Verfahrensinformation

Anspruch eines IHK-Mitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband


Die Klägerin begehrt die Verurteilung der beklagten Industrie- und Handelskammer zum Austritt aus dem beigeladenen Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) wegen kompetenzüberschreitender Äußerungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 23. März 2016 - BVerwG 10 C 4.15 - entschieden, dass dem Pflichtmitglied einer Kammer ein solcher Anspruch zusteht, wenn sich der Dachverband außerhalb des gesetzlichen Rahmens der Kammerkompetenzen betätigt, beispielsweise durch allgemeinpolitische Äußerungen, und wenn die Gefahr einer künftigen Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen besteht. Es hat die Sache zur Feststellung, ob eine derartige Wiederholungsgefahr besteht, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dabei hatte das Berufungsgericht zu berücksichtigen, ob der DIHK in seiner Satzung wirksame Vorkehrungen gegen künftige Kompetenzüberschreitungen trifft.


Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts mit Urteil vom 12. April 2019 erneut zurückgewiesen. Zwar habe der DIHK zwischenzeitlich eine Vielzahl weiterer kompetenzüberschreitender Äußerungen getätigt. Dass seine Satzung nun jedoch jedem Pflichtmitglied der verbandsangehörigen Kammern einen Anspruch auf Unterlassung kompetenzüberschreitender Äußerungen des Dachverbandes verleihe, spreche gegen die Gefahr einer Wiederholung solcher Kompetenzüberschreitungen.


Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision.


Pressemitteilung Nr. 61/2020 vom 15.10.2020

Anspruch eines IHK-Mitgliedes auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband DIHK wegen fortgesetzter Kompetenzüberschreitungen

Das Mitglied einer Industrie- und Handelskammer (IHK) kann den Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK e.V.) verlangen, wenn dieser mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern überschritten hat und keine hinreichenden Vorkehrungen bestehen, um die Wiederholung von Kompetenzverstößen zuverlässig zu verhindern. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.


Die Klägerin ist Mitglied der IHK Nord Westfalen und beanstandet seit 2007 zahlreiche Äußerungen des DIHK, weil sie über die gesetzlichen Kompetenzgrenzen der Kammern hinausgingen. Die Klage ist in allen Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem ersten Revisionsurteil vom 23. März 2016 (BVerwG 10 C 4.15 - vgl.  Pressemitteilung 23/2016 ) entschieden, dass ein grundrechtlicher Anspruch auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband besteht, wenn dieser - wie der DIHK - in der Vergangenheit mehrfach und nicht nur in atypischen Ausreißerfällen gegen die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern verstoßen hat und wenn mit einer erneuten Missachtung der Kompetenzgrenzen zu rechnen ist. Es hat den Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zu den Reaktionen des Verbandes auf die Kritik an seinen Äußerungen, insbesondere zu einem etwa für die Kammermitglieder verfügbaren verbandsinternen wirksamen und effektiven Schutz gegen grundrechtswidrige Aufgabenüberschreitungen, treffen konnte.


Das Oberverwaltungsgericht hat einen Austrittsanspruch der Klägerin erneut verneint. Zwar hätten auch zahlreiche Äußerungen des DIHK seit 2016 die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern überschritten. Auch fehle dem Verband die Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und ein ausreichendes Bewusstsein für die vom Bundesverwaltungsgericht verdeutlichten Grenzen seiner Öffentlichkeitsarbeit. Er habe den Kammermitgliedern in seiner Satzung mittlerweile jedoch einen klagefähigen Anspruch auf Unterlassung weiterer Überschreitungen eingeräumt. Dies rechtfertige trotz des Mangels an Einsicht die Annahme, dass zukünftig weitere Verstöße verhindert werden könnten.


Auf die erneute Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht die beklagte Kammer verurteilt, ihren Austritt aus dem DIHK zu erklären. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, schon die Existenz des Klageanspruchs von Kammermitgliedern schließe die Gefahr der Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen ungeachtet fehlender Einsicht des Dachverbandes aus, widerspricht dem rechtlichen Maßstab des ersten Revisionsurteils. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, die Klagemöglichkeit werde künftige Kompetenzüberschreitungen ausschließen. Es ist lediglich davon ausgegangen, dass die Zivilgerichte dem DIHK ausgehend von - weiteren - konkreten Aufgabenüberschreitungen seine Kompetenzgrenzen weiter verdeutlichen und diese durchsetzen werden. Das wird den im ersten Revisionsurteil erläuterten Anforderungen an einen effektiven Grundrechtsschutz der Kammermitglieder nicht gerecht.


BVerwG 8 C 23.19 - Urteil vom 14. Oktober 2020

Vorinstanzen:

OVG Münster, 16 A 1499/09 - Urteil vom 12. April 2019 -

VG Münster, 9 K 1076/07 - Urteil vom 20. Mai 2009 -


Beschluss vom 22.10.2019 -
BVerwG 8 B 60.19ECLI:DE:BVerwG:2019:221019B8B60.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.10.2019 - 8 B 60.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:221019B8B60.19.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 60.19

  • VG Münster - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
  • OVG Münster - 12.04.2019 - AZ: OVG 16 A 1499/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Oktober 2019
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. April 2019 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und für das Revisionsverfahren - insoweit vorläufig - auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zum Austritt aus dem beigeladenen Dachverband wegen kompetenzüberschreitender Äußerungen. Nach der Zurückverweisung der Rechtssache durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - hat das Berufungsgericht die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts erneut zurückgewiesen, weil ein zwischenzeitlich satzungsrechtlich geschaffener Anspruch jedes Pflichtmitgliedes der verbandsangehörigen Kammern auf Unterlassung kompetenzüberschreitender Äußerungen des Dachverbandes gegen die Gefahr einer Wiederholung solcher Kompetenzüberschreitungen spreche. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2 Die Beschwerde der Klägerin hiergegen hat Erfolg. Der Rechtssache kommt die von ihr geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Das Revisionsverfahren bietet voraussichtlich Gelegenheit zur Klärung der Frage, ob eine Mitgliedschaft einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft in einem zivilrechtlich organisierten Dachverband, dessen öffentliche Äußerungen wiederholt und nicht nur in "Ausreißer-Fällen" die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskörperschaften überschreiten, schon dann mit dem Recht der Pflichtmitglieder dieser Körperschaften aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn der Dachverband diesen Pflichtmitgliedern durch Satzung einen Anspruch auf Unterlassung solcher Äußerungen einräumt.

