Verfahrensinformation





Die Klägerinnen wenden sich gegen die Anordnung einer Treuhandverwaltung nach dem Energiesicherungsgesetz.


Die Klägerinnen zu 3 und 4 sind inländische Tochtergesellschaften der Klägerinnen zu 1 und 2, die zu einem russischen Mineralölkonzern gehören. Die in Moskau ansässige Klägerin zu 2 ist Alleingesellschafterin der Klägerinnen zu 1 und 4; die in Luxemburg gegründete Klägerin zu 1 ist Alleingesellschafterin der Klägerin zu 3.


Der Tätigkeitsbereich der Klägerinnen zu 3 und 4 umfasst im Wesentlichen den Einkauf, die Verarbeitung und den Vertrieb von Rohöl; dabei erbringt die Klägerin zu 4 Dienstleistungen für die Klägerin zu 3. Beide halten unter anderem Beteiligungen an Raffinerien in Schwedt/Oder (PCK-Raffinerie GmbH), Karlsruhe (MiRO Mineraloelraffinerie Oberrhein GmbH & Co. KG) und Vohburg/Neustadt a. d. Donau (Bayernoil-Raffineriegesellschaft mbH) und vereinen knapp 12 % der gesamten inländischen Erdölverarbeitungskapazität auf sich. Die PCK-Raffinerie, die zu den größten Raffineriebetrieben in der Bundesrepublik Deutschland gehört, ist auf die Verarbeitung russischen Rohöls ausgelegt, das bis 2022 über die Drushba-Pipeline bezogen wurde. Die Raffinerie stellt die Grundversorgung des Nordostens Deutschlands und des Berliner Flughafens mit Mineralöl sicher.


Im März 2022 wandte sich die damalige Geschäftsführung der Klägerin zu 3 an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Sie trug vor, mehrere ihrer Vertragspartner - darunter die Hausbank und der IT-Dienstleister - stellten die Zusammenarbeit wegen der unionsrechtlichen Sanktionsregelungen und der Zugehörigkeit der Klägerinnen zu einem russischen Mineralölkonzern ein oder kündigten dies an. Ohne die Unterstützung des Ministeriums in der Kommunikation mit den Vertragspartnern drohe die Insolvenz. Daraufhin stellte das Ministerium einen sogenannten Letter of Comfort zur Verfügung. Er stellte klar, dass die Klägerinnen zu 3 und 4 als Inlandsgesellschaften nicht unter die Sanktionsregelungen fielen, und hob ihre Bedeutung für die Versorgungssicherheit in Deutschland hervor. Einer späteren, mit weiteren Problemen begründeten Bitte um einen nochmaligen Letter of Comfort kam das Ministerium nicht mehr nach.


Mit Bescheid vom 14. September 2022 ordnete es gemäß § 17 Energiesicherungsgesetz hinsichtlich sämtlicher Stimmrechte aus den Geschäftsanteilen der Klägerinnen zu 3 und 4 die Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur bis zum 15. März 2023 an. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Gesellschafter der beiden Klägerinnen von der Wahrnehmung ihrer Stimmrechte ausgeschlossen und gehen die Stimmrechte auf die Bundesnetzagentur über. Diese ist insbesondere berechtigt, Mitglieder der Geschäftsführung der Klägerinnen zu 3 und 4 abzuberufen und neu zu bestellen sowie deren Geschäftsführung Weisungen zu erteilen. Darüber hinaus beschränkt die Anordnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsführung beider Gesellschaften in Bezug auf deren Vermögen und begründet einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Bundesnetzagentur. Die Kosten der Treuhandverwaltung erlegt die Anordnung den Klägerinnen zu 3 und 4 auf.


Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerinnen zu 3 und 4 betrieben kritische Infrastruktur im Sektor Energie. Ihre Geschäftstätigkeit sei für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit erforderlich. Durch das Verhalten ihrer Vertragspartner und die Abwanderung von Mitarbeitern drohe unmittelbar eine erhebliche Beeinträchtigung des Betriebs der beiden Unternehmen. Deshalb bestehe die konkrete Gefahr, dass diese ihre Aufgaben nicht länger erfüllen könnten. Dadurch drohe eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit, der die Treuhandverwaltung begegne. Sie sei geeignet und erforderlich, die Gefahr abzuwenden. Würde der Betrieb der PCK-Raffinerie eingestellt, beeinträchtige dies die bundesweite Versorgung mit Erdölprodukten und gefährde insbesondere die Versorgung im Nordosten Deutschlands. Außerdem könne die für die Versorgungssicherheit erforderliche Umstellung der Ölbelieferung der PCK-Raffinerie auf nichtrussisches Öl, die eine Erschließung neuer Bezugsquellen und die Ertüchtigung der Pipeline von Rostock nach Schwedt erfordere, ohne eine Treuhandverwaltung nicht erreicht werden.


Die Klägerinnen halten die Anordnung für rechtswidrig. Sie sei ohne die erforderliche vorherige Anhörung erlassen worden und nur unzureichend begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Treuhandverwaltung seien nicht erfüllt. Für ein Embargo leitungsgebundenen russischen Rohöls seit dem 1. Januar 2023 fehle es an einer Rechtsgrundlage. Schwierigkeiten mit Vertragspartnern beschränkten sich auf Einzelfälle und seien nicht als kritisch einzustufen. Bis zum Erlass der Anordnung hätten die Klägerinnen zu 3 und 4 ihre Aufgaben erfüllt und sich auch der Umstellung auf den Bezug nichtrussischen Öls nicht verweigert. Die Anordnung sei unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.


Am 15. Februar 2023 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen die für die Klägerinnen zu 3 und 4 erhobenen Klagen zurückgenommen. 


Das Bundesverwaltungsgericht hat am 22. Februar, 7., 8. und 9. März 2023 die Klagen der Klägerinnen zu 1 und 2 verhandelt.


Pressemitteilung Nr. 20/2023 vom 14.03.2023

Anordnung der Treuhandverwaltung über deutsche Rosneft-Töchter ist rechtmäßig

Die im September 2022 erlassene Anordnung einer Treuhandverwaltung nach dem Energiesicherungsgesetz über die Rosneft Deutschland GmbH (RDG) und die Rosneft Refining and Marketing GmbH (RNRM) in Berlin ist rechtmäßig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die beiden Tochtergesellschaften der in Luxemburg und Moskau ansässigen Klägerinnen sind unter anderem an der PCK-Raffinerie GmbH in Schwedt/Oder (PCK) beteiligt. Diese sichert die Grundversorgung des Nordostens Deutschlands mit Mineralölprodukten und beliefert den Berliner Flughafen. Sie ist auf die Verarbeitung russischen Rohöls ausgelegt.


Im März 2022 bat RDG das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz um Unterstützung, weil Geschäftspartner die weitere Zusammenarbeit auch über das sanktionsrechtlich Geforderte hinaus verweigerten (Overcompliance), und erklärte, sonst drohe die Insolvenz. Daraufhin erläuterte das Ministerium in einem Letter of Comfort, dass die inländischen Tochtergesellschaften nicht unter die EU-Sanktionsregelungen fielen, und betonte ihre Bedeutung für die Versorgungssicherheit. Einer späteren Bitte um einen neuen Letter of Comfort kam es nicht nach, sondern erwog die Anordnung einer Treuhandverwaltung. RDG warnte vor russischen Gegenmaßnahmen. Wenig später erhielt das Ministerium Hinweise auf Versuche, Kapital der deutschen Tochtergesellschaften abzuziehen.


Mit Bescheid vom 14. September 2022 ordnete es gemäß § 17 Energiesicherungsgesetz die Treuhandverwaltung der Stimmrechte aus den Geschäftsanteilen an RDG und RNRM bis zum 15. März 2023 an. Während dieser Zeit werden die Stimmrechte der Klägerinnen durch die Bundesnetzagentur wahrgenommen. Diese darf auch Geschäftsführer der RDG und RNRM bestellen und abberufen und ihnen Weisungen erteilen. Außerdem wird die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsführungen beschränkt. Die Begründung führte aus, beide Gesellschaften betrieben Kritische Infrastruktur im Sektor Energie. Ihre Geschäftstätigkeit sei erforderlich, um die Versorgungssicherheit zu erhalten. Die Overcompliance führe zu einer konkreten Gefahr für die Erfüllung ihrer Aufgaben. Dadurch drohe eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit. Die Treuhandverwaltung sei geeignet und erforderlich, diese Gefahr abzuwenden und rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten, um die PCK-Raffinerie von russischen Öllieferungen unabhängig zu machen.


Die Klägerinnen halten die Anordnung für rechtswidrig. Sie sei ohne die erforderliche vorherige Anhörung erlassen worden und nur unzureichend begründet. Außerdem sei sie unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die dagegen erhobenen Klagen nach mehrtägiger Verhandlung und umfangreicher Beweisaufnahme abgewiesen. Zwar sind beide Klägerinnen klagebefugt. Sie können geltend machen, ein gesetzwidriger Ausschluss von der Wahrnehmung ihrer Stimmrechte verletze sie in ihren Gesellschafterrechten. Ihre Klagen sind jedoch nicht begründet. Die Anordnung der Treuhandverwaltung vom 14. September 2022 ist rechtmäßig.


Zu einer vorherigen Anhörung der Klägerinnen war das Ministerium wegen Gefahr im Verzug nicht verpflichtet. Hinweise auf einen drohenden Kapitalabzug ließen einen Zusammenbruch der Unternehmen ähnlich dem der Gazprom Germania befürchten. Die Pflicht zur Begründung der Anordnung hat das Ministerium hinreichend erfüllt.


Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig. § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG ist verfassungskonform. Er ermächtigt zur Anordnung der Treuhandverwaltung über Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Sektor Energie, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass das Unternehmen sonst seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Energiesektor dienenden Aufgaben nicht erfüllen wird, und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Diese Regelung schränkt die Berufsfreiheit und die Freiheit unternehmerischer Betätigung (Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) verhältnismäßig ein. Zugleich normiert sie eine ebenfalls verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung der Anteilsrechte von Gesellschaftern (Art. 14 Abs. 1 GG).


Die Voraussetzungen der Ermächtigung lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung Mitte September 2022 vor. RDG und RNRM zählen zu den Betreibern der PCK-Raffinerie, einer Anlage der Kritischen Infrastruktur im Sinne der Vorschrift. Betreiber ist, wer nach den rechtlichen, tatsächlichen und wirtschaftlichen Umständen bestimmenden Einfluss auf Bestand oder Betrieb einer Anlage oder Teilen davon hat. § 17 Abs. 1 EnSiG geht davon aus, dass eine Anlage von mehreren gemeinschaftlich betrieben werden kann, und behandelt zwecks effektiver Gefahrenabwehr jeden Mitbetreiber als Betreiber. Die PCK-Raffinerie wird nicht von der gleichnamigen GmbH betrieben, sondern von einem Joint Venture-Konsortium. Dazu gehören ihre Gesellschafter, darunter RDG und ein mehrheitlich von RNRM gehaltenes Unternehmen. Die Konsorten treffen die wesentlichen Entscheidungen und beschränken die Tätigkeit der PCK Raffinerie GmbH auf eine gewinnlose (non profit) Lohnverarbeitung im Umfang ihrer jeweiligen Beteiligungen.


Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestand die konkrete Gefahr, dass RDG und RNRM ohne eine Treuhandverwaltung ihre Aufgabe, ihren bisherigen Beitrag zur Energieversorgung weiter zu erbringen, künftig nicht erfüllen könnten. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung hat der Senat die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen und die Angriffe gegen die Glaubwürdigkeit einzelner Zeugen im Einzelnen geprüft. Auf die hilfsweise unter Beweis gestellten Tatsachen kam es nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung nicht an.


Die dem Ministerium Mitte September 2022 bekannten und für es erkennbaren Umstände rechtfertigten die Prognose, dass RDG und RNRM ihren Versorgungsbeitrag im Fall einer Unterbrechung der russischen Rohöllieferung, auf die Versuche zum Kapitalabzug hindeuteten, nicht mehr leisten könnten. Sie hatten für diesen Fall keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, obwohl das Klagevorbringen selbst eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer solchen Unterbrechung einräumt. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit sind wegen der überragenden Bedeutung der Versorgungssicherheit gering. Darüber hinaus war die Geschäftstätigkeit der beiden Tochtergesellschaften nach wie vor durch Overcompliance gefährdet. Das betraf insbesondere die Zusammenarbeit mit Banken und Versicherungen. Das Bemühen von RDG und RNRM, die zunehmenden Probleme mit gesteigerter Risikobereitschaft oder über Hilfskonstruktionen zu lösen, bot keine ausreichende Gewähr für einen zuverlässigen künftigen, unverminderten Versorgungsbeitrag.


Das Ministerium hat sein Ermessen zur Anordnung der Treuhandverwaltung entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt. Um eine Betriebsfortführung im Interesse der Versorgungssicherheit zu gewährleisten, zielt die Anordnung auf eine Reduzierung der Overcompliance-Probleme und auf eine rechtzeitige Diversifizierung des Rohölbezugs. Dazu gehören Investitionen wie die Ertüchtigung der Pipeline von Rostock nach Schwedt, an denen oder deren Finanzierung der Konzern kein Interesse hatte. Die Ertüchtigung ermöglicht zeitnah eine Raffineriebelieferung im Umfang der Mindestlast auch bei unvorhergesehenen Unterbrechungen der Lieferungen russischen oder kasachischen Öls über die Drushba-Pipeline.


Der Vorwurf, das Ministerium habe sein Ermessen missbraucht, um ein Importembargo für russisches Rohöl ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen, trifft nicht zu. Wie sich aus dem Verwaltungsvorgang ergibt, wurde die Treuhand bereits mehr als zwei Monate vor dem sechsten EU-Sanktionspaket und der Protokollerklärung zum Verzicht auf russisches leitungsgebundenes Öl diskutiert. Sie wurde auch nicht unmittelbar danach und deswegen angeordnet, sondern erst, als Hinweise auf drohenden Kapitalabzug einen baldigen Zusammenbruch von RDG und RNRM befürchten ließen und eine schnelle Stabilisierung geboten war.


Die Anordnung wahrt auch die rechtlichen Grenzen des Ermessens. Dabei kann offenbleiben, inwieweit die Klägerinnen grundrechtsberechtigt sind. Sie werden keinen Beeinträchtigungen ausgesetzt, denen nicht auch grundrechtlich geschützte inländische Kapitalgesellschaften in gleicher Situation von Rechts wegen ausgesetzt wären.


Sollten Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG vorliegen, sind sie verhältnismäßig. Das Einschalten der Treuhänderin war geeignet und wegen der unzureichenden Wirkung des Letters of Comfort erforderlich, die Overcompliance-Probleme zu reduzieren. Außerdem ermöglichte es, unverzüglich die für die Versorgungssicherheit nötigen Investitionen wie den Ausbau der Pipeline voranzutreiben. Bloße Auflagen hätten der Overcompliance nicht begegnen können und die Diversifizierung des Rohölbezugs erschwert. Mittel des Erdöl-Bevorratungsverbandes sind für unvorhergesehene Engpässe vorgesehen. Die Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen sind erforderlich, um die Wirksamkeit der Treuhandverwaltung zu sichern.


Auch die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG ist, falls betroffen, nicht verletzt. Die Anordnung stellt eine nicht entschädigungspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums an den Gesellschaftsanteilen dar. Sie ist verhältnismäßig, weil sie wegen der überragenden Bedeutung des Gemeinwohlguts der Versorgungssicherheit von der Sozialbindung des Eigentums gedeckt ist. Ein Ausfall der PCK-Raffinerie hätte die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse wie die Wärmeversorgung von Wohnungen, Schulen und Heimen, die Krankentransporte und die Feuerwehr gefährdet, deren Funktionsfähigkeit der Staat zur Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten sicherstellen muss.


Art. 4 des Sowjetisch-Deutschen Investitionsschutzabkommens steht der Anordnung ebenfalls nicht entgegen. Die sechsmonatige Treuhandverwaltung hat keine einer Enteignung vergleichbare Wirkung. Sie lässt die Inhaberschaft der Gesellschaftsanteile und deren Renditegrundlage unberührt, weil Verfügungen des Treuhänders über die Anteile ausgeschlossen und Veräußerungen von Vermögensgegenständen nur zum Werterhalt des Unternehmens zulässig sind. Die Anordnung ist auch mit Unionsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.


BVerwG 8 A 2.22 - Urteil vom 14. März 2023


Urteil vom 14.03.2023 -
BVerwG 8 A 2.22ECLI:DE:BVerwG:2023:140323U8A2.22.0

Anordnung der Treuhandverwaltung über inländische Tochterunternehmen des Rosneft-Konzerns

Leitsätze:

1. Die Ermächtigung zur Anordnung einer Treuhandverwaltung gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG ist verfassungskonform.

2. Gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG ist Betreiber einer Kritischen Infrastruktur, wer nach den rechtlichen, tatsächlichen und wirtschaftlichen Umständen bestimmenden Einfluss auf die Beschaffenheit oder den Betrieb einer solchen Anlage oder Teilen davon hat. Werden eine Anlage oder Teile davon von mehreren gemeinsam betrieben, ist jeder von ihnen Betreiber im Sinne der Vorschrift.

3. Die Aufgaben gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG bestehen darin, den bisher geleisteten Beitrag des Unternehmens zur Energieversorgung weiter zu erbringen. Dazu gehört auch, rechtzeitige und ausreichende Vorkehrungen dafür zu treffen, dass das Unternehmen auf absehbare Veränderungen der Marktbedingungen reagieren und seinen Versorgungsbeitrag unter den neuen Bedingungen weiterhin erbringen kann.

4. Die konkrete Gefahr der Aufgabennichterfüllung im Sinne von § 17 Abs. 1 EnSiG besteht, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die aus der ex-ante-Sicht eines verständigen Amtswalters die Annahme rechtfertigen, dass bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine nicht unerhebliche Minderung des Versorgungsbeitrags des Betreibers Kritischer Infrastruktur im Sektor Energie eintreten wird.

5. Das Tatbestandsmerkmal "ohne eine Treuhandverwaltung" gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG bringt zum Ausdruck, dass die Anordnung einer Treuhandverwaltung verhältnismäßig und insbesondere erforderlich sein muss, die Gefährdung der Energieversorgungssicherheit durch Aufgabennichterfüllung abzuwenden; ein darüber hinausgehender eigenständiger Gehalt kommt ihm nicht zu.

6. Im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG droht eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit, wenn wegen der konkreten Gefahr der Aufgabennichterfüllung die Gefahr nicht unerheblicher Einbußen bei der Energieversorgung besteht, die sich auf das Funktionieren des Gemeinwesens auswirken können. Dabei ist das Ausmaß der räumlichen Auswirkungen ebenso zu berücksichtigen wie die Größe des betroffenen Personenkreises und die Dauer der zu besorgenden Beeinträchtigung.

  • Rechtsquellen
    AEUV Art. 49 Abs. 1, Art. 54 Abs. 1
    GRC Art. 15 f., Art. 20, Art. 21 Abs. 2, Art. 51 Abs. 1 Satz 1, Art. 52 Abs. 1 Satz 2
    GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14, Art. 19 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3, Art. 25, Art. 72 Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1
    VwGO § 42 Abs. 2, § 86 Abs. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1, § 114
    VwVfG § 28 Abs. 1 und 2, § 39 Abs. 1, §§ 40 und 48
    EnSiG § 17
    BSIG § 2 Abs. 10, § 8a Abs. 1 Satz 2, § 8b Abs. 3
    AktG §§ 15 und 17
    GmbHG § 37 Abs. 1, §§ 45 ff.
    BSI-KritisV § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 3, § 2 Abs. 6, Anhang 1 Teil 3 Spalte B Nr. 3.1.2 und Spalte D
    Sowjetisch-Deutsches Investitionsschutzabkommen - SDI - Art. 1 Abs. 1, Art. 3, Art. 4 Abs. 1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.03.2023 - 8 A 2.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:140323U8A2.22.0]

Urteil

BVerwG 8 A 2.22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar, 7., 8. und 9. März 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller, Dr. Meister und Dr. Naumann
am 14. März 2023 für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerinnen wenden sich gegen die Anordnung einer Treuhandverwaltung nach dem Energiesicherungsgesetz.

