Urteil vom 08.09.2016 -
BVerwG 10 CN 1.15ECLI:DE:BVerwG:2016:080916U10CN1.15.0
Bundesrechtliche Ermächtigung zu Anschluss- und Benutzungszwang an kommunale Fernwärmeversorgung
Leitsätze:
1. § 16 EEWärmeG stellt eine bundesrechtliche Befugnisnorm zum Anschluss- und Benutzungszwang an kommunale Fernwärmeeinrichtungen zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes dar. Sie ist von der Gesetzgebungshoheit des Bundes für den Bereich der Luftreinhaltung gedeckt.
2. Ein Anschluss- und Benutzungszwang nach § 16 EEWärmeG kann auch angeordnet werden, wenn die kommunale Fernwärmeeinrichtung die Standards der Nummer VIII der Anlage zum EEWärmeG nicht einhält. Erfüllt sie diese Standards, besteht eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung dafür, dass der Anschluss- und Benutzungszwang ein geeignetes Mittel zur Förderung des Klima- und Ressourcenschutzes darstellt.
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Rechtsquellen
GG Art. 28 Abs. 2, Art. 70, 74 Abs. 1 Nr. 24, Art. 84 Abs. 1 Satz 7 EEWärmeG §§ 1, 7 Abs. 1 Nr. 3, § 16, Nr. VIII der Anlage GO LSA § 8 Nr. 2 -
Instanzenzug
OVG Magdeburg - 10.04.2014 - AZ: OVG 4 K 180/12
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Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 08.09.2016 - 10 CN 1.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:080916U10CN1.15.0]
Urteil
BVerwG 10 CN 1.15
- OVG Magdeburg - 10.04.2014 - AZ: OVG 4 K 180/12
In der Normenkontrollsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2016
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Hoock und Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
am 8. September 2016 für Recht erkannt:
- Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 10. April 2014 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Gründe
I
1 Die Beteiligten streiten um einen klimapolitisch begründeten Anschluss- und Benutzungszwang an eine kommunale Fernwärmeversorgungseinrichtung.
2 Die Antragstellerin ist eine Wohnungsbaugenossenschaft, der im Gebiet der Antragsgegnerin, der Stadt H., zahlreiche Wohngrundstücke gehören. Eine Tochtergesellschaft der Stadtwerke betreibt eine Fernwärmeversorgung, die teilweise mit Verbrennung fossiler Brennstoffe, teilweise mit Kraft-Wärme-Koppelung und teilweise mit Biogas arbeitet. Die Antragsgegnerin beschloss am 27. September 2012 eine Klimasatzung (KS), in der unter Verweis auf § 16 EEWärmeG für einen Teil des Stadtgebiets ein Anschluss- und Benutzungszwang an die Fernwärmeversorgung angeordnet wurde. Dieser Zwang galt grundsätzlich ab der entsprechenden Erschließung der Grundstücke für Neubauten sowie für Bestandsbauten, sobald deren vorhandene Wärmeversorgungsanlage grundlegend erneuerungsbedürftig wurde, spätestens 20 Jahre nach Satzungserlass.
3 Die Antragstellerin hat beim Oberverwaltungsgericht beantragt, die Klimasatzung für unwirksam zu erklären. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, dass mit dem zwangsweisen Anschluss an die Fernwärmeversorgung im konkreten Fall keine Vorteile für den Klimaschutz verbunden seien.
4 Das Oberverwaltungsgericht hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und die Satzung in wesentlichen Teilen für unwirksam erklärt. Der Normenkontrollantrag sei nur hinsichtlich der begehrten Überprüfung der Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 11 KS unstatthaft, im Übrigen aber begründet. Nach der landesrechtlichen Regelung des § 8 Nr. 2 GO LSA könne ein Anschluss- und Benutzungszwang nur angeordnet werden, um die lokale Umweltsituation zu verbessern. Gehe es um den globalen Klimaschutz, sei auf § 8 Nr. 2 GO LSA i.V.m. § 16 EEWärmeG als Rechtsgrundlage zurückzugreifen. Auch in diesem Fall müsse von der Kommune ein dringendes öffentliches Bedürfnis im Sinne des § 8 Nr. 2 GO LSA festgestellt werden. Mit dem Erfordernis der Feststellung eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses räume das Gesetz der Gemeinde einen nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum ein. Der gerichtlichen Überprüfung unterliege lediglich die Frage, ob die Gemeinde bei der Feststellung eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses den Sinn und Zweck der gesetzlichen Grundlage verkannt, ob sie den zugrunde gelegten Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt habe und ob die Anordnung des Zwanges verhältnismäßig sei.
