtragswirtschaftsplan für das Jahr 2014 sah Einnahmen in Höhe von 17 200 000 €, Aufwendungen in Höhe von 16 074 700 € und einen Saldo der Rücklagenveränderung in Höhe von 1 125 300 € vor. Die von der Beklagten im Vorjahr vorgehaltene Ausgleichsrücklage sollte unverändert bleiben und am 31. Dezember 2014 weiterhin 7 063 000 € betragen. Das festgesetzte Kapital, das in der Eröffnungsbilanz mit 550 000 € angesetzt, 2010 auf 2 350 000 € und 2012 auf 5 000 000 € erhöht worden war, sollte unverändert bleiben.

4 Mit Beschluss vom 15. September 2016 bestätigte die Vollversammlung der Beklagten die Dotierung des Eigenkapitals in den Jahren 2012 bis 2015 mit den Unterpositionen festgesetztes Kapital, Ausgleichsrücklage, zweckgebundene Rücklagen und Bilanzgewinn. Den Erläuterungen der Beklagten zufolge orientierte sich die Höhe des festgesetzten Kapitals an dem Umfang des langfristig gebundenen Sachvermögens. Die Ausgleichsrücklage für das Jahr 2014 solle dazu dienen, konjunkturbedingte Beitragsschwankungen, den Ausfall großer Beitragszahler und Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung zu kompensieren. Das Risiko konjunkturbedingter Beitragsschwankungen sei anhand der Standardabweichung der Beitragserträge in den Jahren 2002 bis 2011 errechnet worden. Die Berechnung habe ein jährliches Risikovolumen von 1 200 000 € ergeben. Da die Ausgleichsrücklage den dreifachen Jahresbetrag dieses Risikos absichern solle, müsse sie mit 3 600 000 € dotiert werden. Das Risiko des Ausfalles großer Beitragszahler sei anhand der Standardabweichung in den Jahren 2006 bis 2012 errechnet worden. Diese betrage in dem genannten Zeitraum 1 300 000 €. Hinzu kämen Folgerisiken bei Zulieferern von 20 %. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren und der Mehrjährigkeit des Risikoszenarios sei ein abzusicherndes Risiko von 4 700 000 € ermittelt worden. Die Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung machten 500 000 € aus. Dies ergebe ein Maximalrisiko von 8 800 000 €, das die festgelegte Ausgleichsrücklage im Jahr 2014 nicht überschritten habe.

5 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers hinsichtlich der Festsetzung eines weiteren Betrages von 140,22 € für das Jahr 2014 stattgegeben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit der Kläger die Festsetzung eines Beitrags von über 140,22 € für das Jahr 2014 und die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2015 angreife. Der Bescheid vom 4. November 2016 sei dahin auszulegen, dass er die vorher zu der Beitragspflicht für die Jahre 2014 und 2015 ergangenen Bescheide nicht ersetzen, sondern nur ändern wolle. Er beschwere den Kläger mithin nur durch die Festsetzung eines weiteren Beitrags von 140,22 € für das Jahr 2014.

6 Soweit die Klage zulässig sei, sei sie begründet. Der der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Beitragstarif in der Nachtragswirtschaftssatzung 2014 sei nichtig. Die ihm zugrundeliegende Mittelbedarfsfeststellung genüge den rechtlichen Anforderungen nicht. Die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage werde durch ihre Mittelbedarfsprognose nicht gerechtfertigt. Diese verletze das Gebot der Schätzgenauigkeit. Danach müssten Mittelbedarfsprognosen entsprechend den auch im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Maßstäben für die Prüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts nach einer geeigneten Methode erstellt und einleuchtend begründet werden. Weil es keine besonderen Verfahrensregelungen für die Erstellung der Mittelbedarfsprognose gebe, komme es bei ihrer Kontrolle auf die vom Beklagten hierzu im Prozess vorgetragenen Erwägungen an. Diese rechtfertigten die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage für 2014 nicht. Weshalb es für die auf dieses Jahr bezogene Berechnung der Risiken des Beitragsausfalls und - soweit davon unterscheidbar - des Ausfalls großer Beitragszahler einerseits auf die Standardabweichung im Zeitraum von 2002 bis 2011 und andererseits auf die Standardabweichung im Zeitraum von 2006 bis 2012 und nicht auf aktuellere Daten ankommen solle, sei nicht ersichtlich. Außerdem vermische die Risikoberechnung Schwankungen bei den Erträgen des laufenden Jahres und den Erträgen der Vorjahre. Darüber hinaus habe der Beklagte den Beitragsbedarf zu hoch angesetzt, weil er die in den Jahren 2010 und 2012 unzulässig erhöhte Nettoposition beibehalten habe. Eine Erhöhung der Nettoposition sei nur aus sachlichen Gründen zulässig. Solche hätten bei der Erhöhung des festgesetzten Kapitals in den Jahren 2010 und 2012 nicht vorgelegen. Insbesondere stelle der Wunsch der Beklagten, den Betrag des festgesetzten Kapitals an den in der Bilanz für das Anlagevermögen ausgewiesenen Betrag anzugleichen, keinen sachlichen Grund für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals dar. Die unzulässige Erhöhung habe im Jahr 2014 nicht fortgeschrieben werden dürfen. Der darauf entfallende Beitragsbedarf sei nicht gerechtfertigt und die Beitragserhebung insoweit rechtswidrig.