3 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C 23.19 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 14.10.2020 -
BVerwG 8 C 23.19ECLI:DE:BVerwG:2020:141020U8C23.19.0

Anspruch eines Pflichtmitglieds einer Industrie- und Handelskammer auf deren Austritt aus dem Dachverband

Leitsätze:

1. Der Anspruch eines Pflichtmitglieds einer Industrie- und Handelskammer auf Austritt der Kammer aus dem Dachverband setzt eine Verbandstätigkeit jenseits der Kammerkompetenzen, die sich nicht auf für die Verbandspraxis atypische Einzelfälle ("Ausreißer") beschränkt, sowie die konkrete Gefahr einer erneut die Kammerkompetenzen überschreitenden Betätigung des Verbands voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 LS 2 und Rn. 18).

2. Diese Gefahr ist nicht schon durch verbandsinterne Maßnahmen ausgeschlossen, die es ermöglichen, Kompetenzüberschreitungen gerichtlich anzugreifen, wenn gleichwohl mit erneuten Überschreitungen zu rechnen ist, sodass eine Fortsetzung der kompetenzwidrigen Verbandspraxis nicht zuverlässig verhindert wird (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 23 f.).

  • Rechtsquellen
    GG Art. 2 Abs. 1
    IHKG § 1 Abs. 1 und 5
    VwGO § 144 Abs. 6

  • VG Münster - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
    OVG Münster - 12.04.2019 - AZ: OVG 16 A 1499/09

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.10.2020 - 8 C 23.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:141020U8C23.19.0]

Urteil

BVerwG 8 C 23.19

  • VG Münster - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
  • OVG Münster - 12.04.2019 - AZ: OVG 16 A 1499/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2020
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. April 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Mai 2009 werden geändert.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, ihren Austritt aus dem Beigeladenen (Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V.) zu erklären.
  3. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin - jeweils in allen Rechtszügen - tragen die Beklagte zu zwei Dritteln und der Beigeladene zu einem Drittel. Die Beklagte und der Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe

I

1 Die Klägerin ist Pflichtmitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer und begehrt deren Austritt aus dem beigeladenen Deutschen Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK).

2 Der Beigeladene verfolgt als privatrechtlich organisierter Dachverband der deutschen Industrie- und Handelskammern nach seiner Satzung unter anderem den Zweck, in allen das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft in seinem Bereich betreffenden Fragen, einen gemeinsamen Standpunkt der Industrie- und Handelskammern auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene gegenüber der Politik, der Verwaltung, den Gerichten und der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Satzung stellt klar, dass die Behandlung allgemeinpolitischer, insbesondere parteipolitischer Fragen nicht zur Zuständigkeit des Beigeladenen gehört.

3 2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihren Austritt aus dem Beigeladenen zu erklären. Dieser habe sich in mehreren Veröffentlichungen allgemeinpolitisch zur Klimapolitik geäußert und damit seine satzungsgemäßen Aufgaben und die Kompetenzen seiner Mitgliedskammern überschritten. Der Klägerin stehe als Pflichtmitglied der Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Abwehr von Kompetenzüberschreitungen zu. Die Beklagte lehnte einen Austritt ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verurteilung der Beklagten, ihren Austritt aus dem Dachverband zu erklären und es zu unterlassen, die beanstandeten Äußerungen zu wiederholen, abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung nur hinsichtlich des Antrags auf Verurteilung zum Austritt aus dem Dachverband zugelassen und sie mit Urteil vom 16. Mai 2014 zurückgewiesen. Die Klägerin könne zwar geltend machen, als Pflichtmitglied der Beklagten durch eine Überschreitung der Kammerkompetenzen in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt zu sein. Eine Verpflichtung der Kammer zum Austritt komme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch nur als äußerstes Mittel in Betracht.

4 Mit Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - (BVerwGE 154, 296) hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Ein Austrittsanspruch eines Pflichtmitgliedes einer Kammer bestehe nicht nur als ultima ratio, sondern schon dann, wenn die Aufgabenüberschreitung des Dachverbandes kein für die Verbandspraxis atypischer "Ausreißer" sei und die konkrete Gefahr erneuter Betätigung jenseits der Kammerkompetenz bestehe. Eine solche Wiederholungsgefahr sei nicht nur bei einer Gefahr völlig gleichartiger Aufgabenüberschreitungen zu bejahen, weil sonst der effektive Grundrechtsschutz durch Variieren der Kompetenzüberschreitungen zu vereiteln wäre. Maßgeblich sei allein, ob mit einer erneuten Missachtung der Kompetenzgrenzen zu rechnen sei oder ob davon ausgegangen werden könne, dass weitere Verstöße unterblieben, etwa weil sie verbandsintern zuverlässig verhindert würden. Dies erfordere eine tatrichterliche Prognose, die sämtliche Indizien für und gegen die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Grundrechtsverletzung in Betracht ziehe. Als Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes kämen mehrfache oder gar häufige Missachtungen der Kompetenzgrenzen in Betracht, ebenso der Mangel an Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und die Weigerung, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Überschreitungen zu treffen. Gegen eine Wiederholungsgefahr spreche hingegen, wenn der Dachverband die Kritik an einer Aufgabenüberschreitung konstruktiv aufgenommen, sich davon distanziert und geeignete Vorkehrungen gegen einen erneuten Kompetenzverstoß getroffen habe. Dies sei anzunehmen, wenn der Verband den Mitgliedskammern und deren Pflichtmitgliedern die Möglichkeit eröffne, künftige Überschreitungen der Kammerkompetenzen wirksam zu unterbinden.