2 Die Klägerin zu 2 ist eine Tochtergesellschaft der ebenso wie sie in Moskau ansässigen Rosneft Oil Company und Alleingesellschafterin der in Luxemburg gegründeten und in das dortige Handels- und Gesellschaftsregister eingetragenen Klägerin zu 1. Diese hält sämtliche Anteile an der nach deutschem Recht gegründeten Rosneft Deutschland GmbH (nachfolgend: RDG) mit Sitz in Berlin. Die ebenfalls nach deutschem Recht gegründete und in Berlin ansässige RN Refining & Marketing GmbH (nachfolgend: RNRM) wird unmittelbar von der Klägerin zu 2 als Alleingesellschafterin gehalten. Der Tätigkeitsbereich von RDG und RNRM umfasst im Wesentlichen den Einkauf, die Verarbeitung und den Vertrieb von Rohöl; dabei erbringt RNRM Dienstleistungen für RDG. Beide halten unter anderem - teils mittelbar - Beteiligungen an Raffinerien in Schwedt/Oder (PCK Raffinerie GmbH), in Karlsruhe (MiRO Mineraloelraffinerie Oberrhein GmbH & Co. KG) und in Vohburg/Neustadt a. d. Donau (Bayernoil-Raffineriegesellschaft mbH). Sie vereinen knapp 12 % der gesamten inländischen Erdölverarbeitungskapazität auf sich. Die PCK-Raffinerie, die zu den größten Raffineriebetrieben in der Bundesrepublik Deutschland gehört, sichert die Grundversorgung mit Mineralölprodukten im Nordosten Deutschlands und beliefert den Berliner Flughafen. Sie ist auf die Verarbeitung russischen Rohöls ausgelegt, das über die Drushba-Pipeline bezogen wurde.

3 Mit Schreiben vom 23. März 2022 bat die damalige Geschäftsführung der RDG das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (nachfolgend: Ministerium) um Unterstützung, weil wichtige Geschäftspartner - darunter die Hausbank - die weitere Zusammenarbeit auch über das sanktionsrechtlich Geforderte hinaus verweigerten (Overcompliance) oder dies angekündigt hätten. Ohne die Unterstützung des Ministeriums in der Kommunikation mit den Vertragspartnern drohe die Insolvenz. Daraufhin erläuterte das Ministerium in einem Letter of Comfort, dass inländische Tochtergesellschaften sanktionierter russischer Unternehmen nicht unter die EU-Sanktionsregelungen fielen, und hob ihre Bedeutung für die Versorgungssicherheit in Deutschland hervor. Einer späteren, mit weiteren Problemen begründeten Bitte um einen erneuten Letter of Comfort kam das Ministerium nicht nach. Es erwog seit Ende März 2022 andere Optionen, darunter die Anordnung einer Treuhandverwaltung, und erörterte diese mit Vertretern von RDG und RNRM unter anderem in einem Gespräch am 26. Juli 2022.

4 Mit Bescheid vom 14. September 2022, veröffentlicht im Bundesanzeiger vom 16. September 2022 (BAnz AT 16.09.2022 B1), ordnete das Ministerium gemäß § 17 Energiesicherungsgesetz (EnSiG) hinsichtlich sämtlicher Stimmrechte aus den Geschäftsanteilen an RDG und RNRM die Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur bis zum 15. März 2023 an. Während dieser Zeit sind die Gesellschafter der beiden Gesellschaften gemäß Nr. 2 der Anordnung von der Wahrnehmung ihrer Stimmrechte ausgeschlossen und gehen die Stimmrechte gemäß Nr. 3 Satz 1 auf die Bundesnetzagentur über. Diese ist gemäß Nr. 3 Satz 2 der Anordnung insbesondere berechtigt, Mitglieder der Geschäftsführung beider Gesellschaften abzuberufen und neu zu bestellen sowie deren Geschäftsführung Weisungen zu erteilen. Außerdem wird die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsführung in Bezug auf das Vermögen beider Gesellschaften in Nr. 4 der Anordnung beschränkt und ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Bundesnetzagentur begründet. Die Kosten der Treuhandverwaltung erlegen Nr. 5 und 6 der Anordnung den beiden Gesellschaften auf. Zur Begründung wird ausgeführt, beide betrieben Kritische Infrastruktur im Sektor Energie. Ihre Geschäftstätigkeit sei für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie und zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit erforderlich. Durch das Verhalten ihrer Vertragspartner drohe unmittelbar eine erhebliche Beeinträchtigung des Betriebs der beiden Unternehmen. Deshalb bestehe die konkrete Gefahr, dass diese ihre Aufgaben nicht länger erfüllen könnten. Dadurch drohe eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit, der die Treuhandverwaltung begegne. Diese sei geeignet und erforderlich, die Gefahr abzuwenden. Es sei zu erwarten, dass Vertragspartner ihre Geschäftsbeziehungen mit den beiden Gesellschaften aufgrund der Treuhandverwaltung fortsetzten oder wiederaufnähmen. Dadurch werde der wirtschaftliche Ausfall beider Gesellschaften mit weitreichenden Folgen für die Versorgungssicherheit verhindert und der Betrieb der PCK-Raffinerie gesichert. Außerdem könne die Umstellung der Ölbelieferung der PCK-Raffinerie auf nicht-russisches Öl, die angesichts des hohen Risikos einer Reduzierung oder Einstellung russischer Öllieferungen für die Versorgungssicherheit erforderlich sei und eine Erschließung neuer Bezugsquellen sowie die Ertüchtigung der Pipeline von Rostock nach Schwedt voraussetze, ohne eine Treuhandverwaltung nicht erreicht werden.

5 Die Klägerinnen sowie RDG und RNRM haben am 13. Oktober 2022 Klage erhoben und - zusammengefasst - geltend gemacht, die Anordnung sei formell und materiell rechtswidrig. Sie sei ohne die erforderliche vorherige Anhörung erlassen und nur unzureichend begründet worden. Ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sei nicht hinreichend bestimmt und nicht mit den Grundrechten vereinbar. Entgegen Art. 14 GG sehe sie keine mit der Anordnung verbundene Entscheidung über eine Entschädigung dem Grunde nach vor. Außerdem verletze sie allgemeine Grundsätze des Völkerrechts zum Schutz des Eigentums. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Treuhandverwaltung seien nicht erfüllt. RDG und RNRM betrieben weder selbst noch durch mit ihnen verbundene Unternehmen Kritische Infrastruktur im Sektor Energie. Es bestehe auch keine konkrete Gefahr, dass RDG und RNRM ohne eine Treuhandverwaltung ihre dem Energiesektor dienenden Aufgaben nicht erfüllten. Schwierigkeiten mit Vertragspartnern beschränkten sich auf Einzelfälle und seien nicht als kritisch einzustufen. Bis zum Erlass der Anordnung hätten RDG und RNRM ihre Aufgaben wahrgenommen und sich auch der Umstellung auf den Bezug nicht-russischen Öls nicht verweigert. Für ein Embargo leitungsgebundenen russischen Rohöls ab dem 1. Januar 2023 fehle es zudem an einer Rechtsgrundlage. Die Anordnung sei unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Sie verstoße gegen höherrangiges Recht und insbesondere gegen das Gesetz zu dem Vertrag der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13. Juni 1989.

6 Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2023 haben RDG und RNRM ihre Klagen zurückgenommen. Der Senat hat mit Beschluss vom 16. Februar 2023 das Verfahren insoweit abgetrennt; das abgetrennte Verfahren wird unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 A 1.23 gesondert fortgeführt.

7 Die Klägerinnen beantragen,
1. die Anordnung der Beklagten vom 14. September 2022 aufzuheben, soweit sie die jeweilige Klägerin - in Ziffern 1 bis 5 die Klägerin zu 1 und in Ziffern 1 bis 4 und 6 die Klägerin zu 2 - betrifft,
2. die Beklagte zu verurteilen, vollständige Auskunft über die Maßnahmen zu erteilen, mit denen sie die Anordnung vollzogen hat, insbesondere Weisungen gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG an die Geschäftsführung der von der jeweiligen Klägerin gehaltenen Gesellschaft und deren Geschäftsführungsmaßnahmen,
3. die Beklagte zu verurteilen, die Vollziehung der Anordnung vollständig rückgängig zu machen.

8 Die Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.

9 Die Klagen seien unzulässig, weil es den Klägerinnen als vom russischen Staat beherrschten Unternehmen an der erforderlichen Klagebefugnis fehle. Die Klagen seien auch unbegründet. Die Anordnung der Treuhandverwaltung sei rechtmäßig. Den Klägerinnen sei vor Erlass der Anordnung im Rahmen eines kontinuierlichen Austausches mit dem Ministerium Gelegenheit gegeben worden, sich zu den relevanten Tatsachen zu äußern. Jedenfalls habe das Ministerium wegen Gefahr im Verzug und im öffentlichen Interesse von einer vorherigen förmlichen Anhörung absehen dürfen; im Übrigen sei ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Treuhandverwaltung lägen vor. Bei Erlass der Anordnung habe Grund für die prognostische Annahme bestanden, dass RDG und RNRM ohne die Treuhandverwaltung aufgrund der Overcompliance ihrer Geschäftspartner und anderer Marktteilnehmer ihre Geschäftstätigkeit nicht mehr länger würden fortführen können. Gleiches gelte für die Annahme, dass ohne die Treuhandverwaltung eine Umstellung der Ölbelieferung der PCK-Raffinerie auf nicht-russisches Öl nicht hätte erreicht werden können. Beides habe die Sicherheit der Versorgung der Bevölkerung mit Mineralölprodukten bedroht. Einer Entscheidung über eine Entschädigung habe es in dem Bescheid nicht bedurft.

10 Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 22. Februar 2023 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W., X., Y. und Z. sowie des sachverständigen Zeugen U. Wegen der Beweisfragen wird auf den Beweisbeschluss Bezug genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird hinsichtlich der Angaben zur Person auf die Sitzungsniederschrift vom 7. und 8. März 2023 verwiesen. Von einer Protokollierung der Angaben zur Sache wurde gemäß § 105 VwGO i. V. m. § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 EnSiG abgesehen.

11 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

II

12 Die Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 des Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung - Energiesicherungsgesetz - vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3681) in der hier maßgeblichen Fassung der Änderung durch Gesetz vom 8. Juli 2022 (BGBl. I S. 1054) – EnSiG - im ersten und letzten Rechtszug entscheidet, hat keinen Erfolg.

13 A. Der zulässige Anfechtungsantrag ist unbegründet.

14 I. Der Anfechtungsantrag ist zulässig. Insbesondere sind beide Klägerinnen gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Jede von ihnen kann geltend machen, die angefochtene Anordnung der Treuhandverwaltung verletze sie in subjektiven Rechten, die ihr aus den Geschäftsanteilen an ihrer jeweiligen inländischen Tochtergesellschaft zustehen.

15 1. Die angegriffene Anordnung begründet in Nr. 1 ein befristetes, in Nr. 2 bis 6 ausgestaltetes Treuhandverhältnis. Nach Nr. 2 sind die Klägerinnen für sechs Monate von der Wahrnehmung der Stimmrechte ausgeschlossen, die ihnen jeweils aus den Geschäftsanteilen an der RDG und der RNRM zustehen. Diese Regelung greift in Gesellschafterrechte ein, die den Klägerinnen nach Maßgabe der §§ 45 ff. GmbHG gesetzlich zugewiesen sind. Gleiches gilt für Nr. 3 der Anordnung, der die Stimmrechte einschließlich der Befugnis zur Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern (vgl. § 45 Abs. 2 und § 46 Nr. 5 GmbHG) und zu Weisungen an diese (vgl. § 45 und § 37 Abs. 1 GmbHG) auf die Treuhänderin überträgt. Damit werden die inländischen Tochtergesellschaften für die Dauer der Befristung dem Einfluss der Klägerinnen entzogen und der Treuhänderin unterstellt. Nr. 4 der Anordnung ergänzt und sichert die befristete Verdrängung der Klägerinnen aus den betroffenen Gesellschafterrechten durch eine Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis der Geschäftsführung der Tochtergesellschaften und einen Zustimmungsvorbehalt der Treuhänderin. Dies gewährleistet, dass die Tochtergesellschaften keine vermögensrelevanten Entscheidungen ohne oder gegen den Willen der Treuhänderin treffen können. Nr. 5 und 6 belasten die Tochtergesellschaften und mittelbar die Klägerinnen als Alleingesellschafterinnen mit den Kosten der Treuhandverwaltung.

16 2. Die Klägerinnen können gemäß § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, eine nicht von § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG gedeckte Anordnung verletze sie in ihren jeweils betroffenen Gesellschafterrechten. § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG ermächtigt nicht nur zur Anordnung der Treuhandverwaltung, sondern begrenzt diese Befugnis zugleich durch Eingriffsvoraussetzungen und Ermessensgrenzen. Dies geschieht - zumindest auch - im Interesse der Betroffenen. Das ergibt sich schon aus den strengen Tatbestandsvoraussetzungen, die den Kreis möglicher Regelungsadressaten begrenzen und eine Anordnung nur zur Abwendung bestimmter konkreter Gefahren sowie bei drohender Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit zulassen. Dem Schutz der Betroffenen dient ferner die Verpflichtung zur kurzen Befristung der Anordnung und etwa zulässiger Verlängerungen (§ 17 Abs. 2 EnSiG). Gleiches gilt für das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, das sich aus dem Tatbestandsmerkmal "ohne eine Treuhandverwaltung" in § 17 Abs. 1 EnSiG ergibt und das als rechtliche Grenze des Ermessens (§ 40 VwVfG) zu beachten ist.

17 Auf die Frage, ob die Klägerinnen sich - über die Prozessgrundrechte hinaus - auf verfassungs- oder unionsrechtlich gewährleistete Grundrechte berufen können, kommt es für die Klagebefugnis nicht an. Diese folgt, wie eben dargelegt, bereits aus dem einfachen Recht. Weder die gesetzliche Regelung der vom Eingriff betroffenen Gesellschafterrechte (vgl. §§ 45 ff. GmbHG) noch die Eingriffsvoraussetzungen und -grenzen gemäß § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG unterscheiden danach, ob die Betroffenen Grundrechtsträger sind, ob sie ihren Sitz im In- oder Ausland haben oder ob sie privat oder staatlich gehalten oder beherrscht werden. Ebenso wenig enthält § 42 Abs. 2 VwGO eine Einschränkung der Klagebefugnis bei Eingriffen in subjektive Rechte Betroffener nach diesen Kriterien. Damit verwirklicht er die aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende Rechtsschutzgarantie (zu dieser vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 - 2 BvR 656, 657, 683/99 - BVerfGE 112, 185 <207>). Er gewährleistet, dass rechts- oder teilrechtsfähige Subjekte, in deren Rechte hoheitlich unter Missachtung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eingegriffen wird, solche rechtswidrigen Eingriffe stets abwehren können.

18 II. Der Anfechtungsantrag ist jedoch nicht begründet. Die Anordnung der Treuhandverwaltung vom 14. September 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

19 1. Die Anordnung ist formell rechtmäßig. Von der nach § 28 Abs. 1 VwVfG gebotenen vorherigen Anhörung der Klägerinnen durfte das Ministerium gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG wegen Gefahr im Verzug absehen (a). Die Anordnung genügt auch den Begründungsanforderungen des § 39 Abs. 1 VwVfG (b).

20 a) Gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt voraus, dass der von der beabsichtigten Maßnahme Betroffene von der Absicht zum Erlass eines vorläufig konkretisierten, bestimmten Verwaltungsakts in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Die Anhörung muss so konkret sein, dass der Angehörte erkennen kann, weshalb und wozu er sich äußern soll, mit welcher Entscheidung er zu rechnen hat und dass er Gelegenheit zur Stellungnahme hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 2020 - 3 C 16.18 - BVerwGE 168, 63 Rn. 9 und vom 25. Mai 2022 - 8 C 11.21 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 57 Rn. 20). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten genügten die vor Erlass der Anordnung zwischen dem Ministerium und dem Geschäftsführer sowie weiteren Mitarbeitern von RDG geführten Gespräche den Anforderungen des § 28 Abs. 1 VwVfG nicht. Ihnen konnte nicht mit der erforderlichen Konkretheit entnommen werden, dass das Ministerium den Erlass der Anordnung einer Treuhandverwaltung beabsichtigte. Zudem waren an dem vorbezeichneten Austausch mit dem Ministerium lediglich Vertreter von RDG, nicht aber die Klägerinnen beteiligt.

21 Zu einer vorherigen Anhörung der Klägerinnen war das Ministerium wegen Gefahr im Verzug gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG jedoch nicht verpflichtet. Nach dieser Vorschrift ist eine vorherige Anhörung entbehrlich, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig erscheint. Gefahr im Verzug im Sinne von § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG ist anzunehmen, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die behördliche Maßnahme zu spät käme, um ihren Zweck noch zu erreichen. Ob eine sofortige Entscheidung objektiv notwendig war oder die Behörde eine sofortige Entscheidung zumindest für notwendig halten durfte, ist vom Gericht aus ex-ante-Sicht zu beurteilen. Hierbei ist wegen der Bedeutung des Anhörungsrechts als tragenden Prinzips des rechtsstaatlichen Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1983 - 3 C 27.82 - BVerwGE 68, 267 <271 f.> und vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 14).

22 Hiernach durfte das Ministerium eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug im Sinne des § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG für notwendig halten. Es lagen nach den aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht des Ministeriums bekannten und für es erkennbaren Umständen ausreichende Hinweise auf einen drohenden Kapitalabzug vor, der wie im Fall der Gazprom Germania GmbH einen Zusammenbruch der beiden Unternehmen RDG und RNRM befürchten ließ. Bereits am 26. Juli 2022 hatte die Geschäftsführung der RDG in einem Gespräch mit dem Ministerium darauf hingewiesen, dass im Fall der Anordnung einer Treuhandverwaltung das Risiko für Gegenreaktionen Russlands hoch sei (Bl. 260 des Verwaltungsvorgangs). Seit Mitte August 2022 erreichten das Ministerium aus den Tochterunternehmen vertrauliche Hinweise auf Bestrebungen der Gesellschafter, über längerfristige Vorkassenregelungen in erheblichem Umfang Kapital aus den Unternehmen abzuziehen (E-Mail vom 15. August 2022, Bl. 269 des Verwaltungsvorgangs). In einer dem Ministerium vorliegenden, an den damaligen Geschäftsführer der RDG gerichteten E-Mail vom 19. August 2022 (Bl. 300 f. des Verwaltungsvorgangs) bat die russische Obergesellschaft um eine für sie günstige Umstellung der Zahlungsmodalitäten für russische Rohöllieferungen. Während die im bestehenden Liefervertrag getroffene Zahlungsvereinbarung eine nachgelagerte Zahlung zum 15. des Folgemonats der Lieferung vorsah, sollte nunmehr bereits zur Mitte des Liefermonats die Ölmenge für den gesamten Liefermonat abgerechnet werden, sodass für die Lieferung der zweiten Monatshälfte zunächst im Wege der Vorkasse gezahlt würde. Die Endabrechnung sollte drei Werktage nach Ende des Liefermonats erfolgen. Die Aufforderung dazu war verbunden mit dem Zusatz "um eine kontinuierliche ununterbrochene Belieferung der RDG mit Rohöl sicherzustellen". Darin lag bei objektiver, hier maßgeblicher Betrachtung eine Drohung mit einer zumindest zeitweiligen Lieferunterbrechung. Darüber hinaus lagen dem Ministerium Mitte August 2022 Hinweise vor, dass die Mitarbeiter der Tochterunternehmen Gehaltszahlungen für drei Monate im Voraus erhalten hatten, verbunden mit der Ankündigung, dass es für diese Zeit keine weiteren Zahlungen geben solle (E-Mail vom 15. August 2022, Bl. 269 des Verwaltungsvorgangs). Die Anhaltspunkte für einen drohenden Kapitalabzug verdichteten sich Ende August 2022 durch weitere dem Ministerium vorliegende Berichte, wonach die russische Obergesellschaft von RDG Vorschüsse von bis zu einem halben Jahr erwarte; damit wären bei Öllieferungen für etwa 300 Mio. € pro Monat rund 1,8 Mrd. € und folglich die gesamten Bargeldbestände von RDG abgezogen worden (Vermerk vom 29. August 2022, Bl. 372 des Verwaltungsvorgangs). Wegen der Warnung vor Gegenreaktionen war das Ministerium nicht zu weiteren Nachfragen bei den Tochtergesellschaften verpflichtet, weil dies die befürchteten Gegenreaktionen unmittelbar hätte auslösen können. Wegen der Hinweise auf Versuche, Umgehungsgeschäfte anzubahnen, musste es auch nicht davon ausgehen, die Gefahr eines Kapitalabflusses sei bereits durch die Sanktionsregelungen für den Finanzverkehr gebannt. Das Ministerium durfte angesichts der Parallelen zum Versuch, die Gazprom Germania GmbH zu liquidieren, annehmen, die russische Obergesellschaft werde die selbst bei einer kurzen Anhörungsfrist zur Verfügung stehende Zeit nutzen, um beiden Tochtergesellschaften ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit durch ruinöse Zahlungsanweisungen, flankiert von Drohungen mit einer Lieferunterbrechung, zu nehmen und so deren Aufgabenerfüllung unmöglich zu machen. Dies hätte den Zweck der Treuhandverwaltung nachhaltig vereitelt.

23 Das Absehen von einer vorherigen Anhörung der Klägerinnen beruht auf einer ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung des Ministeriums. Diese erfordert eine Abwägung der für und gegen die vorherige Anhörung sprechenden Umstände unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2022 - 4 A 7.20 - Buchholz 316 § 28 VwVfG Nr. 20 Rn. 21). Eine solche Abwägung hat das Ministerium vor dem Hintergrund der oben dargestellten Umstände ermessensfehlerfrei vorgenommen und in einem ausführlichen Vermerk vom 1. September 2022 niedergelegt (Bl. 381 ff. <384 f., 386 f.> des Verwaltungsvorgangs); sie ist zugleich Bestandteil der Entscheidungsvorlage vom 12. September 2022 geworden (Bl. 393 ff. <396> des Verwaltungsvorgangs).