7 Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision vor, der angegriffene Bescheid vom 4. November 2016 ändere nicht nur die vorläufige Festsetzung für 2014, sondern setze die Beiträge für die Jahre 2014 und 2015 jeweils in voller Höhe neu fest. Er sei daher insgesamt aufzuheben.

8 Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor, die Angemessenheit der Höhe der von ihr für das Jahr 2014 geplanten Ausgleichsrücklage sei zu vermuten, weil deren Betrag sich in dem von ihrem Finanzstatut vorgegebenen Rahmen bewege. Jedenfalls sei ihre Risikoprognose der Sache nach nicht zu beanstanden. Der von ihr für die Bewertung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsausfälle herangezogene Zeitraum von 2002 bis 2011 habe sich auf die Ausgleichsrücklagen für die Jahre 2012 und 2013 bezogen. Er sei auch für das Wirtschaftsjahr 2014 noch repräsentativ. Gleiches gelte für die Berechnung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler anhand des Zeitraums von 2006 bis 2012. Der Vorwurf einer widersprüchlichen Umsetzung der eigenen Risikodefinition sei unberechtigt. Aus den verwendeten Zeitreihen lasse sich das Risiko konjunkturbedingter Beitragsausfälle und das Risiko von Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung vertretbar abschätzen. Sie habe diese Risiken gleichwohl methodisch unterschiedlich berechnet. Die Berechnung des Risikos von Schwankungen bei der endgültigen Abrechnung gehe vom Mittelwert aller Erträge der Vorjahre aus, rechne sodann das Risiko hinsichtlich des im Kammerbezirk ansässigen Automobilherstellers heraus und setze 50 % des verbleibenden Betrages als Schwankungsrisiko an. Damit bilde sie das Risiko realistisch ab. Die Bilanzposition festgesetztes Kapital sei nicht unveränderlich. Sie habe die Funktion, den Gesamtbetrag des auf der Aktivseite der Bilanz aufgeführten langfristig gebundenen Vermögens der Beklagten auf der Passivseite der Bilanz abzubilden. Dies rechtfertige ihre Erhöhung in den Jahren 2010 und 2012.

9 Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 zu ändern, soweit es der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 stattgegeben hat, die Berufung auch insoweit zurückzuweisen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.

10 Der Kläger beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 im Umfang der Zurückweisung der Berufung zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 4. November 2016 auch insoweit aufzuheben und die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

11 Der Vertreter des Bundesinteresses meint, der Wechsel von der Kameralistik zur Doppik erfordere eine Anpassung der in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - aufgestellten Prüfungsmaßstäbe für die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen. Andernfalls werde der weite Gestaltungsspielraum der Kammern bei ihrer Wirtschaftsplanung nicht ausreichend respektiert.

II

12 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die auf die teilweise Unzulässigkeit der Klage gestützte Zurückweisung seiner Berufung im angegriffenen Urteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid vom 4. November 2016 zutreffend dahingehend ausgelegt, dass er die Beiträge für 2014 und 2015 nicht insgesamt neu festsetzt, sondern lediglich die Beitragsfestsetzung für 2014 um 140,22 € erhöht und den Kläger nur insoweit beschwert.

13 Die Revision des Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Das Berufungsurteil ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die zulässig angefochtene Festsetzung eines weiteren Beitrags von 140,22 € für das Jahr 2014 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Sie verstößt gegen § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (Industrie- und Handelskammergesetz - IHKG) vom 18. Dezember 1956 in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 7 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246). Die Vorschrift ermächtigt die Kammern, zur Deckung der Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nach Maßgabe ihres Wirtschaftsplans von den Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung Beiträge zu erheben, soweit diese nicht anderweitig gedeckt sind. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 13 ff.).

14 Die Mittelbedarfsfeststellung in dem Nachtragswirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2014 überschreitet den bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen durch § 3 Abs. 2 IHKG eingeräumten Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift verpflichtet die Kammern, vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit im betreffenden Wirtschaftsjahr an ihm auszurichten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG). Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 12). Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG; BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 17). Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmenprognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16). Diese rechtlichen Vorgaben gelten auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a IHKG unverändert fort.

15 1. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2014 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 7 063 000 € zur Absicherung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen, der Ausfälle großer Beitragszahler und der Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung vorzuhalten, ist - unabhängig von der Frage der Rechtfertigung der Zwecksetzung - jedenfalls der Höhe nach zu beanstanden.

16 a) Die Bildung der Ausgleichsrücklage zur Absicherung von Beitragsschwankungen ist durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Sie dient dazu, die Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen zu vermeiden. Dieser sachliche Zweck hält sich im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Er ist darauf gerichtet, die zeitgerechte, kostengünstige Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel zu sichern.

17 Allerdings deckt dieser Zweck keine "doppelte" Berücksichtigung ein- und desselben Risikos. Ob das Oberverwaltungsgericht revisionsrechtlich fehlerfrei von einer Überschneidung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsschwankungen und der Ausfälle großer Beitragszahler ausgegangen ist, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob mit den Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung ein von Beitragsrückgängen oder -ausfällen zu unterscheidendes Risiko angesetzt wurde. Jedenfalls ist der Betrag der Ausgleichsrücklage im Nachtragswirtschaftsplan für 2014 weit überhöht.