5 Der Dachverband habe in der Vergangenheit mehrfach und nicht nur in atypischen Ausnahmefällen die gesetzliche Kammerkompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung der Gewerbetreibenden durch Äußerungen überschritten. Viele der streitgegenständlichen Äußerungen des Dachverbandes gingen thematisch über die Kammerkompetenzen hinaus, so die bildungspolitische Forderung nach der Einführung von Studiengebühren, Äußerungen zur Hochschulfinanzierung, die Kritik am föderalen Bildungssystem sowie Äußerungen zum Hochwasserschutz, die keinen Wirtschaftsbezug deutlich gemacht hätten. Gleiches gelte für die Äußerungen zum außenpolitischen Auftreten der Bundeskanzlerin, zur Ratsamkeit eines Koalitionsvertrages II und zur wirtschaftlichen und innenpolitischen Situation der Republik Südafrika. Die Stellungnahmen gegen die Einführung des Mindestlohns in Deutschland, gegen die sogenannte Mütterrente, die Sozialagenda und die Herabsetzung des regulären Renteneintrittsalters auf die Vollendung des 63. Lebensjahres seien ungeachtet ihres Bezugs zur Wirtschaft in den Kammerbezirken nicht mehr von der Kammerkompetenz gedeckt gewesen, weil diese sich nach § 1 Abs. 5 IHKG nicht auf die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen erstrecke. Von den Aussagen zur Steuer- und zur Energiepolitik seien diejenigen, die mit konkreten Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft in den Mitgliedskammern - wie etwa der Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen - begründet wurden, thematisch nicht zu beanstanden. Allerdings missachteten einige dieser Aussagen das für die Gesamtinteressenwahrnehmung geltende Gebot der Objektivität und Sachlichkeit. Ihm widersprächen etwa die Kommentierung einer steuerpolitischen Forderung als "der reine Wahnsinn" sowie die Gleichsetzung des Klimaschutzes mit einer Minderung der Lebensqualität, illustriert durch die polemische Frage, ob wir wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren wollten. Wegen ihrer Einseitigkeit unzulässig seien Forderungen, die sich gegen den Ausstieg aus der Kernenergie richteten, ohne die in den Kammerbezirken vertretenen Gegenauffassungen darzustellen und eine Abwägung der widerstreitenden Positionen erkennen zu lassen. Äußerungen zu in der Öffentlichkeit und auch in der Wirtschaft höchst umstrittenen Fragen müssten auch die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur Mehrheitsauffassung führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen.

6 Ob die weitere Mitgliedschaft des Beklagten im Dachverband wegen faktischer Aufgabenüberschreitungen rechtswidrig sei, könne auf Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entschieden werden. Zur Prüfung einer konkreten Gefahr eines erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns des Dachverbandes müsse das Berufungsgericht die Reaktionen des Dachverbandes auf die Kritik an seinen Äußerungen feststellen und insbesondere klären, ob den Pflichtmitgliedern der Kammern verbandsintern ein wirksamer und effektiver Schutz gegen solche grundrechtswidrigen Aufgabenüberschreitungen zur Verfügung stehe.

7 Im November 2016 hat die Vollversammlung des Verbandes satzungsrechtlich für die Pflichtmitglieder ihrer Mitgliedskammern ein Beschwerderecht gegen Kompetenzüberschreitungen und, nach erfolgloser Beschwerde, ein Klagerecht eingeführt. Anschließend wurde der Verband im zurückverwiesenen Verfahren beigeladen.

8 Die Klägerin hat dort eine Vielzahl weiterer Äußerungen des Beigeladenen aus dem Zeitraum vom ersten Revisionsurteil bis zum November 2018 als kompetenzwidrig beanstandet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 12. April 2019 erneut zurückgewiesen. Die Klägerin habe zurzeit keinen Anspruch auf Austritt der beklagten Kammer aus dem Dachverband. Zwar gingen zahlreiche der von der Klägerin beanstandeten Äußerungen des Beigeladenen über die gesetzlichen Grenzen der Kompetenz der Mitgliedskammern hinaus, beispielsweise die beanstandeten, teils allgemeinpolitischen, teils unsachlichen oder einseitigen Äußerungen des Hauptgeschäftsführers und des Präsidenten des Beigeladenen zur Zusammenarbeit mit dem Iran, zur Ökostromumlage, zur Bundestagswahl, zu einer Großen Koalition, zur Diskussion über die Rolle des seinerzeitigen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, zu Einreisebeschränkungen der USA für muslimische Länder und zur Präsidentschaftswahl in Kenia. Von atypischen Ausreißern könne keine Rede sein. Gleichwohl und trotz fehlender Einsicht des Beigeladenen in vergangene Aufgabenüberschreitungen bestehe derzeit keine konkrete Gefahr erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns des Dachverbandes. Er habe nämlich mit der Einräumung eines klagefähigen Anspruchs auf Unterlassen weiterer Überschreitungen eine geeignete Maßnahme ergriffen, die die Annahme rechtfertige, dass zukünftig weitere Verstöße verhindert werden könnten. Die Zivilgerichte würden dem Beigeladenen ausgehend von konkreten Aufgabenüberschreitungen seine Kompetenzgrenzen weiter verdeutlichen und diese erforderlichenfalls mit Ordnungsmitteln durchsetzen.

9 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts bestehe die Gefahr einer Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen des Beigeladenen. Dessen Satzungsänderung habe weitere kompetenzwidrige Äußerungen nicht verhindert. Der Beigeladene habe sich auch nach dem ersten Revisionsurteil in seinen Äußerungen nicht gemäßigt. Es sei nicht ersichtlich, dass ihn das Urteil eines Zivilgerichts stärker beeindrucken werde. Eine nachträgliche gerichtliche Beanstandung ändere nichts daran, dass Kompetenzüberschreitungen des Beigeladenen in Grundrechte der Pflichtmitglieder der Mitgliedskammern eingriffen. Der Klägerin könne eine nachlaufende Rechtsaufsicht über den Verband im Wege der Prozessführung weder grundrechtlich noch wirtschaftlich zugemutet werden.

10 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. April 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 20. Mai 2009 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihren Austritt aus dem Beigeladenen zu erklären.

