Pressemitteilung Nr. 66/2025 vom 12.09.2025
Ergänzendes Verfahren für Windenergieanlagen im Landkreis Göttingen
Kann sich ein Vorhaben außerhalb eines Vogelschutzgebietes nachteilig auf das geschützte Gebiet auswirken, bedarf es einer über eine Vorprüfung hinausgehenden Prüfung der Gebietsverträglichkeit. Die Prüfung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots ist auf den gegenwärtigen Bestand geschützter Tiere beschränkt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestern entschieden.
Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung von fünf Windenergieanlagen im Landkreis Göttingen (Niedersachsen), die mit umfangreichen Nebenbestimmungen (u.a. Abschaltungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Zeit von März bis August) zum Schutz des Rotmilans und weiterer Greifvögel verbunden ist. Die Windenergieanlagen sollen 1.300 m (nord-)östlich eines Vogelschutzgebiets und westlich eines Flora-Fauna-Habitat-Gebiets errichtet werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Genehmigung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist und es zur weiteren Prüfung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens eines ergänzenden Verfahrens bedarf. Unter anderem hat es das Fehlen einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung bemängelt. Zudem sei bei der Prüfung, ob durch das Vorhaben zulasten des Rotmilans das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verletzt wird, versäumt worden, auch sehr wahrscheinliche zukünftige Ansiedlungen von Vögeln zu berücksichtigen. Genehmigungserleichterungen im Zuge der EU-Notfall-Verordnung und des Windenergieflächenbedarfsgesetzes kämen dem Vorhaben nicht zugute.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der beigeladenen Trägerin des Vorhabens zurückgewiesen und das Erfordernis eines ergänzenden Verfahrens bestätigt, innerhalb dessen die fehlende Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung nachzuholen sein wird. Zwar erstreckt sich der Natura 2000-Gebietsschutz grundsätzlich nicht auf gebietsexterne Flächen, auch wenn diese von im Gebiet ansässigen Vorkommen geschützter Tierarten genutzt werden. Gleichwohl sind im vorliegenden Einzelfall erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht offensichtlich ausgeschlossen. Zum einen können hiernach bereits Einzelverluste des Rotmilans dessen Erhaltungszustand im Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen. Zum anderen werden die genehmigten Windenergieanlagen wiederkehrend von im Vogelschutzgebiet lebenden Rotmilanen zur Nahrungssuche in Richtung des benachbarten Flora-Fauna-Habitat-Gebiets überquert.
Die behördliche Prüfung, ob das genehmigte Vorhaben dem artenschutzrechtlichen Tötungsverbot gerecht wird, ist demgegenüber nicht zu bemängeln. Für die Genehmigungserteilung kommt es auf die Sachlage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung an. Zukünftige Entwicklungen sind deshalb grundsätzlich nicht maßgeblich. Zur deren Bewältigung bedarf es gegebenenfalls der Prüfung nachträglicher Anordnungen oder eines (teilweisen) Widerrufs der erteilten Genehmigung.
Genehmigungserleichterungen im Zuge der EU-Notfall-Verordnung und des Windenergieflächenbedarfsgesetzes kommen nicht in Betracht, weil im Zeitpunkt des Antrags auf die Genehmigungserleichterungen das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren bereits abgeschlossen und eine endgültige behördliche Entscheidung über die Genehmigungserteilung ergangen war.
BVerwG 7 C 10.24 - Urteil vom 11. September 2025
Vorinstanz:
OVG Lüneburg, OVG 12 KS 34/22 - Urteil vom 10. September 2024 -