Beschluss vom 13.01.2022 -
BVerwG 5 PB 9.21ECLI:DE:BVerwG:2022:130122B5PB9.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.01.2022 - 5 PB 9.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:130122B5PB9.21.0]

Beschluss

BVerwG 5 PB 9.21

  • VG Halle - 29.10.2019 - AZ: VG 10 A 3/18 HAL
  • OVG Magdeburg - 25.05.2021 - AZ: OVG 6 L 3/20

In der Personalvertretungssache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Preisner
beschlossen:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 25. Mai 2021 wird verworfen.

Gründe

1 Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist nicht wegen der allein geltend gemachten entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zuzulassen, weil die Beschwerdebegründung einen solchen Verstoß nicht entsprechend den gesetzlichen Darlegungsanforderungen aufzeigt (§ 92a Satz 2 und § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG), die nach § 108 Abs. 2 des Bundespersonalvertretungsgesetzes - BPersVG - in der Fassung von Artikel 1 des am 15. Juni 2021 in Kraft getretenen Gesetzes zur Novellierung des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 9. Juni 2021 (BGBl. I S. 1614) entsprechend anzuwenden sind (vgl. zur grundsätzlichen Anwendung neuen Prozessrechts auf anhängige Verfahren etwa BVerwG, Beschluss vom 26. Juli 2021 - 5 PB 11.20 - juris Rn. 2 m.w.N.).

2 1. Der verfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist allerdings nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht den von ihm entgegengenommenen Vortrag der Beteiligten in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur wenn besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen, dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat, wird der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte auch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten auch inhaltlich zu folgen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2020 - 5 PB 22.19 - PersV 2021, 29 Rn. 15 m.w.N.). Im Fall der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet § 108 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 2 und § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG, dass in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit dargelegt wird. Die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes sind substantiiert aufzuzeigen. Rügt der Beschwerdeführer das Übergehen eines Vortrags, muss er konkret und im Einzelnen schlüssig dartun, welches wesentliche und entscheidungserhebliche Vorbringen die Vorinstanz übergangen haben soll. Mit Blick auf die Entscheidungserheblichkeit muss nachvollziehbar aufgezeigt werden, dass die Vorinstanz auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung bei der angeblich versäumten Gewährung rechtlichen Gehörs möglicherweise anders entschieden hätte. Da ein Gehörsverstoß nur anzunehmen ist, wenn der Betroffene alle ihm gegebenen prozessualen Möglichkeiten ergriffen hat, sich Gehör zu verschaffen, muss in der Beschwerdebegründung gegebenenfalls auch substantiiert und nachvollziehbar aufgezeigt werden, dass diesem Gebot Rechnung getragen wurde bzw. dass insoweit keine zumutbare Möglichkeit bestand (BVerwG, Beschlüsse vom 23. Mai 2019 - 5 PB 7.18 - juris Rn. 3 und vom 30. Januar 2020 - 5 PB 2.19 - juris Rn. 3 m.w.N.). Diesen Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes genügt die Beschwerde nicht.

3 a) Sie behauptet zwar, das Oberverwaltungsgericht habe "den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es zum Vorliegen des gerügten Verstoßes gegen die geltende Dienstvereinbarung zur 'Flexibilisierung der Arbeitszeit in dem Jobcenter Halle (Saale)' vom 23. Dezember 2016 überhaupt keine Ausführungen getätigt und erforderliche richterliche Hinweise nicht erteilt" habe, zeigt aber mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen einen solchen Gehörsverstoß nicht auf.

4 Der Senat vermag sich bereits dem Vortrag der Beschwerde nicht anzuschließen, soweit diese meint, das Oberverwaltungsgericht habe das rechtliche Vorbringen des Antragstellers im Kern verkannt, weil es unter anderem "die Gültigkeit" der hier in Rede stehenden Dienstvereinbarung geprüft und von seinem Feststellungsbegehren nicht umfasste Gesichtspunkte einbezogen habe. Dem steht entgegen, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Prüfung den von dem Antragsteller im Termin zur mündlichen Anhörung gestellten Feststellungsantrag zugrunde gelegt hat, der sich im Antrag zu 1 darauf bezogen hat, ob die Einrichtung von Vertrauensarbeitszeit für die namentlich genannte Beschäftigte gegen die Dienstvereinbarung vom 23. September 2016 verstieß. Die hierzu vom Antragsteller vorgebrachten rechtlichen Ausführungen zum personalen Anwendungsbereich der Dienstvereinbarung hat es ausweislich des Tatbestands der angegriffenen Entscheidung (BA S. 5) zur Kenntnis genommen.