11 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12 Sie verteidigt das Berufungsurteil. Das Berufungsgericht habe den jeweiligen Kontext der von ihm beanstandeten Äußerungen nur unzureichend berücksichtigt und die Kompetenzgrenze der Kammern aus § 1 Abs. 5 IHKG zu eng gezogen. Ohne eine Ermittlung der Gesamtzahl der Äußerungen des Beigeladenen im Betrachtungszeitraum habe das Berufungsgericht nicht annehmen dürfen, dass die beanstandeten Äußerungen keine bloßen Ausreißer seien. Die Feststellung fehlender Einsicht in die Kompetenzüberschreitungen vernachlässige die Vorkehrungen gegen einen erneuten Verstoß. Der Klägerin fehle angesichts der vom Beigeladenen geschaffenen sachnäheren und effizienteren Rechtsschutzmöglichkeit das Rechtsschutzbedürfnis für eine auf Austritt der Beklagten gerichtete Klage.

13 Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.

14 Er schließt sich dem Vorbringen der Beklagten an und rügt, die vom Berufungsgericht angenommene Bindung an das Urteil vom 23. März 2016 verletze sein Recht auf rechtliches Gehör. Zu Unrecht sei er im ersten Revisionsverfahren nicht beigeladen worden. Die Klägerin habe ihre Revision nicht hinreichend begründet und keine Verfahrensrügen erhoben. Deshalb sei das Revisionsgericht an die Annahme des Berufungsgerichts gebunden, die eröffnete Rechtsschutzmöglichkeit schließe die Gefahr einer Wiederholung von Kompetenzüberschreitungen aus. Unabhängig davon fielen die vom Oberverwaltungsgericht beanstandeten Äußerungen nicht ins Gewicht und stellten allenfalls Ausreißer dar. Außerdem habe der Beigeladene am 25. März 2020 seine Satzung und seine Beschwerdeordnung geändert. Eine Unterlassungsklage wegen Kompetenzüberschreitungen setze nun nicht mehr voraus, dass zuvor ein Beschwerdeverfahren durchlaufen worden sei.

15 Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt das Vorbringen der Beklagten und des Beigeladenen, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.

II

16 Die zulässige Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG und erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO).

17 1. Die Klägerin hat ihre Revision ordnungsgemäß begründet (§ 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO) und ist dabei auch auf die Frage eingegangen, ob die vom Beigeladenen eingeräumte Rechtsschutzmöglichkeit einen Austrittsanspruch ausschließt. Darüber hinaus konnte sie in zulässiger Weise auf die Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Bezug nehmen, weil diese auch den Anforderungen an eine Revisionsbegründung genügte (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2019 - 4 C 5.18 - juris Rn. 13 m.w.N. [insoweit in Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 21 nicht abgedruckt]).

18 2. Die Klage ist nach wie vor zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für ihr Begehren, die Beklagte zum Austritt aus dem Beigeladenen zu verurteilen, entfällt nicht wegen der nun eingeräumten Möglichkeit, gegen künftige Äußerungen des Beigeladenen zu klagen. Es wäre nur dann zu verneinen, wenn die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ihr offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen könnte und die Nutzlosigkeit eindeutig wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 2004 - 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3> und vom 10. Oktober 2019 - 10 C 3.19 - NVwZ 2020, 244 Rn. 14). Das ist hier nicht der Fall. Der von der Klägerin begehrte Austritt der Beklagten aus dem Beigeladenen bannt die Gefahr einer Wiederholung von Eingriffen in ihre Grundrechte vollständig. Ihr Begehren lässt sich nicht auf die Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs gegen den Beigeladenen verengen, sondern richtet sich auf eine Austrittserklärung der Beklagten.

19 3. Das Berufungsurteil leidet nicht unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO. Die Rüge des Beigeladenen, das Berufungsgericht habe mit der Annahme, nach § 144 Abs. 6 VwGO an das Urteil vom 23. März 2016 gebunden zu sein, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletzt, greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob der Beigeladene bereits im ersten Revisionsverfahren nach § 65 Abs. 2 und § 142 Abs. 1 Satz 2 VwGO hätte beigeladen werden müssen und ob daraus eine Einschränkung der Bindung des Berufungsgerichts aus § 144 Abs. 6 VwGO an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts folgen könnte. Der Beigeladene hat jedenfalls sein Recht, einen solchen Gehörsverstoß zu rügen, dadurch verloren, dass er trotz seiner Kenntnis von dem Verfahren, dessen Verlauf und dem Termin der ersten Revisionsverhandlung nicht rechtzeitig auf seine Beiladung hingewirkt hat. Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht geltend machen, wer es selbst versäumt hat, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der vom einschlägigen Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07 - BVerfGK 17, 479 Rn. 28). Einen Antrag auf Beiladung hat der Beigeladene jedoch erstmals nach der Zurückverweisung im erneuten Berufungsverfahren gestellt. Dass er bereits vorher Kenntnis von dem Verfahren, dessen Verlauf und der ersten Revisionsverhandlung hatte, ergibt sich aus der damaligen Sitzungsniederschrift. Ihr zufolge war für die Beklagte auch der Chefjustiziar des Beigeladenen erschienen. Dessen Teilnahme an der damaligen mündlichen Verhandlung und die vorherige Kenntnis des Beigeladenen vom Verfahrensverlauf hat dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat bestätigt. Folglich hätte er seine Beiladung bereits rechtzeitig vor und spätestens in der ersten Revisionsverhandlung beantragen können, um durch eigenen Vortrag auf die rechtlichen Maßstäbe des Revisionsgerichts Einfluss zu nehmen. Nachdem er dort auch nach Erörterung der Sache von einem solchen ihm zumutbaren Antrag abgesehen hat, kann er nicht geltend machen, eine Bindung an die Grundsätze des ersten Revisionsurteils schneide ihm sein rechtliches Gehör ab. Das gilt auch und erst recht, wenn der vom Beigeladenen vorgetragene richterliche Hinweis in der ersten Revisionsverhandlung, eine Beiladung nach § 142 Abs. 1 i.V.m. § 65 Abs. 2 VwGO sei nach den (damaligen) Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten (vor den Satzungsänderungen) nicht notwendig, seinen Chefjustiziar nicht überzeugt haben sollte. Wegen der vorherigen Kenntnis des Beigeladenen vom Verfahrensverlauf konnte dieser Hinweis zu einer naheliegenden Frage ihn nicht überraschen.