5 Im vorliegenden Fall habe die Antragsgegnerin den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Sie habe es unterlassen, einen Vergleich der vom Satzungsgebiet ausgehenden CO2-Emissionen mit und ohne Anschlusszwang an die Fernwärmeversorgung durchzuführen. Eine sachgerechte Entscheidung zur Feststellung eines dringenden öffentlichen Bedürfnisses hänge insbesondere davon ab, ob und in welchem Umfang bei einem Anschluss- und Benutzungszwang Reduzierungen der CO2-Emissionen zu erwarten seien. Es bedürfe der ortsbezogenen Überprüfung und Feststellung durch die Gemeinde, ob der aus globaler Sicht bestehende grundsätzliche Vorteil von mit Erneuerbaren Energien oder aus Kraft-Wärme-Koppelung gespeisten Blockheizkraftwerken gegenüber Einzelfeuerungsanlagen im Satzungsgebiet auch konkret umgesetzt werde.
6 Die Antragsgegnerin trägt mit ihrer Revision im Wesentlichen vor, dass das Oberverwaltungsgericht § 16 EEWärmeG zu Unrecht als Rechtsgrundverweisung auf die jeweiligen Vorschriften des landesgesetzlichen Kommunalrechts ausgelegt habe. Die Vorschrift müsse im Sinne einer Rechtsfolgenverweisung verstanden werden, so dass die zusätzliche Feststellung eines besonderen öffentlichen Bedürfnisses entbehrlich sei. Der Sinn und Zweck der Vorschrift verbiete es, den klimapolitisch motivierten Anschluss- und Benutzungszwang von einer örtlichen Überprüfung der Auswirkungen abhängig zu machen. Nach der Gesetzesbegründung genüge eine globale Auswirkung. Die globalen Klimaschutzeffekte stellten sich nicht dadurch ein, dass vor Ort eingesparte CO2-Erzeugung das Ortsklima weniger belaste, sondern dass der gemeinsame und gleichzeitige Erlass von Satzungen über den Anschluss- und Benutzungszwang in möglichst vielen Gemeinden in der Summe dazu führe, den Ressourcenverbrauch und die CO2-Erzeugung im Bundesgebiet zu senken. Um diesen Effekt zu ermitteln, bedürfe es keiner satzungsgebietsbezogenen CO2-Bilanz, weil jede auch nur pauschal vorhersehbare CO2-Einsparung stets einen Beitrag zum globalen Klimaschutz leiste.
7
Die Antragsgegnerin beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt vom 10. April 2014 zu ändern und den Antrag insgesamt abzulehnen.
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Die Antragstellerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Nach der Gesetzesbegründung zu § 16 EEWärmeG werde durch diese Vorschrift keine neue bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen. Es würden nur die bestehenden landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen für den Klima- und Ressourcenschutz geöffnet. Deren Voraussetzungen könnten im Einzelnen divergieren. In Sachsen-Anhalt habe sich der Landesgesetzgeber bei der Neufassung des Anschluss- und Benutzungszwangs in § 11 KVG LSA im Jahre 2014 bewusst dafür entschieden, auch in Fällen eines Anschluss- und Benutzungszwangs aus Gründen des globalen Klimaschutzes am Erfordernis des besonderen öffentlichen Bedürfnisses festzuhalten. Dies setze weiterhin den Nachweis voraus, dass theoretisch mögliche gesamtklimatische Vorteile der Fernwärmeversorgung durch die konkrete satzungsgebietsbezogene Maßnahme tatsächlich erzielt würden. Lege man § 16 EEWärmeG als Rechtsfolgenverweisung aus, sei die Vorschrift verfassungswidrig. Sie stelle dann einen unzulässigen Eingriff in das Recht des Landesgesetzgebers zur Regelung des Kommunalrechts dar. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts erweise sich im Übrigen auch aus anderen Gründen als richtig.