24 b) Das Ministerium hat die Pflicht zur Begründung der Anordnung gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG ebenfalls nicht verletzt. Danach ist der Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, in der die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen sind, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. § 39 VwVfG ist eine Verfahrensvorschrift, die sich auf die im konkreten Einzelfall für die Behörde maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe bezieht. Die Tragfähigkeit der Begründung ist hingegen keine Frage des Begründungserfordernisses, sondern der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts (BVerwG, Urteile vom 14. Mai 1991 - 3 C 67.87 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 37 S. 162 f. und vom 29. September 1998 - 1 C 8.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG Nr. 16 S. 46).

25 Hier kann offenbleiben, ob die Anforderungen an die Begründung herabgesetzt waren, weil bei Gefahr im Verzug im Sinne von § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von einem "intendierten Ermessen" auszugehen wäre. Unabhängig davon lässt sich der Anordnung eine ausreichende Begründung dieser Entscheidung entnehmen. Das Absehen von der Anhörung wird dort knapp, aber ausreichend mit dem Hinweis auf öffentliche Interessen im Sinne von § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG oder - falls zwingend – § 28 Abs. 3 VwVfG erläutert. Welche Interessen für das Ministerium ausschlaggebend waren, ergibt sich aus dem Zusammenhang mit den vorstehenden Erwägungen zur Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit. Das genügt der formellen Begründungspflicht unabhängig davon, ob diese Erwägungen rechtlich zutreffen.

26 Auch im Übrigen erfüllt die Anordnung die Anforderungen des § 39 Abs. 1 VwVfG. Das Ministerium hat die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe für seine Entscheidung dargelegt. Die Ausgestaltung der Anordnung bedurfte keiner näheren Begründung, weil sie den gesetzlichen Regelbeispielen entspricht. Soweit die Klägerinnen geltend machen, das Ministerium habe die Anordnung bewusst wahrheitswidrig begründet, ist dieser Vortrag weder substantiiert noch hat das Ergebnis der Beweisaufnahme hierfür Anhaltspunkte erbracht (dazu näher unten Rn. 79 ff. und 84 ff.). Die weiteren von den Klägerinnen gegen die Begründung der Anordnung erhobenen Rügen betreffen der Sache nach materiell-rechtliche Erwägungen, die für die Frage ausreichender Begründung im Sinne des § 39 Abs. 1 VwVfG nicht erheblich sind.

27 2. Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig. Sie beruht auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage (a). Deren Voraussetzungen lagen im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung vor (b). Diese leidet auch nicht an Ermessensfehlern (c).

28 Für die rechtliche Beurteilung der Anordnung ist nach dem insoweit maßgeblichen materiellen Recht auf die Sach- und Rechtslage bei ihrem Erlass Mitte September 2022 abzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob die in Nr. 2 und 3 getroffenen Teilregelungen zur Stimmrechtswahrnehmung oder zumindest die in Nr. 4 geregelte Verfügungsbeschränkung mit Zustimmungsvorbehalt Dauerwirkung entfalten. Setzt die Ermächtigung zum Erlass eines Dauerverwaltungsakts eine Gefahrenprognose voraus, ist nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 6 C 8.18 - BVerwGE 165, 251 Rn. 18; Beschluss vom 6. März 2008 - 7 B 15.08 - juris Rn. 9). Das ist bei Anordnungen gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG der Fall. Ob die Prognose fehlerfrei getroffen wurde, ist nach dem Sachstand im Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung zu beurteilen. Gleiches gilt mangels abweichender materiell-rechtlicher Vorgaben auch für die Kontrolle der Ermessensausübung (§ 40 VwVfG).

29 a) Die Anordnung beruht auf einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigung. § 17 EnSiG ist, soweit hier entscheidungserheblich, verfassungskonform.

30 aa) Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass der Vorschrift ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 und 11 i. V. m. Art. 72 Abs. 2 GG. Die bundeseinheitliche Regelung liegt im gesamtstaatlichen Interesse. Sie dient der Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik, die wegen der Energieabhängigkeit der gesamten Wirtschaft bei einer Rechtszersplitterung nicht zu gewährleisten wäre (vgl. BVerfG, Urteile vom 24. Oktober 2002 - 2 BvF 1/01 - BVerfGE 106, 62 <146> und vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u. a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 286).

31 bb) Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. Es ist nur auf Grundrechte anzuwenden, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130 <154>). Die von der Anordnung einer Treuhandverwaltung gemäß § 17 EnSiG betroffene Gewährleistung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zählt ebenso wie die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) nicht dazu; auch Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie Enteignungsgesetze (Art. 14 Abs. 3 GG) fallen nicht unter das Zitiergebot (BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1968 - 1 BvR 638/64 u. a. - BVerfGE 24, 367 <396, 398>; Beschluss vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80 u. a. - BVerfGE 64, 72 <80 f.>).

32 cc) Das aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Erfordernis ausreichender Bestimmtheit der Regelung ist gewahrt. Danach muss eine Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsakten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, sodass das Handeln der Verwaltung messbar und in gewissem Ausmaß voraussehbar und berechenbar wird (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvL 3/77 u. a. - BVerfGE 56, 1 <12>). Der Gesetzgeber ist gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie es nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Das schließt die Verwendung konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus, sofern diese durch Auslegung zu bestimmen sind und die Betroffenen die Rechtslage erkennen, die tatsächlichen Voraussetzungen der Ermächtigung in zumutbarer Weise feststellen und ihr Verhalten danach einrichten können (BVerfG, Urteil vom 24. Juli 2018 - 2 BvR 309/15, 502/16 - BVerfGE 149, 293 Rn. 77). Diese Anforderungen sind erfüllt. Der Kreis der möglichen Eingriffsadressaten wird durch Verweisungen auf ihrerseits hinreichend bestimmte Regelungen wie § 2 Abs. 10 des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI-Gesetz - BSIG) vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2821), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 23. Juni 2021 (BGBl. I S. 1982), und § 15 AktG klar umrissen. Er ist erkennbar auf Unternehmen beschränkt, deren Tätigkeit von zentraler Bedeutung für die Energieversorgungssicherheit ist. Die sachlichen Eingriffsvoraussetzungen werden durch auslegungsfähige, größtenteils dem Gefahrenabwehrrecht entlehnte unbestimmte Rechtsbegriffe normiert, die anhand der einschlägigen Rechtsprechung zu konkretisieren und daher ebenfalls ausreichend bestimmt sind.

33 Das Tatbestandsmerkmal der Aufgaben wird durch den Zusatz erläutert, dass diese dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienen müssen. Die weitere Konkretisierung ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang, insbesondere aus der oben zitierten Verweisung auf § 2 Abs. 10 BSIG und der Verpflichtung des Treuhänders nach § 17 Abs. 5 Satz 1 EnSiG, auf eine Fortführung des Unternehmens gemäß dessen Bedeutung für eine funktionierende Energieversorgung hinzuwirken. Unter Aufgabenerfüllung ist danach das weitere Erbringen des bisherigen Versorgungsbeitrags zu verstehen (dazu näher unten Rn. 48). Das Erfordernis der konkreten Gefahr bezieht sich - allein - auf die Nichterfüllung dieser Aufgabe; der Einschub "ohne eine Treuhandverwaltung" verweist auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit ihrer Anordnung. Zugleich verdeutlicht der letzte Satzteil des § 17 Abs. 1 EnSiG, dass die Treuhandverwaltung nicht schon bei konkreter Gefährdung der Aufgabenerfüllung angeordnet werden darf, sondern nur unter der weiteren Bedingung, dass eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht.

34 Zweck und zulässiges Ausmaß der Anordnung werden durch § 17 Abs. 1 und 5 Satz 1 EnSiG und die Vorgaben zu ihrer Befristung und Ausgestaltung in § 17 Abs. 2 und 4 sowie Abs. 5 Satz 2 EnSiG bestimmt. Angesichts der Vielfalt möglicher Quellen und Ausprägungen einer Gefährdung der Energieversorgungssicherheit kann auch unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Eingriffsintensität keine präzisere gesetzliche Formulierung der Eingriffsvoraussetzungen und der zulässigen Anordnungen verlangt werden. Die danach unvermeidbaren Auslegungsschwierigkeiten in den Randbereichen sind verfassungsrechtlich hinzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13 - NVwZ 2014, 1571 Rn. 16 m. w. N.)

35 dd) § 17 Abs. 1 bis 4 EnSiG verstößt nicht gegen die Grundrechte der Berufsfreiheit und der Freiheit unternehmerischer Betätigung (Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Er dient der Gewährleistung der Versorgungssicherheit, eines wichtigen Gemeinschaftsguts von überragender Bedeutung (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u. a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 286). Zur Verwirklichung dieses verfassungsrechtlich legitimen Ziels ermächtigt er nur zu verhältnismäßigen Beschränkungen dieser Freiheitsrechte. Wie sich aus dem Tatbestandsmerkmal "ohne eine Treuhandverwaltung" ergibt, muss deren Anordnung zur Abwehr der tatbestandsmäßigen Gefahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Die vorgeschriebene kurze Befristung der Anordnung und etwaiger Verlängerungen stellt sicher, dass die Eingriffsrechtfertigung spätestens nach sechs Monaten erneut und anhand der dann aktuellen Sach- und Rechtslage überprüft wird.

36 ee) Mit der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG ist § 17 EnSiG ebenfalls vereinbar. Die Vorschrift ermächtigt nicht zur Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, weil sie keine vollständige oder teilweise Entziehung der betroffenen Anteilsrechte zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben vorsieht (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 3 EnSiG). Sie bestimmt vielmehr Inhalt und Schranken des Eigentums, indem sie die Ausübung von Rechten aus der Unternehmensbeteiligung für den Fall beschränkt, dass der Versorgungsbeitrag des Unternehmens konkret gefährdet ist und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Die Ermächtigung, die Befugnis zur Ausübung der Gesellschafterstimmrechte befristet für bis zu sechs Monate auf einen staatlichen Treuhänder zu übertragen, dient dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, bei einer drohenden Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit den gefährdeten Versorgungsbeitrag des Unternehmens sicherzustellen. Die Befugnisse des Treuhänders sind gesetzlich auf das dazu Erforderliche begrenzt. § 17 Abs. 5 Satz 1 EnSiG verpflichtet ihn zur Fortführung des Unternehmens gemäß dessen Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens im Energiesektor. Die Ermächtigung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Das ergibt sich einerseits aus der herausragenden Bedeutung der Energieversorgungssicherheit und andererseits aus der kurzen Befristung der Treuhandverwaltung und ihrer etwaigen Verlängerungen sowie daraus, dass das eingeräumte Ermessen nur in den Grenzen des höherrangigen Rechts ausgeübt werden darf. Der Kernbereich der Eigentumsgewährleistung, zu dem die Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand gehören (BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <241>), wird durch § 17 EnSiG nicht ausgehöhlt. § 17 Abs. 5 Satz 2 und 3 EnSiG schützt die Inhaberschaft und die Renditegrundlage der betroffenen Beteiligungen, indem er eine Übertragung der Gesellschaftsanteile verbietet und eine Übertragung von Gegenständen des Betriebsvermögens nur zulässt, wenn dies zum Werterhalt des Unternehmens erforderlich ist. Die danach anzuordnende Treuhandverwaltung belässt den Gesellschaftern sowohl ihre Bezugsrechte als auch das Recht, über ihre Beteiligung zu verfügen.

37 Unwirksam ist die Ermächtigung auch nicht etwa, weil § 17 Abs. 7 Satz 2 EnSiG keine Verpflichtung normiert, schon bei Anordnung der Treuhandverwaltung zumindest dem Grunde nach über Ausgleichsleistungen zu entscheiden. Art. 14 Abs. 3 GG greift mangels Enteignungscharakters der Regelung nicht ein. Inhalts- und Schrankenbestimmungen müssen zur sofortigen Entscheidung über Ausgleichsleistungen nur verpflichten, wenn sie sonst unverhältnismäßige, unzumutbare Eigentumsbeschränkungen vorsehen (BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <244 ff.>). Dies trifft auf § 17 Abs. 1 EnSiG aus den eben dargelegten Gründen nicht zu. Gegenüber denen, die in den persönlichen Schutzbereich des Art. 14 GG fallen, dürfen nur Treuhandverwaltungsanordnungen ergehen, die sich im Rahmen verhältnismäßiger, zumutbarer Konkretisierung der Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 2 GG halten.

38 ff) § 17 EnSiG ist schließlich nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 25 GG unanwendbar. Dies gilt unabhängig davon, ob die in § 17 Abs. 7 Satz 3 Halbs. 1 EnSiG normierte Begrenzung des Kreises der Ausgleichsberechtigten auf Betroffene, die sich auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen können, allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG widerspricht. Dies käme in Betracht, wenn § 17 EnSiG zu Enteignungen im völkerrechtlichen Sinne ermächtigte, derentwegen den Betroffenen völkerrechtlich ein unmittelbar anwendbarer Entschädigungsanspruch zustünde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 2 BvR 955/00, 1038/01 - BVerfGE 112, 1 <22>), der nach § 17 Abs. 7 Satz 3 Halbs. 1 EnSiG ausgeschlossen wäre. Selbst dann wäre jedoch nicht § 17 EnSiG insgesamt, sondern nur der Anspruchsausschluss verfassungswidrig. Außerdem dürfte § 17 Abs. 7 Satz 3 Halbs. 1 EnSiG schon nach seinem Wortlaut nur den einfach-rechtlichen Ausgleichsanspruch begrenzen. Dafür spricht auch der Hinweis in den Gesetzesmaterialien, der Anwendungsbereich völkerrechtlicher Verträge werde nicht berührt (BT-Drs. 20/1501 S. 22 unter V.). Ein Treaty Override war danach nicht beabsichtigt; dass Anderes für die allgemeinen Regelungen des Völkerrechts gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

39 b) Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EnSiG lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung Mitte September 2022 vor. Nach dieser Vorschrift kann ein Unternehmen, das selbst oder durch verbundene Unternehmen im Sinne von § 15 AktG Kritische Infrastrukturen im Sinne von § 2 Abs. 10 BSIG im Sektor Energie betreibt, unter Treuhandverwaltung gestellt werden, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ohne eine Treuhandverwaltung das Unternehmen seine dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienenden Aufgaben nicht erfüllen wird, und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht.

40 aa) Die beiden Tochtergesellschaften der Klägerinnen betreiben Kritische Infrastruktur im Sinne von § 2 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BSIG im Sektor Energie. Sie gehören zu den Betreibern der PCK-Raffinerie, die eine Anlage der Kritischen Infrastruktur im Sinne des § 2 Abs. 10 BSIG darstellt.

41 (1) Zu den Kritischen Infrastrukturen im Sinne des § 2 Abs. 10 Satz 1 BSIG zählen Einrichtungen, Anlagen oder Teile davon, die unter anderem dem Sektor Energie angehören (Nr. 1) und von hoher Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens sind, weil durch ihren Ausfall oder ihre Beeinträchtigung erhebliche Versorgungsengpässe oder Gefährdungen für die öffentliche Sicherheit eintreten würden (Nr. 2). Sie werden gemäß § 2 Abs. 10 Satz 2 BSIG durch die nach § 10 Abs. 1 BSIG erlassene Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (BSI-KritisV) vom 22. April 2016 (BGBl. I S. 958) in der hier maßgeblichen Fassung der Änderung durch Art. 1 der Verordnung vom 6. September 2021 (BGBl. I S. 4163) näher bestimmt. Gemäß § 2 Abs. 6 BSI-KritisV sind im Sektor Energie Kritische Infrastrukturen solche Anlagen oder Teile davon, die den in Anhang 1 Teil 3 Spalte B genannten Kategorien zuzuordnen sind (Nr. 1) und den Schwellenwert nach Anhang 1 Teil 3 Spalte D erreichen oder überschreiten (Nr. 2). Raffinerien stellen im Bereich Kraftstoff- und Heizölversorgung nach Anhang 1 Teil 3 Spalte B Nummer 3.1.2 BSI-KritisV Kritische Infrastruktur dar. Die PCK-Raffinerie überschritt bei Erlass der Anordnung den Schwellenwert von 420 000 t erzeugten Kraftstoffs nach Anhang 1 Teil 3 Spalte D BSI-KritisV, weil sie im Jahr 2021 rund 10,3 Mio. Tonnen Erdölprodukte herstellte.

42 (2) RDG und RNRM gehören zu den Betreibern der PCK-Raffinerie. Betreiber im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG ist, wer nach den rechtlichen, tatsächlichen und wirtschaftlichen Umständen bestimmenden Einfluss auf Beschaffenheit oder Betrieb einer Anlage oder Teilen davon hat. § 17 Abs. 1 EnSiG geht davon aus, dass eine Anlage von mehreren gemeinschaftlich betrieben werden kann und behandelt zum Zweck effektiver Gefahrenabwehr jeden von ihnen als Betreiber.

43 Der Wortlaut der Vorschrift lässt ein solches Verständnis zu. Der Begriff des Betreibens erfasst sowohl das Allein- als auch das Mitbetreiben einer Anlage der Kritischen Infrastruktur. Der Wortsinn wird nicht durch den Verweis des § 17 Abs. 1 EnSiG auf § 2 Abs. 10 BSIG bestimmt. Dieser nimmt nur Kritische Infrastrukturen im Sektor Energie, nicht aber den Begriff des Betreibers in Bezug. Der Betreiberbegriff des Energiesicherungsgesetzes entspricht auch nicht demjenigen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Während im Immissionsschutzrecht eine genehmigungsbedürftige Anlage nur einen Betreiber haben kann (Grundsatz der Betreiberidentität, vgl. Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 4 Rn. 15), steht im Energiesicherungsrecht der Gedanke der effektiven Gefahrenabwehr im Vordergrund. Zweck der Anordnung der Treuhandverwaltung nach § 17 Abs. 1 EnSiG ist es, den Betrieb von Anlagen der Kritischen Infrastruktur zu gewährleisten und dadurch Gefahren für die Energieversorgungssicherheit abzuwehren. Diesem Zweck wird nur durch einen weit gefassten Adressatenkreis Rechnung getragen (vgl. BT-Drs. 20/1501 S. 36). Er umfasst alle Personen, die wegen ihres von anderen unabhängigen, bestimmenden Einflusses auf Beschaffenheit und Betrieb einer Anlage oder Teilen davon in der Lage sind, deren Beitrag zur Versorgungssicherheit zu gefährden. Deshalb kann eine Anlage der Kritischen Infrastruktur im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG auch von mehreren Personen in der Weise betrieben werden, dass jede von ihnen selbst Betreiberin ist. Für den Bereich der Erbringung Kritischer Dienstleistungen geht der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 3 BSI-KritisV ebenfalls von einem weit gefassten Betreiberbegriff aus. So sieht die zur Klarstellung eingefügte Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 3 BSI-KritisV (vgl. Begründung der Zweiten Verordnung zur Änderung der BSI-Kritisverordnung, S. 41, veröffentlicht unter: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/Downloads/sonstige-downloads/kritisvo-bgbl-begr.pdf?__blob=publicationFile§v=4, zuletzt abgerufen am 9. März 2023), das gemeinsame Betreiben einer Anlage durch zwei oder mehr Personen ausdrücklich vor. Betreiben danach zwei oder mehr Personen gemeinsam eine Anlage, so hat jede sämtliche gesetzlichen Betreiberpflichten zu erfüllen.