20 4. Dem Berufungsurteil liegt gemäß § 144 Abs. 6 VwGO die rechtliche Beurteilung durch das zurückverweisende Revisionsurteil (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296) zugrunde. Dieser rechtliche Maßstab bindet nunmehr im selben Umfang auch den erkennenden Senat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2011 - 8 B 32.11 - Rn. 3 f.; GmS-OGB, Beschluss vom 6. Februar 1973 - GmS-OGB 1/72 - BVerwGE 41, 363 <367>; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1977 - 8 C 49.76 - BVerwGE 54, 116 <121 f.>).

21 a) Danach hat die Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Austritt der beklagten Kammer aus dem Dachverband, wenn sich dieser in einer Weise betätigt, die faktisch seine Aufgaben und zugleich den Kompetenzrahmen seiner Mitgliedskammern überschreitet, und wenn die kompetenzwidrige Tätigkeit sich nicht als atypischer "Ausreißer" darstellt, sondern die konkrete Gefahr erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns besteht (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 18). Nach § 1 Abs. 1 IHKG haben die Kammern das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen. Ihre gesetzlichen Kompetenzen dürfen sie auch gemeinsam in einem Dachverband wahrnehmen. Auch dabei erlaubt § 1 Abs. 1 IHKG allerdings nur Äußerungen zu Sachverhalten, die spezifische Auswirkungen auf die Wirtschaft im jeweiligen Kammerbezirk haben. Es genügt nicht, dass die Folgen einer politischen Entscheidung in irgendeiner weiteren Weise auch die Wirtschaft berühren oder dass die Gewerbetreibenden im Kammerbezirk davon ebenso betroffen sind wie Andere (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 28 f.; ebenso bereits Urteile vom 19. September 2000 - 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <74 f.> und vom 23. Juni 2010 - 8 C 20.09 - BVerwGE 137, 171 Rn. 24, 30 ff.). Der erforderliche spezifische Wirtschaftsbezug muss sich aus der Äußerung selbst, ihrer Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben. Er muss umso genauer dargelegt werden, je weniger offenkundig er ist. Die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen fällt nach § 1 Abs. 5 IHKG nicht in die Zuständigkeit der Kammern, sondern ist Gegenstand der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger sowie der grundrechtlich geschützten Tätigkeit freiwilliger Vereinigungen. Dazu zählen nicht nur die Tarifpartner, sondern beispielsweise auch die freien Wohlfahrtsverbände (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 29).

22 Aus § 1 Abs. 1 IHKG ergeben sich auch Vorgaben für die Art und Weise der Gesamtinteressenwahrnehmung. Aus der Verpflichtung, die Interessen der Kammermitglieder und der verschiedenen Branchen und Betriebe abzuwägen und auszugleichen, folgt die Pflicht, das Gesamtinteresse innerhalb der jeweiligen Kammer grundsätzlich im Prozess repräsentativer Willensbildung durch die Vollversammlung zu ermitteln und dabei die satzungsrechtlichen Verfahrensregeln zu beachten. Die Aufgabe, die Behörden durch die Darstellung des Gesamtinteresses zu unterstützen und zu beraten, verlangt von den Kammern, bei allen Äußerungen Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung zu wahren. Polemisch überspitzte Äußerungen oder Stellungnahmen, die auf eine emotionalisierte Konfliktaustragung zielen, sind unzulässig. Äußerungen zu besonders umstrittenen Themen müssen die nach § 1 Abs. 1 IHKG erforderliche Abwägung erkennen lassen. Bei Mehrheitsentscheidungen sind gegebenenfalls beachtliche Minderheitenpositionen einschließlich von Positionen partikulärer Wirtschaftsstrukturen darzustellen (vgl. ebenda Rn. 29 f.).

23 Dieser vom Berufungsgericht zutreffend herangezogene Maßstab gewährleistet eine Berücksichtigung des textlichen Zusammenhangs einer Äußerung bei ihrer Überprüfung auf Kompetenzüberschreitungen. Der Einwand der Beklagten und des Beigeladenen, das Berufungsurteil gehe an dem Erfordernis einer Gesamtwürdigung einer Aussage im textlichen Zusammenhang vorbei, ist daher nicht berechtigt. In Übereinstimmung mit dem bindenden ersten Revisionsurteil (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 35 und 38) hat das Berufungsgericht an Äußerungen des Beigeladenen im Zuge von Live-Interviews keinen abweichenden Maßstab angelegt. Vielmehr hat der Beigeladene auch in derartigen Situationen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass sämtliche seiner Äußerungen die gesetzlichen Kompetenzgrenzen wahren.

24 b) Danach ist revisionsgerichtlich nichts gegen die Annahme des Berufungsgerichts zu erinnern, der Beigeladene habe durch zahlreiche Äußerungen die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern überschritten, sodass von für die Verbandspraxis atypischen Ausnahmefällen ("Ausreißern") keine Rede sein könne. Die Annahme fortgesetzter Kompetenzverstöße schließt an die Bewertung im ersten Revisionsurteil an. Im dortigen Betrachtungszeitraum bis zum Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2014 waren ebenfalls mehrfache, nicht als atypische Ausnahmen einzuordnende Überschreitungen der Kammerkompetenzen festzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 33 ff.). Bis zum erneuten Abschluss der Berufungsinstanz sind nach den Tatsachenfeststellungen des angegriffenen Urteils viele weitere kompetenzüberschreitende Äußerungen des Beigeladenen hinzugekommen.