10 Während des Revisionsverfahrens hat die Antragsgegnerin eine auf das Satzungsgebiet bezogene Studie zu den CO2-Emissionen vorgelegt. Auf der Grundlage dieser "Treibhausgas-Studie" hat sie am 10. September 2015 eine neue Klimasatzung beschlossen und die hier streitgegenständliche Klimasatzung für die Zukunft aufgehoben. Die Antragstellerin hat im November 2015 einen Normenkontrollantrag gegen die neue Klimasatzung eingereicht.
II
11 Die Revision der Antraggegnerin hat in der Sache Erfolg. Der Fortführung des Rechtsstreits steht nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Satzung mittlerweile außer Kraft getreten ist (BVerwG, Beschluss vom 2. September 1983 - 4 N 1.83 - BVerwGE 68, 12 <14>). Es besteht jedenfalls mit Blick auf die im Jahr 2015 erlassene Nachfolgesatzung weiterhin ein Rechtsschutzinteresse an der Klärung der Frage, ob vor Erlass eines Anschluss- und Benutzungszwangs im Sinne des § 16 des Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz - EEWärmeG) vom 7. August 2008 (BGBl. I S. 1658) i.d.F. des Gesetzes vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 1634) eine Begutachtung der konkreten gesamtklimatischen Auswirkungen dieser Maßnahme geboten ist. Diese Annahme des Oberverwaltungsgerichts steht mit den bundesrechtlichen Vorschriften des § 1 EEWärmeG i.V.m. Nummer VIII der Anlage nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Denn aus diesen Vorschriften ergibt sich die unwiderlegliche gesetzliche Vermutung dafür, dass Fernwärmeeinrichtungen, die den Standards der Nummer VIII der Anlage genügen, den Zwecken des Klima- und Ressourcenschutzes dienen. Ob im vorliegenden Fall die Fernwärmeeinrichtung der Antragsgegnerin diese Standards erfüllt hat, bedarf ergänzender tatrichterlicher Feststellungen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
12 1. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtsgrundlage für den Anschluss- und Benutzungszwang an Fernwärmeeinrichtungen aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes in § 16 EEWärmeG i.V.m. § 8 Nr. 2 Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (Gemeindeordnung - GO LSA) i.d.F. der Bekanntmachung vom 10. August 2009 (GVBl. LSA 2009, 383) zu verorten ist. Es handelt sich um eine bundesrechtliche Erweiterung der landesrechtlichen Befugnisse zur Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs. Die Vorschrift bewirkt allerdings nicht lediglich - wie im Gesetzesentwurf (BT-Drs. 16/8169 S. 29) erwogen - eine Modifikation landesrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen. Denn der Bundesgesetzgeber ist nach den Art. 70 ff. GG nur zum Erlass eigener konkurrierender Bundesgesetze befugt, nicht aber zur Inhaltsbestimmung von Landesgesetzen. Ansonsten würde ein unklares Mischverhältnis aus Bundes- und Landesrecht entstehen, das dem System der verfassungsrechtlichen Kompetenznormen fremd ist und mit ihrer Abgrenzungsfunktion (Art. 70 Abs. 2 GG) nicht in Einklang stünde (BVerfG, Urteil vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 - BVerfGE 106, 62 <114>). Daher stellt § 16 EEWärmeG selbst eine bundesrechtliche Befugnisnorm dar, die jede Begründung eines Anschluss- und Benutzungszwangs an ein Netz der öffentlichen Fernwärme- oder Fernkälteversorgung zum Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes erfasst, ohne Rücksicht darauf, ob er das globale Gesamtklima oder das lokale Kleinklima betrifft.