18 b) Die Bemessung der Höhe dieser Ausgleichsrücklage überschreitet den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16 m.w.N.).

19 aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht keine Vermutung für die Angemessenheit der Höhe der im streitigen Nachtragswirtschaftsplan angesetzten Ausgleichsrücklage. Die oben (Rn. 14) dargestellten rechtlichen Grenzen der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Industrie- und Handelskammern lassen keinen Raum für eine Vermutungsregel. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgelegten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Aus diesem Umstand lässt sich auch keine Vermutung der Angemessenheit ableiten. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Grundsätze ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Wirtschaftsplans. Kann das Gericht sich von ihrer Wahrung nicht überzeugen, ist der Wirtschaftsplan rechtswidrig. Für die Annahme einer Vermutung, die genannten Anforderungen seien eingehalten, lassen die Vorschriften keinen Raum.

20 bb) Der Mittelansatz der Beklagten für die Ausgleichsrücklage in Höhe von 7 063 000 € verletzt das Gebot der Schätzgenauigkeit und ist nicht mehr vom gesetzlich zulässigen Zweck gedeckt, Einnahmeausfälle im jeweiligen Haushaltsjahr auszugleichen.

21 (1) Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans (Wirtschaftsplans) verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 16). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>).

22 Dieser Maßstab geht über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Er entspricht allerdings nicht dem vom Berufungsgericht angelegten allgemeinen Maßstab für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf die Eignung der Prognosemethode, die zutreffende Sachverhaltsermittlung und der einleuchtenden Begründung ihres Ergebnisses hin. Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Diesen spezifischen Anforderungen wird ein zur Bewältigung technisch-naturwissenschaftlicher Ungewissheiten angewandter Maßstab für die gerichtliche Kontrolle behördlicher Prognosen nicht gerecht. Im Ergebnis erweist sich die Annahme der Vorinstanz, die Prognose sei fehlerhaft, jedoch als richtig.

23 (2) Die Mittelbedarfsprognosen für die Absicherung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsschwankungen, des Risikos von Ausfällen großer Beitragszahler und des Risikos von Schwankungen aus vorläufiger und endgültiger Abrechnung waren nicht vertretbar und sind darum rechtswidrig.

24 Allerdings musste die Beklagte ihre Mittelbedarfsprognose bei Verabschiedung des Nachtragswirtschaftsplans für das Jahr 2014 nicht ausdrücklich begründen. Die Regelungen über die Aufstellung von Wirtschaftsplänen sehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, keine besonderen Verfahrens-, Anhörungs- oder Begründungspflichten vor. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen sind daher alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat.

25 Danach ist die Bemessung des Mittelbedarfs zum Ausgleich konjunkturbedingter Beitragsschwankungen unvertretbar, weil sie die naheliegenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht annähernd ausschöpft und den Ablauf des Wirtschaftsjahrs bis zur Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan völlig ausblendet. Mit der Bildung einer Rücklage für konjunkturbedingte Beitragsausfälle wollte die Beklagte das Risiko abdecken, dass die Beitragserhebung aufgrund ihrer Beitragsordnung für das Jahr 2014 weniger Einnahmen erbringen würde, als sie nach ihrem Nachtragswirtschaftsplan für ihre Tätigkeit im Wirtschaftsjahr 2014 für erforderlich erachtete. Da das Wirtschaftsjahr 2011 bei der Beschlussfassung über den Nachtragswirtschaftsplan weitgehend abgelaufen war, hätte es nahegelegen, zur realitätsgerechten Kalkulation des Risikos von Beitragsausfällen zunächst auf die Daten des laufenden Jahres zurückzugreifen und zu überprüfen, inwieweit die Beitragseinnahmen hinter den Annahmen des Wirtschaftsplans zurückblieben. Die stattdessen herangezogene Standardabweichung der Beitragserträge für die Jahre 2002 bis 2011 berücksichtigt dagegen noch nicht einmal die Beitragserträge der unmittelbar vor dem Prognosezeitraum liegenden Jahre 2012 und 2013. Ohne einen Abgleich mit diesen ließ sich auch keine Repräsentativität älterer Daten feststellen. Hinzu kommt, dass die für die Berechnung des Risikos konjunkturbedingter Beitragsausfälle in Bezug genommene Standardabweichung der tatsächlichen Beitragserträge nicht nur von den in der Vergangenheit zu verzeichnenden Einnahmeausfällen, sondern auch von der Entwicklung des jährlich angesetzten Beitragsbedarfs und damit nicht allein von konjunkturellen und branchenbedingten Ereignissen abhängt.

26 Auch bei der Bemessung des Mittelbedarfs für die Absicherung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler hat die Beklagte naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht ausgeschöpft, sondern lediglich Beitragsausfälle in den Jahren 2006 bis 2012 in den Blick genommen und das Jahr 2013 ausgeblendet.

27 Darüber hinaus ist die angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage unangemessen, weil sie hinsichtlich der Absicherung der Risiken konjunkturbedingter Beitragsausfälle und des Ausfalls großer Beitragszahler nach dem Dreifachen des prognostizierten Beitragsausfalls berechnet wurde. Die Höhe der Rücklage hätte nur mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr realistischer Weise zu Ausfällen von Beitragszahlungen in der angenommenen Gesamthöhe kommen könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Den prognostizierten Ausfall zu verdreifachen, nimmt einen Beitragsausfall in den beiden Folgejahren vorweg, der wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Jährlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsplanung noch nicht zu prognostizieren war und nach § 3 Abs. 2 IHKG nicht auf die Beitragszahler des verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsjahres umgelegt werden durfte.