44 Danach zählen RDG und RNRM zu den Betreibern der PCK-Raffinerie, weil sie ebenso wie die übrigen Mitglieder des von den Gesellschaftern der PCK Raffinerie GmbH gegründeten Konsortiums jeweils bestimmenden Einfluss auf Beschaffenheit und Betrieb der Anlage haben. Diese wird nicht von der Trägerin des Unternehmens, der PCK Raffinerie GmbH, sondern von den Mitgliedern des Konsortiums geführt. Dazu hat die zu 37,5 % an der PCK Raffinerie GmbH beteiligte RDG mit den übrigen Gesellschaftern, darunter der A. Raffineriebeteiligungsgesellschaft mbH (nachfolgend: A. GmbH), einen Konsortialvertrag über die Zusammenarbeit in der PCK Raffinerie GmbH, Schwedt, vom 22. März 2019 (nachfolgend: KV - Anlage K 38) geschlossen. Ihm sind die zu 66,7 % an der A. GmbH und mittelbar zu 16,67 % an der PCK Raffinerie GmbH beteiligte RNRM sowie eine weitere Obergesellschaft der A. GmbH beigetreten. Nach § 4 Nr. 1 KV handelt es sich bei der PCK-Raffinerie um eine von den Anteilseignern als Lohnverarbeitungsraffinerie betriebene Anlage, für die ein non-profit-Status angestrebt wird. Die Anteilseigner haben das Recht, die Kapazität der Anlage im Umfang ihrer jeweiligen Beteiligung zu nutzen (§ 5 KV). Im Konsortialausschuss, der in allen grundsätzlichen Angelegenheiten entscheidet und die Gesellschafterrechte der Anteilseigner wahrnimmt, entsprechen die Stimmrechte deren jeweiligen Kapitalanteilen (§ 14 Nr. 1 und 4 KV). Der Ausschuss ist gegenüber der Geschäftsführung der PCK Raffinerie GmbH weisungsberechtigt (§ 15 Nr. 1 KV) und kann über eine Vielzahl von Geschäften nur einstimmig entscheiden (§ 15 Nr. 2 KV). Dies vermittelt jedem Anteilseigner ein vom Beteiligungsumfang unabhängiges Vetorecht und damit einen von den übrigen Konsorten unabhängigen bestimmenden Einfluss auf Beschaffenheit und Betrieb der PCK-Raffinerie. Gleiches gilt für die sole-risk-Klausel des § 11 Nr. 2 KV. Sie gibt jedem Anteilseigner das Recht, Investitionen zur Erweiterung von Kapazitäten oder zur Schaffung neuer Kapazitäten, die im Einzelfall einen Betrag von 50 Mio. € übersteigen, bei fehlender Einstimmigkeit auf eigene Rechnung durchzuführen. Damit erteilt sie jedem die Befugnis, die Anlage ohne Zustimmung der übrigen und unabhängig vom Umfang seiner Beteiligung auf eigene Rechnung zu verändern. Der RDG steht diese Befugnis als Anteilseignerin zu, die RNRM kann sie als die A. GmbH nach §§ 15 und 17 AktG beherrschendes Unternehmen durch diese ausüben lassen.

45 Der Einwand der Klägerinnen, die RNRM habe ihre Nutzungsrechte an der Raffineriekapazität an die RDG verpachtet, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der von den Klägerinnen zum Nachweis vorgelegte Entwurf eines Toll Processing Agreements (Anlage K 65) sieht lediglich eine Bevollmächtigung der RDG vor, die Rechte der RNRM hinsichtlich des Raffineriebetriebs im eigenen Interesse wahrzunehmen. Hingegen behält die RNRM sich die Ausübung ihrer Gesellschafterrechte ausdrücklich vor (vgl. Nr. 2.3 des Toll Processing Agreement-Entwurfs), sodass sie ihren für den Betreiberbegriff maßgeblichen bestimmenden Einfluss auf Beschaffenheit und Betrieb der PCK-Raffinerie nicht auf die RDG übertragen hat.

46 Nach § 17 Abs. 1 EnSiG ist für die Einordnung der RNRM als Betreiberin im Sinne der Vorschrift unerheblich, dass sie im Gegensatz zur RDG nicht bei dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gemäß § 8b Abs. 3 BSIG als Betreiberin Kritischer Infrastruktur registriert ist (dazu vgl. das Schreiben des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik vom 21. Februar 2023 sowie Anlage B 26).

47 bb) Bei Erlass der Anordnung bestand die konkrete Gefahr, dass RDG und RNRM ihre dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienenden Aufgaben, ihren Beitrag zur Energieversorgung zu erbringen, zukünftig nicht erfüllen würden.

48 (1) Die in § 17 Abs. 1 EnSiG umschriebenen Aufgaben eines Unternehmens, das Kritische Infrastruktur im Energiesektor betreibt, bestehen darin, seinen bisher geleisteten Beitrag zur Energieversorgung weiter zu erbringen. Das erschließt sich aus der Systematik des § 17 Abs. 1 EnSiG und dessen Zusammenhang mit den einschlägigen weiteren Vorschriften. § 17 Abs. 1 EnSiG erfasst nur Unternehmen, die Kritische Infrastruktur im Sektor Energie betreiben. Die von ihnen zu erfüllenden Aufgaben werden durch den Zusatz erläutert, dass sie dem Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie dienen müssen. Aus dem Zusammenhang mit dem letzten Halbsatz der Vorschrift und der Verweisung des § 17 Abs. 1 EnSiG - auch - auf § 2 Abs. 10 Satz 1 Nr. 2 BSIG ergibt sich, dass die Aufgabennichterfüllung zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit oder gar erheblichen Versorgungsengpässen führen kann. Danach ist als Aufgabenerfüllung die Fortführung des Beitrags zur Energieversorgung (Versorgungsbeitrag) zu verstehen, den das Unternehmen durch seine satzungsgemäße Geschäftstätigkeit erbringt. Das Tatbestandsmerkmal der Aufgaben verweist also nicht auf anderweitige gesetzliche Aufgabendefinitionen wie in § 2 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Es umschreibt keine rechtliche Verpflichtung und setzt auch keinen hoheitlichen Auftrag voraus. Vielmehr bezeichnet es, wie in Anhang 1 Teil 1 Nr. 2.19 BSI-KritisV, eine Funktion, die das Unternehmen erfüllt. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass die im Energiesektor tätigen Unternehmen mit ihrer freiheitsrechtlich gesicherten Tätigkeit regelmäßig schon im eigenen wirtschaftlichen Interesse eine ausreichende Energieversorgung sicherstellen (vgl. Schulte-Beckhausen, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Mai 2022, Einführung Rn. 14 ff.). Zu Eingriffen ermächtigt § 17 Abs. 1 EnSiG lediglich zur Gefahrenabwehr: Nur wenn - erstens - die konkrete Gefahr besteht, dass ein Unternehmen den bisher mit seiner Geschäftstätigkeit geleisteten Versorgungsbeitrag ohne Treuhandverwaltung künftig nicht erbringen wird und - zweitens - deswegen eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht, darf die unternehmerische Freiheit gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG eingeschränkt werden, um das Unternehmen nach § 17 Abs. 5 Satz 1 EnSiG durch einen Treuhänder gemäß seiner Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie fortzuführen und die Gefahr abzuwenden.

49 Zur Aufgabenerfüllung im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG gehört auch, rechtzeitige und ausreichende Vorkehrungen dafür zu treffen, dass das Unternehmen auf absehbare Veränderungen der Marktbedingungen reagieren und seinen Versorgungsbeitrag unter geänderten Rahmenbedingungen weiterhin erbringen kann. In der verfassungsrechtlich geschützten freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung vollzieht sich die unternehmerische Betätigung nicht unter starren, gleichbleibenden Bedingungen. Sie muss sich auf das jeweils aktuelle Marktgeschehen einstellen und schon wegen der Freiheitsausübung Dritter damit rechnen, dass die für ihre Tätigkeit relevanten Rahmenbedingungen sich ändern. Im Regelungsbereich des § 17 EnSiG trifft ein Unternehmen die Obliegenheit, absehbaren Änderungen Rechnung zu tragen, um seine Geschäftstätigkeit fortführen zu können.

50 Ein Fall der Nichterfüllung der Aufgaben gemäß § 17 Abs. 1 EnSiG liegt nicht erst vor, wenn der Versorgungsbeitrag gänzlich entfällt. Nach der Systematik und dem Sinn und Zweck der Regelung erfüllt jede nicht unerhebliche Minderung des Versorgungsbeitrags dieses Tatbestandsmerkmal. Auch eine solche Minderung kann ursächlich für eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass jede Minderung wegen entsprechender Bedarfsreduzierung oder wegen ausreichender Kompensation durch andere Marktteilnehmer folgenlos bleibt. Aus welchen Gründen der Versorgungsbeitrag sich mindert oder entfällt, ist nach § 17 Abs. 1 EnSiG unerheblich. Wie im sonstigen Gefahrenabwehrrecht genügt die Ursächlichkeit für den drohenden Schaden, ohne dass es auf Rechtmäßigkeit oder Vorwerfbarkeit des Ursachenbeitrags ankäme.

51 (2) Mitte September 2022 bestand die konkrete Gefahr, dass RDG und RNRM ihre Aufgaben im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG zukünftig nicht erfüllen würden. Eine konkrete Gefahr im Sinne der Vorschrift ist gegeben, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die aus der ex-ante-Sicht eines verständigen Amtswalters die Annahme rechtfertigen, dass bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine nicht unerhebliche Minderung des Versorgungsbeitrags eintreten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - 1 C 31.72 - BVerwGE 45, 51 <57>). Dabei hängt der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die Annahme einer Gefahr erforderlich ist, von der Größe und dem Gewicht des drohenden Schadens ab. Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muss umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf umso kleiner sein, je schwerer der etwa eintretende Schaden wiegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1991 - 1 C 4.90 - BVerwGE 88, 348 <351> und vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Der Schaden, der nach § 17 Abs. 1 EnSiG abgewendet werden soll, ist eine durch den Ausfall oder die Minderung von Versorgungsbeiträgen eintretende Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit (BT-Drs. 20/1501 S. 21). An deren Wahrscheinlichkeit sind wegen der überragenden Bedeutung der Sicherung der Energieversorgung für das Gemeinwohl (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139, 3386/08 - BVerfGE 134, 242 Rn. 286) nur geringe Anforderungen zu stellen, auch wenn die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts nicht genügt.

52 Diese Anforderungen waren bei Erlass der Anordnung erfüllt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme rechtfertigten die dem Ministerium Mitte September 2022 bekannten und für es erkennbaren Umstände die Prognose, dass RDG und RNRM ihren Versorgungsbeitrag im Fall einer Unterbrechung der russischen Rohöllieferung mangels hierfür getroffener Vorkehrungen nicht mehr würden erbringen können. Darüber hinaus war ihre Geschäftstätigkeit durch die Selbstsanktionierung ihrer Geschäftspartner (Overcompliance), insbesondere im Bereich ihrer Geschäftsbeziehungen zu Banken und Versicherungen, gefährdet.

53 (a) Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass nach den dem Ministerium bekannten und für es erkennbaren Umständen Mitte September 2022 mit einer Unterbrechung der Lieferung russischen Rohöls über die Drushba-Pipeline zu rechnen war.

54 Es lagen konkrete Anhaltspunkte vor, die bei objektiver Betrachtung die Prognose einer zumindest zeitweiligen Lieferunterbrechung rechtfertigten. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Situation der Energieversorgung über russische Lieferanten im Spätsommer 2022 insgesamt äußerst prekär war. Seit dem Frühjahr 2022 bestanden Unsicherheiten über die Verlässlichkeit der weiteren Belieferung mit Gas über die Pipeline Nord Stream 1. Der Zeuge Y. hat glaubhaft dargelegt, dass die Gaslieferung an deutsche Gasimporteure via Nord Stream 1 seit Mitte Juni 2022 kontinuierlich reduziert und am 31. August 2022 vollständig eingestellt wurde (vgl. auch die im Schriftsatz der Beklagten vom 10. Februar 2023, S. 6 f. zitierten Tagesschau-Berichte vom 14. Juni, 27. Juli und 2. September 2022: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/gazprom-reduziert-gaslieferung-101.html; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gas-nord-stream-eins-gazprom-101.html und https://www.tagesschau.de/wirtschaft/gazprom-nord-stream-gaslieferstopp-103.html, jeweils zuletzt abgerufen am 9. März 2023). Vor diesem Hintergrund musste die Unterbrechung der Lieferung russischen Rohöls in der Zeit vom 4. bis 10. August 2022 über den Südstrang der Drushba-Pipeline nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei Anlass zu der Befürchtung geben, dass russisches Rohöl in Zukunft generell nicht mehr verlässlich beziehbar sein würde. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer Lieferunterbrechung wird bereits im Klagevorbringen bestätigt (vgl. Schriftsatz der Klägerinnen vom 2. März 2023, S. 28 unter 11.3 .1). Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad genügt den Anforderungen wegen der Höhe des Schadens, der bei einem Ausfall der PCK-Raffinerie als Folge einer längeren Lieferunterbrechung einträte. Wegen der Erfahrungen mit den Gaslieferungen war die Wahrscheinlichkeit einer langen oder sogar dauerhaften Unterbrechung im September 2022 nicht als nur gering einzuschätzen.

55 Zusätzliche Indizien für die Gefahr einer Lieferunterbrechung auch über den Nordstrang der Drushba-Pipeline ergaben sich aus den dem Ministerium vorliegenden Hinweisen auf Bemühungen um einen Kapitalabzug (vgl. oben Rn. 22). Aus der ex-ante-Sicht eines verständigen Amtswalters rechtfertigten sie die Annahme, die russischen Obergesellschaften versuchten, ähnlich wie im Fall der Gazprom Germania GmbH, in erheblichem, die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs gefährdenden Umfang Kapital aus den Tochtergesellschaften abzuziehen, um Lieferunterbrechungen vorzubereiten oder jedenfalls bei Bedarf ohne eigenen wirtschaftlichen Schaden vornehmen zu können. Die von den Klägerinnen nach Ergehen des Beweisbeschlusses nachgereichte E-Mail-Korrespondenz (Anlagen K 72 bis 74 zum Schriftsatz vom 2. März 2023) und das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigen diese Einschätzung. Danach wurden im August 2022 mit den Tochtergesellschaften verschiedene, letztlich nicht realisierbare Möglichkeiten des Kapitaltransfers erörtert, um dort vorhandene Liquidität, die nach Angaben der Zeugen Z. und X. seinerzeit jedenfalls mehr als 1 Mrd. € betrug, an die Obergesellschaften zu transferieren. So wurde Anfang August 2022 eine vorzeitige Gewinnabführung an die Anteilseigner erwogen (vgl. E-Mail vom 4. August 2022, Anlage K 74). Der für den Bereich Finanzen zuständige Geschäftsführer, der Zeuge X., führte eingangs dieser E-Mail aus, die zwischenzeitliche Verteilung von Dividenden werde "uns in der heutigen Situation nicht helfen. Wir müssen anderes besprechen" (vgl. die von den Klägerinnen zur Verfügung gestellte Übersetzung des russischsprachigen Eingangssatzes der im Übrigen in Englisch verfassten E-Mail vom 4. August 2022 durch ihre Dolmetscherin Frau R., Sitzungsniederschrift vom 7. März 2023, S. 2). Auf den Versuch eines Kapitaltransfers deutet auch die vom Zeugen X. unternehmensintern angeregte Prüfung hin, ob eine Änderung der Zahlungsbedingungen mit der Muttergesellschaft rechtlich und steuerrechtlich zulässig wäre, wobei er Vorauszahlungen an die Muttergesellschaft strikt ausschloss (E-Mail vom 16. August 2022, Anlage K 73). Der im Verwaltungsvorgang dokumentierte vertrauliche Hinweis auf beabsichtigte Vorkassenregelungen und langfristige Vorschüsse erklärt sich aus dem Vorschlag des Unternehmens M. Group (M.-G.), ihm Vorschüsse für fünf von acht vereinbarten Rohöllieferungen zu leisten, die ersten drei Lieferungen umgehend zu bezahlen und erst bei Lieferung der letzten fünf den Kaufpreis mit der Vorschusszahlung zu verrechnen (E-Mail vom 8. August 2022, 10:49 Uhr, Anlage K 72). Den Vorteil dieser Zahlungsweise für RDG stellte der Zeuge X. ausdrücklich in Frage ("What would this prepayment give to RDG?", vgl. E-Mail vom 8. August 2022, Anlage K 72).

56 Im Rahmen der Beweisaufnahme hat er erklärt, das Mutterunternehmen habe nachgefragt, ob die Möglichkeit bestehe, über Vorauszahlungen zu sprechen oder häufigere Zahlungen vorzunehmen; dies sei wegen steuerrechtlicher Hindernisse abgelehnt worden. Der Zeuge Z. hat bekundet, dass die russische Muttergesellschaft darauf drängte, den Zahlungszeitraum zu verkürzen. Außerdem hat er bestätigt, dass Vorschüsse von der ostasiatischen Gesellschaft M.-G. gefordert wurden. RDG sei aber mangels Sicherheit, dass das Öl auch geliefert werde, nicht dazu bereit gewesen. In Verbindung mit den zitierten Unterlagen bestätigen diese Aussagen die Gefahr erheblicher Kapitalabflüsse aus den Tochtergesellschaften. Letztere weigerten sich zwar, rechtlich nicht zulässige oder das eigene Geschäft eklatant schädigende Zahlungen vorzunehmen, hätten entsprechende Entscheidungen aber wegen der Weisungsbefugnis der Gesellschafter und der Möglichkeit von Umgehungsgeschäften nicht dauerhaft verhindern können. So hat der Zeuge Z. auf Nachfrage angegeben, er habe zwar wegen der Sanktionsfolgen etwas selbständiger handeln und entscheiden können als sonst, sei aber nach wie vor an Weisungen der Muttergesellschaft gebunden gewesen. Der Zeuge Y. hat im Wesentlichen die im Verwaltungsvorgang dokumentierten Hinweise bestätigt und glaubhaft bekundet, dass diese nach den damals erkennbaren Umständen und vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Gazprom Germania GmbH den Eindruck erweckten, die russischen Obergesellschaften versuchten nicht nur die Zahlungsbedingungen zu ändern, sondern einen Liquiditätsabfluss zu realisieren. Es habe die große Gefahr bestanden, dass massiv Kapital aus den Tochterunternehmen gezogen werde; in der Annahme einer bevorstehenden Lieferunterbrechung habe man die Arbeiten an der Energietransportverordnung beschleunigt. Der Beweiswert seiner Angaben wird nicht durch den Hinweis der Klägerinnen gemindert, er habe sich in einer Verhandlungspause mit einer Person ausgetauscht, die als Zuhörer an der Sitzung teilgenommen habe und vermutlich der Beklagtenseite angehöre, und dabei Einblick in den Verwaltungsvorgang genommen. Dieser Vorgang war ihm aus seinem Aufgabenbereich bereits bekannt. Seine Angaben entsprechen im Wesentlichen dem bereits dokumentierten Geschehensablauf und enthalten keine wahrnehmbare Ergänzung, die durch Kenntnisse des Verhandlungsverlaufs oder der Angaben anderer Zeugen zu erklären sein könnte. Insbesondere waren seine Aussagen von keinerlei Belastungseifer gekennzeichnet. So hat er die in der E-Mail vom 19. August 2022 (Bl. 300 des Verwaltungsvorgangs) enthaltene Drohung mit einer Lieferunterbrechung selbst auf Vorhalt kaum als solche wahrgenommen, sondern seine Gefahreneinschätzung vornehmlich auf andere Gesichtspunkte wie die Overcompliance und die Parallele zur Entwicklung bei der Gazprom Germania GmbH gestützt.

57 Das Vorbringen der Klägerinnen, bei den Vorauszahlungen dreier Monatsgehälter habe es sich um "Bonuszahlungen" gehandelt, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachvollziehbar. Die Aussagen der Zeugen waren dazu unergiebig. Der Senat hält die Einordnung als Bonus- oder Prämienzahlungen nicht für überzeugend, weil sie nicht erklärt, weshalb diese Zahlungen anstelle der regulären Gehaltszahlung und nicht zusätzlich zu dieser geleistet werden sollten. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass die Vorauszahlung sich aus der Mitteilung der die Gehaltszahlungen ausführenden C.-Bank erklärt, die Geschäftsbeziehung mit Ablauf des Jahres 2022 zu beenden (dazu unten Rn. 63). Dem zweiten Hilfsbeweisantrag der Beklagten zur Frage des Kapitalabzugs (Punkt 3. des Beweisbeschlusses vom 22. Februar 2023) musste der Senat mangels Erheblichkeit nicht nachgehen.

58 Auf die drohende Lieferunterbrechung leitungsgebundenen russischen Rohöls waren RDG und RNRM nicht vorbereitet. Sie haben keine rechtzeitigen, ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um in einem solchen Fall ihren Versorgungsbeitrag weiterhin erbringen zu können.

59 Die Diversifizierung der Rohöllieferungen für die PCK-Raffinerie hätte eine Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt erfordert. Zu einer nennenswerten Beteiligung an deren Kosten, die auf rund 400 Mio. € geschätzt wurden und deren Fertigstellung erst in zwei bis drei Jahren zu erwarten gewesen wäre, waren die Tochtergesellschaften nicht bereit. Vielmehr verdeutlichte deren Geschäftsführer in einem Gespräch mit Vertretern des Ministeriums am 26. Juli 2022 (Bl. 258 <259> des Verwaltungsvorgangs), die russische Obergesellschaft werde sich einer Ertüchtigung der Pipeline nicht entgegenstellen, wenn der Bund sie zu 100 % finanziere. Diesen Gesprächsinhalt haben die Zeugen Y. und Z. glaubhaft bestätigt; der Zeuge Z. hat bekundet, er sei lediglich bereit gewesen, in eigener Verantwortung und ohne Rücksprache mit der russischen Muttergesellschaft einen Betrag von rund 15 Mio. € für die Vorarbeiten zum Ausbau der Pipeline zur Verfügung zu stellen. Die Gesprächsnotiz, ohne russisches Öl wäre Rosneft wahrscheinlich nicht mehr an der PCK interessiert, hält der Senat ebenfalls für zutreffend. Der Zeuge Z. hat angegeben, nach seinem Eindruck habe die russische Obergesellschaft die Drushba-Pipeline und die PCK-Raffinerie als Gesamtpaket gesehen; deshalb sei vorstellbar, dass ohne Rohöllieferungen kein Interesse an der Raffinerie mehr bestünde. Das habe er in dem Gespräch auch als eigene Vermutung so geäußert.

