Verfahrensinformation

Disziplinare Ahndung wiederholter morgendlicher Kernzeitverletzungen bei ausgeglichenem Gleitzeitkonto


Der beklagte Beamte steht als Oberregierungsrat im Dienst der klagenden Bundesrepublik Deutschland. Im März 2015 erlangte die Klägerin Kenntnis davon, dass der Beklagte in einer Vielzahl von Fällen die Kernarbeitszeit nicht eingehalten habe, weil er morgens zu spät gekommen sei. Daraufhin leitete die Klägerin im November 2015 ein Disziplinarverfahren ein. Auf die 2019 erhobene Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt, weil er im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 an insgesamt 816 Tagen bei bestehender Dienstfähigkeit den Dienst bewusst erst nach Beginn der Kernarbeitszeit angetreten habe. Der Umfang seiner Verspätung summiere sich auf 1 614 Stunden. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Es hat u.a. ausgeführt, dass in die Bemessung der Disziplinarmaßnahme auch eingeflossen sei, dass der Beklagte die morgendlichen "Verspätungsstunden" dadurch ausgeglichen habe, dass er abends im Rahmen der durch die Gleitzeit gegebenen Vorgaben in den Diensträumen verblieben sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, wie ein Fernbleiben vom Dienst bei einer Vielzahl von morgendlichen Verletzungen der Kernarbeitszeit disziplinarrechtlich zu beurteilen ist, wenn die Zeit der morgendlichen Verspätung durch abendliche Längerarbeit während der Gleitzeit ausgeglichen wird, sowie wann bei mehrfachen, zeitlich gestreckt auftretenden Dienstpflichtverletzungen die Einleitung des Disziplinarverfahrens als verspätet anzusehen und wie dies im Hinblick auf den Grundsatz der "stufenweisen Steigerung der Disziplinarmaßnahmen" bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen ist.


Pressemitteilung Nr. 23/2023 vom 28.03.2023

Disziplinare Ahndung wiederholter Kernzeitverletzungen bei ausgeglichenem Gleitzeitkonto

Der Dienstherr ist verpflichtet, bei Bekanntwerden wiederholter morgendlicher Verletzungen der Kernarbeitszeit zunächst dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend durch niederschwellige disziplinare Maßnahmen zeitnah auf den Beamten einzuwirken. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der beklagte Beamte steht als Oberregierungsrat (Besoldungsgruppe A 14 BBesO) im Dienst der klagenden Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Im März 2015 erlangte die Klägerin Kenntnis davon, dass der Beklagte in einer Vielzahl von Fällen die Kernarbeitszeit nicht eingehalten hatte, weil er morgens zu spät gekommen war. Daraufhin leitete die Klägerin im November 2015 ein Disziplinarverfahren ein. Auf die 2018 erhobene Disziplinarklage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt, weil er im Zeitraum zwischen 2014 und 2018 an insgesamt 816 Tagen bei bestehender Dienstfähigkeit den Dienst bewusst erst nach Beginn der Kernarbeitszeit angetreten habe; der Umfang seiner Verspätung summiere sich auf 1 614 Stunden. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein vorsätzliches Fernbleiben vom Dienst über einen Zeitraum von mehreren Monaten oder ein Fernbleiben für Teile von Arbeitstagen, das in der Summe einen vergleichbaren Gesamtzeitraum erreiche, indiziere die Höchstmaßnahme. Mildernde Umstände, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme geböten, lägen nicht vor.


Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revision des Beklagten die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und kraft eigener disziplinarer Maßnahmebemessung den Beamten in das Amt eines Regierungsrats (Besoldungsgruppe A 13 BBesO) zurückgestuft. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beamte hat zwar ein schweres Dienstvergehen begangen, weil er über einen langen Zeitraum wiederholt die dienstliche Anordnung zum Beginn der Kernarbeitszeit nicht befolgt hat; der verspätete Dienstantritt war die Regel. Die disziplinare Höchstmaßnahme ist aber nicht gerechtfertigt. Denn die aufaddierte Gesamtzeit der täglichen Verspätungen kann in ihrer Schwere nicht einem monatelangen unerlaubten Fernbleiben vom Dienst gleichgesetzt werden. Mildernd ist bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen, dass der Dienstherr bei zeitlich gestreckten Dienstpflichtverletzungen zunächst dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechend mit niederschwelligen disziplinaren Maßnahmen auf den Beamten einwirken muss. Im Streitfall wäre in Betracht gekommen, nach dem Bekanntwerden der Kernzeitverstöße im März 2015 zeitnah mit einer Disziplinarverfügung die Dienstbezüge zu kürzen. Allerdings steht diesem Milderungsgrund gegenläufig als besonders belastender Umstand gegenüber, dass der Beamte sein Fehlverhalten auch nach Einleitung des Disziplinarverfahrens uneinsichtig und beharrlich fortgesetzt und dabei die Dauer seiner morgendlichen Fehlzeiten in erheblichem Umfang gesteigert hat. Dagegen ist kein mildernder Umstand darin zu sehen, dass die Zeit der morgendlichen Verspätungen durch abendliche Längerarbeit ausgeglichen wurde. Andernfalls läge darin eine Nichterfüllung der Gesamtarbeitszeit, die als weitere vorwerfbare Dienstpflichtverletzung hinzutreten würde.


BVerwG 2 C 20.21 - Urteil vom 28. März 2023

Vorinstanzen:

OVG Münster, OVG 3d A 2713/19.BDG - Urteil vom 16. September 2020 -

VG Düsseldorf, VG 38 K 9264/18.BDG - Urteil vom 14. Mai 2019 -


Beschluss vom 01.12.2021 -
BVerwG 2 B 75.20ECLI:DE:BVerwG:2021:011221B2B75.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.12.2021 - 2 B 75.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:011221B2B75.20.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 75.20

  • VG Düsseldorf - 14.05.2019 - AZ: VG 38 K 9264/18.BDG
  • OVG Münster - 16.09.2020 - AZ: OVG 3d A 2713/19.BDG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dollinger
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 16. September 2020 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Revision des Beklagten ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Das Revisionsverfahren erscheint zur weiteren Klärung der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen geeignet, wie ein Fernbleiben vom Dienst i.S.d. § 96 Abs. 1 Satz 1 BBG bei einer Vielzahl von morgendlichen Verletzungen der Kernarbeitszeit disziplinarrechtlich zu beurteilen ist, wenn die Zeit der morgendlichen Verspätung durch abendliche Längerarbeit während der Gleitzeit ausgeglichen wird und wann ein Disziplinarverfahren bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen mit einzelnen, zeitlich gestreckt auftretenden Dienstpflichtverletzungen verspätet im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der "stufenweisen Steigerung der Disziplinarmaßnahmen" bei der Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 BDG zu berücksichtigen ist (vgl. dazu zuletzt BVerwG, Urteil vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - BVerwGE 163, 356 Rn. 20 f., 30).

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 C 20.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.