28 2. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2014 ein festgesetztes Kapital von 5 000 000 € beizubehalten, war rechtswidrig, weil die Entscheidungen, das festgesetzte Kapital 2010 um 1 800 000 € und 2012 um weitere 2 650 000 € zu erhöhen, ihrerseits rechtswidrig waren. Sie stellten jeweils eine unzulässige Bildung von Vermögen dar (a). Auf die Frage, ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals darüber hinaus auch gegen Bilanzierungsvorschriften verstießen, kommt es danach nicht mehr an (b).

29 a) Die beiden Erhöhungen der Nettoposition festgesetzten Kapitals stellen - unabhängig davon, ob dies durch einen Gewinnverwendungsbeschluss oder einen Beschluss über einen Passivtausch erfolgte - eine unzulässige Vermögensbildung dar.

30 Ein Jahresüberschuss ist wegen des aus § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG folgenden Verbots, Vermögen zu bilden, grundsätzlich unverzüglich zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung und damit zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammern zu verwenden. Denn er stellt eine Möglichkeit dar, deren Kosten anderweitig zu decken. Die Entscheidung, einen Jahresüberschuss zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals zu verwenden, stellt demgegenüber stets die Bildung von Vermögen dar.

31 Gleiches gilt für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals durch Passivtausch. Ein Passivtausch verringert eine Passivposition der Bilanz um den Betrag, um den er eine andere Passivposition derselben Bilanz erhöht. Mit der Verringerung einer Passivposition um einen bestimmten Betrag dokumentiert die Kammer, dass sie diese Mittel nicht mehr für die Erfüllung der betreffenden Aufgabe benötigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ist der frei gewordene Betrag unverzüglich zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer einzusetzen. Mit der Entscheidung, ihn stattdessen zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) zu verwenden, steht er für eine Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer nicht mehr zur Verfügung.

32 Die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals der Beklagten in den Jahren 2010 und 2012 waren jeweils nicht durch einen sachlichen Grund im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt. Einen solchen stellt insbesondere der Wunsch der Beklagten, den Wert ihres langfristig gebundenen Vermögens in der Nettoposition festgesetzten Kapitals abzubilden, nicht dar. Ein sachlicher Grund für die Erhöhung der Nettoposition müsste geeignet sein, die Aufgabenerfüllung zu fördern. Das ist vorliegend nicht festgestellt oder sonst ersichtlich. Insbesondere liegt kein sachlicher Grund darin, langfristig gebundenes Anlagevermögen durch Erhöhung des festgesetzten Kapitals dauerhaft in seinem Bestand zu sichern.

33 Sowenig die Kammern Vermögen bilden dürfen, sowenig dürfen sie es um seiner selbst willen bewahren. Auch das Anlagevermögen dient der Aufgabenerfüllung; auch sein Umfang muss durch einen sachlichen, aufgabenbezogenen Zweck gerechtfertigt sein. Das Anliegen, Vorkehrungen für einen noch nicht konkret absehbaren Finanzbedarf künftiger Jahre zu treffen, reicht dazu nicht aus. Ihm kann durch Rückstellungen mit zulässigem Zweck und Umfang und durch angemessene Rücklagen entsprochen werden. Dagegen legitimiert es weder eine Erhöhung der Nettoposition noch das Beibehalten ihrer unzulässigen Erhöhung.

34 b) Ob die Erhöhungen des festgesetzten Kapitals um 1 800 000 € im Jahr 2010 und um weitere 2 650 000 € im Jahr 2012 darüber hinaus auch gegen Bilanzrecht verstießen, kann danach ebenso dahinstehen wie die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften, an die die Kammer gemäß § 3 Abs. 7a IHKG und §§ 238 ff. HGB gebunden ist, die Rechtmäßigkeit der von ihr erstellten Wirtschaftspläne und der darauf gegründeten Beitragserhebungen beeinflussen.

35 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Urteil vom 22.01.2020 -
BVerwG 8 C 9.19ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C9.19.0

Unangemessene Rücklagen und unzulässige Kapitalbildung einer Industrie- und Handelskammer

Leitsätze:

1. Die Befugnis der Industrie- und Handelskammern, im jährlichen Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) angemessene Rücklagen vorzusehen, deckt keine Bemessung einer Ausgleichsrücklage nach einem Vielfachen des für das betreffende Wirtschaftsjahr prognostizierten Einnahmenausfalls.

2. Die Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) in der Bilanz einer Kammer bedarf eines sachlichen Grundes im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Das Ziel, den Wert des langfristig gebundenen Vermögens in der Nettoposition abzubilden, kann ihre Erhöhung nicht rechtfertigen.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 110 Abs. 1 Satz 1
    IHKG § 3 Abs. 2 und 7a
    HGB §§ 238, 266
    VwGO § 113 Abs. 1 Satz 1, § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4

  • VG Braunschweig - 20.04.2017 - AZ: VG 1 A 59/16
    OVG Lüneburg - 17.09.2018 - AZ: OVG 8 LB 130/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.01.2020 - 8 C 9.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:220120U8C9.19.0]

Urteil

BVerwG 8 C 9.19

  • VG Braunschweig - 20.04.2017 - AZ: VG 1 A 59/16
  • OVG Lüneburg - 17.09.2018 - AZ: OVG 8 LB 130/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2020
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Die Revision wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen die vorläufige Festsetzung eines Beitrags von 40 € zur beklagten Industrie- und Handelskammer für das Jahr 2016.

