Beschluss vom 05.08.2024 -
BVerwG 20 F 13.23ECLI:DE:BVerwG:2024:050824B20F13.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 05.08.2024 - 20 F 13.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:050824B20F13.23.0]
Beschluss
BVerwG 20 F 13.23
- OVG Bautzen - 26.10.2023 - AZ: 10 F 5/23
In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 5. August 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und Dr. Henke
beschlossen:
- Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Fachsenats des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2023 geändert.
- Die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 9. September 2022 ist rechtswidrig, soweit sie sich auf folgende Aktenbestandteile des zum Kläger angelegten Verwaltungsvorgangs des Beklagten bezieht:
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- Blatt 22: Text ab "ID ER-" bis "Donnerstag"
- Blatt 23 und 26: jeweils die Texte ab "Autonome bildeten" bis "Baustellenabsperrungen" sowie ab "In der weiteren Folge" bis "Barrikade verwendet"
- Blatt 24 und 27: jeweils die Texte ab "Mit Beginn der Sitzblockade" bis "Sitzenden errichtet" und ab "Status" bis "Arbeit" sowie den Halbsatz "Nach einiger Zeit werden die Mülltonnen angebrannt"
- Blatt 74: die Behördenabkürzung in der ersten Zeile unter "Postfach"
- Seite 77: Ziffer 1 Absätze 1 bis 3.
- Im Übrigen wird der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung abgelehnt. Seine weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I
1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgericht Chemnitz begehrt der Kläger weitere Auskunft über die zu seiner Person beim Beklagten gespeicherten Daten.
2 Im Hauptsacheverfahren hat der Berichterstatter den Beklagten mit der Eingangsverfügung aufgefordert, die vollständigen zur Sache gehörenden Akten vorzulegen und etwaige Auslassungen und Schwärzungen ausreichend zu begründen.
3 Daraufhin hat der Beklagte einen mit Schwärzungen versehenen Verwaltungsvorgang vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten hingegen unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 9. September 2022 verweigert.
4 Auf Antrag des Klägers wurde das Verfahren unter dem Briefkopf der betreffenden Kammer des Verwaltungsgerichts mit Schreiben vom 11. August 2023 im richterlichen Auftrag zur Durchführung eines "In-camera-Verfahrens" an den Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts unter Hinweis darauf abgegeben, dass ein Beweisbeschluss oder eine vergleichbare förmliche Äußerung des Hauptsachegerichts hinsichtlich der Bejahung der Entscheidungserheblichkeit des zurückgehaltenen Vorgangs nicht erforderlich sei, weil die geschwärzten Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich seien.
5 Der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2023 festgestellt, dass die Sperrerklärung rechtswidrig ist, soweit sie sich auf Seite 77 Ziffer 1 Absätze 1 bis 3 der über den Kläger angelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten mit dem Aktenzeichen 13-244-S-580002-0000-0009/2022 bezieht. Im Übrigen hat er die Sperrerklärung für rechtmäßig erklärt.
6 Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
7 Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung ist, soweit er noch verfahrensgegenständlich ist, zulässig und teilweise begründet.
8 1. Die Zulässigkeit eines Antrags auf Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen ordnungsgemäß bejaht hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2021 - 20 F 13.20 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dafür ist grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss erforderlich, der durch den Spruchkörper zu fassen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - juris Rn. 14). Es kann dahinstehen, ob das unter dem Briefkopf der betreffenden Kammer im richterlichen Auftrag verfasste Abgabeschreiben vom 11. August 2023 auf einen vorangegangenen Beschluss des Spruchkörpers schließen lässt. Denn eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit durch den Spruchkörper ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind, weil die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache - worauf vorliegend in dem Abgabeschreiben zutreffend abgestellt wurde - von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten bzw. Aktenteile geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. August 2023 - 20 F 8.23 - BA Rn. 6 m. w. N.).
9 2. Der Antrag ist über den vom Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts rechtskräftig festgestellten Umfang hinaus auch im Hinblick auf die weiteren im Tenor bezeichneten Aktenbestandteile begründet. Denn die Sperrerklärung ist auch insoweit rechtswidrig.
10 a) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO a. F. (nunmehr: § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO) die Vorlage der Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern.
11 aa) Zwar genügt die Sperrerklärung entgegen der Ansicht des Klägers den formalen Anforderungen. Aus ihr ergibt sich unter Berücksichtigung der ihr anliegenden Tabelle hinreichend genau, welche Weigerungsgründe zu welchen geschwärzten Aktenbestandteilen geltend gemacht werden. Dies gilt auch für die Schwärzungen auf Blatt 74. Zwar weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass in der Tabelle zu Blatt 74 in der Spalte "Mitarbeiterschutz" zwei nummerierte Schwärzungen (1, 2) aufgeführt sind und die Spalte "Funktionsfähigkeit" die Eintragung "alle übrigen Schwärzungen" enthält, die Schwärzungen auf Blatt 74 jedoch nicht nummeriert sind. Jedoch erschließt sich auch ohne Nummerierung anhand der offengelegten Inhalte von Blatt 74 und der sowohl in der Tabelle zu Blatt 73, 75, 76, 77 und 80 als auch in der teilgeschwärzten Fassung dieser Blätter bezifferten Schwärzungen, dass sich die beiden zu Blatt 74 in der Spalte "Mitarbeiterschutz" nummerierten Schwärzungen - wie bei Blatt 73, 75, 76, 77 und 80 - auf den Vornamen des Ansprechpartners bzw. der Ansprechpartnerin und dessen bzw. deren Telefondurchwahl beziehen. Hingegeben handelt es sich bei den weiteren Schwärzungen auf Blatt 74 um eine Behördenanschrift, eine Versandart und eine Paragraphenbezeichnung, die der Spalte "Funktionsfähigkeit" zuzuordnen sind.
