Beschluss vom 10.02.2021 -
BVerwG 1 B 46.20ECLI:DE:BVerwG:2021:100221B1B46.20.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 10.02.2021 - 1 B 46.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:100221B1B46.20.0]
Beschluss
BVerwG 1 B 46.20
- VG Köln - 14.12.2016 - AZ: VG 10 K 2521/15
- OVG Münster - 24.09.2020 - AZ: OVG 11 A 277/17
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. September 2020 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
1 I. Nach Rücknahme des Prozesskostenhilfeantrages der Klägerin bedurfte es insoweit keiner Entscheidung mehr.
2 II. Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
3 1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
4 a. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris Rn. 3).
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b. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
ob in dem Fall, in dem einem deutschen Volkszugehörigen, der sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhält und als Spätaussiedler, nachdem er im Härtefallverfahren aufgenommen worden war, anerkannt wird und ihm bislang nur eine Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid eines Elternteils zuteil wurde, Anspruch auf Erteilung eines eigenen Aufnahmebescheides gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 BVFG und Einbeziehung des Ehegatten hat, ohne dass es darauf ankommt, dass sich der Ehegatte bis zur Erteilung des originären Aufnahmebescheides an den deutschen Volkszugehörigen, der inzwischen als Spätaussiedler anerkannt ist, im Vertreibungsgebiet/Aussiedlungsgebiet aufhalten muss,
rechtfertigt danach nicht die Zulassung der Revision.
6 aa) Es fehlt bereits an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Denn die erhobene Grundsatzrüge betrifft die Frage, ob ein als Spätaussiedler anerkannter, in den Aufnahmebescheid eines Elternteils einbezogener deutscher Volkszugehöriger (materiell) einen Anspruch auf Erteilung eines eigenen Aufnahmebescheides hat. Das Oberverwaltungsgericht hat aber schon ein Rechtsschutzbedürfnis für die darauf gerichtete Klage abgelehnt. Mit dieser die Entscheidung selbstständig tragenden Begründung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Soweit ihr zu entnehmen ist, dass es der - eine Spätaussiedlerbescheinigung besitzenden - Klägerin um die Einbeziehung ihres Ehemannes geht, legt sie nicht dar, inwiefern dies ihr einen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen würde.
7 bb) Im Übrigen ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG Personen betrifft, die sich ohne Aufnahmebescheid in Deutschland aufhalten, während § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG die nachträgliche Einbeziehung von im Aussiedlungsgebiet verbliebenen Ehegatten und Abkömmlingen regelt. In der dem Berufungsurteil zugrunde gelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG in Einbeziehungsfällen aus Gründen des materiellen Rechts in aller Regel der Zeitpunkt der Einreise des Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland ist. Soweit im Beschwerdeverfahren vorgetragen wird, die Klägerin habe sich im Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Aufnahmebescheid ihres Vaters bereits im Bundesgebiet aufgehalten, was nach den vorstehenden Ausführungen nur über einen Härtefalleinbeziehungsbescheid nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG möglich gewesen wäre, findet dies im Übrigen in den tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts keine hinreichende Bestätigung. Denn danach wurde die Klägerin im Juli 2015 nachträglich in den Aufnahmebescheid ihres Vaters einbezogen (UA S. 3), eine Übersiedlung erfolgte indessen - ungeachtet der im Mai 2012 erfolgten Einreise mit einem Besuchs-Geschäftsvisum und nachfolgenden Duldungen "zur medizinischen Behandlung", zuletzt verlängert bis zum 3. Dezember 2014 (UA S. 3) - nach ihren eigenen Angaben im September 2015 (UA S. 8). Auch den beigezogenen Gerichtsakten ist zu entnehmen, dass die Einbeziehung auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom Juli 2015 nicht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, sondern nach § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG erfolgte.
8 2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
9 a. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14).
10 b. Auch insoweit fehlen Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Divergenz, nachdem das Berufungsgericht selbstständig tragend davon ausgegangen ist, dass die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig ist. Dessen ungeachtet liegt die von der Beschwerde behauptete Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2019 - 1 C 14.18 - nicht vor. Vielmehr wird vom Berufungsurteil ausdrücklich der Rechtssatz zugrunde gelegt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer besonderen Härte in Einbeziehungsfällen aus Gründen des materiellen Rechts in aller Regel der Zeitpunkt der Einreise des Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland ist (UA S. 6). In Anwendung dieses Rechtssatzes hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die Klägerin und ihr Ehemann keine zum Zeitpunkt seiner Übersiedlung ausnahmsweise vorliegenden besonderen Härtegründe geltend gemacht hätten; vielmehr sei der Ehemann, ohne die Erteilung des im Mai 2014 beantragten Aufnahme- und Einbeziehungsbescheides abzuwarten, nach Deutschland gezogen (UA S. 8). Dass das Oberverwaltungsgericht das Vorliegen einer besonderen Härte für die Klägerin und ihren Ehemann zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übersiedlung abgelehnt hat, begründet keine Divergenz. Gleiches gilt für den Umstand, dass es den Zeitpunkt der Übersiedlung des Ehegatten nicht konkret festgestellt hat, sondern mit Blick auf die bereits 2012 zur medizinischen Behandlung erfolgte Einreise der Klägerin lediglich ausführt, dass die Klägerin einen besonderen Unterstützungsbedarf durch ihren Ehemann in Deutschland nicht dargetan habe. Vor diesem Hintergrund kann auch aus der Formulierung "kontinuierliche Betreuung" nicht auf einen abweichenden Beurteilungszeitpunkt geschlossen werden.
11 3. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Eine mögliche Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
12 a. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für ihre Entscheidung anzugeben. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ihrer Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3 <4>; BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - 5 B 71.13 - juris Rn. 2).
13 b. Auch hier fehlen Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit mit Blick auf die vom Berufungsgericht selbstständig tragend angenommene Unzulässigkeit der Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses. Gleiches gilt für die Behauptung, die Klägerin sei über einen Härtefalleinbeziehungsbescheid in den Aufnahmebescheid ihres Vaters einbezogen worden. Entgegen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht im Übrigen berücksichtigt, dass die Klägerin am 28. Mai 2012 zur medizinischen Behandlung mit einem Schengen-Visum gemeinsam mit ihrem Ehemann in das Bundesgebiet eingereist ist (UA S. 3). Es hat auch nicht darauf abgestellt, dass die Klägerin bzw. ihr Ehemann im Aufnahmeverfahren keine Härtegründe geltend gemacht hätten. Diese setzt es vielmehr denknotwendig voraus, wenn es das Vorliegen einer besonderen Härte (auch) im Hinblick darauf verneint, dass sich die Klägerin bereits seit dem 28. Mai 2012 zur medizinischen Behandlung im Bundesgebiet aufgehalten habe und nach eigenen Angaben auch dem Ehemann eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zur Betreuung der krebskranken Klägerin erteilt worden sei. Das Vorliegen einer besonderen Härte verneint das Berufungsurteil nicht wegen fehlender Geltendmachung von Härtegründen, sondern weil die Klägerin weder dargetan habe noch - wegen der vielzähligen Abwesenheiten des Ehemannes - Gründe für die Annahme erkennbar seien, dass sie auf dessen Unterstützung aus Krankheitsgründen hier in der Bundesrepublik Deutschland in einer Weise angewiesen gewesen sei, dass sein weiterer Verbleib im Aussiedlungsgebiet bis zur positiven Entscheidung über den Einbeziehungsantrag unzumutbar wäre (UA S. 9).
14 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.