Verfahrensinformation



Der Kläger ist ein 1996 in Deutschland geborener und aufgewachsener bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Mit Verfügung vom 26. März 2019 ordnete das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Klägers in die Republik Bosnien und Herzegowina an. Die vorliegenden Erkenntnisse führten zu der Prognose, dass von dem Kläger eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dieser gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Die Gesamtschau der festgestellten Tatsachen ergebe, dass sich der Kläger spätestens seit 2012/2013 zunehmend islamistisch radikalisiert habe und mit der terroristischen Vereinigung „IS" und dem von dieser propagierten bewaffneten Kampf, dem „Jihad", sympathisiere.


Hiergegen richtet sich die Klage.


Der Kläger wurde im April 2019 in die Republik Bosnien und Herzegowina abgeschoben.


In dem Termin wird nur über die Zulässigkeit der Klage verhandelt werden.


Beschluss vom 15.08.2019 -
BVerwG 1 A 6.19ECLI:DE:BVerwG:2019:150819B1A6.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.08.2019 - 1 A 6.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:150819B1A6.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 A 6.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. August 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich der Feststellung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Verfügung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2019 und des Begehrens des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter dem Aktenzeichen 1 A 6.19 abgetrennt.
  2. Insoweit erklärt sich das Bundesverwaltungsgericht für unzuständig.
  3. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.

Gründe

1 Mit Verfügung vom 26. März 2019 ordnete das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen gestützt auf § 58a AufenthG die Abschiebung des Klägers in die Republik Bosnien und Herzegowina an (Ziff. 1). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass nach § 11 Abs. 5 AufenthG ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gilt (Ziff. 3.). Gegen beide Entscheidungen hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Klage erhoben.

2 Soweit sich die Klage gegen die Feststellung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet, ist das angerufene Gericht nicht zuständig. Insoweit war der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 3 VwGO) zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu verweisen.

3 Nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG und ihre Vollziehung. Diese Zuständigkeit erstreckt sich nicht auf das von den Beklagten zusammen mit der Abschiebungsanordnung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot (BVerwG, Beschlüsse vom 22. August 2017 - 1 A 10.17 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 37 Rn. 3 und vom 27. März 2018 - 1 A 2.18 - juris Rn. 3).

4 Soweit der Kläger mit der Klage die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis begehrt, ist das angerufene Gericht ebenfalls nicht nach § 50 VwGO erstinstanzlich zuständig. Auch insoweit war der Rechtsstreit an das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 3 Satz 1 und 5 VwGO) zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zu verweisen.

5 Mit der Verweisung des Rechtsstreits ist keinerlei Vorentscheidung über die Erfolgsaussichten der Klage verbunden.

6 Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 2 GVG der Endentscheidung vorbehalten.

Urteil vom 15.08.2019 -
BVerwG 1 A 2.19ECLI:DE:BVerwG:2019:150819U1A2.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 15.08.2019 - 1 A 2.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:150819U1A2.19.0]

Urteil

BVerwG 1 A 2.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 15. August 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens trägt Herr Rechtsanwalt M. K., ..., ..., als vollmachtloser Vertreter.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen eine auf § 58a AufenthG gestützte Abschiebungsanordnung.

2 Der Kläger ist ein 1996 in Deutschland geborener und aufgewachsener bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Mit Verfügung vom 26. März 2019, die dem Kläger am 28. März 2019 ausgehändigt wurde, ordnete das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen seine Abschiebung in die Republik Bosnien und Herzegowina an. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Die vorliegenden Erkenntnisse führten zu der Prognose, dass von dem Kläger eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dieser gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Die Gesamtschau der festgestellten Tatsachen ergebe, dass sich der Kläger spätestens seit 2012/2013 zunehmend islamistisch radikalisiert habe und mit der terroristischen Vereinigung "IS" und dem von dieser propagierten bewaffneten Kampf, dem Jihad, sympathisiere.

3 Am 3. April 2019 hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Klage erhoben, die nicht begründet worden ist.

4 Am 11. April 2019 ist der Kläger gemeinsam mit seinen beiden Brüdern, gegen die gesondert Verfügungen nach § 58a AufenthG ergangen waren, nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben worden.

