Beschluss vom 09.01.2024 -
BVerwG 1 WNB 14.22ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B1WNB14.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.01.2024 - 1 WNB 14.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B1WNB14.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 14.22

  • TDG Nord 1. Kammer - 31.05.2022 - AZ: N 1 BLa 22/20 und N 1 RL 5/22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 9. Januar 2024 beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 31. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) liegen nicht vor oder sind für die angefochtene Entscheidung nicht erheblich.

2 1. Ohne Erfolg bleibt zunächst die Rüge, das Truppendienstgericht habe den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es Unterlagen zum Verfahren beigezogen und eine Stellungnahme zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung eingeholt habe, ohne sie hierüber in Kenntnis zu setzen.

3 a) Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, sich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite und deren Rechtsauffassung erklären zu können (vgl. zum gesamten Folgenden BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2019 - 1 WNB 7.18 - juris Rn. 4 f. mit zahlreichen Nachweisen zur Rspr. des BVerfG; vgl. ferner Beschluss vom 28. Juni 2018 - 1 WRB 1.18 - NZWehrr 2018, 251 <251>). Um zu gewährleisten, dass eine Partei sich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite und deren Rechtsauffassung effektiv äußern kann, muss das streitentscheidende Gericht alle Äußerungen, Anträge und Stellungnahmen den anderen Beteiligten bekannt geben. Es muss über alles informiert werden, woraus sich der auf die gerichtliche Entscheidung zulaufende Streitstand im Laufe des Prozesses aufbaut. Eine Nachforschungspflicht des Berechtigten, ob sich der Gegner geäußert hat, besteht nicht.

4 Der in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich - über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hinaus - auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Beweisergebnisse, ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt. Hiernach sind nach § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO und ergänzend nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung Stellung nehmende Schriftsätze insbesondere von im vorgerichtlichen Verfahren beteiligten Behörden dem Antragsteller zu übersenden, damit dieser über alle vom Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigten Tatsachendarstellungen, Würdigungen vorliegender Beweismittel und Rechtsauffassungen informiert ist und über die Notwendigkeit einer weiteren Stellungnahme hierzu entscheiden kann.

5 b) Nach diesen Maßstäben hat das Truppendienstgericht zwar den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör verletzt, indem es Unterlagen (insbesondere aus dem Disziplinarverfahren) zum Verfahren beigezogen hat, ohne die Antragstellerin darüber zu informieren, und indem es ihr auch nicht die Stellungnahme des ... (als Prozessvertreter des Dienstherrn) übermittelt hat. Auf diesem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung jedoch nicht beruhen.

6 aa) Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie hätte bei korrekter Übermittlung der Stellungnahme des ... vortragen können, dass es nicht den Tatsachen entspreche, dass sie nach Auslaufen der Vereinbarung zur Telearbeit ohne Genehmigung dem Präsenzdienst ferngeblieben sei, und ihr vielmehr rückwirkend für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis 30. September 2019 mobiles Arbeiten gestattet worden sei, fehlt es an einem Kausalzusammenhang zwischen dem Gehörsverstoß und der Möglichkeit der Antragstellerin, sich sachgerecht zu dem für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Prozessstoff zu äußern.