12 bb) Die Sperrerklärung ist aber in materieller Hinsicht über den vom Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts rechtskräftig erklärten Umfang hinaus hinsichtlich einiger weiterer Aktenbestandteile rechtswidrig.
13 (1) Für die in der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO a. F. (nunmehr § 99 Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 und 3 VwGO) gelten folgende Maßstäbe:
14 (a) Ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 - 20 F 6.14 - juris Rn. 7 m. w. N.). Eine entsprechende Erschwernis kann sich daraus ergeben, dass bei einer umfangreichen Zusammenschau offengelegter Unterlagen Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen möglich werden. Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Arbeitstitel, Verfügungen, namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen, Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen sowie Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen, Verfügungsbögen und Deckblattberichte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 - 20 F 6.23 - juris Rn. 7 m. w. N.). Ebenso kommt der Weigerungsgrund nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO in Betracht, soweit in den geschwärzten Abschnitten Hinweise auf konkrete Kommunikationswege enthalten sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. April 2011 - 20 F 19.10 - juris Rn. 7 und vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - juris Rn. 22).
15 (b) Personenbezogene Daten im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Bei ihnen besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundrechtlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen. Vielmehr können auch Äußerungen und Angaben zur Sache geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht. Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Mitarbeiter von Verfassungsschutzbehörden. Ihre personenbezogenen Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass diese Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten (BVerwG, Beschluss vom 7. März 2024 - 20 F 6.23 - juris Rn. 8 m. w. N.). Anderes gilt bei Beschäftigten, welche die Behörden nach außen vertreten (BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2017 - 20 F 2.16 - juris Rn. 18), oder wenn die Daten anderweitig öffentlich bekannt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 22) oder dem betreffenden Kläger ersichtlich ohnehin in den jeweiligen Zusammenhängen bekannt sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 20 F 2.14 - juris Rn. 13). Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2021 - 20 F 4.21 - juris Rn. 8 m. w. N.).
16 (2) Eine Einsicht in die ungeschwärzte Fassung des Verwaltungsvorgangs durch den Senat hat ergeben, dass danach die Weigerung des Beklagten, die gesperrten Aktenteile vorzulegen, soweit sie über die Feststellung der Vorinstanz hinaus Gegenstand der Beschwerde sind, teilweise rechtswidrig ist.
17 Auf Blatt 22 ist der Text ab "ID ER-" bis "Donnerstag" nicht geheimhaltungsbedürftig, weil er auf Blatt 25 offengelegt wurde.
18 Auf Blatt 23 und 26 sind jeweils die Texte ab "Autonome bildeten" bis "Baustellenabsperrungen" sowie ab "In der weiteren Folge" bis "Barrikade verwendet" nicht geheimhaltungsbedürftig, weil diese Informationen teilweise auf Blatt 27 und 81 offengelegt wurden und teilweise in dem vom Kläger angeführten Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2014 (S. 224) erwähnt werden.
19 Auf Blatt 24 und 27 sind jeweils die Texte ab "Mit Beginn der Sitzblockade" bis "Sitzenden errichtet" und ab "Status" bis "Arbeit" offenzulegen, weil sie auf Blatt 27 offengelegt wurden. Zudem ist jeweils der Halbsatz "Nach einiger Zeit werden die Mülltonnen angebrannt" offenzulegen, weil dies im Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2014 (S. 224) erwähnt wird.
20 Auf Blatt 74 ist die Behördenabkürzung in der ersten Zeile unter "Postfach" nicht geheimhaltungsbedürftig. Dass die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Erkenntnisse austauschen, entspricht deren Aufgabe und ist deshalb ebenso wenig geheimhaltungsbedürftig wie der Umstand, dass in Fällen von Auskunftsersuchen Betroffener bei der Stelle, die die Information ursprünglich gewonnen hat, nachgefragt wird, ob Bedenken gegen die Erteilung einer Auskunft bestehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 20).
21 (3) Für die weiteren gesperrten Aktenbestandteile bestehen hingegen auch unter Berücksichtigung aller vom Kläger vorgetragenen Einwände die geltend gemachten Weigerungsgründe. Weitere bloße Teilschwärzungen in Bezug auf geschwärzte Passagen und entnommene Aktenbestandteile kommen nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2019 - 20 F 1.19 - juris Rn. 12 m. w. N.). Von einer über die Begründung des angefochtenen Beschlusses hinausgehenden Begründung wird abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten und elektronischen Dokumente nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 14 i. V. m. Satz 10 Halbs. 2 VwGO).
22 (4) Soweit ein Weigerungsgrund vorliegt, ist auch die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Ermessensausübung ermessensfehlerfrei. Der Beigeladene hat die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen sowie eine Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.
23 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.