60 Gegen eine Bereitschaft der Tochtergesellschaften zur rechtzeitigen Diversifizierung ihrer Ölbezugsquellen spricht zudem, dass sie sich im Verlaufe des Sommers 2022 zunehmend deutlicher für einen Weiterbezug russischen Rohöls aussprachen. Während ihre Rechtsberater noch Ende Juni 2022 mitteilten, nur der Zeitpunkt eines möglichen Ölembargos sei für sie von Bedeutung (E-Mail vom 22. Juni 2022, Bl. 184 <185> des Verwaltungsvorgangs), drängte der neue Geschäftsführer, der Zeuge Z., gegenüber dem Ministerium im Juli 2022 auf einen über das Jahresende hinausreichenden Bezug russischen Rohöls (vgl. Bl. 258 des Verwaltungsvorgangs), obwohl angesichts der Protokollerklärung der Bundesregierung mit der Regelung eines Importembargos zum Jahresende 2022 zu rechnen war und der zeitliche Vorlauf für den Öleinkauf nach Angaben der Rechtsberater der Tochtergesellschaften mindestens drei Monate betrug (Bl. 184 <185> des Verwaltungsvorgangs). Der Zeuge Z. hat dazu erläutert, er habe sich für eine längere Übergangsfrist von fünf bis sechs Monaten eingesetzt, um wirtschaftliche Verluste gering zu halten.

61 (b) Ebenso steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats fest, dass die Fortführung des Versorgungsbeitrags von RDG und RNRM wegen der Overcompliance ihrer Geschäftspartner bei Erlass der Anordnung konkret gefährdet war. Dies begründete ebenfalls und unabhängig von der drohenden Lieferunterbrechung die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Geschäftstätigkeit nicht mehr würden aufrechterhalten können.

62 Bereits seit Frühjahr 2022 traten erste Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Zahlungsdienstleistern der beiden Tochtergesellschaften der Klägerinnen auf. So bat RDG mit Schreiben vom 23. März 2022 (Bl. 44 f. des Verwaltungsvorgangs) das Ministerium um Unterstützung, weil ihre Hauptbank (C.-Bank) aufgrund der Unsicherheiten bei der Auslegung von Sanktionsvorschriften und der daraus resultierenden Overcompliance keine eingehenden Kundenzahlungen mehr gutschreibe. Daraufhin stellte das Ministerium den Tochtergesellschaften am 24. März 2022 einen Letter of Comfort (Bl. 52 f. des Verwaltungsvorgangs) zur Verfügung, in dem es deren Bedeutung für die Energieversorgungssicherheit hervorhob und klarstellte, dass sie nicht den EU-Sanktionen unterlägen. Dies führte nach den übereinstimmenden, glaubhaften Angaben der Zeugen W., Z. und X. dazu, dass sich in der Folgezeit die Schwierigkeiten wegen der Overcompliance von Geschäftspartnern zunächst reduzierten. Sie verschärften sich jedoch spätestens ab Mitte Juli 2022 erneut. Deshalb baten die Tochtergesellschaften im Gespräch mit dem Ministerium am 26. Juli 2022 um einen weiteren Letter of Comfort (Bl. 258 des Verwaltungsvorgangs) zur Unterstützung bei ihrer Geschäftstätigkeit, zumal verschiedene Geschäftspartner sich wegen der neuen Sanktionspakete danach erkundigt hätten. Dass die Overcompliance-Probleme andauerten, ergibt sich auch aus der an das Ministerium übermittelten E-Mail vom 15. Juli 2022 (Anlage B 61 sowie Bl. 243 f. des Verwaltungsvorgangs). Darin beschrieben die Rechtsberater der RDG insgesamt fünf von Overcompliance-Problemen betroffene Bereiche, darunter auch Schwierigkeiten in den Geschäftsbeziehungen mit der C.-Bank Schweiz. Danach führte die verspätete Ausführung der Zahlung einer Frachtgebühr im Juli 2022 zu Verzögerungen bei der Entladung eines Öltankers in T. Obwohl die Zahlung von Seiten der Tochtergesellschaften nicht nur über die C.-Bank, sondern parallel auch über die I.-Bank angewiesen worden war, kam es bei der Empfängerbank, der C.-Bank Schweiz, wegen Compliance-Prüfungen zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung der Gutschrift, die nach Angaben des Zeugen X. bis Mitte August 2022 andauerte. Den Vorgang selbst haben er sowie die Zeugen W. und Z. im Wesentlichen übereinstimmend geschildert. Der Zeuge Z. hat zudem glaubhaft bekundet, dass ihn Overcompliance-Probleme während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit in den Tochterunternehmen im operativen Alltagsgeschäft begleiteten und zu erheblichem Zusatzaufwand bei der Geschäftsabwicklung führten.

63 Dass die Overcompliance-Probleme auch im September 2022 fortdauerten, ergibt sich unter anderem daraus, dass die C.-Bank als eine der beiden im Sommer 2022 verbliebenen Hauptbanken der Tochtergesellschaften nur noch aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung bereit war, weiterhin Löhne und Sozialversicherungsbeiträge zu überweisen, und nach den glaubhaften Angaben der Zeugen Z. und X. Ende August oder Anfang September die Kündigung der Geschäftsbeziehungen zum Jahresende angekündigt hatte. Beide Zeugen haben eingeräumt, dass Bemühungen, eine andere Bank für die Abwicklung der Gehalts- und Sozialversicherungszahlungen zu gewinnen, erfolglos geblieben waren. Der Zeuge X. hat angegeben, man habe die technische Möglichkeit, solche Zahlungen über die I.-Bank abzuwickeln, zu einem Probelauf genutzt. Die technische Durchführbarkeit konnte jedoch die weiterhin fehlende vertragliche Vereinbarung einer Übernahme dieser Zahlungsdienstleistungen durch die I.-Bank nicht ersetzen. Vielmehr war diese erkennbar bemüht, die Geschäftsbeziehung nicht auszuweiten. Weil sie den Kreditrahmen der Tochtergesellschaften in Höhe von 100 Mio. € gekündigt hatte, konnten die für den Erdölbevorratungsverband nötigen Bankbürgschaften nach Angaben des Zeugen X. nur noch über Umwege mit Hilfe einer Drittbank, der G.-Bank Luxemburg, erbracht werden. Unter diesen Umständen ist die Aussage des Zeugen Z., weitere Geschäftsbeziehungen zu anderen Banken seien wünschenswert gewesen, sehr einleuchtend. Die nur vom Zeugen X. vertretene Einschätzung, Schwierigkeiten mit den Zahlungsdienstleistern hätten die Geschäftstätigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt, kann der Senat angesichts der vorliegenden Unterlagen und der sie bestätigenden übrigen Zeugenaussagen nicht nachvollziehen. Dass der Zeuge Z. die Schwierigkeiten für erheblich, aber nicht für kritisch hielt, erklärt sich aus der von ihm eingeräumten höheren Risikobereitschaft, zu der die Geschäftsführung gerade wegen der Schwierigkeiten, Geschäftsbeziehungen angesichts von Sanktionen und Overcompliance stabil zu halten, gezwungen war.

64 Weitere die Aufgabenerfüllung konkret gefährdende Overcompliance-Probleme gab es im Bereich der Industrieversicherung. In einer vertraulichen E-Mail vom 6. September 2022 wurde dem Ministerium mitgeteilt, dass der Industrieversicherer H. aus Compliance-Gründen nicht mehr bereit sei, die PCK-Raffinerie zu versichern (Bl. 376 des Verwaltungsvorgangs). Der Zeuge Y. hat angegeben, ihm sei von Mitarbeitern berichtet worden, dass es um die Haftpflichtversicherung des H. gehe und die Geschäftsführer der PCK-Raffinerie im Fall einer Kündigung dieser Versicherung ihr Amt sofort niederlegen wollten. Diese Aussage ist glaubhaft, weil die Information in den Zuständigkeitsbereich des Zeugen Y. fiel und die Geschäftsführer ohne die Versicherung ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko hätten tragen müssen. Gegen die Richtigkeit der Information spricht nicht, dass der Zeuge X. erklärt hat, ihm sei die Kündigung Anfang September 2022 noch nicht bekannt gewesen, und der Zeuge Z. zu diesem Vorgang keine näheren Angaben machen konnte. Die Aussage des Zeugen Y. wird auch durch die seitens der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Kommunikation mit einem Geschäftsführer der PCK-Raffinerie nicht widerlegt. Ihr kommt kein Beweiswert zu, weil der Geschäftsführer nach diesem Vortrag nicht auf Fragen zur Haftpflichtversicherung, sondern zur Feuerversicherung des H. geantwortet hat. Der Verweis der Klägerinnen auf die hohen Kontoguthaben ihrer Tochtergesellschaften kann angesichts des drohenden Kapitalabzugs eine Industriehaftpflichtversicherung der PCK-Raffinerie nicht ersetzen.

65 Dem Hilfsbeweisantrag der Beklagten vom 2. März 2023, Frau E. als Zeugin zu den Overcompliance-Problemen zu vernehmen, musste der Senat mangels Erheblichkeit nicht nachgehen.

66 (c) Rechtfertigten bereits die drohende Lieferunterbrechung und die bestehenden Overcompliance-Probleme mit Geschäftspartnern der Tochtergesellschaften die Gefahrenprognose, dass RDG und RNRM ihren Versorgungsbeitrag künftig nicht unvermindert würden erbringen können, kann dahinstehen, ob sich die Beseitigung der im März 2022 von der RDG gemeldeten Störung ihrer IT-Sicherheit infolge von Overcompliance-Problemen verzögerte und ob die Informationstechnik der RDG Mitte September 2022 dem Stand der Technik im Sinne des § 8a Abs. 1 Satz 2 BSIG entsprach (vgl. Nr. 1 des Beweisbeschlusses vom 22. Februar 2023). Daher erübrigen sich weitere Ermittlungen dazu, die sonst wegen der Unergiebigkeit der Vernehmung des sachverständigen Zeugen U. erforderlich gewesen wären. Dem ersten Hilfsbeweisantrag der Klägerinnen sowie dem ersten Hilfsbeweisantrag der Beklagten zum Beweisbeschluss vom 22. Februar 2023, die sich jeweils auf das Beweisthema der IT-Sicherheit bezogen, musste der Senat mangels Erheblichkeit nicht nachgehen.

67 cc) Das Tatbestandsmerkmal "ohne eine Treuhandverwaltung" im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG bringt zum Ausdruck, dass die Anordnung einer Treuhandverwaltung erforderlich sein muss, die Gefährdung der Energieversorgungssicherheit durch Aufgabennichterfüllung abzuwenden. Damit verweist es auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, das unter Rn. 93 ff. erörtert - und bejaht - wird. Ein darüber hinausgehender eigenständiger Gehalt kommt dem Tatbestandsmerkmal nicht zu. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen verlangt es insbesondere keine Bewertung der negativen Auswirkungen einer Lieferunterbrechung im Verhältnis zu den positiven und negativen Auswirkungen der beabsichtigten Treuhandmaßnahmen. Daher musste der Senat dem zweiten Hilfsbeweisantrag der Klägerinnen vom 9. März 2023, dem dieser Vergleich zugrunde liegt, mangels Erheblichkeit nicht nachkommen. Darüber hinaus handelt es sich um ein Ausforschungsbegehren, das keine entscheidungserhebliche Tatsache unter Beweis stellt, sondern sie erst ermitteln will.

68 dd) Das Ministerium durfte Mitte September 2022 davon ausgehen, dass wegen der konkreten Gefahr eines Ausfalls des Versorgungsbeitrags der beiden Tochtergesellschaften eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit drohte. Der Tatbestand des § 17 Abs. 1 EnSiG stellt auf die Versorgungssicherheit ab und bringt mit dem Wortelement "-sicherheit" zum Ausdruck, dass es um die Gewährleistung der Verlässlichkeit und Stabilität der Energieversorgung geht. Die Energieversorgung ist eine öffentliche Aufgabe und gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge. Sie ist eine Leistung, deren der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139, 3386/08 - BVerfGE 134, 242 Rn. 286; Beschluss vom 20. März 1984 - 1 BvL 28/82 - BVerfGE 66, 248 <258>). Versorgungssicherheit im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG ist danach die Gewährleistung einer ausreichenden, verlässlichen und kontinuierlichen Versorgung mit Energie. Im Gegensatz zu § 1 Abs. 1 EnSiG verlangt § 17 Abs. 1 EnSiG keine Gefährdung oder Störung der Energieversorgung, sondern nur eine drohende Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit. Darunter ist die Gefahr nicht unerheblicher Einbußen bei der Versorgung mit Energie zu verstehen, die sich auf das Funktionieren des Gemeinwesens auswirken können (vgl. Kment, NJW 2022, 2302 Rn. 8). Dabei ist das Ausmaß der räumlichen Auswirkungen ebenso zu berücksichtigen wie die Größe des betroffenen Personenkreises und die Dauer der zu besorgenden Beeinträchtigung. An die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit durch die Aufgabenminder- oder -nichterfüllung dürfen wegen der existenziellen Bedeutung sicherer Energieversorgung keine hohen Anforderungen gestellt werden.

69 Nach diesem Maßstab drohte eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit. Bei einem Ausfall des Versorgungsbeitrags der Tochtergesellschaften hätte die PCK-Raffinerie nicht mit der erforderlichen Mindestlast betrieben werden können. Dies hätte im gesamten Nordosten des Bundesgebiets, insbesondere in der Region Berlin/Brandenburg, zu längerfristigen, erheblichen Versorgungsschwierigkeiten mit Rohölprodukten geführt und Kernbereiche der Daseinsvorsorge, wie etwa die Wärmeversorgung großer Teile der dortigen Bevölkerung, gefährdet. Gleiches wäre bei einem Zusammenbruch der Geschäftstätigkeit der beiden Tochtergesellschaften infolge der Mitte September 2022 weiterhin bestehenden Overcompliance-Probleme zu erwarten gewesen. Dass diese Auswirkungen absehbar verlässlich durch kompensierende Versorgungsbeiträge anderer Unternehmen hätten abgewendet werden können, ist weder geltend gemacht noch sonst erkennbar.

70 c) Die Anordnung ist nicht ermessensfehlerhaft. Das Ministerium hat sein Ermessen hinsichtlich des Erlasses einer Treuhandverwaltungsanordnung, der Adressatenauswahl und der Ausgestaltung der Anordnung gemäß § 17 Abs. 1, 2 und 4 EnSiG erkannt und dieses Ermessen gemäß § 40 VwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und innerhalb seiner gesetzlichen Grenzen ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).

71 aa) Ein Ermessensausfall oder eine Ermessensunterschreitung liegen weder hinsichtlich des Einschreitens noch hinsichtlich der Adressatenauswahl oder der Ausgestaltung der Anordnung vor. Ihre Begründung lässt unter Nr. II. 3. und 4. jeweils die wesentlichen ermessensleitenden Erwägungen erkennen.

72 Danach entschloss sich das Ministerium zum Einschreiten, weil es davon ausging, nur eine Treuhandverwaltung könne die drohende Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit abwenden. Dass auch andere Vorgehensweisen erwogen wurden, ergibt sich aus den im Verwaltungsvorgang enthaltenen Dokumenten zum Entscheidungsprozess. Der Bitte der Tochtergesellschaften der Klägerinnen, einen weiteren Letter of Comfort auszustellen, kam das Ministerium wegen der Reaktionen auf den ersten nicht nach (vgl. Bl. 189 des Verwaltungsvorgangs). Es erörterte die Treuhandverwaltung - auch mit Vertretern von RDG und RNRM - als Alternative zum Abwarten der befürchteten Insolvenz dieser Tochtergesellschaften und zog sie sowohl dieser Lösung als auch einer Enteignung vor (vgl. den ministeriellen Vermerk vom 25. März 2022 - BMWK-IE2 - Bl. 54 <55> des Verwaltungsvorgangs sowie dort Bl. 73 <96> den Entwurf zur Optionsanalyse Mineralöl vom 29. März 2022 und Bl. 138 ff. <139 ff., 143> das Non-Paper zu Handlungsoptionen zur Stabilisierung der RDG und ihrer Raffinerie-Beteiligungen).

73 Die Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit unter Nr. II. 4. der Anordnung zeigen, dass das Ministerium auch sein Auswahlermessen erkannt und ausgeübt hat. Eine Treuhandverwaltungsanordnung nur bezüglich der Pipeline Rostock-Schwedt oder der PCK Raffinerie GmbH wurde erwogen, aber - im ersten Fall - als rechtlich nicht möglich oder - im zweiten - als weniger geeignet verworfen (vgl. E-Mails Bl. 248 ff. des Verwaltungsvorgangs).

74 Die ermessensleitenden Gesichtspunkte für die konkrete Ausgestaltung und die Befristung der Anordnung ergeben sich ebenfalls aus deren Nr. II. 3. und 4. und dem im Verwaltungsvorgang dokumentierten Entscheidungsprozess. Danach zielt die Anordnung darauf, den unternehmerischen Einfluss der Klägerinnen auf die inländischen Tochtergesellschaften auszuschließen, um der Overcompliance zu begegnen und eine Diversifizierung der Ölbezugsquellen auch gegen die wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen und ihrer Konzernmutter zügig vorantreiben zu können. Dazu wurde die Treuhandverwaltung entsprechend dem gesetzlichen Regelungsmodell konzipiert (§ 17 Abs. 4 EnSiG) und die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EnSiG zulässige Frist im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer der für erforderlich gehaltenen Maßnahmen ausgeschöpft (zum sechsmonatigen Zeitraum, der für das Engineering der Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt veranschlagt wurde, vgl. das Gesprächsprotokoll vom 26. Juli 2022, Bl. 258 <259> des Verwaltungsvorgangs).

75 bb) Diese Ermessensausübung entspricht dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung (§ 17 EnSiG). Er liegt darin, Gefahren für die Energieversorgungssicherheit abzuwenden und zu gewährleisten, dass zur Kritischen Infrastruktur des Energiesektors gehörende Unternehmen, deren Versorgungsbeitrag gefährdet ist, entsprechend diesem Ziel fortgeführt werden (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 1 EnSiG und oben Rn. 48).

76 Der Überprüfung der Beweggründe der Ermessensentscheidung sind die Erwägungen zugrundezulegen, die die Behörde tatsächlich angestellt hat. Dabei ist von der Begründung der Anordnung auszugehen. Darüber hinaus sind die Umstände ihres Erlasses zu berücksichtigen, die sich regelmäßig aus den Verwaltungsvorgängen ergeben. Weil die Rechtmäßigkeit der Anordnung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses zu beurteilen ist, kommt es auf später eingetretene Tatsachen grundsätzlich nicht an. Nur wenn diese darauf schließen lassen, dass für die behördliche Entscheidung bereits im Zeitpunkt des Erlasses zweckwidrige Erwägungen maßgeblich waren, können sie einen Ermessensmissbrauch begründen.

77 Die in der Begründung der Anordnung dargelegten Erwägungen entsprechen dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Sie heben die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit als ermessensleitenden Gesichtspunkt hervor. Als zentrale Ursachen ihrer Gefährdung nennen Nr. I. 2. und 3. der Anordnung zutreffend einerseits die Overcompliance der Geschäftspartner und andererseits das hohe Risiko einer Reduzierung oder völligen Einstellung russischer Öllieferungen (dazu oben Rn. 61 ff. und 54 ff.). Die Anordnung zielt deshalb auf eine Reduzierung der Overcompliance-Probleme durch die als "sanktionsrechtliche Entmakelung" bezeichnete Übertragung der Unternehmensführung auf einen nicht von Sanktionen oder Overcompliance betroffenen staatlichen Treuhänder (vgl. Optionsanalyse Mineralöl vom 29. März 2022, Bl. 73 <83> des Verwaltungsvorgangs; Non-Paper: Handlungsoptionen zur Stabilisierung der Rosneft Deutschland GmbH und ihrer Raffinerie-Beteiligungen, Bl. 124 <127> des Verwaltungsvorgangs). Der Diversifizierung des Rohölbezugs dient die vom Treuhänder voranzutreibende Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt, an deren Beschleunigung die Klägerinnen kein erkennbares Interesse hatten (dazu oben Rn. 59). Der Verwaltungsvorgang bestätigt, dass das Ministerium eine zügige Ertüchtigung für unabdingbar hielt, um eine den Mindestlastbetrieb sichernde, Schäden an der Anlage vermeidende Raffineriebelieferung auch bei unvorhergesehenen Unterbrechungen der Rohöllieferungen über die Drushba-Pipeline zu gewährleisten (vgl. Non-Paper Bl. 138 <139> des Verwaltungsvorgangs). Außerdem begründete es die Treuhandverwaltung auch damit, dass zusätzliche Rohöllieferungen über den Hafen D. zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit insbesondere während der Pipeline-Ertüchtigung erforderlich seien, von der Republik Polen jedoch wegen der Beherrschung der Tochtergesellschaften durch den Rosneft-Konzern verweigert würden.