2 Die Beitragsfestsetzung erfolgte auf Grundlage des Wirtschaftsplans der Beklagten für das Jahr 2016, der Einnahmen in Höhe von 9 949 000 €, Aufwendungen in Höhe von 10 496 500 € und einen Saldo der Rücklagenveränderung in Höhe von 547 500 € vorsah. Die von der Beklagten im Vorjahr vorgehaltene Ausgleichsrücklage sollte gegenüber dem Vorjahreswert um 375 000 € verringert werden und am 31. Dezember 2016 noch 2 698 224 € betragen. Das festgesetzte Kapital, das in der Eröffnungsbilanz mit 500 000 € angesetzt und zuletzt im Jahr 2013 um 2 500 000 € auf 4 000 000 € erhöht worden war, sollte unverändert bleiben.

3 Nach Klageerhebung hat die Vollversammlung der Beklagten am 25. April 2016 eine Begründung für die Höhe der Ausgleichsrücklage im Jahr 2016 verabschiedet. Sie solle der Vorsorge vor konjunktur- und branchenbedingten Beitragsschwankungen, vor dem Ausfall eines oder mehrerer großer Beitragszahler und vor einem dauerhaften Wertverlust von Finanzanlagen dienen. Das Risiko konjunktur- und branchenbedingter Beitragsschwankungen betrage 2 367 216 €. Im Durchschnitt hätten die Beitragseinnahmen in den letzten zehn Jahren 7 488 480 € betragen. Dieser Durchschnittswert sei in dem genannten Zeitraum um maximal 1 972 680 € unterschritten worden. Schätze man die Eintrittswahrscheinlichkeit einer solchen Abweichung auf 40 %, ergebe sich ein jährliches Ausfallrisiko in Höhe von 789 072 €. Da sich konjunkturelle Einflüsse in der Regel drei bis fünf Jahre lang auswirkten und die Beklagte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Beitragserhöhungen vermeiden wolle, werde Vorsorge für drei Jahre getroffen. Das Risiko des Ausfalls eines oder mehrerer großer Beitragszahler werde aufgrund der Erfahrungswerte der Vergangenheit mit durchschnittlich 40 000 € pro Jahr für eine Dauer von drei Jahren, also insgesamt mit 120 000 €, bewertet. Das Risiko der dauerhaften Entwertung von Finanzanlagen bei Anwendung des gemilderten Niederstwertprinzips sei mit 227 000 € anzusetzen.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung des Klägers stattgegeben. Der der Beitragsfestsetzung zugrundeliegende Beitragstarif in der Wirtschaftssatzung 2016 sei nichtig. Die ihm zugrundeliegende Mittelbedarfsfeststellung genüge den rechtlichen Anforderungen nicht. Die Entnahme aus der Ausgleichsrücklage sei zu gering ausgefallen, weil die von der Beklagten angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage durch die von ihr angestellte Mittelbedarfsprognose nicht gerechtfertigt werde. Sie verletze das Gebot der Schätzgenauigkeit. Danach müssten Mittelbedarfsprognosen entsprechend den auch im allgemeinen Verwaltungsrecht entwickelten Maßstäben für die Prüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts nach einer geeigneten Methode erstellt und einleuchtend begründet werden. Weil es keine besonderen Verfahrensregelungen für die Erstellung der Mittelbedarfsprognose gebe, komme es bei ihrer Kontrolle auf die vom Beklagten hierzu im Prozess vorgetragenen Erwägungen an. Diese rechtfertigten nicht die von der Beklagten in ihrem Beschluss vom 25. April 2016 für erforderlich gehaltene Höhe der Ausgleichsrücklage von insgesamt 2 714 216 €. Die Beklagte habe das Risiko des konjunkturbedingten Ausfalls großer Beitragszahler doppelt, nämlich sowohl bei der Bezifferung des Risikos konjunktur- und branchenbedingter Beitragsschwankungen als auch bei der Bemessung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler, berücksichtigt. Bei der Quantifizierung des Risikos der dauerhaften Entwertung von Finanzanlagen habe sich die Beklagte an der Summe der stillen Lasten zum 31. Dezember 2015 orientiert. Das entspreche der Annahme einer Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos von 100 %. In der Vollversammlung am 25. April 2016 habe die Beklagte im Widerspruch dazu erklärt, sie gehe nicht von einer dauerhaften Wertminderung ihrer Finanzanlagen aus. Darüber hinaus sei die Mittelbedarfsfeststellung in der Wirtschaftssatzung 2016 fehlerhaft, weil die Erhöhung des festgesetzten Kapitals im Jahr 2013 nicht rückgängig gemacht worden sei. Eine Erhöhung des festgesetzten Kapitals führe zu erhöhtem Mittelbedarf und damit zu höheren Beiträgen. Sie sei nur aus sachlichen Gründen zulässig. Solche hätten bei der Erhöhung des festgesetzten Kapitals im Jahr 2013 nicht vorgelegen. Insbesondere stelle der Wunsch der Beklagten, den Betrag des festgesetzten Kapitals an den in der Bilanz für das Anlagevermögen ausgewiesenen Betrag anzugleichen, keinen sachlichen Grund für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals dar.