13 Die bundesrechtliche Befugnisnorm des § 16 EEWärmeG setzt allerdings tatbestandlich eine landesrechtliche Ermächtigung der Kommunen gleichsam als Bedingung voraus und gestattet deren Einsatz für Zwecke des Klima- und Ressourcenschutzes. Die Vorschrift verweist zwar durch die Formulierung vom "Gebrauch machen" der landesrechtlichen Bestimmungen darauf, dass ergänzend Landesrecht in bestimmtem Umfang zur Anwendung kommt. Sie ermächtigt die Länder aber nicht, die im Bundesrecht geregelten Anforderungen an einen Anschluss- und Benutzungszwang in Bezug auf den Klimaschutz zu verschärfen, zu relativieren oder sonst zu verändern. Dabei kommt es auf die von der Revision aufgeworfene eher rechtsdogmatische Frage, ob man § 16 EEWärmeG als Rechtsgrundverweisung bezeichnen kann, nicht entscheidend an. Für die ergänzende Anwendung der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen - hier des § 8 Nr. 2 GO LSA - gilt jedenfalls der Vorrang des Bundesrechts. Die landesrechtliche Vorschrift kann daher nicht als Grundlage für zusätzliche verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Erfordernisse herangezogen werden, die den vorrangigen Vorgaben des § 16 EEWärmeG oder des sonstigen anwendbaren Bundesrechts widersprechen.
14 2. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, vor der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs an eine Fernwärmeeinrichtung nach § 16 EEWärmeG i.V.m. § 8 Nr. 2 GO LSA sei generell ein vergleichendes Gutachten über dessen gesamtklimatische Auswirkungen erforderlich, widerspricht den bundesrechtlichen Vorgaben des § 1 EEWärmeG i.V.m. Nummer VIII der An-lage.
15 a) Nach § 16 EEWärmeG genügt es, wenn der Anschluss- und Benutzungszwang den Zielen des Klima- und Ressourcenschutzes dient. Dabei spielt es für die grundsätzliche Anwendbarkeit der Befugnisnorm keine Rolle, ob die konkrete Fernwärmeeinrichtung den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage genügt, also im bestimmten (Mindest-)Umfang unter Einsatz Erneuerbarer Energien betrieben wird. Denn der Wortlaut des § 16 EEWärmeG schreibt dies nicht zwingend als Voraussetzung des Anschlusszwangs vor. Auch ist der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestags im Gesetzgebungsverfahren einer entsprechenden Änderungsempfehlung (vgl. Ausschuss-Drs. 16(16)394(B) S. 17) nicht gefolgt. Daher kann die Vorschrift auch angewendet werden, wenn die Standards der Nummer VIII der Anlage nicht eingehalten sind. § 16 EEWärmeG kann ferner ohne Einschränkung als neue bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage für alte Satzungen dienen, die bereits vor Erlass des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes aufgrund Landesrechts einen Anschluss- und Benutzungszwang aus Klimagründen begründet haben.
16 b) Ob der Anschluss- und Benutzungszwang an eine konkrete Fernwärmeeinrichtung, die nicht den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage genügt, allerdings ein geeignetes, erforderliches und zumutbares Mittel zur Verbesserung des Klima- und Ressourcenschutzes ist, bedarf nach der Rechtsprechung des Senats zu den früher maßgeblichen landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen der Überprüfung im Einzelfall (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2006 - 8 C 13.05 - BVerwGE 125, 68 Rn. 25 ff.). Daran hat sich auch durch die nunmehr zu beachtenden Vorgaben des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes nichts geändert. Die Prüfung der Geeignetheit des Anschlusszwangs zum Klimaschutz kann darum weiterhin die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machen. Denn es kann zweifelhaft sein, ob der Anschlusszwang an eine nicht den Standards der Nummer VIII der Anlage genügende zentrale Fernwärmeeinrichtung überhaupt in hinreichendem Umfang zur Reduktion der globalen CO2-Belastung im Vergleich zur Situation bei dezentraler Gebäudebeheizung beiträgt. Soweit das ergänzend anwendbare Landesrecht - wie hier § 8 Nr. 2 GO LSA - in verfahrensrechtlicher Hinsicht fordert, dass die Kommune bereits vor der Beschlussfassung der Satzung den entsprechenden Sachverhalt ermittelt, steht Bundesrecht dem nicht entgegen.