78 (1) Die letztgenannte Erwägung ist nicht schon fehlerhaft, weil die Entscheidungsvorlage vom 29. Juni 2022 (Bl. 203 des Verwaltungsvorgangs) ausführt, "die Versorgung über D. [sei] mit ca. 4 % lieferbaren Öls aber nicht entscheidend, die [Treuhand-]Lösung nicht zu wählen, selbst wenn POL [die Republik Polen] nicht kooperieren sollte". Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn der Kontext beider Aussagen berücksichtigt wird. Die Begründung der Anordnung erklärt unter Nr. I. 3. zusätzliche Öllieferungen über den Hafen D. für notwendig, um die PCK-Raffinerie insbesondere während der Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt über der erforderlichen Mindestlast betreiben zu können. Dies entspricht der in einem Non-Paper wiedergegebenen, auf einem Gutachten der P. AG beruhenden Einschätzung, mit der Pipeline Rostock-Schwedt sei die technisch notwendige Minimalproduktion gerade abgesichert oder eventuell sogar knapp unterschritten; eine Unterschreitung könne nur kurzfristig durch Speichervorräte abgepuffert werden und gefährde langfristig den sicheren Betrieb (vgl. Bl. 138 <139> des Verwaltungsvorgangs). Danach durfte das Ministerium zusätzliche Lieferungen über den Hafen D. für nötig halten, um ein Unterschreiten des Mindestbedarfs sicher zu verhindern. Die Entscheidungsvorlage vom 29. Juni 2022 (Bl. 203 <206 f., 210> des Verwaltungsvorgangs) widerspricht dem nicht. Sie erläutert, die alternativ zur Treuhandverwaltung erwogene Enteignung biete keine wesentlichen Vorteile, obwohl die Republik Polen die für die Versorgungssicherheit notwendige zusätzliche Belieferung der PCK-Raffinerie über D. ausschließe, solange die mittelbare Rosneft-Beteiligung fortbestehe. Bei einer Enteignung sei das Risiko russischer Gegenreaktionen größer; zudem könne die relativ geringe zusätzliche Liefermenge von L. genutzt und, bei entsprechender politischer Flankierung, eine Vollauslastung der PCK-Raffinerie voraussichtlich mit kasachischem Öl erreicht werden. Werde nur eine Treuhandverwaltung angeordnet, bestehe auch ein wirtschaftliches Interesse der Russischen Föderation, die Durchleitung zu gestatten. Diese Erwägungen stellen die Notwendigkeit von Zusatzlieferungen an die PCK-Raffinerie nicht in Abrede. Sie lehnen nur ab, ihretwegen die Enteignung der Treuhand vorzuziehen.

79 (2) Der Vorwurf der Klägerinnen, das Ministerium habe sein Ermessen missbraucht, um den verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes für Importbeschränkungen zu umgehen, trifft ebenfalls nicht zu. Aus den in das Verfahren eingeführten Akten und Unterlagen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der in der Begründung gegebene, gesetzeskonforme Zweck der Anordnung im für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt Mitte September 2022 nur vorgeschoben und die Anordnung tatsächlich erlassen worden wäre, um ein Importembargo ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen.

80 Wie sich aus einem ministeriellen Vermerk zur Stabilisierung der RDG vom 25. März 2022 - BMWK-IE2 - (Bl. 54 <55> des Verwaltungsvorgangs, unter 3.) und dem Entwurf einer Optionsanalyse vom 29. März 2022 (Bl. 73 <96> des Verwaltungsvorgangs, unter II.) ergibt, wurde wegen der massiven Overcompliance-Probleme bereits frühzeitig eine Treuhand als Alternative zur Enteignung oder zum Abwarten der Insolvenz der Tochtergesellschaften der Klägerinnen erwogen (vgl. das oben zitierte Non-Paper, Bl. 138 <143> des Verwaltungsvorgangs). Dies geschah mehr als zwei Monate vor der bei Erlass des sechsten EU-Sanktionspakets Ende Mai 2022 abgegebenen Protokollerklärung der Bundesregierung, ab dem folgenden Jahr auf die Einfuhr leitungsgebundenen russischen Erdöls verzichten zu wollen. Die Überlegungen des Ministeriums im Frühjahr 2022 waren davon bestimmt, wie die Tochtergesellschaften der Klägerinnen angesichts der von diesen selbst für existenzbedrohend gehaltenen Overcompliance-Probleme stabilisiert werden könnten. Der Begriff "Narrativ" in einer E-Mail vom 22. März 2022 belegt nicht, dass diese Probleme nur vorgeschoben worden wären. Er wurde lediglich zur informellen Bezeichnung einer ersten, noch ungeprüften Idee verwendet, die sich in der weiteren Diskussion nicht durchsetzte (vgl. Non-Paper, Bl. 138 <139 ff.> des Verwaltungsvorgangs).

81 Es gibt keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Ende Mai 2022 abgegebene Protokollerklärung der Bundesregierung die weitere Ermessensausübung beeinflusst und die bisherige Zwecksetzung der Treuhandverwaltungsanordnung verändert hätte. Die Entscheidungsvorlage vom 29. Juni 2022 erörtert mögliche Folgen eines Importembargos oder einer Lieferunterbrechung parallel unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdung des Mindestlastbetriebs, stellt aber fest, die aktuelle Gefährdung gehe von der Overcompliance aus, und empfiehlt eine zeitnahe Anordnung der Treuhandverwaltung, um weitere durch sie verursachte Schäden abzuwenden (Bl. 203 <210> des Verwaltungsvorgangs). Im Ministerium bestand nach wie vor Ungewissheit, wann und wie der in der Protokollerklärung angekündigte Verzicht auf den Import russischen Rohöls rechtlich umgesetzt werden sollte. Für denkbar wurde entweder eine unionsrechtliche oder eine nationale Regelung gehalten (Bl. 186 des Verwaltungsvorgangs). Gleichzeitig finden sich keine Anzeichen für Bestrebungen, einer solchen erkennbar für notwendig gehaltenen und bis zum Jahreswechsel erwarteten Regelung vorzugreifen. Als die Berater von RDG erklärten, vor allem am Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens interessiert zu sein (Bl. 184 f. des Verwaltungsvorgangs), wurde die Frage nach dem Regelungsweg nicht weiter verfolgt. Die Bemerkung in einer innerministeriellen Zuarbeit vom 5. August 2022 (Bl. 264 des Verwaltungsvorgangs), der Treuhänder könne RDG anweisen, kein russisches Öl mehr zu beziehen, zielt nicht auf eine Umgehung des Vorbehalts des Gesetzes. Sie steht im Zusammenhang mit der Forderung, RDG zur umgehenden Umstellung auf kasachisches Rohöl zu veranlassen, weil die erwartete Regelung des Importembargos wegen des mehrmonatigen Vorlaufs für Lieferverträge nicht abgewartet werden könne ("RDG [kann] nicht zweigleisig fahren [und] muss sich also jetzt entscheiden, ... unabhängig von der Rechtslage im Dezember", Bl. 264 des Verwaltungsvorgangs). Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung wird nicht geleugnet. Das Treuhandverhältnis soll sie nicht ersetzen, sondern eine rechtzeitige Vorbereitung sichern.

82 Die Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs K. vom 2. und 11. August 2022 (Anlage B 8a und Bl. 265 des Verwaltungsvorgangs) lassen ebenfalls nicht auf einen Ermessensfehlgebrauch schließen. Beide haben keinen erkennbaren Bezug zur späteren Anordnung der Treuhandverwaltung. Das erste informiert den neuen Geschäftsführer von RDG und RNRM über die unionsrechtliche Lage und die Protokollerklärung der Bundesregierung. Es bittet darum, rechtzeitig Vorkehrungen zur Umstellung der Bezugsquellen für das folgende Jahr zu treffen. Damit wird die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich frühzeitig auf den Erlass der in Aussicht gestellten Regelung vorzubereiten. Das zweite Schreiben bittet wegen der Unterbrechung der Rohöllieferung über den Südstrang der Drushba-Pipeline, Tanklagerbestände der Raffinerien zu überwachen und aufzufüllen, um der Gefahr einer Lieferunterbrechung auch des Nordstrangs zu begegnen. Damit bestätigt es, dass die Beklagte jedenfalls ab August 2022 - nachvollziehbar - von einem hohen Risiko einer kurzfristigen Lieferunterbrechung ausging.

83 Der Zeitpunkt, zu dem die Anordnung schließlich erlassen wurde, spricht gegen deren Zweckentfremdung zur Durchsetzung eines Importembargos. Sie erging nicht im zeitlichen Zusammenhang mit der Protokollerklärung der Bundesregierung, sondern erst mehr als ein Vierteljahr später. Eine Instrumentalisierung zur Umsetzung der Protokollerklärung liegt auch wegen der Anweisung des Bundeskanzlers fern, keine Treuhandverwaltung anzuordnen, bis geklärt sei, inwieweit die Gaslieferungen über Nord Stream 1 wieder aufgenommen würden (vgl. die Mitteilungen Bl. 246 und 256 des Verwaltungsvorgangs). Auslöser für den Erlass der Anordnung waren erst die seit Mitte August 2022 im Ministerium eingehenden Hinweise aus den Tochterunternehmen auf mehrmonatige Gehaltsvorschüsse und auf Bestrebungen der Gesellschafter, Kapital abzuziehen. Sie ließen - entsprechend der Entwicklung bei der Gazprom Germania GmbH - einen baldigen Zusammenbruch von RDG und RNRM oder zumindest eine kurzfristige Lieferunterbrechung wie bei Nord Stream 1 befürchten (vgl. dazu oben Rn. 54). Dass das Ministerium die Anordnung erließ, ohne sich bei Vertretern der RDG nach der Richtigkeit dieser Hinweise zu erkundigen, begründet keinen Ermessensmissbrauch. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Gefahr im Verzug (oben Rn. 22) verwiesen werden. Im Übrigen ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass umgehende Rückfragen nicht erwogen wurden, weil die ursprüngliche vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und den Vertretern von RDG und RNRM spätestens seit dem Gespräch vom 26. Juli 2022 (vgl. das Protokoll Bl. 258 des Verwaltungsvorgangs) wechselseitiger Vorsicht gewichen war. Die Gründe dafür lagen in den Erfahrungen des Ministeriums mit dem erst in letzter Minute abgewendeten Zusammenbruch der Gazprom Germania GmbH, in der Drosselung und Einstellung von Gaslieferungen via Nord Stream 1 und im Geschäftsführerwechsel bei RDG und RNRM in Verbindung mit der Mitteilung, der neue Geschäftsführer pflege besonders engen Kontakt zur Leitung in Moskau (Bl. 372 des Verwaltungsvorgangs). Eine frühzeitige Einbeziehung konnten die Tochtergesellschaften unter diesen Umständen nicht erwarten, zumal sie selbst das Ministerium nur zögerlich und selektiv über Overcompliance-Probleme, Anfragen wegen Vorschusszahlungen und Ansinnen ihrer Muttergesellschaften zur Änderung von Zahlungsabreden informierten. Dies zeigt unter anderem die erst nach Ergehen des Beweisbeschlusses nachgereichte E-Mail-Korrespondenz (Anlagen K 72 bis 74).

84 Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgt nichts Gegenteiliges. Soweit die Zeugenaussagen insoweit ergiebig sind, belegen sie nicht, dass das Ministerium die Befürchtung drohenden Kapitalabzugs vorgeschoben und die Anordnung tatsächlich erlassen hätte, um ein Importembargo russischen Rohöls ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen. Aus diesen Aussagen ergibt sich schon nicht, dass die tatsächlichen Annahmen und die Risikoeinschätzung des Ministeriums objektiv unzutreffend waren (vgl. dazu oben Rn. 56). Jedenfalls lässt sich ihnen nicht entnehmen, dass dem Ministerium eine etwaige Unrichtigkeit bewusst gewesen wäre und es seine Einschätzung wider besseres Wissen vorgeschoben hätte.

85 Der sachverständige Zeuge U. und der Zeuge W. haben sich dazu nicht geäußert. Die Zeugen X. und Z. haben nicht bekundet, das Ministerium habe aus anderen als den in der Anordnung erläuterten Ermessenserwägungen gehandelt. Aus ihren Aussagen ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür. In der Sache haben sie, teils nach Vorhalt der entsprechenden Unterlagen, die tatsächliche Grundlage der Gefahrenprognose des Ministeriums bestätigt, insbesondere die Overcompliance-Probleme mit Zahlungsdienstleistern, die Verhandlungen um eine für die Muttergesellschaft günstigere Ausgestaltung der Zahlungsbedingungen und einen vorzeitigen Gewinntransfer sowie den Vorschlag der M.-G., langfristige Vorschusszahlungen zu vereinbaren. Nur ihre Risikoeinschätzung weicht - aus ihrer beruflichen Situation erklärlich - von derjenigen des Ministeriums ab. Der Zeuge X. hielt selbst das absehbare Fehlen einer vertraglichen Grundlage für die Übernahme der Zahlungsabwicklung von Gehältern und Sozialversicherungsbeiträgen durch die I.-Bank nicht für kritisch, weil die Zahlung über diese Bank mit dem SAP System der Tochtergesellschaften technisch durchführbar gewesen sei. Eine Vertragsgrundlage hat er auch auf mehrfache Nachfrage nicht angegeben, sondern erklärt, man habe keinen Zusatzauftrag benötigt; die technische Durchführbarkeit habe sich bei einem Testlauf gezeigt. Der Zeuge Z. erläuterte auf Nachfragen, ein Gefahr anzeigendes "roten Licht" nicht schon bei Auftreten die weitere Geschäftstätigkeit gefährdender Probleme zu sehen, sondern erst, wenn erkennbar werde, dass es keine erfolgversprechenden Maßnahmen zur Lösung gebe und die Situation ausweglos sei. Außerdem sei er davon ausgegangen, die Konzernmutter werde sich - anders als bei der Gazprom Germania GmbH - nicht gegen ihre inländischen Tochtergesellschaften wenden. Keiner der Zeugen hat in Abrede gestellt, dass das Ministerium - seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend - gefahrensensibler und weniger risikobereit war. Auch der Aussage des Zeugen Y., dem die Entwicklung bei der Gazprom Germania GmbH aus seiner Diensttätigkeit vertraut war, sind keine Anhaltspunkte für eine vorgeschobene Begründung der Anordnung zu entnehmen. Er hat bekundet, die Befürchtung einer parallelen, mit dem Abzug von Kapital eingeleiteten Entwicklung bei den Tochtergesellschaften der Klägerinnen, die anhaltenden Overcompliance-Probleme und das Risiko einer Unterbrechung russischer Rohöllieferungen wie über den Südstrang der Drushba-Pipeline im August 2022 hätten die ministeriellen Überlegungen geprägt.

86 Aus den von den Klägerinnen angeführten politischen Äußerungen des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz im Frühjahr 2022 und aus dem Verhalten der Beklagten nach Erlass der Treuhandverwaltungsanordnung ist ebenfalls nicht zu schließen, dass die Anordnung - entgegen ihrer Begründung und den dargestellten Umständen ihres Erlasses - auf zweckwidrigen, vorgeschobenen Erwägungen beruhte.

87 Den Äußerungen des Bundesministers kommt keine maßgebliche Indizwirkung zu. Die Erläuterung der unionsrechtlichen Vorgabe, eine Unabhängigkeit von russischen Rohölimporten anzustreben, der Hinweis auf gegenteilige Interessen des Rosneft-Konzerns und die Erklärung, mit der Republik Polen über eine künftige Belieferung der PCK-Raffinerie zu verhandeln für "den Fall, wenn Rosneft nicht mehr Betreiber der Raffinerie ist" (Anlage K 46), datieren mehr als einen Monat vor der Protokollerklärung der Bundesregierung. Sie beziehen sich ebenso wie Hinweise auf die Novellierung des Energiesicherungsgesetzes auf den damaligen, noch sehr offenen Stand der Überlegungen zur Stabilisierung der Versorgungslage. Die von den Klägerinnen vorgetragene Äußerung vom 3. Mai 2022, natürlich werde man sich selbst schaden, datiert vor der Entscheidung für die Anordnung der Treuhandverwaltung und sogar vor dem Inkrafttreten der einschlägigen gesetzlichen Ermächtigung. Sie belegt nicht die Absicht, diese Ermächtigung zweckwidrig für ein Embargo zu nutzen.

88 Eine solche Absicht ergibt sich schließlich nicht aus der - unstreitigen - Weisung der Treuhänderin an die Tochtergesellschaften vom 15. Dezember 2022, ab dem Jahreswechsel kein russisches Rohöl mehr zu beziehen. Aus dieser Weisung folgt nicht, dass bereits im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung Mitte September 2022 geplant war, das beabsichtigte Embargo nicht auf gesetzlicher Grundlage zu regeln, sondern die Treuhandverwaltung anzuordnen, um den Vorbehalt des Gesetzes für ein Importverbot zu umgehen. Gegen eine solche Absicht spricht, dass die Anweisung erst ein Vierteljahr später, kurz vor dem Jahreswechsel, erteilt wurde und nicht erkennbar ist, dass sie bewusst so lange zurückgehalten worden wäre, obwohl ihre Kurzfristigkeit die Umsetzung erschweren musste. Näher liegt, dass die Umsetzung des Importembargos bei Erlass der Anordnung weiterhin offen war und die Treuhänderin zunächst etwaige Regelungsinitiativen, die Entwicklung der Versorgungssituation und den Erfolg der Bemühungen um alternative Bezugsquellen abwartete, bevor sie über Anweisungen zur Belieferung entschied.

89 cc) Die Anordnung wahrt die rechtlichen Grenzen des Ermessens. Sie verletzt kein höherrangiges Recht.

90 (1) Mit den Grundrechten des Grundgesetzes ist sie vereinbar. Die Klägerin zu 2, eine in der Russischen Föderation ansässige juristische Person, fällt nach Art. 19 Abs. 3 GG nicht in den persönlichen Schutzbereich dieser Gewährleistungen. Dieser ist auch nicht aufgrund unionsrechtlicher Regelungen auf sie zu erstrecken, weil ihr Sitz in einem außereuropäischen Drittstaat liegt. Ob die in Luxemburg ansässige Klägerin zu 1 sich nach Art. 19 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 49 und 54 Abs. 1 AEUV auf Grundrechte des Grundgesetzes berufen kann, muss hier nicht abschließend geklärt werden. Auch in diesem Fall liegt keine Verletzung solcher Grundrechte vor.

91 Eine unionsrechtlich begründete Einbeziehung der Klägerin zu 1 in deren Schutzbereich ist nicht zwangsläufig ausgeschlossen, weil der Geschäftssitz ihres Vorstandes in einem Drittstaat liegt. Für die Anwendbarkeit des Art. 49 AEUV stellt Art. 54 Abs. 1 AEUV auf den Sitz der Gesellschaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ab. Nach Art. 100-2 Abs. 3 des Luxemburgischen Gesetzes vom 10. August 1915 betreffend die Handelsgesellschaften in der Fassung der Änderung durch Gesetz vom 6. August 2021 (Loi du 10 août 1915 concernant les sociétés commerciales - LSC -, abrufbar unter https://legilux.public.lu/eli/etat/leg/loi/1915/08/10/n1/consolide/20210816) ist der Hauptverwaltungssitz maßgebend, der am statuarischen Sitz vermutet wird. Zur Widerlegung der Vermutung genügt nicht, dass es sich bei der Klägerin zu 1 um eine sogenannte "Briefkastenfirma" handeln könnte. Die für die Anwendung des Art. 49 AEUV erforderliche Marktintegration der Gesellschaft ist bereits bei werbender Tätigkeit eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochterunternehmens - hier der RDG - zu bejahen (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 2003 - C-167/01 [ECLI:​EU:​C:​2003:​512], Inspire Art - Rn. 96 und 98).

