Beschluss vom 10.08.2023 -
BVerwG 8 B 24.23ECLI:DE:BVerwG:2023:100823B8B24.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.08.2023 - 8 B 24.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:100823B8B24.23.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 24.23

  • VG Stuttgart - 12.08.2021 - AZ: 7 K 1720/20
  • VGH Mannheim - 24.01.2023 - AZ: 1 S 359/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. August 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. Januar 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene zu 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst trägt.
  3. Unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 24. Januar 2023 wird der Wert des Streitgegenstands für alle Rechtszüge auf jeweils 7 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger und der Beigeladene zu 2 bewarben sich um das Amt des Bürgermeisters der Beigeladenen zu 1. Die Wahl fand am 2. Februar 2020 statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 40,57 % entfielen auf den Beigeladenen zu 2, den bisherigen Amtsinhaber, 56,24 % und auf den Kläger 33,39 % der abgegebenen gültigen Stimmen. Die erforderliche Mehrheit übertraf der Beigeladene zu 2 damit um 6,24 %, was 229 Stimmen entsprach. Gegen das festgestellte und öffentlich bekanntgemachte Wahlergebnis erhob der Kläger fristgerecht Einspruch, den das zuständige Landratsamt als unbegründet zurückwies.

2 Das Verwaltungsgericht hat der daraufhin erhobenen Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, die Bürgermeisterwahl der Beigeladenen zu 1 vom 2. Februar 2020 für ungültig zu erklären. Der Verwaltungsgerichtshof hat die dagegen erhobenen Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen. Der Kläger rüge zu recht, dass er über die zulässige Anzahl der Wahlplakate von der Beigeladenen zu 1 nicht ausreichend informiert worden und der Beigeladene zu 2 ihm gegenüber insoweit im Vorteil gewesen sei. Es habe die konkrete Möglichkeit bestanden, dass der Beigeladene zu 2 ohne diesen Verstoß die absolute Mehrheit der Stimmen nicht erreicht hätte. Die (zunächst) erfolgte Ablehnung, einen Flyer des Klägers als Beilage zur Ausgabe des Nachrichtenblatts der Beigeladenen zu 1 zu veröffentlichen, begründe einen weiteren Wahlfehler. Dieser habe jedoch für sich betrachtet das Ergebnis der Wahl nicht beeinflussen können. Schließlich liege eine weitere gegen das Gesetz verstoßende Wahlbeeinflussung in der Veröffentlichung einer privaten Unterstützungsanzeige zugunsten des Beigeladenen zu 2 in einer Ausgabe des Nachrichtenblattes der Beigeladenen zu 1.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete und auf sämtliche Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Beigeladenen zu 2 bleibt ohne Erfolg.

4 1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht dargelegt.

5 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bestimmten, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden, revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 1. August 2022 - 8 B 14.22 - juris Rn. 3 m. w. N.). Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Das ist hier nicht geschehen.

6 Der Beigeladene zu 2 formuliert keine bestimmte klärungsbedürftige und klärungsfähige Frage des revisiblen Rechts. Mit seinem Vorbringen legt er nach Art einer Berufungsbegründung lediglich seine Auffassung dar, das Berufungsgericht habe den Rechtsstreit falsch entschieden.

7 2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen. Eine Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juni 1995 - 8 B 61.95 - juris Rn. 5 und vom 18. März 2022 - 8 B 49.21 - juris Rn. 3).

8 Diesen Anforderungen wird die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerecht. Sie erschöpft sich in einer Reihe wörtlicher Zitate aus dem Urteil des Senats vom 8. April 2003 - 8 C 14.02 - (BVerwGE 118, 101) verbunden mit der Darlegung, das Berufungsgericht überdehne die Anforderungen dieser Rechtsprechung. Damit wird kein vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellter, die angegriffene Entscheidung tragender Rechtssatz aufgezeigt, der im Widerspruch zu einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift stünde. Der Sache nach macht der Beigeladene zu 2 vielmehr geltend, das Berufungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts falsch angewandt.

9 3. Schließlich ist die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO verlangt, dass ein Verfahrensmangel des gerichtlichen Verfahrens in der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Weise geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert und schlüssig dargetan wird (BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2014 - 8 B 65.13 - juris Rn. 19 m. w. N.). Eine Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs kann nur dann erfolgreich sein, wenn der Rechtsmittelführer alles ihm in der konkreten Situation Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um den Gehörsverstoß abzuwenden (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO). Die hierfür maßgeblichen Umstände sind innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist substantiiert und nachvollziehbar darzulegen (BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 5 B 8.21 - juris Rn. 16 m. w. N.).

10 Hieran gemessen ist der vom Beigeladenen zu 2 gerügte Verstoß gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung nicht schlüssig dargelegt.