5 Mit gerichtlicher Verfügung vom 23. April 2019 ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgefordert worden, eine Prozessvollmacht vorzulegen und die ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen, unter welcher dieser nach der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung nunmehr erreichbar ist.

6 Mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom 3. Juni 2019, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 5. Juni 2019 zugestellt, ist dem Kläger u.a. nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgegeben worden, bis zum 28. Juni 2019 die Klage durch Mitteilung der aktuellen ladungsfähigen Anschrift des Klägers zu ergänzen. Zusätzlich ist darauf hingewiesen worden, dass die gesetzte Frist ausschließende Wirkung hat und eine verspätete Klageergänzung nicht mehr zu berücksichtigen ist, es sei denn, es liegen Wiedereinsetzungsgründe nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO vor. Ferner ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgegeben worden, bis zum 28. Juni 2019 eine Prozessvollmacht vorzulegen.

7 Diesen gerichtlichen Verfügungen ist der Kläger nicht nachgekommen.

8 Der Kläger hat in der Klageschrift beantragt,
1. die Verfügung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2019 aufzuheben,
2. den Beklagten unter Aufhebung der Nr. 3 der angefochtenen Verfügung zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern,
3. den Beklagten zu verpflichten, gemäß § 11 Abs. 4 AufenthG das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung aufzuheben, hilfsweise deutlich zu verkürzen, äußerst hilfsweise unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

9 Der Beklagte beantragt,
die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. abzuweisen.

10 Der Senat hat mit Beschluss vom 15. August 2019 den Rechtsstreit hinsichtlich der Feststellung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Verfügung des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26. März 2019 und des Begehrens des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 A 6.19 abgetrennt, sich insoweit für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.

11 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II

12 Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.

13 1. Der Zulässigkeit der Klage steht entgegen, dass der Kläger seine ladungsfähige Anschrift nach seiner Abschiebung in die Republik Bosnien und Herzegowina trotz Hinweises auf ihre Erforderlichkeit bis zur mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt hat.

14 a) Zur Bezeichnung des Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist (BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird (BVerwG, Beschluss vom 1. September 2005 - 1 B 79.05 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 2. Februar 1996 - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom 11. November 1999 - 1 BvR 1203/99 - juris Rn. 1; BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und Beschluss vom 14. Februar 2012 - 9 B 79.11 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11).

15 b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Klage nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom 3. Juni 2019 gesetzten Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO war er durch das Gericht mit Verfügung vom 3. Juni 2019 hingewiesen worden. Der Kläger hat dem Gericht keine Erklärung dafür gegeben, weshalb er dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist. Er hat auch nicht dargetan, dass ihm die Angabe seiner aktuellen Anschrift ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Die Nennung der ladungsfähigen Anschrift kann nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist nicht mehr wirksam vorgenommen werden, es sei denn, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO liegen vor. Das ist hier indes nicht der Fall. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO zu gewähren. Weder hat der Kläger die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist beantragt noch kann diese von Amts wegen erfolgen, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen zu sein.

16 2. Unabhängig hiervon kann hier nicht vom Bestehen einer wirksamen Vollmacht ausgegangen werden. Der für den Kläger auftretende Rechtsanwalt hat die nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderliche schriftliche Prozessvollmacht trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderungen vom 23. April 2019 und 3. Juni 2019 nicht zu den Akten gereicht. § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO hindert den Senat nicht, das Fehlen der Vollmacht zu berücksichtigen. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht zur Berücksichtigung des Mangels der Vollmacht von Amts wegen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. In diesem Fall entfällt die Pflicht, nicht jedoch auch die Befugnis, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen. Vielmehr kann die Art und Weise der Prozessführung dem Gericht dazu berechtigten Anlass geben. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie hier - der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist weder die Vollmacht nachreicht, noch den angeblich vertretenen Kläger ordnungsgemäß bezeichnet (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2011 - 8 A 1.10 - juris Rn. 16).

17 3. Die Kosten des Verfahrens sind in entsprechender Anwendung vom § 173 VwGO, § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 179 BGB dem Prozessbevollmächtigten des Klägers aufzuerlegen, weil er als vollmachtloser Vertreter das erfolglose Klageverfahren veranlasst hat (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 1982 - 1 C 63.79 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 55; vom 25. September 2006 - 8 KSt 1.06 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 108 und vom 16. Januar 2007 - 8 C 14.06 - juris).