92 Zweifel an der Grundrechtsberechtigung der Klägerin zu 1 bestehen wegen ihrer staatlichen Beherrschung. Diese ergibt sich aus der in der mündlichen Verhandlung erörterten Gesellschafterliste der Rosneft Oil Company (Anlage B 10), die sämtliche Anteile an der Klägerin zu 2 und - mittelbar - der Klägerin zu 1 innehat. Nach dem Ergebnis der Erörterung in der mündlichen Verhandlung stehen ihre Geschäftsanteile zu 40,4 % dem ausschließlich von der Russischen Föderation gehaltenen Staatsunternehmen JSC R. zu; weitere Gesellschaften des Rosneft-Konzerns - LLC RN-N. und LLC RN-C. – halten jeweils 9,6 % und 0,76 % der Anteile. Insgesamt addieren sich die Beteiligungen der allein von der Russischen Föderation gehaltenen oder von ihr beherrschten Gesellschafter also auf 50,76 %. Weitere 18,46 % stehen der Q. LLC, der Beteiligungsgesellschaft des Staates Qatar, zu. Wegen der Mehrheit staatlicher Beteiligungen an der mittelbaren Alleingesellschafterin der Klägerin zu 1 fehlt dieser das grundsätzlich von Art. 19 Abs. 3 GG vorausgesetzte personale Substrat. Dabei ist unerheblich, ob die staatlichen Anteile ein- und demselben Staat zustehen. Ein Unternehmen, an dem nicht-staatliche Gesellschafter insgesamt nur als Minderheit beteiligt sind, kann nicht Grundlage privater Initiative und Freiheitsausübung sein und damit nicht die Funktion erfüllen, um derentwillen die Anteilsberechtigung grundrechtlich geschützt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 188, 190, 195). Zwar können in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV fallende juristische Personen trotz staatlicher Beherrschung grundrechtsfähig sein, wenn ihnen kein fachgerichtlicher Rechtsschutz gegen gesetzlich geregelte Eingriffe zur Verfügung steht (BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016 - 1 BvR 2821/11 u. a. - BVerfGE 143, 246 Rn. 196 ff., 200). Diese Voraussetzung liegt hier jedoch wegen der Eröffnung des Rechtswegs zum Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 Abs. 6 Satz 2 EnSiG nicht vor. Die daraus folgenden Zweifel an einer Grundrechtsberechtigung der Klägerin zu 1 müssen nicht abschließend geklärt werden. Sollte die Anordnung in etwaige Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen, wäre dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

93 Der Eingriff in eventuelle Rechte der Klägerin zu 1 aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG wäre verhältnismäßig. Die Anordnung der Treuhandverwaltung dient dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, die drohende Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit abzuwenden und eine Betriebsfortführung der Tochtergesellschaft zu ermöglichen, die deren dazu erforderlichen Versorgungsbeitrag sicherstellt. Im für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses war die Anordnung zur Verwirklichung dieses Zwecks geeignet. Dazu genügt, dass sie ihn fördern konnte und die Möglichkeit bestand, das Ziel zu erreichen (BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157 <173> und vom 12. Dezember 2006 - 1 BvR 2576/04 - BVerfGE 117, 163 <188 f.> m. w. N.). Die Übertragung der Befugnis zur Wahrnehmung der Gesellschafterstimmrechte auf die Treuhänderin beendete den bestimmenden Einfluss der Klägerinnen und ihrer russischen Konzernmutter auf die inländischen Tochtergesellschaften. Damit beseitigte sie einen wesentlichen Grund für die Overcompliance der Geschäftspartner. Gleichzeitig ermöglichte sie der Treuhänderin, die Betriebsfortführung unabhängig von den wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen und ihrer Konzernmutter am Ziel der Sicherung der Energieversorgung auszurichten (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 1 EnSiG), die Aufgabenerfüllung gefährdende Kapitalabflüsse zu unterbinden und die Diversifizierung der Ölbezugsquellen voranzutreiben, um die Abhängigkeit von russischem Rohöl zu reduzieren. Die Befugnis zum Austausch der Geschäftsführung der Tochtergesellschaften, die ihr gegenüber angeordneten Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen und der Zustimmungsvorbehalt der Treuhänderin hindern die Geschäftsführung daran, den Zielen der Treuhandverwaltung zuwiderlaufende Entscheidungen zu treffen und deren Maßnahmen zu konterkarieren.

94 Zur Ungeeignetheit der Anordnung führt nicht, dass die Republik Polen eine zusätzliche Belieferung der PCK-Raffinerie über den Hafen D. abgelehnt hat, solange die mittelbare Mehrheitsbeteiligung der Konzernmutter der Klägerinnen an der PCK Raffinerie GmbH fortbesteht. Dieser Vorbehalt kann die Zweckverwirklichung nicht vereiteln. Die Zusatzlieferungen werden nur benötigt, um die Raffinerie dauerhaft sicher oberhalb der Mindestlast betreiben zu können (vgl. oben Rn. 77). Im Übrigen sind die Chancen, die Republik Polen zu einer Zustimmung zur Belieferung der PCK-Raffinerie zu bewegen, unter der Treuhandverwaltung größer als ohne sie, weil die Anordnung der Treuhandverwaltung RDG und RNRM dem bestimmenden Einfluss der Konzernspitze entzieht.

95 Weder die dem Ministerium bei Erlass der Anordnung nicht bekannten, aus dem Konsortialvertrag folgenden Einstimmigkeitsvorbehalte bei der Finanzierung der Pipeline-Ertüchtigung noch die voraussichtlich zwei- bis dreijährige Dauer der Arbeiten daran führen zur Ungeeignetheit der Anordnung. Als äußerste Möglichkeit bleibt der Treuhänderin, die Ertüchtigung nach der "sole-risk"-Klausel des § 11 KV allein zu finanzieren. Da für das Engineering eine Zeitspanne von sechs Monaten veranschlagt wurde (vgl. Protokoll zum Gespräch des Ministeriums mit der RDG-Geschäftsführung vom 26. Juli 2022, Bl. 258 <259> des Verwaltungsvorgangs), stand bei Erlass der Anordnung zu erwarten, dass die für eine erfolgreiche Durchführung nötigen Vorbereitungen und Beauftragungen vor ihrem Auslaufen vorgenommen werden konnten.

96 Die Anordnung ist zur Verwirklichung des Zwecks erforderlich, weil im maßgeblichen Zeitpunkt kein milderes, mindestens ebenso geeignetes Mittel zur Verfügung stand.

97 Ein zweiter Letter of Comfort hätte die Klägerinnen weniger belastet, wäre aber weniger wirksam gewesen. Er hätte die Ursache der die Betriebsfortführung gefährdenden Overcompliance - den maßgeblichen Einfluss der Konzernmutter auf die Tochtergesellschaften - unberührt gelassen.

98 Eine auf einzelne Raffineriebeteiligungen oder die PCK Raffinerie GmbH bezogene Treuhandverwaltungsanordnung wäre nicht ebenso geeignet gewesen, die Gefährdung der Versorgungssicherheit abzuwenden, weil die Overcompliance-Probleme für die ordnungsgemäße Betriebsfortführung zentrale Bereiche der Bank- und Versicherungsdienstleistungen betrafen.

99 Auflagen zur Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt und zum Abschluss von Lieferverträgen wären - abgesehen vom Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung - nicht ebenso wirksam gewesen wie die Anordnung der Treuhandverwaltung. Sie hätten eine Vielzahl konkreter Verwaltungsakte erfordert, die mangels umfassenden Einblicks des Ministeriums in die Geschäftsvorgänge nicht ebenso zielgerichtet hätten erlassen werden können wie Maßnahmen der Treuhänderin. Außerdem hätten solche Verwaltungsakte jeweils einzeln durchgesetzt werden müssen und durch nachfolgende Maßnahmen der Klägerinnen und der von ihnen abhängigen Geschäftsführung der Tochtergesellschaften konterkariert werden können.

100 Die Befugnis zum Auswechseln der Geschäftsführung, die Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen und der Zustimmungsvorbehalt sind erforderlich, die Wirksamkeit der Stimmrechtsausübung durch die Treuhänderin zu sichern. Andernfalls wäre nicht auszuschließen, dass die von den Klägerinnen eingesetzte Geschäftsführung Verwaltungsentscheidungen oder Verfügungen träfe, die den Zielen der Treuhandverwaltung zuwiderliefe.

101 Die Anordnung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar stellt der Ausschluss von der Stimmrechtswahrnehmung und deren Übertragung auf eine Treuhänderin einen erheblichen Eingriff in die unternehmerische Betätigungsfreiheit dar. Dieser ist jedoch durch die Befristung auf sechs Monate zeitlich eng begrenzt. Die daraus resultierende Belastung steht nicht außer Verhältnis zur damit bezweckten Versorgungssicherheit im Energiesektor, einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut von überragender Bedeutung für das Gemeinwohl (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u. a. - BVerfGE 134, 242 Rn. 286, vgl. oben Rn. 68).

102 Auch die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG ist, falls betroffen (vgl. Rn. 92), nicht verletzt. Die Anordnung stellt eine nicht entschädigungspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung der Anteilsrechte dar, die zu den eigentumsfähigen Positionen im Sinne der Vorschrift zählen. Sie ist aus den eben zu Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG dargelegten Gründen auch im konkreten Fall verhältnismäßig und als Konkretisierung der Sozialbindung des Eigentums von Art. 14 Abs. 2 GG gedeckt. Ihre belastende Wirkung steht nicht außer Verhältnis zum Gemeinwohlzweck, die Gefährdung der Energieversorgung abzuwenden. Der Zusammenbruch der Tochtergesellschaften der Klägerinnen, der bei Erlass der Anordnung drohte, hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausfall der PCK-Raffinerie geführt. Dies wiederum hätte die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse wie die Wärmeversorgung von Wohnungen, Schulen und Heimen sowie die Funktionsfähigkeit auf Mineralölprodukte angewiesener, elementarer Leistungen der Rettungsdienste wie der Krankentransporte und der Feuerwehr gefährdet. Deren Funktionsfähigkeit muss der Staat zur Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflichten für Leben und Gesundheit der Bevölkerung aus Art. 2 Abs. 2 GG sicherstellen. Dazu steht die in der Anordnung geregelte erstmalige, auf sechs Monate befristete Beschränkung der Gesellschafterrechte nicht außer Verhältnis. Sie lässt die Inhaberschaft der Anteile und die Bezugsrechte unberührt und schützt die Renditegrundlage (§ 17 Abs. 5 Satz 2 EnSiG).

103 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Insbesondere wird die Klägerin zu 2 nicht wegen ihres Sitzes in der Russischen Föderation und die Klägerin zu 1 nicht wegen eines beherrschenden Einflusses dieses Staates benachteiligt. Anknüpfungspunkt der Ungleichbehandlung gegenüber anderen, nicht mit einer Anordnung bedachten Unternehmen der Kritischen Infrastruktur im Energiesektor sind nicht diese Merkmale, sondern die konkrete Gefahr des Ausfalls des Versorgungsbeitrags der Klägerinnen und die damit einhergehende drohende Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit. In der Abwehr dieser Gefahr liegt der sachliche Grund für den Erlass der Anordnung. Für deren Verhältnismäßigkeit kann auf die Ausführungen oben (Rn. 93 ff.) verwiesen werden. Gleichartige Eingriffe in die Geschäftstätigkeit müssten auch grundrechtlich geschützte inländische Kapitalgesellschaften in gleicher Situation verfassungsrechtlich hinnehmen.

104 (2) Die Anordnung wahrt die unionsrechtlichen Grundfreiheiten und Grundrechte. Die außerhalb der Europäischen Union ansässige Klägerin zu 2 ist nicht in den Anwendungsbereich dieser Gewährleistungen einbezogen. Die Klägerin zu 1 wird in den ihr möglicherweise zustehenden unionsrechtlichen Rechten nicht verletzt.

105 Ihre Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 AEUV ist gewahrt. Der persönliche (dazu oben Rn. 91) und sachliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist eröffnet. Die Rechtsstellung der Klägerin zu 1 als Alleingesellschafterin erschöpft sich nicht in einer Kapitalbeteiligung am inländischen Tochterunternehmen, sondern vermittelt ihr maßgeblichen unternehmerischen Einfluss. Die Anordnung greift jedoch nicht in die Niederlassungsfreiheit ein. Sie hat keinen diskriminierenden Charakter (dazu oben Rn. 103) und regelt keine Bedingungen für die Niederlassung.

106 Eine sonstige Beschränkung des Art. 49 AEUV liegt ebenfalls nicht vor. Sie setzt voraus, dass ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der Entscheidung über die Niederlassung besteht. Daran fehlt es, wenn die Niederlassung beschränkende Wirkungen zu ungewiss und zu mittelbar sind, um die Maßnahme geeignet erscheinen zu lassen, die Ausübung dieser Freiheit zu behindern (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Juni 1996 - C-418/93 [ECLI:​EU:​C:​1996:​242] - Rn. 32; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 AEUV Rn. 112 ff.). Das trifft hier zu. Die Anordnung aktualisiert die Rahmenbedingungen des Tätigwerdens in- wie ausländischer Unternehmen auf dem Markt mit Blick auf besondere Gefahrensituationen, ohne den Marktzugang selbst zu erschweren.

107 Unionsgrundrechte der Klägerin zu 1 sind ebenfalls nicht verletzt. Dabei kann offenbleiben, ob diese Grundrechte nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC hier einschlägig sind. Sollte die Klägerin zu 1 sich auf die Berufs- oder die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 15 oder 16 GRC berufen können, greift der Gesetzesvorbehalt des Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC ein und ist die Anordnung wegen ihrer Verhältnismäßigkeit und mangels Inkohärenz auch im unionsrechtlichen Sinne gemäß Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GRC gerechtfertigt. Das Gleichheitsrecht gemäß Art. 20 GRC und das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Art. 21 Abs. 2 GRC) sind aus den oben (Rn. 103) dargelegten Gründen nicht verletzt.

108 (3) Auch mit völkerrechtlichen Vorgaben ist die Anordnung vereinbar. Sie verstößt nicht gegen Art. 4 Abs. 1 des Vertrages vom 13. Juni 1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (Sowjetisch-Deutsches Investitionsschutzabkommen - SDI -, BGBl. 1990 Teil II S. 342 <343>), der im Verhältnis der Bundesrepublik zur Russischen Föderation weiterhin anzuwenden ist (vgl. BFH, Urteil vom 26. Mai 2004 - I R 54/03 - BFHE 206, 332 <338>). Die Klägerin zu 1 fällt nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. c SDI nicht in den Schutzbereich, weil sie ihren Sitz in keinem der beiden Vertragsstaaten hat. Die Klägerin zu 2 kann sich zwar hinsichtlich ihrer inländischen Beteiligung an der RNRM nach Art. 1 Abs. 1 SDI auf den Eigentumsschutz gemäß Art. 4 Abs. 1 SDI und auf das Benachteiligungsverbot des Art. 3 SDI berufen. Beide werden aber durch die Anordnung nicht verletzt.

109 Eine nach Art. 4 Abs. 1 SDI tatbestandsmäßige Enteignung oder Maßnahme mit gleichartigen Auswirkungen läge nur bei einer - hier fehlenden - Entziehung von Eigentumsrechten oder bei einer faktischen oder schleichenden Enteignung (de-facto expropriation, creeping expropriation) im Sinne einer enteignungsgleichen Maßnahme vor (Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 13. Aufl. 2023, § 20 Rn. 5 und § 23 Rn. 70). Nach Nr. 3 des Protokolls zum Vertrag (BGBl. 1990 Teil II S. 349) kann sie in einer erheblichen Beeinträchtigung der Kapitalanlage durch Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Beteiligungsunternehmens liegen. Dazu muss die Maßnahme dem Betroffenen die wesentlichen Eigentümerbefugnisse nicht nur vorübergehend entziehen und darf ihm kaum mehr als die Hülle des Eigentumsrechts lassen. Davon kann hier keine Rede sein. Die Anordnung der auf sechs Monate befristeten Treuhandverwaltung lässt neben der Inhaberstellung der Gesellschafter auch deren Bezugsrechte unberührt. Schwierigkeiten bei der Gewinnabführung sind nicht auf die Treuhandverwaltung zurückzuführen, sondern auf die bereits zuvor und unabhängig davon geltenden unionsrechtlichen Sanktionsvorschriften. Die Renditegrundlage des Beteiligungsunternehmens wird nicht beeinträchtigt, weil seine Vermögensgegenstände auf einen anderen Rechtsträger nur übertragen werden dürfen, wenn dies zum Werterhalt des Unternehmens erforderlich ist (vgl. § 17 Abs. 5 Satz 2 EnSiG). Gegen eine enteignungsgleiche Wirkung spricht schließlich der kurze Befristungszeitraum der Anordnung. Dass sie nach § 17 Abs. 2 Satz 2 EnSiG verlängert werden darf, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Verlängerungen stellen neue, ihrerseits anfechtbare Eingriffe dar, die jeweils anhand der Sach- und Rechtslage bei ihrem Erlass zu prüfen und an Art. 4 SDI zu messen sind. Darin liegt auch keine den völkerrechtlichen Schutz aushöhlende Fragmentierung. Bei der Überprüfung der jeweils letzten Anordnung muss berücksichtigt werden, dass deren Anknüpfung an vorhergehende Anordnungen den Zeitraum der Eigentumsbeschränkung verlängert und, bei entsprechend langer Gesamtdauer, die Schwelle zur enteignungsgleichen Wirkung überschreiten kann (Internationales Schiedsgericht Stockholm, Schiedsspruch vom 7. Juli 1989, https://www.italaw.com/cases/982, unter 7 Jul 1998, Arbitration Award, zuletzt abgerufen am 9. März 2023; vgl. KG, Beschluss vom 16. Februar 2001 - 28 Sch 23/99 - juris Rn. 1).

110 Eine unzulässige Benachteiligung im Sinne von Art. 3 SDI liegt nicht vor, weil weder § 17 EnSiG noch die angefochtene Anordnung eine Schlechterstellung der Klägerin zu 2 gegenüber Investoren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Drittstaaten (vgl. Art. 3 Abs. 3 SDI) regeln. Aus dem Gebot gerechter und billiger Behandlung gemäß Art. 2 SDI lassen sich wegen der in Art. 3 Abs. 3 SDI vorbehaltenen Privilegierung von Unionsangehörigen keine Rechte auf Gleichbehandlung mit diesen oder Inländern - etwa in Bezug auf günstigere Ausgleichsregelungen für Inhalts- und Schrankenbestimmungen von Eigentumsrechten - herleiten (vgl. BFH, Urteil vom 26. Mai 2004 - I R 54/03 - BFHE 206, 332 <338>; zur verfassungsrechtlichen Beurteilung vgl. oben Rn. 36 f.).

111 Im Erlass der angefochtenen Anordnung liegt schließlich keine diskriminierende Maßnahme gemäß Art. 3 Abs. 4 SDI. Ungerechtfertigte Einschränkungen beim Bezug von Roh- und Hilfsstoffen im Sinne der Protokollerklärung zu dieser Vorschrift sind nicht Gegenstand der angefochtenen Anordnung. Im Übrigen gelten Maßnahmen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu treffen sind, nach Ziffer 2 Buchst. c des Protokolls zu Art. 3 SDI nicht als diskriminierend.

112 Aus den zu Art. 4 SDI angeführten Gründen verletzt die angefochtene Anordnung auch nicht die Eigentumsgewährleistung gemäß Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. Teil II S. 1198, 1218).

113 Die Kostenregelungen in Nr. 5 und 6 der Anordnung finden ihre Rechtsgrundlage jeweils in § 17 Abs. 8 EnSiG. Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift sind weder geltend gemacht noch erkennbar.

114 B. Der auf Auskunftserteilung gerichtete Hauptantrag zu 2 ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerinnen unzulässig. Soweit Maßnahmen der Treuhänderin zur Entscheidung über die mit dem Hauptantrag zu 3 geltend gemachten Folgenbeseitigungsansprüche ermittelt werden müssen, ist die Aufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO durch das Gericht, und zwar grundsätzlich von Amts wegen, vorzunehmen. Soweit Aufklärungsmaßnahmen dazu nicht erforderlich sind, können die erbetenen Auskünfte die Rechtsstellung der Klägerinnen nicht verbessern. Gegenteiliges haben diese bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 9. März 2023 nicht dargelegt, obwohl der Senat bereits im Verhandlungstermin vom 22. Februar 2023 auf das dargelegte Bedenken gegen das Rechtsschutzbedürfnis hingewiesen hat.

115 C. Der auf Folgenbeseitigung gerichtete Hauptantrag zu 3 ist zulässig, aber unbegründet. § 17 Abs. 6 Satz 3 EnSiG normiert trotz seiner Bezeichnung als Ausnahme von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine Einschränkung des prozessualen Anspruchs auf Aufhebung einer Anordnung, die rechtswidrig ist und Rechte des jeweiligen Klägers verletzt. Vielmehr wird das Gericht ermächtigt, die Folgen dieser Aufhebung für Rechtsakte zu begrenzen, die aufgrund der aufgehobenen Anordnung erlassen wurden, aber im Interesse der Rechtssicherheit vor dem Unwirksamwerden oder der eigenen Aufhebung nach § 48 VwVfG bewahrt werden sollen. Die Frage, inwieweit eine solche Ermächtigung mit höherrangigem Recht vereinbar ist, muss hier nicht geklärt werden. Wegen der Erfolglosigkeit der Anfechtungsklage sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 6 Satz 3 EnSiG nicht erfüllt.

116 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Beschluss vom 02.11.2023 -
BVerwG 8 A 3.23ECLI:DE:BVerwG:2023:021123B8A3.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.11.2023 - 8 A 3.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:021123B8A3.23.0]

Beschluss

BVerwG 8 A 3.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen das Urteil des Senats vom 14. März 2023 - BVerwG 8 A 2.22 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg. Der Senat hat den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

2 1. Im gerichtlichen Verfahren gewährleisten Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO den Beteiligten das Recht, sich vor einer Entscheidung zu allen erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu äußern. Das Gericht muss das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Geht das Gericht auf ein Element des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht ein, folgt daraus noch nicht, dass es diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen hat. Vielmehr müssen besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass ein Vortrag, der nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft und zum Kern des danach erheblichen Beteiligtenvorbringens gehört, nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht in Erwägung gezogen wurde (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 2023 - 2 BvR 107/21 - juris Rn. 33 f.; BVerwG, Beschlüsse vom 2. September 2019 - 8 B 19.19 - juris Rn. 2 und vom 8. Dezember 2021 - 6 B 6.21 - K&R 2022, 292 Rn. 7, jeweils m. w. N.). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen; die Vorschrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen. Die Anhörungsrüge ist auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2008 - 8 B 53.08 - ZOV 2013, 68 Rn. 1).