25 Zahlreiche dieser Äußerungen gehen als allgemeinpolitische Stellungnahmen ohne spezifischen Wirtschaftsbezug schon thematisch über die gesetzlichen Grenzen der Kompetenz zur Gesamtinteressenwahrnehmung hinaus. Dazu zählen beispielsweise die Äußerungen zur Aufwertung des Themas der inneren und äußeren Sicherheit in Europa (Morgenmagazin der ARD vom 22. August 2016), zur Bedeutung der Bundestagswahl als wichtig und spannend und der Notwendigkeit, dass die Bundesregierung die Kraft für notwendige Reformen habe (Nachrichtenagentur Reuters vom 28. Dezember 2016). In diesen Fällen ergab sich ein spezifischer Wirtschaftsbezug auch nicht aus dem textlichen Zusammenhang. Gleiches gilt für die Äußerungen des Beigeladenen zu Einreisebeschränkungen der USA für muslimische Länder, zum einheitlichen Auftreten Europas gegenüber den USA und zu deren Verhältnis zu Mexiko, zur Bedeutung der Themen Aufklärung und Rechtspopulismus in der nächsten Legislaturperiode (Deutschlandfunk vom 5. Februar 2017), zu den innenpolitischen Schwierigkeiten Kenias (International Aktuell 06/2017 vom 30. Oktober 2017), zur Notwendigkeit einer Entscheidung über eine Große Koalition und zur ausreichenden Zahl regierungsfähiger Politiker (Tagesspiegel vom 14. Februar 2018), zur Sicherung der EU-Außengrenzen (Internetseite am 27. Juni 2018) sowie zur Diskussion über die Rolle des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten (Tagesspiegel vom 9. November 2018). Wegen eines spezifischen Wirtschaftsbezuges nicht zu beanstanden waren dagegen - entgegen dem Berufungsurteil - die Äußerungen über den Brexit (Deutschlandfunk vom 6. Juli 2016, Morgenmagazin der ARD vom 22. August 2016, Berliner Morgenpost vom 20. März 2017), die Bedeutung einer Regierung, die sich zum internationalen Handel und zum europäischen Binnenmarkt bekenne (Reuters vom 28. Dezember 2016), zur Forderung nach einer Erhöhung der Investitionsquote in Deutschland (Deutschlandfunk am 5. Februar 2017) und zu gesetzlichen Vorgaben für Managergehälter (Berliner Morgenpost vom 20. März 2017).

26 Die Äußerungen zur sozialen Gerechtigkeit in Deutschland, zu den Arbeitsbedingungen von Frauen und dem Equal Pay Day (Berliner Morgenpost vom 20. März 2017), zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen insbesondere im öffentlichen Dienst und zur Verbesserung der Stellung der Arbeitnehmer durch den Fachkräftemangel (Neue Osnabrücker Zeitung vom 26. Januar 2018) fielen nach § 1 Abs. 5 IHKG als Wahrnehmung arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Interessen ungeachtet ihres teilweisen Wirtschaftsbezuges nicht in die Kompetenz der Mitgliedskammern.

27 Wegen der Verletzung des Gebots der Sachlichkeit, der Objektivität und der Zurückhaltung überschritten die Äußerungen des Beigeladenen zur Bedeutung der Erbschaftsteuer und der Vermeidung einer "Neidsteuer" (Westfalenpost vom 21. Juni 2016) sowie zur "an den Haaren herbeigezogenen" Begründung für die handelspolitischen "Pirouetten" der US-Regierung (Trade News 07/2018 vom September 2018) die Kompetenzgrenzen der Kammern.

28 Wegen ihrer Einseitigkeit hat das Berufungsgericht die Äußerungen zum Korrekturbedarf an der Ökostromumlage und zu einem Auslaufen der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und der Offshore-Haftungsumlage (Handelsblatt vom 24. Oktober 2016), zur Vermeidung zu strenger Pkw-CO2-Emissionsnormen zum Nachteil der Automobilindustrie und zu einer direkten Quote für Elektrofahrzeuge in den Regulierungsvorschlägen der Europäischen Union (Stellungnahme vom 10. Juli 2018) zu Recht als unzulässig bewertet. Diese Äußerungen zu besonders umstrittenen Themen ließen keine Berücksichtigung der Interessen von Unternehmen im Sektor der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität erkennen. Wegen dieser offenkundigen Unausgewogenheit bedurfte es keiner Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts zur Existenz von Minderheitenpositionen in den Mitgliedskammern des Beigeladenen.

29 c) Auch im Übrigen ist die dem Berufungsurteil zugrundeliegende Annahme fortgesetzter Kompetenzüberschreitungen ohne Verstoß gegen Verfahrensrecht zustande gekommen. So hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beigeladenen auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es einzelne dieser Äußerungen unter einem anderen Aspekt der Kompetenzgrenzen der Mitgliedskammern gewürdigt hat als von der Klägerin vorgetragen. Wegen § 144 Abs. 6 VwGO und der Darstellung des rechtlichen Maßstabs für die Zulässigkeit von Äußerungen der Kammern im ersten Revisionsurteil konnte keiner der Beteiligten von einer Würdigung unter einem der dort genannten Gesichtspunkte überrascht werden (§ 108 Abs. 2, § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO). Die Würdigung der Äußerungen durch das Berufungsgericht verletzt auch nicht den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Seine Bewertungen waren weder willkürlich noch verstießen sie gegen Denkgesetze.

30 Die beträchtliche Zahl der kompetenzüberschreitenden Äußerungen sowohl im Zeitraum seit dem ersten Revisionsurteil als auch im Gesamtzeitraum unter Einschluss der dort beanstandeten Äußerungen rechtfertigt die Bewertung, dass es sich bei ihnen nicht um für die Verbandspraxis atypische Ausnahmen handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 23). Dies ergibt sich aus der Häufigkeit der Verstöße, die bereits eine fortgesetzte Missachtung von Kompetenzgrenzen erkennen lässt, und nicht erst aus deren Relation zur Gesamtzahl aller Äußerungen im Betrachtungszeitraum. Daher war das Berufungsgericht nicht nach § 86 Abs. 1 VwGO gehalten, diese Relation zu ermitteln.

31 5. Die Prognose des Berufungsgerichts, es drohe keine konkrete Gefahr eines erneuten kompetenzüberschreitenden Handelns des Beigeladenen, verstößt jedoch gegen revisibles Recht.

32 Ob eine den Austrittsanspruch auslösende Wiederholungsgefahr in Gestalt einer konkreten Wahrscheinlichkeit künftiger Aufgabenüberschreitungen besteht, erfordert nach dem bindenden Maßstab des ersten Revisionsurteils eine tatrichterliche Prognose, die sämtliche Indizien für und gegen die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Grundrechtsverletzung in Betracht zieht. Als Indizien für das Drohen eines erneuten Kompetenzverstoßes kommen mehrfache oder häufige Missachtungen der Kompetenzgrenzen in Betracht, ebenso der Mangel an Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen und die Weigerung, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Überschreitungen zu treffen. Gegen eine Wiederholungsgefahr spricht, wenn der Dachverband die Kritik an einer Aufgabenüberschreitung konstruktiv aufgenommen, sich davon distanziert und geeignete Vorkehrungen gegen einen erneuten Kompetenzverstoß getroffen hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Verband den Mitgliedskammern und deren Pflichtmitgliedern die Möglichkeit eröffnet, künftige Überschreitungen der Kammerkompetenzen wirksam zu unterbinden, beispielsweise durch Einräumung eines Klagerechts gegen den Verband auf Unterlassen weiterer Kompetenzüberschreitungen oder durch die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle im Verband (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 23 f).