17 c) Genügt die Fernwärmeeinrichtung jedoch den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, begründet dies eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass der Anschluss- und Benutzungszwang von Gebäuden an eine solche Einrichtung zum Klima- und Ressourcenschutz geeignet ist.
18 Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz dient insgesamt dem Klimaschutz und der Ressourcenschonung (§ 1 Abs. 1 EEWärmeG). Es geht davon aus, dass dieser Zweck durch eine Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte gefördert wird (§ 1 Abs. 2 EEWärmeG). Die Eignung von Maßnahmen, welche den Anteil Erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte erhöhen, zur Verbesserung des Klimaschutzes wird damit vom Gesetz selbst normativ vorgegeben; sie bedarf keines tatsächlichen Nachweises mehr und ist auch einer tatsächlichen Widerlegung nicht zugänglich. Der Gesetzgeber hat über die Eignung der Erneuerbaren Energien zum (globalen) Klimaschutz vielmehr selbst abschließend entschieden.
19 Dies teilt sich dann aber den Maßnahmen mit, die das Gesetz selbst zur Zielerreichung ergreift. Im Mittelpunkt dieser Maßnahmen steht die Pflicht der Eigentümer von neu errichteten Gebäuden, ihren Wärme- und Kälteenergiebedarf durch die anteilige Nutzung von Erneuerbaren Energien nach näherer Maßgabe des Gesetzes zu decken (§ 3 Abs. 1 EEWärmeG). Diese Pflicht gilt unter anderem dann als erfüllt, wenn der Verpflichtete Fernwärme oder Fernkälte nach Maßgabe der Nummer VIII der Anlage zu diesem Gesetz bezieht und dies dazu führt, dass der Wärme- und Kälteenergiebedarf zu dem vorgeschriebenen Anteil aus Erneuerbaren Energien gedeckt wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 EEWärmeG). Dies zeigt, dass das Gesetz selbst davon ausgeht, dass Wärme- oder Kälteenergie, die von einer Einrichtung zur Fernwärme- oder Fernkälteversorgung bezogen wird, dann als geeignet zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks gilt, wenn diese Einrichtung die Voraussetzungen nach Nummer VIII der Anlage zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz erfüllt.
20 Dass der Anschluss an eine solche Fernwärme- oder Fernkälteeinrichtung einen wesentlichen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz leistet, bedarf daher - unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls - keiner weiteren Ermittlung. Eine Auslegung und Anwendung des § 8 Nr. 2 GO LSA, die der Kommune bei einer den Standards der Nummer VIII der Anlage entsprechenden Anlage gleichwohl die Einholung eines Eignungsgutachtens abverlangt, widerspricht diesen bundesrechtlichen Vorgaben.
21 d) Im vorliegenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht keine ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen zu der zwischen den Parteien umstrittenen Frage getroffen, ob die lokale Fernwärmeeinrichtung den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage in der Vergangenheit entsprochen hat. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Anschluss- und Benutzungszwangs kommt es dabei auf den Zeitpunkt des Satzungserlasses und auf die bei Inkrafttreten der Satzung zu erwartende Situation an. Arbeitet eine Anlage im Sinne der Nummer VIII Nr. 1 Buchst. c der Anlage mit Kraft-Wärme-Koppelung (KWK), muss bei Satzungserlass die Prognose möglich sein, dass die in dem Wärmenetz verteilte Wärme dauerhaft zu mindestens 50 Prozent aus KWK-Anlagen stammt. In diesem Fall greift die gesetzliche Eignungsvermutung ein. Maßgeblich ist, dass der Anteil von 50 Prozent im Jahresdurchschnitt erreicht wird, weil die Nummer VIII der Anlage auch ansonsten auf Jahreswerte Bezug nimmt und weil auch Art. 3 Buchst. g, vgl. Anhang II Buchst. f der Richtlinie Nr. 2004/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über die Förderung einer am Nutzwärmebedarf orientierten Kraft-Wärme-Koppelung im Energiebinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 92/42/EWG (ABl. L 52 S. 58) grundsätzlich vom Jahreswert ausgeht.
