Beschluss vom 09.10.2025 -
BVerwG 4 B 3.25ECLI:DE:BVerwG:2025:091025B4B3.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 09.10.2025 - 4 B 3.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:091025B4B3.25.0]
Beschluss
BVerwG 4 B 3.25
- VG Aachen - 16.02.2022 - AZ: 3 K 3331/18
- OVG Münster - 05.12.2024 - AZ: 7 A 828/22
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 9. Oktober 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 2024 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 97 500 € festgesetzt.
Gründe
1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2025 - 4 BN 37.24 - juris Rn. 2 m. w. N.).
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Die Fragen,
ob § 29 UVPG auf "nur vorprüfungspflichtige Vorhaben" Anwendung findet,
ob nach § 29 UVPG eine Vorprüfung in Bauvorbescheidsverfahren, insbesondere solchen, die sich unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme auf die Art der baulichen Nutzung beschränken, (zwingend) durchzuführen ist und
ob die Bestandsschutzregelung in § 9 Abs. 5 UVPG bei der Erweiterung der Verkaufsfläche durch den Abriss und Neubau eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes Anwendung findet (und nicht nur bei der Änderung/Erweiterung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes wie vorliegend beim Lidl-Markt im Parallelverfahren),
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Sie betreffen ausschließlich die Auslegung von Normen des irrevisiblen Landesrechts.
4 Im Streit steht die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids für die Errichtung eines Lebensmitteldiscounters mit einer Verkaufsfläche von 1 300 m² gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin abgelehnt, weil der Vorbescheidsantrag nicht bescheidungsfähig sei. Die nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BauPrüfVO NW beizufügenden Bauvorlagen für die erforderliche Umweltverträglichkeitsvorprüfung fehlten. Nach dem gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 UVPG NRW anzuwendenden § 29 Abs. 1 Satz 1 UVPG sei die Umweltverträglichkeitsprüfung Bestandteil des Vorbescheidsverfahrens und damit auch die vorgeschaltete Vorprüfung nach § 7 UVPG. Die Vorprüfung sei nicht mit Blick auf die Bestandsschutzregel des § 9 Abs. 5 UVPG entbehrlich. Den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag hat das Berufungsgericht als unbegründet angesehen, weil der Vorbescheidsantrag aus denselben Gründen "auch in diesem Zeitpunkt" nicht bescheidungsfähig gewesen sei.
5 Der Verweis in der landesrechtlichen Norm auf das Bundesgesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung stellt den erforderlichen Bundesrechtsbezug nicht her. Wird eine Vorschrift des Bundesrechts auf der Grundlage des Landesrechts herangezogen, um das Landesrecht zu ergänzen oder auszulegen, wird die Vorschrift Teil des Landesrechts und entzieht sich damit revisionsrechtlicher Überprüfung (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 2014 - 9 B 7.14 - juris Rn. 3 m. w. N.). Sind Normen des Landes- und des Bundesrechts durch Bezugnahmen verschränkt, liegt revisibles Bundesrecht i. S. d. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO dann vor, wenn die Anwendung der Norm des Bundesrechts auf den konkret geregelten Sachverhalt auf dem Gesetzesbefehl eines Rechtsetzungsorgans des Bundes beruht. Kommt die Norm des Bundesrechts hingegen aufgrund eines Normsetzungsbefehls des Landesgesetzgebers zur Anwendung, ist sie nicht revisibel. Verweist das Landesrecht auf eine Norm des Bundesrechts, wird diese aufgrund eines Normsetzungsbefehls des Bundes angewendet, wenn sich ihr sachlicher Anwendungsbereich durch die Verweisung nicht ändert. Demgegenüber ist der Normsetzungsbefehl des Landes maßgeblich, wenn die Verweisung auf das Bundesrecht dessen sachlichen Anwendungsbereich, wie der Bundesgesetzgeber ihn bestimmen konnte und wollte, erweitert (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Februar 2013 - 7 C 4.12 - Buchholz 406.27 § 149 BBergG Nr. 3 Rn. 14 und vom 18. Juni 2020 - 3 C 2.19 - VRS 139, 94 <99>; Beschlüsse vom 16. April 2003 - 9 B 81.02 - NVwZ 2003, 995 <996>, vom 2. Juli 2009 - 7 B 9.09 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 36 Rn. 6 und vom 20. August 2014 - 9 B 7.14 - a. a. O.).
6 So liegt es hier. Die bundesrechtlichen Vorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung werden aufgrund des Normsetzungsbefehls des Landesgesetzgebers angewandt und dienen der Ergänzung des Landesrechts. Ihr sachlicher Anwendungsbereich wird durch die vom Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Land Nordrhein-Westfalen erfassten Regelungsbereiche erweitert. Die im maßgebenden Zeitpunkt der Berufungsentscheidung über die Verpflichtungsanträge geltende Fassung des Gesetzes vom 26. März 2019 (GV. NRW. S. 193, UVPG NRW) sieht in § 1 Abs. 1 Satz 1 vor, dass das (Bundes-)Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der jeweils geltenden Fassung auf Vorhaben anzuwenden ist, für die nach Anlage 1 die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist (vgl. auch LT-Drs. 13/4784 S. 23 f. zu § 1 UVPG NRW Fassung 2004, LT-Drs. 17/5002 S. 32). Folglich gelten für das hier streitgegenständliche Vorhaben eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes, das zu den landesrechtlich begründeten UVP-vorprüfungspflichtigen Vorhaben zählt (vgl. Nr. 12 der Anlage 1 zu § 1 UVPG NRW), die bundesrechtlichen Regelungen für die Umweltverträglichkeitsprüfung bei Teilzulassungen (§ 29 UVPG) und für die UVP-Pflicht bei Änderungsvorhaben (§ 9 Abs. 5 UVPG) kraft Verweisung als Landesrecht.
7 In Bezug auf die Revisibilität des anzuwendenden Rechts ergibt sich für den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nichts Anderes, ungeachtet dessen, ob er sich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans oder überdies auf den davorliegenden Zeitraum bezieht. Auch die bis zum 9. April 2019 geltende Fassung des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung im Land Nordrhein-Westfalen vom 16. März 2010 (GV. NRW. S. 185, UVPG NRW a. F.) hat landesrechtlich einen UVP-Anwendungsbereich (vgl. Nr. 15 der Anlage 1 UVPG NRW a. F. für das streitgegenständliche Vorhaben) bestimmt und dafür die bundesrechtlichen Vorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung inhaltlich rezipiert.
8 Dass die UVP-Richtlinie, zu deren Umsetzung des Landes-UVPG dient, insoweit ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, legt die Beschwerde nicht dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2016 - 4 BN 17.16 - juris Rn. 6).
9 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
10 a) Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft nicht von der Möglichkeit der Aussetzung nach § 94 VwGO Gebrauch gemacht, ist unzulässig. Denn gegen die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO ist die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht ausgeschlossen (§ 152 Abs. 1 VwGO), ebenso die Verfahrensrüge in der Revisionsinstanz (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 557 Abs. 2 ZPO; vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. April 2022 - 4 BN 28.21 - BRS 90 Nr. 202 S. 1563 f. m. w. N.).
11 b) Mit der Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe fehlerhaft kein Bescheidungsurteil erlassen, macht die Beschwerde keinen Verfahrensfehler geltend, sondern einen Fehler bei der Anwendung sachlichen Rechts. Verkennt ein Gericht das Prüfprogramm des § 113 Abs. 5 VwGO, liegt darin ein inhaltlicher Mangel des Urteils (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 - 4 B 3.14 - juris Rn. 23 m. w. N.).
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
13 Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.