33 a) Gerichtlich ist eine auf Indizien gestützte Prognose darauf zu überprüfen, ob sie von einer zutreffenden Konkretisierung des rechtlichen Maßstabs ausgeht, sämtliche danach relevanten Anhaltspunkte berücksichtigt und diese in Übereinstimmung mit dem rechtlichen Maßstab gewichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 22.90 - BVerwGE 88, 312 <LS 3 und S. 320>). An die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ist das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO mangels wirksamer Verfahrensrügen gebunden. Die Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter den rechtlichen Maßstab unterliegt dagegen der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990 - 9 C 64.89 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 165; Eichberger/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2020, § 137 Rn. 150 m.w.N.).

34 b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sämtliche Indizien für und gegen eine Wiederholungsgefahr in die Prognose einer konkreten Gefahr eines erneuten Kompetenzverstoßes einzustellen sind. Es hat zu Recht angenommen, dass die im ersten Revisionsurteil genannten Gesichtspunkte, die gegen eine Wiederholungsgefahr sprechen, nicht stets kumulativ vorliegen müssen. Vielmehr sind eine Einsicht in vergangene Aufgabenüberschreitungen, eine konstruktive Aufnahme der Kritik daran, eine Distanzierung hiervon und geeignete Vorkehrungen des Verbandes gegen einen erneuten Kompetenzverstoß jeweils für sich in die gebotene Würdigung sämtlicher in Betracht kommender Indizien für und gegen eine Wiederholungsgefahr einzustellen (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 24, 41). Erst in der Gesamtwürdigung sind Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Indizien zu berücksichtigen.

35 c) Nach den für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO), nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts fehlt dem Beigeladenen die Einsicht in die festgestellten vergangenen Aufgabenüberschreitungen. Er hat die Verstöße bis auf wenige Ausnahmen weder in dem verbandsinternen Beschwerdeverfahren der Klägerin noch im gerichtlichen Verfahren zugestanden und die Kompetenzgrenzen der Kammern auch nach dem ersten Revisionsurteil fortgesetzt missachtet.

36 d) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass angesichts der fortgesetzten vielfältigen Aufgabenüberschreitungen und mangels Einsicht in diese Verstöße allein die verbandsinternen Vorkehrungen gegen eine Wiederholungsgefahr sprechen können. Dabei hat es zu Recht die bestehende Beschwerdemöglichkeit für ungeeignet gehalten, weiteren Verstößen vorzubeugen. Auch nach den letzten Satzungsänderungen des Beigeladenen fehlt die erforderliche Unabhängigkeit der Beschwerdestelle, weil nach wie vor ein Leitungsorgan des Beigeladenen über die Beschwerden entscheidet. Eine wirksame verbandsinterne Prävention setzt eine Kontrollinstanz voraus, die gegenüber den Verbandsorganen einschließlich des Vorstands unabhängig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 24 a.E.).

37 Revisionsrechtlich fehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, schon der satzungsrechtlich eingeräumte, klagefähige Anspruch der Pflichtmitglieder der Kammern auf Unterlassen künftiger Aufgabenüberschreitungen des Dachverbandes schließe eine Wiederholungsgefahr aus. Damit verfehlt es die Anforderungen, die das erste Revisionsurteil an Vorkehrungen zur wirksamen Verhinderung einer erneuten Aufgabenüberschreitung stellt. Gleichzeitig wird es dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes der Kammermitglieder nicht gerecht.

38 Als grundrechtlicher Unterlassungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 GG setzt der Anspruch eines Kammermitglieds auf Austritt seiner Kammer aus dem Dachverband bei Kompetenzüberschreitungen, die - wie hier - über vereinzelte "Ausreißer" hinausgehen, nur voraus, dass dem Betroffenen konkret eine rechtswidrige weitere Beeinträchtigung seines Grundrechts droht. Dazu genügt die konkrete Wahrscheinlichkeit einer künftigen, den Rahmen der Kammerkompetenz überschreitenden Tätigkeit des Verbandes (BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 18 und 23). Danach ist der Austrittsanspruch nicht erst dann gegeben, wenn anzunehmen ist, dass sich die Anzahl künftiger Kompetenzüberschreitungen aufgrund verbandsinterner Vorkehrungen gegen Wiederholungen (vgl. ebenda Rn. 24) schrittweise verringern wird. Er besteht bereits dann, wenn solche Vorkehrungen weitere Verstöße gegen das Grundrecht des Kammermitgliedes nicht zuverlässig verhindern können (vgl. ebenda Rn. 23 und Rn. 24: wirksam unterbinden).

39 Im Widerspruch dazu hält das Berufungsurteil es für ausreichend, dass die Zivilgerichte anlässlich der von ihm in Rechnung gestellten künftigen Klagen dem Beigeladenen ausgehend von konkreten Aufgabenüberschreitungen seine Kompetenzgrenzen weiter verdeutlichen und erforderlichenfalls die Unterlassung weiterer Kompetenzüberschreitungen mithilfe von Ordnungsgeld und Ordnungshaft wirksam erzwingen. Das Berufungsgericht hat damit eine Wiederholungsgefahr trotz einer Mehrzahl zukünftig zu erwartender Kompetenzüberschreitungen verneint. Diese Rechtsanwendung kann sich auch nicht darauf stützen, dass das erste Revisionsurteil ein Klagerecht der Pflichtmitglieder auf Unterlassen weiterer Aufgabenüberschreitungen beispielhaft als mögliche geeignete Vorkehrung gegen erneute Kompetenzverstöße aufgezählt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 24). Wie sich aus dem Begründungszusammenhang ergibt, wird damit weder die erforderliche Gesamtwürdigung aller Indizien für überflüssig erklärt, noch im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung unterstellt, ein solches Klagerecht genüge stets und unabhängig von der Einsicht des Verbandes in die Kompetenzgrenzen, den nötigen Schutz vor weiteren Aufgabenüberschreitungen zu gewährleisten. Vielmehr wird betont, dass es nicht ausreicht, wenn diese zwar nachträglich angegriffen, aber nicht zuverlässig verhindert werden können. Entscheidend ist, ob davon ausgegangen werden kann, dass weitere Kompetenzverstöße - gleich welcher Art - unterbleiben (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 23 f. und 41).