5 Der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht der in der Begründung des Antragstellers zum Ausdruck kommenden Rechtsansicht nicht gefolgt ist und dass es sich nicht mit jedem Argument des Antragstellers nochmals in den Entscheidungsgründen auseinander gesetzt hat, führt nicht auf einen Gehörsverstoß. Maßgeblich für das Aufzeigen eines gehörsverletzenden Erwägungsmangels wäre es, wenn das Oberverwaltungsgericht vom Antragsteller angeführte wesentliche Sach- oder Rechtsgründe nicht in Erwägung gezogen hätte, auf die es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblich ankam. Dies hingegen legt die Beschwerde nicht dar. Mit dem von ihr gerügten Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht entgegen der Rechtsansicht des Antragstellers im Wege der Auslegung der Dienstvereinbarung zu der Ansicht gelangt ist, dass diese bereits inhaltlich der Einführung einer Vertrauensarbeitszeit (auch im Einzelfall) nicht entgegenstehe und dementsprechend der vom Antragsteller geltend gemachte Verstoß gegen die Dienstvereinbarung im Fall der Beschäftigten S. nicht vorliege, vermag die Beschwerde einen Gehörsverstoß daher nicht erfolgreich aufzuzeigen. Unabhängig davon wirft die Beschwerde dem Oberverwaltungsgericht auch zu Unrecht vor, es sei bei der Auslegung der Dienstvereinbarung nach Maßgabe der anzuwendenden §§ 133, 157 BGB zu falschen Schlüssen gelangt. Das Oberverwaltungsgericht ist vielmehr - wie es im zweiten Leitsatz seiner Entscheidung nochmals herausstellt - davon ausgegangen, dass Dienstvereinbarungen wie Gesetze auszulegen sind, wonach es maßgeblich auf den Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelungen ankomme. Die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB hat es demnach nicht als Maßstab für die Auslegung der streitigen Dienstvereinbarung herangezogen.

6 Die Beschwerde zeigt einen Gehörsverstoß weiterhin auch nicht auf mit den Erwägungen, welche sie anführt, um einen Gehörsverstoß des Oberverwaltungsgerichts im Hinblick darauf zu begründen, dass dieses den streitgegenständlichen Antrag zu 2 unter anderem mit der nach Ansicht der Beschwerde unzutreffenden Auffassung abgelehnt hat, der geltend gemachte Mitbestimmungstatbestand sei nicht einschlägig, weil das erforderliche kollektive Interesse zu verneinen sei. Auch mit ihrem diesbezüglichen weiteren Vortrag greift die Beschwerde der Sache nach im Wesentlichen die von ihr für unrichtig gehaltene Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch die Vorinstanz an. Damit lässt sich ein Gehörsverstoß nicht begründen. Ohne Erfolg bleibt dabei auch der Einwand der Beschwerde, die Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts beruhe insoweit auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage. Mit Letzterem wendet sie sich gegen das Ergebnis der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung, worauf weder die Rechtsbeschwerde noch die Nichtzulassungsbeschwerde gestützt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2020 - 5 PB 2.19 - juris Rn. 22 m.w.N.).

7 b) Soweit die Beschwerde mit ihrem weiteren Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe erforderliche richterliche Hinweise nicht erteilt, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Überraschungsentscheidung geltend macht, ist dies ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Eine Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2013 - 5 B 74.12 - juris Rn. 11 m.w.N.; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>). Derartiges lässt sich den Darlegungen der Beschwerde nicht ansatzweise entnehmen. Die Frage der Auslegung der Dienstvereinbarung und ihrer inhaltlichen Reichweite war ausweislich des angegriffenen Beschlusses (BA S. 10) jedenfalls grundsätzlich Gegenstand des Rechtsgesprächs in der mündlichen Anhörung. Dies hat die Beschwerde auch nicht in Abrede gestellt. Nichts anderes gilt in Bezug auf eine unmittelbare Auswirkung der getroffenen Einzelfallregelung auf andere Beschäftigte der Dienststelle (Protokollabschrift S. 2). Vor diesem Hintergrund musste der anwaltlich vertretene Antragsteller mit den vom Oberverwaltungsgericht gegebenen rechtlichen Begründungen ohne Weiteres rechnen.

8 2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 108 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 2 i.V.m. § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen.