Verfahrensinformation



Die Antragsteller wenden sich gegen einen Bebauungsplan, mit dem die Antragsgegnerin den ursprünglichen Dorfkern eines Ortsteils in seiner Struktur erhalten und vor einer ortsunüblichen Verdichtung bewahren will. Neben nicht bebaubaren Flächen für die Landwirtschaft sowie zwei Flächen für den Gemeinbedarf trifft der Bebauungsplan für die vorhandenen Gebäude eine Festsetzung als Dorfgebiet, wobei die Gärten als private Grundflächen ausgewiesen werden. Das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan mit Ausnahme der Festsetzungen für den Gemeinbedarf für unwirksam erklärt: Die Festsetzung des Dorfgebiets entspreche nicht den Anforderungen des § 5 BauNVO und werde folglich der allgemeinen Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht gerecht. Auf den betreffenden Flächen seien weder gemäß § 5 Abs. 1 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO in hinreichender Zahl und Größe die für ein Dorfgebiet wesensbestimmenden Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe vorhanden noch könnten sie dort untergebracht werden. Auf den als Dorfgebiet ausgewiesenen Flächen könne erkennbar nicht in ausreichender Zahl mit der Errichtung von Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe gerechnet werden, die geeignet wären, all jenen Flächen die diesem Baugebiet entsprechende Prägung zu geben. Höchstens drei der für eine Dorfgebietsprägung infrage kommenden Grundstücke eigneten sich für Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe; nur auf solche Stellen, nicht aber auf landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen komme es insoweit an. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zugelassen.


Beschluss vom 21.09.2021 -
BVerwG 4 BN 2.21ECLI:DE:BVerwG:2021:210921B4BN2.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.09.2021 - 4 BN 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:210921B4BN2.21.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 2.21

  • OVG Hamburg - 15.10.2020 - AZ: OVG 2 E 7/18.N

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. September 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2020 wird aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

2 Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich Gelegenheit geben, die Frage zu klären, ob nur landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe geeignet sind, ein Dorfgebiet nach § 5 BauNVO zu prägen.

3 Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 CN 7.21 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 20.06.2023 -
BVerwG 4 CN 7.21ECLI:DE:BVerwG:2023:200623U4CN7.21.0

Prägung eines Dorfgebiets durch landwirtschaftliche Nebenerwerbsbetriebe

Leitsatz:

Der Begriff des landwirtschaftlichen Betriebs in § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 BauNVO umfasst auch Nebenerwerbsbetriebe.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
    BauNVO § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2, § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3

  • OVG Hamburg - 15.10.2020 - AZ: 2 E 7/18.N

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 20.06.2023 - 4 CN 7.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:200623U4CN7.21.0]

Urteil

BVerwG 4 CN 7.21

  • OVG Hamburg - 15.10.2020 - AZ: 2 E 7/18.N

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Prof. Dr. Decker,
Dr. Hammer und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Antragsgegnerin wird das Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2020 aufgehoben, soweit die Verordnung über den Bebauungsplan "Sülldorf 4" für unwirksam erklärt worden ist.
  2. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich als Miteigentümer eines im Plangebiet belegenen Grundstücks gegen die Verordnung über den Bebauungsplan "Sülldorf 4" der Antragsgegnerin.