40 Das hat das Berufungsgericht bei der Prüfung der Geeignetheit und Effektivität des Klagerechts nicht berücksichtigt. Es hat übersehen, dass Unterlassungsklagen nur jeweils gleichartige weitere Rechtsverletzungen verhindern können. Dagegen können sie nicht ausschließen, dass es zu variierenden weiteren Aufgabenüberschreitungen kommt, die den effektiven Grundrechtsschutz vereiteln (dazu vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2016 - 10 C 4.15 - BVerwGE 154, 296 Rn. 23). Dieses Risiko durfte das Berufungsurteil angesichts der von ihm festgestellten Vielfalt fortgesetzter unzulässiger, teils allgemeinpolitischer, teils unsachlicher und teils einseitiger Äußerungen nicht ausblenden. Seine Erwägung, dem Beigeladenen könnten die Kompetenzgrenzen seiner Mitgliedskammern jeweils in weiteren gerichtlichen Entscheidungen verdeutlicht werden, nimmt eine Grundrechtsverletzung durch variierende Kompetenzüberschreitungen in Kauf.

41 6. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auf Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es hat in tatsächlicher Hinsicht mehrere künftige Kompetenzverstöße prognostiziert und angenommen, dass sich die Verbandspraxis des Beigeladenen erst durch mehrere zivilgerichtliche Verfahren einschließlich einer etwa erforderlichen Anwendung von Zwangsmitteln ändern wird. Daran ändert auch die vom Senat zu berücksichtigende zwischenzeitliche satzungsrechtliche Loslösung des Klagerechts vom verbandsinternen Beschwerdeverfahren nichts. Dies lässt eine Gesamtwürdigung, dass ein künftiger Grundrechtsverstoß zuverlässig verhindert wird, nicht zu.

42 Der Senat kann gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden, weil die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen eine abschließende Beurteilung ermöglichen. Danach steht der Klägerin ein Anspruch auf Austritt der Beklagten aus dem Beigeladenen zu. Nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen drohen nach mehrjährigen vielfältigen, trotz gerichtlicher Beanstandungen fortgesetzten Überschreitungen der Kammerkompetenz mangels Einsicht des Beigeladenen weitere Aufgabenüberschreitungen, die durch die von ihm getroffenen Vorkehrungen nicht wirksam verhindert werden können.

43 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss vom 16.02.2021 -
BVerwG 8 C 1.21ECLI:DE:BVerwG:2021:160221B8C1.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.02.2021 - 8 C 1.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:160221B8C1.21.0]

Beschluss

BVerwG 8 C 1.21

  • VG Münster - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
  • OVG Münster - 12.04.2019 - AZ: OVG 16 A 1499/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Februar 2021
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Beigeladenen gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2020 - BVerwG 8 C 23.19 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Aus ihrer Begründung ergibt sich nicht, dass der Senat den Anspruch des Beigeladenen auf rechtliches Gehör in seinem Urteil vom 14. Oktober 2020 in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

2 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch ihnen zu folgen. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Es kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2018 - 10 C 8.17 - BVerwGE 162, 244 Rn. 26).

3 Nach diesem Maßstab liegt eine Verletzung des Rechts des Beigeladenen auf rechtliches Gehör nicht vor.

4 1. Auf das Vorbringen zu § 65 Abs. 2 und § 144 Abs. 6 VwGO ist der Senat in Randnummer 19 und 20 seines Urteils eingegangen. Dass er dabei der Rechtsauffassung des Beigeladenen nicht gefolgt ist, begründet keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Der Begründung der Anhörungsrüge ist auch im Übrigen nicht zu entnehmen, dass der Senat insoweit entscheidungserhebliches Vorbringen des Beigeladenen übergangen hätte.

5 Das angegriffene Urteil geht in Randnummer 19 namentlich auf das Argument des Beigeladenen ein, nach dem bisherigen Verfahrensverlauf habe bis zur ersten Revisionsentscheidung kein Anlass bestanden, sich durch einen Antrag auf Beiladung Gehör zu verschaffen. Im Hinblick darauf hat der Senat ausgeführt, dass einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht geltend machen könne, wer es selbst versäumt habe, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der prozessrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen. Der Einwand, mit den Urteilserwägungen dazu würden die an den Beigeladenen zu stellenden Anforderungen überspannt, geht unzutreffend davon aus, dieser habe mit einer Änderung der vorinstanzlichen Entscheidungen im Revisionsverfahren nur bei einem entsprechenden Hinweis schon vor der Revisionsverhandlung rechnen müssen. Die Rüge, ein solcher Hinweis sei ausgeblieben, obwohl ein Beiladungsantrag ohne ihn nicht zumutbar habe gestellt werden können, legt ebenso wie das Vorbringen zu § 65 Abs. 2 VwGO lediglich eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung von Verfahrensrecht im ersten Revisionsverfahren dar, nicht aber eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im zweiten Verfahren.

6 2. Mit dem Vorbringen, das angegriffene Urteil gehe nicht ausdrücklich auf seinen Vortrag zur gewachsenen Bedeutung gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen nach dem Konzept der sog. Corporate Social Responsibility ein, zeigt der Beigeladene ebenfalls keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör auf. Dem angegriffenen Urteil liegt nach seiner Randnummer 20 gemäß § 144 Abs. 6 VwGO die rechtliche Beurteilung des zurückverweisenden Revisionsurteils vom 23. März 2016 zugrunde. Daraus ergibt sich, dass der Senat - anders als der Beigeladene - keine zum Wegfall der Bindungswirkung führende Änderung der Sach- und Rechtslage angenommen hat. Dies musste im Hinblick auf das von dem Beigeladenen erwähnte Konzept nicht gesondert ausgeführt werden.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.