7 Der Vorwurf, die Antragstellerin habe ohne Genehmigung weiterhin Dienst gemäß der ursprünglichen Telearbeitsvereinbarung geleistet, obwohl sie zumindest hätte erkennen können, dass diese ausgelaufen sei, stellt keinen neuen, sondern in der Stellungnahme des ... lediglich wiederholten Vortrag dar. Bereits der Bescheid des ... vom 24. September 2019, mit dem der streitgegenständliche Antrag auf eine erneute Genehmigung von Telearbeit abgelehnt wurde, und der Beschwerdebescheid des ... vom 13. November 2019 haben ausweislich der Entscheidungsgründe (Seite 3 bzw. 4) – neben dem Vorwurf mehrfacher Verstöße gegen die ursprüngliche Telearbeitsvereinbarung - tragend auf diesen Gesichtspunkt abgestellt. Die Antragstellerin hatte deshalb vom Beginn des gesamten Wehrbeschwerdeverfahrens an Kenntnis davon, dass ein maßgeblicher Grund dafür, dass ihr ein Mangel an persönlicher Vertrauenswürdigkeit entgegengehalten wurde, in der ungenehmigten Fortsetzung der Telearbeit nach dem Auslaufen der ursprünglichen Vereinbarung lag. Der Antragstellerin war damit nicht nur die Bedeutung dieses Gesichtspunkts bewusst. Sie hatte auch die Möglichkeit, sich im gerichtlichen Verfahren hierzu zu äußern und ggf. Entlastendes vorzutragen. Die Notwendigkeit und Möglichkeit, sich zu den tragenden Gründen für die Ablehnung weiterer Telearbeit zu äußern, wurde durch das Unterlassen, ihr die Stellungnahme des ... zu übermitteln, nicht berührt.

8 Im Übrigen hat die Antragstellerin ausweislich der Entscheidungsgründe (Seite 4) bereits mit ihrer Ausgangsbeschwerde vom 30. September 2019 vorgebracht, dass ihr mobiles Arbeiten als Übergangslösung genehmigt worden sei. Ebenso hat sie die mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (als Anlage AST 1) vorgelegte (rückwirkende) Genehmigung für mobiles Arbeiten für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis 30. Juni 2019 bereits zusammen mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19. Mai 2020 (dort Anlage AST 4) dem Truppendienstgericht vorgelegt, was auch aus den Entscheidungsgründen (Seite 3) hervorgeht.

9 bb) Soweit die Antragstellerin außerdem geltend macht, sie hätte bei Übermittlung der Stellungnahme des ... und Information über die beigezogenen Akten vortragen können, dass sie hinsichtlich der Abweichung der Präsenzzeiten auf Befehl ihrer jeweiligen Vorgesetzten gehandelt habe, betrifft dies einen Gesichtspunkt, der für das Truppendienstgericht nicht erheblich war, so dass dessen Entscheidung insoweit nicht auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.

10 Das Truppendienstgericht hat die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Genehmigung zur Telearbeit als rechtmäßig bestätigt. Es hat diese Entscheidung ausschließlich darauf gestützt, dass der Antragstellerin zu Recht vorgehalten werden durfte, dass sie nach dem Ende ihrer bis 31. März 2019 genehmigten Telearbeit zunächst nicht wieder in das Präsenzmodell zurückgekehrt sei, obwohl sie einen entsprechenden Verlängerungsantrag nicht gestellt habe, und dass sie damit bis zu ihrer tatsächlichen Rückkehr am 12. Juni 2019 ohne Erlaubnis nicht in dem für sie vorgesehenen Arbeitszeitmodell mit einer vollen Dienstleistung am Arbeitsplatz teilgenommen habe (Entscheidungsgründe Seite 17). Das Truppendienstgericht hat ausdrücklich dahingestellt gelassen, ob die weiteren im Beschwerdebescheid angeführten Gründe ebenfalls die Annahme gerechtfertigt hätten, dass die Antragstellerin nicht vertrauenswürdig sei; allein die Fortführung der nicht mehr genehmigten Telearbeit reiche hierfür bereits aus (Entscheidungsgründe Seite 18).

11 Soweit sich die Antragstellerin deshalb durch den Gehörsverstoß gehindert sieht, sich zu ihr vorgehaltenen Pflichtverletzungen während der Geltung der ursprünglichen Telearbeitsvereinbarung zu äußern, betrifft dies einen Teil der Ablehnungsgründe, der für das Truppendienstgericht ausdrücklich nicht entscheidungserheblich war. Damit kommt auch dem Verfahrensmangel keine Relevanz für die Entscheidung zu.

12 2. Auch die Aufklärungsrüge, mit der die Antragstellerin die mangelnde Auswertung eines Auszugs aus der Disziplinarakte durch das Truppendienstgericht rügt, greift nicht durch.

13 a) Die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge setzt unter anderem die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann. Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Februar 2020 - 1 WNB 7.19 - juris Rn. 3 und vom 21. Juli 2022 - 1 WNB 2.22 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.).