5 Die Beklagte meint, die Angemessenheit der Höhe der von ihr für das Jahr 2016 geplanten Ausgleichsrücklage sei zu vermuten, weil deren Betrag sich in dem von ihrem Finanzstatut vorgegebenen Rahmen bewege. Diese Vermutung habe der Kläger nicht widerlegt. Das Risiko des konjunkturbedingten Ausfalls großer Beitragszahler habe sie entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts nicht doppelt angesetzt. Ihre erläuternden Aussagen zum Risiko der dauerhaften Wertminderung von Finanzanlagen in der Mitgliederversammlung am 25. April 2016 widersprächen der von ihr insoweit angestellten Risikoprognose nicht. Die Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) verringere die zur Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehenden Finanzmittel nur, wenn diese Erhöhung aus frei verfügbaren Finanzmitteln bestritten werde. Das sei im Jahr 2013 nicht der Fall gewesen. Die Bilanzposition des festgesetzten Kapitals habe die Funktion, den Gesamtbetrag des auf der Aktivseite der Bilanz aufgeführten langfristig gebundenen Vermögens der Beklagten auf der Passivseite der Bilanz abzubilden. Dieser Zweck rechtfertige ihre Erhöhung im Jahr 2013.

6 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2018 zu ändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 20. April 2017 zurückzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Er verteidigt das Berufungsurteil.

9 Der Vertreter des Bundesinteresses meint, der Wechsel von der Kameralistik zur Doppik erfordere eine Anpassung der in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - aufgestellten Prüfungsmaßstäbe für die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen. Andernfalls werde der weite Gestaltungsspielraum der Kammern bei ihrer Wirtschaftsplanung nicht ausreichend respektiert.

II

10 Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie verstößt gegen § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (Industrie- und Handelskammergesetz - IHKG) vom 18. Dezember 1956 in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 7 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246). Die Vorschrift ermächtigt die Kammern, zur Deckung der Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nach Maßgabe ihres Wirtschaftsplans von den Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung Beiträge zu erheben, soweit diese nicht anderweitig gedeckt sind. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - Buchholz 430.5 IHKG Nr. 2 Rn. 13 ff.).

11 Die Mittelbedarfsfeststellung in dem Wirtschaftsplan der Beklagten für das Jahr 2016 überschreitet den bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen durch § 3 Abs. 2 IHKG eingeräumten Gestaltungsspielraum. Die Vorschrift verpflichtet die Kammern, vor Beginn eines jeden Wirtschaftsjahres einen Wirtschaftsplan aufzustellen und ihre Tätigkeit im betreffenden Wirtschaftsjahr an ihm auszurichten (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG). Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - Buchholz 430.5 IHKG Nr. 2 Rn. 12). Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG; BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 17). Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmenprognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar ausfallen (BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 22 S. 12 und vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16). Diese rechtlichen Vorgaben gelten auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a IHKG unverändert fort.

12 1. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2016 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 2 698 224 € zur Absicherung der Risiken konjunktur- und branchenbedingter Beitragsausfälle, der Ausfälle großer Beitragszahler und der dauerhaften Entwertung von Finanzanlagen vorzuhalten, ist teilweise schon mangels rechtfertigenden Zwecks (a) und im Übrigen der Höhe nach (b) zu beanstanden.

13 a) Die Bildung einer Ausgleichsrücklage durch die Beklagte im Jahr 2016 war nur teilweise durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Nicht zu beanstanden war die Entscheidung, eine Ausgleichsrücklage für den Fall des Eintritts konjunktur- und branchenbedingter Beitragsschwankungen und - soweit nicht schon darin eingeschlossen - des Ausfalls großer Beitragszahler vorzuhalten (aa). Dagegen war die Entscheidung, eine Reserve auch für den Fall der Entwertung von Finanzanlagen vorzusehen, rechtlich fehlerhaft (bb).

14 aa) Die Bildung der Ausgleichsrücklage zur Vorsorge vor konjunktur- und branchenbedingten Beitragsschwankungen und zur Vorsorge vor einem - konjunkturunabhängigen - Ausfall großer Beitragszahler war durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Die Ausgleichsrücklage dient der Vermeidung der Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen infolge eines Konjunkturabschwungs oder eines von konjunkturellen Einflüssen unabhängigen Ausfalls eines großen Beitragszahlers. Dieser sachliche Zweck hält sich im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Er ist darauf gerichtet, die zeitgerechte, kostengünstige Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel zu sichern.

15 bb) Die Bildung einer Ausgleichsrücklage zur Vorsorge vor einer dauerhaften Entwertung von Finanzanlagen ist dagegen nicht durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt. Das Ziel, dauerhafte Wertminderungen des Vermögens der Kammer im Haushaltsjahr 2016 zu kompensieren, stellt schon deswegen keinen solchen Zweck dar, weil den Kammern die Bildung von Vermögen verboten ist. Daher kann auch das Ziel, eventuell im Haushaltsjahr eintretende Vermögensverluste zu kompensieren, für sich genommen keinen solchen Zweck darstellen. Einen anderen, tragfähigen sachlichen Grund hat die Beklagte nicht benannt.