11 Der Beigeladene zu 2 trägt vor, dass der Gesichtspunkt einer Wahlbeeinflussung durch den Abdruck einer privaten Unterstützungsanzeige im Nachrichtenblatt der Beigeladenen zu 1 nicht Gegenstand des Vortrags der Beteiligten gewesen sei. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht seien die Beteiligten über dessen Rechtsauffassung hierzu in Kenntnis gesetzt worden. Damit ergibt sich bereits aus dem Rügevorbringen des Beigeladenen zu 2, dass er aufgrund des Hinweises im Verhandlungstermin mit der Feststellung eines weiteren Wahlfehlers in Form der - aus Sicht des Berufungsgerichts unzulässigen - Veröffentlichung einer privaten Unterstützungsanzeige im Nachrichtenblatt der Beigeladenen zu 1 rechnen musste. Darüber hinaus legt der Beigeladene zu 2 nicht dar, dass ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eine Reaktion auf den dargelegten Hinweis nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, wäre es Sache des Beigeladenen zu 2 gewesen, gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof darauf hinzuwirken, zu dem Hinweis Gelegenheit zur Stellungnahme - etwa in Form eines Schriftsatznachlasses - zu erhalten. Dass dies erfolgt wäre, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

12 Auch soweit der Beigeladene zu 2 rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe das für die Veröffentlichung der Anzeige maßgebliche Redaktionsstatut des Nachrichtenblatts der Beigeladenen zu 1 falsch ausgelegt, legt er keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar. Der Beigeladene zu 2 stellt insoweit lediglich die von ihm für richtig gehaltene Auslegung des Statuts der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung gegenüber.

13 Im Übrigen könnte ein Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Feststellung eines Wahlfehlers wegen der Veröffentlichung der Unterstützungsanzeige im Nachrichtenblatt der Beigeladenen zu 1, selbst wenn er vorläge, nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Berufungsurteil nicht darauf beruhen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Entscheidung selbständig tragend auf einen weiteren Wahlfehler gestützt, ohne dass der Beigeladene zu 2 bezogen hierauf durchgreifende Rügen erhoben hätte.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

15 Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei folgt der Senat der Empfehlung in Nr. 22.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. vom 18. Juli 2013, die im Fall der Anfechtung einer Kommunalwahl durch einen Mitbewerber von einem Mindeststreitwert von 7 500 € ausgeht.

16 Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung des Ermessens kommt es auf das objektiv zu beurteilende Interesse des Klägers an. Der Umfang der Sache, der Arbeitsaufwand des Gerichts sowie die wirtschaftliche Situation des Klägers können daher bei der Streitwertfestsetzung nicht berücksichtigt werden (BVerwG, Beschluss vom 15. September 2015 - 9 KSt 2.15 - Buchholz 360 § 52 GKG Nr. 17 Rn. 3). Die Bedeutung der Sache für den Kläger ergibt sich regelmäßig auch aus seinem wirtschaftlichen Interesse (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2003 - 7 KSt 4.03 - NVwZ-RR 2003, 904). Die Festsetzung des Auffangwerts von 5 000 € nach § 52 Abs. 2 GKG kommt erst dann in Betracht, wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Das ist dann der Fall, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Bestimmung ausgeschöpft wurden (Elzer, in: Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, § 52 GKG Rn. 19 m. w. N. zur Rspr).

17 Hier bestehen genügende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts. Neben dem vom Verwaltungsgerichtshof hervorgehobenen öffentlichen Interesse an der Einhaltung wahlrechtlicher Vorschriften besteht auch ein wirtschaftliches Interesse des Klägers am Ausgang der Wahl, da es sich bei dem angestrebten Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters um ein besoldetes Wahlamt handelt. Ausgangspunkt einer wirtschaftlichen Betrachtung ist daher die zu erwartende Besoldung. Wegen der Besonderheiten der Wahl eines hauptamtlichen kommunalen Wahlbeamten, kommt allerdings eine Anlehnung an die für die Begründung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnisses geltenden Regelungen zur Streitwertfestsetzung des § 52 Abs. 6 GKG nicht in Betracht. Im Interesse einer einheitlichen und vorhersehbaren Handhabung der Streitwertfestsetzung ist für die Anfechtung einer Kommunalwahl durch einen Wahlbewerber in kleineren Kommunen - wie hier - jedenfalls der sich aus dem Streitwertkatalog ergebende Mindestbetrag festzusetzen.

18 Da der Verwaltungsgerichtshof abweichend hiervon den Auffangstreitwert gemäß § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt hat, macht der Senat von seiner Befugnis gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG Gebrauch und ändert die Streitwertfestsetzung für die Vorinstanzen entsprechend ab.