14 b) Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, dass das Truppendienstgericht den Auszug aus der Disziplinarakte, den die Antragstellerin ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19. Mai 2020 als Anlage AST 18 beigefügt und als Beweismittel benannt hatte, bei der Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hätte. Denn in der Zusammenfassung der Antragsbegründung der Antragstellerin geben die Entscheidungsgründe (Seite 12) ausdrücklich die wesentlichen Aussagen wieder, die sich aus dem vorgelegten Disziplinaraktenauszug nach Auffassung der Antragstellerin ergeben (wie zum Beispiel, dass "von 43 angeblichen Fehlbuchungen ... nur fünf streitig" seien).

15 Unabhängig davon fehlt es jedoch auch insoweit an der Entscheidungserheblichkeit der sich aus dem Aktenauszug ergebenden Tatsachen. Nach der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts war allein die Tatsache maßgeblich, dass die Antragstellerin nach Auslaufen der ursprünglichen Vereinbarung zur Telearbeit für rund zweieinhalb Monate nicht Präsenzdienst geleistet, sondern ohne Genehmigung weiterhin Telearbeit (nach dem Muster der ausgelaufenen Vereinbarung) verrichtet hat. Auf die sich aus dem Disziplinaraktenauszug ergebenden Einzelpunkte (größtenteils aus der Zeit während der Geltung der ursprünglichen Telearbeitsvereinbarung) und deren disziplinare Würdigung durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft kam es dabei nicht an.

16 3. Ein Verfahrensmangel ergibt sich schließlich nicht aus einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz.

17 a) Gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse zieht als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - 2 WNB 8.20 - DÖD 2021, 194 Rn. 25 m. w. N.).

18 b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes hier nicht vor.

19 Aus den Entscheidungsgründen (Seite 3) ist zunächst ersichtlich, dass das Truppendienstgericht seiner Entscheidung die relevanten Unterlagen zur Arbeitssituation der Antragstellerin zugrunde gelegt hat:
"Am 10. Juni 2019 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Verlängerung der Nutzung eines Telearbeitsplatzes und gab als gewünschten Verlängerungszeitraum den Zeitraum 1. April 2019 bis 30. März 2020 an. Dieser Antrag wurde, soweit aus den Unterlagen ersichtlich, nicht beschieden. In den Zeiträumen 1. April 2019 bis 30. September 2019 stimmte der Vorgesetzte Anträgen auf 'Mobiles Arbeiten' der Antragstellerin zu."

20 Die vom Truppendienstgericht hieraus gezogenen Schlussfolgerungen verstoßen auch nicht gegen die Denkgesetze. Denn für das Truppendienstgericht kam es nicht auf die - erst durch die spätere Bewilligung von mobilem Arbeiten rückwirkend hergestellte - Genehmigungssituation an. Maßgeblich für das Gericht waren vielmehr die tatsächlichen Umstände, wie sie sich für die Antragstellerin nach Auslaufen ihrer ursprünglichen Telearbeitsvereinbarung zum 31. März 2019 darstellten; danach verfügte die Antragstellerin im Zeitraum vom 1. April 2019 bis 12. Juni 2019 weder über eine Genehmigung zur Telearbeit noch über die erst später rückwirkend erteilte Genehmigung zum mobilen Arbeiten, so dass sie "bis zu ihrer tatsächlichen Rückkehr am 12. Juni 2019 und ohne hierzu eine Erlaubnis besessen zu haben, nicht in dem für sie vorgesehenen Arbeitszeitmodell mit einer vollen Dienstleistung am Arbeitsplatz teilgenommen" hat (Entscheidungsgründe Seite 17). Dies stellt eine zumindest vertretbare und jedenfalls nicht gegen Denkgesetze verstoßende Würdigung durch das Truppendienstgericht dar, die deshalb auch nicht den Überzeugungsgrundsatz verletzt (vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2018 - 1 WNB 1.18 - NVwZ-RR 2018, 861 Rn. 10).

21 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.