16 b) Im Übrigen überschreitet die Bemessung der Höhe der Ausgleichsrücklage im Jahr 2016 den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 16 m.w.N.).

17 aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht keine Vermutung für die Angemessenheit der Höhe der im streitigen Wirtschaftsplan angesetzten Ausgleichsrücklage. Die oben (Rn. 11) dargestellten rechtlichen Grenzen der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Industrie- und Handelskammern lassen keinen Raum für eine Vermutungsregel. Der Grundsatz der Haushaltswahrheit und das daraus folgende Gebot der Schätzgenauigkeit verlangen aus ex-ante-Sicht sachgerechte und vertretbare Prognosen. Dies setzt voraus, dass jeder Ansatz sachbezogen begründbar ist. Dagegen genügt nicht, dass er einen pauschal festgelegten maximalen Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschreitet oder sich in einem durch solche Prozentanteile begrenzten Korridor bewegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Aus diesem Umstand lässt sich auch keine Vermutung der Angemessenheit ableiten. Die Beachtung der haushaltsrechtlichen Grundsätze ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Wirtschaftsplans. Kann das Gericht sich von ihrer Wahrung nicht überzeugen, ist der Wirtschaftsplan rechtswidrig. Für die Annahme einer Vermutung, die genannten Anforderungen seien eingehalten, lassen die Vorschriften keinen Raum.

18 bb) Der Mittelansatz der Beklagten für die Ausgleichsrücklage in Höhe von 2 698 224 € verletzt das Gebot der Schätzgenauigkeit und ist nicht mehr von ihrem gesetzlich zulässigen Zweck gedeckt, Einnahmeausfälle im jeweiligen Haushaltsjahr auszugleichen.

19 (1) Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Haushaltsplans (Wirtschaftsplans) verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119,96 <129 f.>; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 16). Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen (BVerfG, Urteil vom 9. Juli 2007 - 2 BvF 1/04 - BVerfGE 119, 96 <129 f.>).

20 Dieser Maßstab geht über eine bloße Willkürkontrolle hinaus. Er entspricht allerdings nicht dem vom Berufungsgericht angelegten allgemeinen Maßstab für die gerichtliche Überprüfung behördlicher Prognoseentscheidungen auf die Eignung der Prognosemethode, die zutreffende Sachverhaltsermittlung und der einleuchtenden Begründung ihres Ergebnisses hin. Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Diesen spezifischen Anforderungen wird ein zur Bewältigung technisch-naturwissenschaftlicher Ungewissheiten angewandter Maßstab für die gerichtliche Kontrolle behördlicher Prognosen nicht gerecht.

21 (2) Die Mittelbedarfsprognosen für die Absicherung des Risikos von konjunktur- und branchenbedingten Beitragsausfällen und des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler waren nicht vertretbar und sind darum rechtswidrig.

22 Allerdings musste die Beklagte sie bei Verabschiedung des Wirtschaftsplans für das Jahr 2016 nicht ausdrücklich begründen. Die Regelungen über die Aufstellung von Wirtschaftsplänen sehen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, keine besonderen Verfahrens-, Anhörungs- oder Begründungspflichten vor. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognosen sind daher alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat.

23 Die Bemessung des Mittelbedarfs zum Ausgleich konjunktur- und branchenbedingter Beitragsschwankungen schöpft jedoch naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht aus. Mit der Bildung einer Rücklage für konjunktur- und branchenbedingte Beitragsausfälle möchte die Beklagte das Risiko abdecken, dass die Beitragserhebung aufgrund ihrer Beitragsordnung für das Jahr 2016 weniger Einnahmen erbringt, als sie nach ihrem Wirtschaftsplan für ihre Tätigkeit im Wirtschaftsjahr 2016 für erforderlich erachtet. Es liegt nahe, bei der Bemessung dieses Risikos an die Abweichungen der tatsächlichen Einnahmen anzuknüpfen, die sich in vergangenen Wirtschaftsperioden von den für das jeweilige Wirtschaftsjahr erwarteten Beitragseinnahmen ergeben haben. Diese Abweichungen eignen sich zur realitätsgerechten Schätzung der Beitragseinnahmen im zu beschließenden Wirtschaftsplan, soweit sich ihre konjunkturellen und branchenspezifischen Gründe voraussichtlich auf das kommende Wirtschaftsjahr übertragen lassen. Demgegenüber ist der von der Beklagten gewählte Ansatz für eine realitätsgerechte Prognose künftiger konjunkturbedingter Beitragsausfälle ungeeignet. Die von ihr herangezogene Differenz des geringsten Wertes zum Durchschnittswert der tatsächlichen Beitragseinnahmen wird schon aufgrund der in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsenen Wirtschaftsleistung und der Geldentwertung umso größer, je länger der Betrachtungszeitraum in die Vergangenheit ausgedehnt wird. Danach hängt die Höhe des drohenden Einnahmeausfalls wesentlich von der Länge des Betrachtungszeitraums und allenfalls sehr eingeschränkt von konjunkturellen und branchenbedingten Ereignissen ab. Das wird der Anforderung einer realitätsgerechten Bedarfsprognose nicht gerecht.