3 Einwände gegen die Beweiswürdigung des Gerichts sind ebenfalls nicht geeignet, einen Gehörsverstoß darzutun. Angebliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) können nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 152a VwGO sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. November 2007 - 8 C 17.07 - juris Rn. 6 und vom 19. Dezember 2018 - 8 B 12.18 - juris Rn. 14). Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gebieten auch nicht, die Beteiligten jeweils vor der Entscheidung auf die Rechtsauffassung des Gerichts oder dessen Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 <5>), weil sich die tatsächliche und rechtliche Beurteilung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 4 A 3001.08 - juris Rn. 2 m. w. N.). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt erst vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Gründe stützt, die weder im Verwaltungsverfahren noch im Prozess erörtert wurden und mit deren Entscheidungserheblichkeit auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf und unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen musste.

4 2. Nach diesem Maßstab ist der Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

5 a) Der Senat hat ihren Vortrag, die einzelnen Rechtsbefehle der Nummern 1 bis 6 der angefochtenen Anordnung hätten der Begründung und der Ermessenserwägungen bedurft, nicht außer Acht gelassen. Er hat sich sowohl mit dem Erfordernis der Begründung der Anordnung (UA Rn. 26) als auch mit den für deren konkrete Ausgestaltung leitenden Ermessenserwägungen befasst (UA Rn. 74). Dass er dabei der rechtlichen Würdigung der Klägerinnen nicht gefolgt ist, verletzt nicht deren Anspruch auf rechtliches Gehör. Die von den Klägerinnen im Urteil vermisste Erwähnung der von ihnen für "zentral wichtig" gehaltenen Gesetzesmaterialien rechtfertigt nicht den Schluss, dass diese nicht berücksichtigt wurden. Vielmehr durfte sich der Senat auf die Erörterung der aus seiner materiell-rechtlichen Sicht maßgeblichen Gesichtspunkte beschränken, ohne auf jeden von den Klägerinnen vorgebrachten Aspekt einzugehen.

6 b) Der Senat hat das rechtliche Gehör der Klägerinnen auch nicht dadurch verletzt, dass er ihrer Auffassung, das Tatbestandsmerkmal der "Aufgabe" in § 17 Abs. 1 EnSiG sei "einer Auslegung nicht fähig", nicht gefolgt ist. Vielmehr hat er sich mit der von den Klägerinnen gerügten Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals befasst (UA Rn. 32 f.), den Begriff der Aufgabe im Einzelnen ausgelegt (UA Rn. 48 bis 50) und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Rechtsauffassung der Klägerinnen nicht teilt. Deren Rüge, die Beklagte habe sie angesichts der Neuheit der Regelung über die Auslegung der Vorschrift informieren müssen, betrifft das Verwaltungsverfahren und bedurfte wegen der Rechtsauffassung des Senats zur Entbehrlichkeit der Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG keiner ausdrücklichen Bescheidung. Auf die von den Klägerinnen "als Beleg der Auskunftsverweigerung herangezogene[n] Korrespondenz mit dem PSt Kellner" kam es danach insoweit nicht an. Die aus seiner Sicht entscheidungsrelevanten Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs (Anlage B 8a und Bl. 265 des Verwaltungsvorgangs) hat der Senat in Randnummer 82 des Urteils eingehend gewürdigt. Den Anlagen B 8b und B 8c kam aus dieser Sicht nicht die von den Klägerinnen geltend gemachte Bedeutung zu.

7 c) Den Vortrag, im Falle einer salvatorischen Klausel sei die Entschädigungspflicht zumindest dem Grunde nach zeitgleich mit dem Verwaltungsakt zu regeln, hat der Senat nicht übergangen. Die Entscheidungsgründe des Urteils setzen sich in Randnummer 37 mit der Frage des Erfordernisses einer Ausgleichsleistung bei Anordnung der Treuhandverwaltung ausdrücklich auseinander, ohne die Rechtsauffassung der Klägerinnen zu teilen. Angesichts der schriftsätzlichen und mündlichen Erörterung der Rechtsfrage mussten die Klägerinnen auch ohne ausdrücklichen Hinweis damit rechnen, dass der Senat ihrer Rechtsansicht nicht folgen würde.

8 d) Die Rüge der Klägerinnen, der Senat habe ihre Argumentation zum völkerrechtlichen Enteignungsbegriff übergangen, ist nicht berechtigt. Der Senat hat erläutert, dass § 17 EnSiG weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 25 GG verstößt (UA Rn. 36 und 38), und ausgeführt, dass sich die Anordnung der Treuhandverwaltung im Einzelfall als verhältnismäßig (UA Rn. 101 f.) und völkerrechtskonform (UA Rn. 108 ff.) erweist. Dabei ist er auch auf die Voraussetzungen einer sogenannten faktischen oder schleichenden Enteignung eingegangen. Dass er den Enteignungsbegriff weniger weit versteht als die Klägerinnen, konnte diese nach der ausführlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht überraschen. Ihre materiell-rechtlichen Einwände wiederholen und ergänzen ihr Klagevorbringen, ohne einen Gehörsverstoß darzutun.

9 e) Ebenso wenig hat der Senat den Vortrag der Klägerinnen zum Betreiberbegriff übergangen. Er hat in Randnummer 42 ff. der Entscheidungsgründe den Begriff des Betreibers im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG definiert und dargelegt, weshalb die Rosneft Deutschland GmbH (RDG) und RN Refining & Marketing GmbH (RNRM) zu den Betreibern der PCK-Raffinerie zählen. Mit den Einwänden der Klägerinnen setzt sich das Urteil in Randnummer 45 auseinander. Weshalb all dies für die Klägerinnen trotz ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung überraschend gewesen sein sollte, legen sie nicht dar. Dass der Senat ihrem abweichenden Verständnis des Betreiberbegriffs nicht gefolgt ist, verletzt nicht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.

10 f) Der Senat hat das Vorbringen der Klägerinnen, die Verursachungsverhältnisse einer Gefahr oder Störung seien - zumindest bei der Ermessensausübung - zu berücksichtigen, nicht übergangen. Er musste darauf nicht näher eingehen, weil dieser Vortrag nach seiner Rechtsauffassung nicht erheblich war. Danach hing die Befugnis zum Einschreiten nach § 17 Abs. 1 EnSiG - wie im sonstigen Gefahrenabwehrrecht - nicht von der Rechtswidrigkeit oder Vorwerfbarkeit des Ursachenbeitrags ab, der zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit führt (UA Rn. 50). Die Erwägungen zur Ermessenskontrolle gehen davon aus, dass die Beklagte sich am Ziel wirksamer Gefahrenabwehr orientieren durfte. Sie prüfen und verneinen eine Pflicht, die Anordnung gegen einen anderen Adressaten zu richten oder auf bestimmte Beteiligungen zu beschränken. Auch danach kam es nicht darauf an, ob die Overcompliance der Geschäftspartner der Klägerinnen, die zur Gefährdung der Energieversorgungssicherheit führte, von den Klägerinnen selbst verursacht wurde.

11 g) Der Senat hat das rechtliche Gehör der Klägerinnen durch die Beweiswürdigung der Aussagen des Zeugen Dr. S. nicht verletzt. Die Klägerinnen rügen, der Senat habe dessen Aussagen, insbesondere zur Overcompliance, zur Gefahr eines Kapitalabzugs und zur "Moskau-Nähe" des Zeugen T., als glaubhaft anerkannt, obwohl er überwiegend keine eigenen Eindrücke, sondern Informationen von Dritten wiedergegeben habe. Die damit kritisierte Beweiswürdigung ist jedoch grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Ein angeblicher Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist nicht mit der Anhörungsrüge geltend zu machen.

12 h) Die Rüge, der Senat habe die Aussagen der Zeugen Dr. S., T. und K. zur Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt übergangen, trifft nicht zu. Der Senat hat die Aussagen der genannten Zeugen - soweit sie für diesen Themenkomplex überhaupt ergiebig waren - ausdrücklich gewürdigt (UA Rn. 59, 77) und ist im Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerinnen an einer Beschleunigung der Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt zwecks Diversifizierung des Rohölbezugs kein erkennbares Interesse hatten (UA Rn. 77). Dass dies nicht der von den Klägerinnen bevorzugten Bewertung entspricht, begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Gleiches gilt für die Einwände gegen die gerichtliche Würdigung der Aussage des Zeugen T., ohne russisches Öl wäre Rosneft wahrscheinlich nicht mehr an der PCK-Raffinerie interessiert (UA Rn. 59). Welches weitere Material zu diesem Thema übergangen worden sein sollte, legen die Klägerinnen nicht dar. Es konnte sie auch nicht überraschen, dass der Senat dem Verwaltungsvorgang entnommen hat, das Ministerium habe bei Erlass der Anordnung eine zügige Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt für unabdingbar gehalten, um eine Raffineriebelieferung auch bei unvorhergesehenen Unterbrechungen der Rohöllieferungen über die Drushba-Pipeline zu gewährleisten (UA Rn. 77).

13 i) Der Vorwurf der Klägerinnen, das Urteil habe Vortrag zur Frage der Overcompliance von Zahlungsdienstleistern übergangen, "indem es ohne Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Material zum Gegenteil die Geschäftstätigkeit 'wesentlich beeinträchtigt'" sehe, ist ebenfalls nicht berechtigt. Der Senat hat die in das Verfahren eingeführten Akten und Unterlagen sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Overcompliance von Zahlungsdienstleistern, einschließlich der im Schriftsatz der Klägerinnen vom 4. September 2023 (S. 12 bis 15) teilweise wiedergegebenen Aussagen der Zeugen T., K. und Dr. S., in Randnummern 62 f. und 85 des Urteils gewürdigt. Dass die Klägerinnen sich die Aussagen der Zeugen T. und K. in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu eigen gemacht haben, entbindet das Gericht nicht von einer eigenständigen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit ihrer abweichenden Bewertung der Zeugenaussagen beanstanden die Klägerinnen die dem materiellen Recht zuzuordnende Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Senats, ohne eine Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen. Auch die weitere Rüge, die Feststellungen des Senats über "eine fehlende vertragliche Vereinbarung einer Übernahme dieser Zahlungsleistungen der C.-Bank durch die I.-Bank" sowie "die I.-Bank 'sei erkennbar' bemüht gewesen, die Geschäftsbeziehungen mit RDG und RNRM nicht zu erweitern", seien überraschend gewesen und setzten sich mit den gegenläufigen Aussagen des Zeugen K. nicht auseinander, trifft nicht zu. Der Senat hat dem Rechtsstreit keine Wendung gegeben, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht hätte rechnen müssen. Vielmehr würdigt das Urteil in Randnummer 63 die in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterten Geschäftsbeziehungen der Tochtergesellschaften zur I.-Bank und deren Kündigung des Kreditrahmens in Höhe von 100 Mio. € sowie in Randnummer 85 die Aussagen des Zeugen K. dazu. Dass die Klägerinnen die vom Senat aufgrund der Beweiswürdigung gewonnene Überzeugung nicht teilen, genügt nicht zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung noch einer sonstigen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

14 j) Der Senat hat auch keinen Vortrag der Klägerinnen zur Overcompliance der Versicherungsgesellschaft H. übergangen. Er hat ihren Vortrag zur Kommunikation mit dem Geschäftsführer der PCK-Raffinerie in Randnummer 64 des Urteils berücksichtigt und ausgeführt, dass und weshalb diesem Vortrag kein Beweiswert zukomme. Der Senat hat dort auch die einschlägigen Aussagen der Zeugen T., K. und Dr. S. ausdrücklich gewürdigt. Mit ihrer abweichenden Beweiswürdigung legen die Klägerinnen weder eine Überraschungsentscheidung noch eine sonstige Gehörsverletzung dar. Auf die Aussage des Zeugen T., es lasse sich ein anderer Versicherer finden, musste der Senat nicht ausdrücklich eingehen. Wie sich aus den Urteilserwägungen zu den Bankverbindungen ergibt, konnten nach seiner Rechtsauffassung zuversichtliche, aber unsubstantiierte Prognosen nicht das Bestehen vertraglicher Abreden ersetzen.

15 k) Mit der Rechtsauffassung der Klägerinnen zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "ohne eine Treuhandverwaltung" setzt das Urteil sich in Randnummer 67 auseinander. Es geht ausdrücklich auf ihre Ansicht ein, das Merkmal verlange eine Bewertung der negativen Auswirkungen einer Lieferunterbrechung im Verhältnis zu den positiven und negativen Auswirkungen der Treuhandverwaltung. Die Kritik der Klägerinnen an der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Senats (UA Rn. 93 ff.) wendet sich gegen dessen materiell-rechtliche Rechtsauffassung und ist deshalb ungeeignet, eine Gehörsverletzung darzutun. Die Rüge, es habe eines gerichtlichen Hinweises bedurft, ist nicht ordnungsgemäß substantiiert. Ausführungen zum eigenen Verständnis verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung genügen nicht, darzulegen, dass die Klägerinnen trotz streitiger Erörterung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Prozess nicht mit der dem Urteil zugrundeliegenden Rechtsauffassung zu rechnen brauchten.

16 l) Die Rüge, der Senat habe den Vortrag der Klägerinnen zu kompensierenden Versorgungsbeiträgen anderer Unternehmen im Fall eines Ausfalls von RDG und RNRM nicht berücksichtigt, trifft nicht zu. Das Urteil geht in Randnummer 69 davon aus, dass beim Ausfall des Versorgungsbeitrags der beiden Tochtergesellschaften eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit drohte und die daraus folgenden Auswirkungen nicht absehbar verlässlich durch kompensierende Versorgungsbeiträge anderer Unternehmen hätten abgewendet werden können. Die von den Klägerinnen vorgetragenen alternativen Szenarien hat der Senat nicht als absehbar verlässliche Kompensation gewertet; dies konnte wegen der hohen Anforderungen an die Versorgungssicherheit und der Erörterung der von den Geschäftsführern bekundeten Risikobereitschaft auch ohne vorherigen Hinweis nicht überraschen.

17 m) Den Vortrag der Klägerinnen, die Begründung der Anordnung sei in Bezug auf die Belieferung der PCK-Raffinerie mit Rohöl über den Hafen Danzig bewusst falsch, hat der Senat nicht übergangen. Das Urteil setzt sich in Randnummer 77 f. mit der Frage, ob die in der Begründung der Anordnung dargelegten Erwägungen dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechen, sowie mit den vom Ministerium zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit während der Pipeline-Ertüchtigung für erforderlich gehaltenen zusätzlichen Rohöllieferungen über den Hafen Danzig ausführlich auseinander. Der Einwand, die Ausführungen in Randnummer 94 des Urteils stünden im Widerspruch zu aktenkundigen Feststellungen und Erwägungen der Beklagten, rügt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), nicht gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs.

18 n) Der Vorwurf der Klägerinnen, der Senat habe bei der Erörterung der Frage, ob die Anordnung tatsächlich erlassen worden sei, um ein Importembargo russischen Rohöls ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen, den Kern ihrer "für die Klage zentralen Argumentation ignoriert", ist nicht begründet. Das Urteil erörtert unter Einbeziehung der vorgelegten Akten und Unterlagen sowie der Zeugenaussagen ausführlich, weshalb der Vortrag der Klägerinnen, das Ministerium habe sein Ermessen missbraucht, um den verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes für Importbeschränkungen zu umgehen, nicht zutrifft (UA Rn. 79 bis 88). Es würdigt neben den in der Rügebegründung angeführten Dokumenten auch das wesentliche Vorbringen der Klägerinnen aus dem Klageverfahren (UA Rn. 86 f.). Zu einem ausdrücklichen Eingehen auf alle Details war er nicht verpflichtet. Dass er die Würdigung der Klägerinnen nicht teilt, begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs.

19 o) Der Vorwurf, der Senat habe die Einwände der Klägerinnen gegen die von ihnen für widersprüchlich gehaltene Aussage des Zeugen Dr. S. zum Thema Kapitalabzug nicht zur Kenntnis genommen, ist nicht berechtigt. Der Senat hat die dem Ministerium vorliegenden Hinweise auf Bemühungen um einen Kapitalabzug als zusätzliches Indiz für die Gefahr einer Lieferunterbrechung gewertet und diese Würdigung eingehend begründet (UA Rn. 22, 55 f.). Dabei hat er die Aussagen des Zeugen Dr. S. unter Berücksichtigung der Bedenken der Klägerinnen als glaubhaft gewürdigt (UA Rn. 56). Dass er sich nicht deren Würdigung anschließt, begründet keinen Gehörsverstoß. Auch die Kritik an den Urteilserwägungen zu längerfristigen Vorkassenregelungen, zum Zusammenhang zwischen Kapitalabzug und Lieferunterbrechung und zur Möglichkeit von Umgehungsgeschäften wendet sich gegen die Beweiswürdigung, ohne deren überraschenden Charakter oder einen sonstigen Gehörsverstoß darzulegen.

20 p) Der Senat hat keinen Vortrag der Klägerinnen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne übergangen. Ihr Vorwurf, das Gericht habe lediglich eine Zumutbarkeitsprüfung der Gesamtmaßnahme, nicht aber "hinsichtlich der jeweils verglichenen Maßnahmen" vorgenommen, betrifft den materiell-rechtlichen Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung und übersieht, dass das Urteil mildere Alternativmaßnahmen für unzureichend erachtet, weil sie zentrale Ursachen der Probleme nicht adressieren (UA Rn. 97 f.), nicht effektiv durchzusetzen (UA Rn. 99) oder jederzeit einfach zu konterkarieren wären (UA Rn. 100). Die Behauptung, das Urteil weiche von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit ab, ist weder substantiiert noch geeignet, eine Gehörsverletzung darzutun.

21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für das Verfahren eine Festgebühr nach Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG anfällt.

Beschluss vom 26.01.2024 -
BVerwG 8 KSt 1.23ECLI:DE:BVerwG:2024:260124B8KSt1.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.01.2024 - 8 KSt 1.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:260124B8KSt1.23.0]

Beschluss

BVerwG 8 KSt 1.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2024
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock
als Einzelrichterin gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG
beschlossen:

  1. Die Erinnerung des Rechtsanwalts Dr. M., ..., ... B., gegen die Kostenrechnung vom 4. April 2023 (Kassenzeichen 1180 0532 2640) wird zurückgewiesen.
  2. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1 Die Erinnerung, über die gemäß § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG die Einzelrichterin entscheidet, hat keinen Erfolg. Die angegriffene Kostenrechnung vom 4. April 2023 ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden.

2 Der Erinnerungsführer wendet sich gegen seine Inanspruchnahme als Kostenschuldner von Klagen, die von ihm im Namen der im Verfahren BVerwG 8 A 2.22 als Klägerinnen zu 3 und 4 aufgeführten Gesellschaften ohne Vorlage einer wirksamen Prozessvollmacht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2023 - 8 A 1.23 -) erhoben worden waren. Nachdem der Erinnerungsführer diese Klagen im Namen der Klägerinnen zu 3 und 4 zurückgenommen hatte, hat der Senat das Verfahren insoweit abgetrennt und unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 A 1.23 gesondert fortgeführt. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2023 hat der Senat dieses Verfahren eingestellt und die Kosten des Verfahrens dem Erinnerungsführer als vollmachtlosem Vertreter auferlegt.

3 Der Erinnerungsführer wird mit der angegriffenen Kostenrechnung vom 4. April 2023 zu Recht als Kostenschuldner in Anspruch genommen. Er hat das Verfahren des Rechtszugs beantragt (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 22 Abs. 1 Satz 1 GKG) und ist Schuldner der Kosten, die durch seinen Antrag als vollmachtloser Vertreter ausgelöst worden sind. Dass der Erinnerungsführer als vollmachtloser Vertreter gehandelt hat, ergibt sich aus dem Fehlen einer den Klägerinnen zu 3 und 4 zurechenbaren Erteilung einer Prozessvollmacht. Beide haben sich weder einer schriftlichen Vollmacht entäußert, noch kann eine Befugnis der Klägerinnen zu 1 und 2 zur Erteilung einer Prozessvollmacht für die Klägerinnen zu 3 und 4 angenommen werden. Für die Einzelheiten wird auf Randnummern 4 und 5 des den Beteiligten bereits bekannten Beschlusses des Senats vom 21. Dezember 2023 - 8 A 1.23 - Bezug genommen; an dessen Erwägungen hält der Senat auch im vorliegenden Verfahren fest.

4 Einwendungen gegen die Höhe des Kostenansatzes hat der Erinnerungsführer nicht geltend gemacht. Unabhängig davon ist die Kostenrechnung vom 4. April 2023 auch insoweit nicht zu beanstanden.

5 Mit der Zurückweisung der Erinnerung erledigt sich der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Erinnerung gemäß § 66 Abs. 7 Satz 2 GKG anzuordnen.

6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.