22 Auch wenn es für die Rechtmäßigkeit des Anschluss- und Benutzungszwangs auf die Situation bei Satzungserlass ankommt, ist die Kommune verpflichtet, auch in den Folgejahren die Einhaltung des in der Nummer VIII der Anlage vorgeschriebenen Mindestwerts zu überwachen. Die Verpflichtung zu dauerhafter Überwachung folgt schon daraus, dass bei der späteren Errichtung neuer Gebäude der Anschluss an die Fernwärmeeinrichtung nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 EEWärmeG nur dann als Ersatzmaßnahme zulässig ist, wenn die Anlage auch dann noch den Anforderungen der Nummer VIII der Anlage genügt. Bei dauerhafter Unterschreitung der vorgeschriebenen Werte in den Folgejahren muss sich die Kommune aber auch deswegen der fortbestehenden Eignung des Anschlusszwangs für den Klimaschutz notfalls durch Sachverständigengutachten vergewissern, um eine unverhältnismäßige Belastung der Eigentümer von Bestandsbauten in ihren Grundrechten zu verhindern.
23 Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass bei Satzungserlass im Jahr 2012 eine entsprechende positive Prognose für die dauerhafte Einhaltung des geforderten Standardwerts möglich gewesen ist. Daher bedarf dieser Punkt zur Vermeidung eines Bundesrechtsverstoßes der tatrichterlichen Aufklärung.
24 3. Gegen die damit gebotene Zurückverweisung kann nicht eingewendet werden, dass es bei § 16 EEWärmeG ohnedies an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehle. Die vom Bundesrat gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 16 EEWärmeG vorgetragenen Bedenken (BT-Drs. 16/8149 S. 37) greifen nicht durch. Dem Bund fehlt weder die erforderliche Gesetzgebungsbefugnis, noch verletzt § 16 EEWärmeG die kommunale Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) oder das Verbot der Aufgabenübertragung an Kommunen (Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG).
25 a) Der Bund hat mit § 16 EEWärmeG von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für die Luftreinhaltung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) Gebrauch gemacht. Regelungsgegenstand und -inhalt des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ist die Umstellung von Heizungs-, Warmwasserbereitungs- und Kühlanlagen in Neu- und Bestandsbauten von der bislang marktüblichen klimabelastenden Verbrennung fossiler Brennstoffe auf eine weniger klimaschädliche Verwendung Erneuerbarer Energien oder den Einsatz brennstoffreduzierender Technologien. Im Kern geht es dabei um die Reduzierung des die Luftreinheit belastenden Treibhausgasausstoßes bei der Verfeuerung fossiler Brennstoffe. Soweit §§ 1 und 16 EEWärmeG neben dem Hauptzweck des Gesetzes, dem Klimaschutz durch Luftreinhaltung (CO2-Reduzierung), auch Nebenzwecke wie den Ressourcenschutz benennen, ändert dies nichts daran, dass die Regelung im Schwerpunkt auf der konkurrierenden Befugnis des Bundes für die Luftreinhaltung beruht. Darauf kommt es an (BVerfG, Urteil vom 12. März 2008 - 2 BvF 4/03 - BVerfGE 121, 30 <47>); darum gewährt Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG als die gegenüber Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG speziellere Norm (vgl. Rengeling/Szczekalla, BoK, Stand 2007, Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG, Rn. 60) dem Bund die erforderliche Befugnis zur konkurrierenden Gesetzgebung.