24 Auch bei der Bemessung des Mittelbedarfs für die Absicherung des Risikos des Ausfalls großer Beitragszahler hat die Beklagte naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht ausgeschöpft, sondern pauschal auf bestehende Erfahrungswerte verwiesen, ohne sicherzustellen, dass konjunkturbedingte, bereits im vorigen Ansatz berücksichtigte Ausfälle nicht nochmals und damit doppelt kalkuliert wurden.

25 Darüber hinaus ist die angesetzte Höhe der Ausgleichsrücklage unangemessen, weil sie nach dem Dreifachen des prognostizierten Beitragsausfalls berechnet wurde. Die Höhe der Rücklage hätte nur mit der Prognose gerechtfertigt werden können, dass es im jeweiligen Haushaltsjahr realistischer Weise zu Ausfällen von Beitragszahlungen in der angenommenen Gesamthöhe kommen könne (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 315 Rn. 20). Den prognostizierten Ausfall zu verdreifachen, nimmt einen Beitragsausfall in den beiden Folgejahren vorweg, der wegen des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Jährlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsplanung noch nicht zu prognostizieren war und nach § 3 Abs. 2 IHKG nicht auf die Beitragszahler des verfahrensgegenständlichen Wirtschaftsjahres umgelegt werden durfte.

26 2. Die Entscheidung der Beklagten, im Jahr 2016 ein festgesetztes Kapital von 4 000 000 € beizubehalten, war rechtswidrig, weil die Entscheidung, das festgesetzte Kapital 2013 um 2 500 000 € zu erhöhen, ihrerseits rechtswidrig war. Sie stellt eine unzulässige Bildung von Vermögen dar (a). Auf die Frage, ob die Erhöhung des festgesetzten Kapitals darüber hinaus auch gegen Bilanzierungsvorschriften verstieß, kommt es danach nicht mehr an (b).

27 a) Die Entscheidung der Beklagten, die Nettoposition festgesetzten Kapitals um 2 500 000 € zu erhöhen, stellt - unabhängig davon, ob dies durch einen Gewinnverwendungsbeschluss oder einen Beschluss über einen Passivtausch erfolgte - eine unzulässige Vermögensbildung dar.

28 Ein Jahresüberschuss ist wegen des aus § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG folgenden Verbots, Vermögen zu bilden, grundsätzlich unverzüglich zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung und damit zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammern zu verwenden. Denn er stellt eine Möglichkeit dar, deren Kosten anderweitig zu decken. Die Entscheidung, einen Jahresüberschuss zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals zu verwenden, stellt demgegenüber stets die Bildung von Vermögen dar.

29 Gleiches gilt für die Erhöhung des festgesetzten Kapitals durch Passivtausch. Ein Passivtausch verringert eine Passivposition der Bilanz um den Betrag, um den er eine andere Passivposition derselben Bilanz erhöht. Mit der Verringerung einer Passivposition um einen bestimmten Betrag dokumentiert die Kammer, dass sie diese Mittel nicht mehr für die Erfüllung der betreffenden Aufgabe benötigt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ist der frei gewordene Betrag unverzüglich zur Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer einzusetzen. Mit der Entscheidung, ihn stattdessen zur Erhöhung des festgesetzten Kapitals (Nettoposition) zu verwenden, steht er für eine Minderung des von den Kammerzugehörigen durch Beiträge zu deckenden Mittelbedarfs der Kammer nicht mehr zur Verfügung.

30 Die Erhöhung des festgesetzten Kapitals der Beklagten um 2 500 000 € war nicht durch einen sachlichen Grund im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gedeckt. Einen solchen stellt insbesondere der Wunsch der Beklagten, den Wert ihres langfristig gebundenen Vermögens in der Nettoposition festgesetzten Kapitals abzubilden, nicht dar. Ein sachlicher Grund für die Erhöhung der Nettoposition müsste geeignet sein, die Aufgabenerfüllung zu fördern. Das ist vorliegend nicht festgestellt oder sonst ersichtlich. Insbesondere liegt kein sachlicher Grund darin, langfristig gebundenes Anlagevermögen durch Erhöhung des festgesetzten Kapitals dauerhaft in seinem Bestand zu sichern.

31 Sowenig die Kammern Vermögen bilden dürfen, sowenig dürfen sie es um seiner selbst willen bewahren. Auch das Anlagevermögen dient der Aufgabenerfüllung; auch sein Umfang muss durch einen sachlichen, aufgabenbezogenen Zweck gerechtfertigt sein. Das Anliegen, Vorkehrungen für einen noch nicht konkret absehbaren Finanzbedarf künftiger Jahre zu treffen, reicht dazu nicht aus. Ihm kann durch Rückstellungen mit zulässigem Zweck und Umfang und durch angemessene Rücklagen entsprochen werden. Dagegen legitimiert es weder eine Erhöhung der Nettoposition noch das Beibehalten ihrer unzulässigen Erhöhung.

32 b) Ob die Erhöhung des festgesetzten Kapitals um 2 500 000 € darüber hinaus auch gegen Bilanzrecht verstieß, kann danach ebenso dahinstehen wie die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Verstöße gegen Bilanzierungsvorschriften, an die die Kammer gemäß § 3 Abs. 7a IHKG und §§ 238 ff. HGB gebunden ist, die Rechtmäßigkeit der von ihr erstellten Wirtschaftspläne und der darauf gegründeten Beitragserhebungen beeinflussen.

33 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.