26 b) Der Bund greift mit der Einräumung einer Befugnis zur Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs an eine kommunale Fernwärmeeinrichtung in § 16 EEWärmeG auch nicht in unzulässiger Weise in die Gesetzgebungsbefugnis der Länder für das Kommunalrecht oder in die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen (Art. 28 Abs. 2 GG) ein. Die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für den Bereich des Kommunalrechts ergibt sich nicht aus einer ausdrücklichen Erwähnung im Grundgesetz. Sie folgt nach Art. 70 Abs. 1 GG daraus, dass das Kommunalrecht in dem die Zuständigkeiten des Bundes begründenden Gesetzgebungskatalog der Art. 73, 74 GG nicht erwähnt ist. Dies hindert jedoch nicht, dass der Bund - wie hier nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG - von einer ihm zustehenden Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch macht, vorausgesetzt, er beachtet hierbei die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG (BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 1980 - 2 BvR 584/76 u.a. - BVerfGE 56, 298 <310 f. >; BVerwG, Urteil vom 23. November 2005 - 8 C 14.04 - NVwZ 2006, 595 Rn. 17 m.w.N.).
27 Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Die gemeindliche Selbstverwaltung ist hiernach nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet, wozu auch Bundesgesetze zählen. Zwar steht sie dem Gesetzgeber nicht beliebig offen; zulässig sind aber Regelungen, für die sachliche Gründe des überörtlichen gemeinen Wohls streiten und welchen der Gesetzgeber auch angesichts der grundsätzlichen Entscheidung des Verfassungsgebers für eine im Zweifel dezentrale Aufgabenwahrnehmung vertretbar den Vorzug gab, sofern der sogenannte Kernbereich der Garantie - die identitätsbestimmenden Merkmale der kommunalen Selbstverwaltung - unangetastet bleiben (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619, 1628/83 - BVerfGE 79, 127 <146 ff.>). Dass diese Grenzen hier überschritten wären, ist nicht ersichtlich. Der Bundesgesetzgeber verfolgte ein überörtliches, nämlich bundesweites Klimaschutzkonzept, in welches er die örtliche Energie- und Wärmeversorgung als bedeutsamen Faktor einbeziehen wollte. Dabei hat er die kommunale Autonomie in weitem Umfang respektiert, weil § 16 EEWärmeG die Entscheidung über das "Ob" eines Anschluss- und Benutzungszwangs zum Zwecke des Klima- oder Ressourcenschutzes vollumfänglich der eigenverantwortlichen Entscheidung der Gemeinden und Gemeindeverbände überträgt.
28 c) Schließlich verstößt § 16 EEWärmeG auch nicht gegen das in Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG enthaltene Verbot, den Gemeinden und Gemeindeverbänden durch Bundesgesetz Aufgaben zu übertragen. Denn die Norm verbietet nur die Übertragung neuer Aufgaben vom Bund unmittelbar auf die Kommunen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2010 - 2 BvL 8/07, 9/07 - BVerfGE 126, 77 <103 f.>). Sie verbietet keine bundesrechtlichen Vorschriften, die nur die Art und Weise der Erledigung bereits bestehender Aufgaben neu bestimmen (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 14. Aufl. 2016, Art. 84 Rn. 13). § 16 EEWärmeG stellt lediglich eine solche Aufgabenbestimmungsnorm dar. Die Vorschrift setzt die landesrechtlich geregelte Aufgabe der Gemeinden, in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit öffentliche Einrichtungen - hier Fernwärmeversorgungseinrichtungen - bereitzustellen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 GO LSA; § 4 Satz 2 KVG LSA), voraus. Hieran wird durch § 16 EEWärmeG nichts geändert; der Aufgabenkreis der Gemeinden wird weder um zusätzliche Aufgaben erweitert noch verkürzt. § 16 EEWärmeG betrifft lediglich die Modalitäten der Aufgabenwahrnehmung, indem er mit dem Instrument des Anschluss- und Benutzungszwangs aus Gründen des Klimaschutzes den Kommunen eine zusätzliche Handlungsoption eröffnet.
29 Da § 16 EEWärmeG mit der Verfassung in Einklang steht, erweist sich die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die Streitsache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.