2 Der erstmals am 9. Dezember 2014 festgestellte und nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens am 30. August 2019 erneut festgestellte und teilweise rückwirkend in Kraft gesetzte Bebauungsplan überplant auf einer Fläche von ca. 45,5 ha ein Gebiet um den ursprünglichen Dorfkern von Sülldorf, eines im Nordwesten der Antragsgegnerin an der Grenze zu Schleswig-Holstein liegenden Ortsteils. Das Plangebiet umfasst im Wesentlichen die Flächen beiderseits des von Süd nach Nord verlaufenden Sülldorfer Kirchenwegs und Flächen an Querstraßen. Bereits in der Bekanntmachung des anfänglichen Aufstellungsbeschlusses im Jahr 1989 und erneut im Aufstellungsbeschluss aus dem Jahr 2008 wird festgehalten, dass der ursprüngliche Dorfkern in seiner Struktur erhalten und vor einer ortsuntypischen Verdichtung bewahrt werden solle. Dementsprechend handelt es sich im Wesentlichen um einen Bebauungsplan zur Bestandssicherung mit detaillierter Steuerung der Entwicklungsmöglichkeiten für die vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe. Der Bebauungsplan setzt flächenmäßig überwiegend weitgehend nicht bebaubare Flächen für die Landwirtschaft sowie zwei Flächen für den Gemeinbedarf (Schule und Feuerwehr) fest. Im Übrigen trifft er für die bebauten Grundstücke Festsetzungen als Dorfgebiet, wobei deren Gärten als private Grünflächen ausgewiesen werden. Hiervon ausgenommen sind fünf Hofstellen landwirtschaftlicher Betriebe mit ihren Gebäuden, die in den Flächen für die Landwirtschaft liegen; hiervon ist auch der Hof der Antragsteller - sie betreiben Ackerbau auf einer Nutzfläche von 44 ha und eine Pension für 55 Pferde - betroffen mit Ausnahme des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes, für das ein Dorfgebiet festgesetzt wird. Auf den als Dorfgebiet festgesetzten Flächen werden bestimmte Nutzungen ausgeschlossen und die Zahl der Wohnungen je Gebäude begrenzt. Die durch Baugrenzen festgesetzten Baufenster orientieren sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, am vorhandenen Bestand der Hauptanlagen. Bei den Hofstellen werden jeweils deren landwirtschaftliche Gebäude von einer gemeinsamen Baugrenze umschlossen; diese orientiert sich, von einer Hofstelle abgesehen, überwiegend an den Außenwänden der Gebäude. Das Maß der baulichen Nutzung entspricht weitgehend dem vorhandenen Bestand. Für die Gebäude und Hofstellen sowie teilweise angrenzende Flächen beiderseits des Sülldorfer Kirchenwegs wird darüber hinaus ein Erhaltungsbereich nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB festgesetzt.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat dem Normenkontrollantrag im Wesentlichen stattgegeben und den Bebauungsplan - mit Ausnahme der Festsetzungen der Gemeinbedarfsflächen - für unwirksam erklärt: Die Festsetzungen des Baugebiets MD (Dorfgebiet) entsprächen nicht den Anforderungen des § 5 BauNVO, weil die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht gewahrt werde. Wesensbestimmend für ein Dorfgebiet sei die Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Solche für eine Gebietsprägung geeignete Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe, wie sie nach den regionalen Besonderheiten, insbesondere in einer städtischen Umgebung, vorzufinden seien, gebe es auf den als Dorfgebiet festgesetzten Flächen nicht. Trotz konzeptioneller Zugehörigkeit könne nicht auf die bebauten Flächen für die Landwirtschaft abgestellt werden. Auf den als Dorfgebiet ausgewiesenen Flächen könne erkennbar auch nicht in hinreichender Zahl mit der Errichtung von Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe gerechnet werden, die geeignet wären, all jenen Flächen die diesem Baugebiet entsprechende Prägung zu geben. Hierbei sei eine Orientierung an den vorhandenen Betrieben - nach Betriebsart und dem aus Rentabilitätsgründen notwendigen Umfang einer Wirtschaftsstelle - geboten. Erforderlich sei demnach ein Wirtschaftsgebäude von ca. 500 m2 Grundfläche; dies entspreche dem kleinsten der vorhandenen fünf landwirtschaftlichen Hofstellen. Kleinere Wirtschaftsstellen würden zudem nicht mehr sicherstellen, einem Vollerwerbsbetrieb dienen zu können; ein solcher Betrieb sei - in Abgrenzung zu den in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO genannten landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen - für die in § 5 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO genannten Wirtschaftsstellen vorauszusetzen. Höchstens drei der für eine Dorfgebietsprägung infrage kommenden Grundstücke seien geeignet, Wirtschaftsstellen landschaftlicher Vollerwerbsbetriebe aufzunehmen. Bei den anderen Grundstücken seien die bestandsorientierten Baufenster zu klein, um Wirtschaftsgebäude in einer Größe errichten zu können, wie sie für einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb der im Plangebiet vorhandenen Art notwendig seien. Soweit die Grundstücke größere Baufenster aufwiesen, handele es sich um ehemalige Hofstellen, deren Gebäude vollständig zu Wohnzwecken umgebaut worden seien. Diese Nutzungsart erzeuge einen starken Wertschöpfungsdruck im Plangebiet, so dass es keine realistische Perspektive gebe, diese Grundstücke in Zukunft der weniger rentablen landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Darüber hinaus bestehe für die ehemaligen Hofstellen sowie für einige Gebäude auf anderen Grundstücken Denkmalschutz, was eine Umnutzung erschwere. Die daraus folgende Unwirksamkeit der Dorfgebietsfestsetzungen führe unabhängig davon, ob die Dorfgebietsfestsetzungen ein einheitliches Baugebiet oder aufgrund ihrer räumlichen Trennung mehrere separate Baugebiete bilden, zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans mit Ausnahme der Festsetzungen der Gemeinbedarfsflächen. Denn mit dem Wegfall der Baugebietsfestsetzungen fehle dem Bebauungsplan eine Kernaussage seines Konzepts, weshalb die verbleibenden Festsetzungen keine sinnvolle städtebauliche Ordnung mehr bewirken könnten.

4 Mit ihrer Revision macht die Antragsgegnerin geltend, dass landwirtschaftliche Betriebe im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur Haupterwerbsbetriebe seien. Der Wortlaut schließe auch Nebenerwerbsbetriebe ein. Der Verweis des Oberverwaltungsgerichts auf die wesensverschiedene Nebenerwerbsstelle in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO sei verfehlt. Aus der Neuregelung in § 5a BauNVO ergebe sich nichts Gegenteiliges.

5 Die Antragsteller verteidigen das angegriffene Urteil.

II

6 Die Revision ist zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts führen weder auf eine anderweitige Ergebnisrichtigkeit (§ 144 Abs. 4 VwGO) noch erlaubt die Verwertung des Inhalts der Gerichtsakten eine eigene abschließende Entscheidung des Senats (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht ist folglich geboten (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

7 1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 23. April 2009 - 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377 Rn. 8 ff.) ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Dorfgebiets gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nur dann gewahrt und die Festsetzung des Baugebiets MD rechtmäßig ist, wenn auf diesen Flächen die für dieses Baugebiet auch wesensbestimmenden Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe in einer für die Prägung des Gebiets hinreichenden Zahl und Größe vorhanden sind oder dort untergebracht werden können. Bei dieser Prüfung, als deren Ergebnis drei taugliche Grundstücke identifiziert werden, hat das Oberverwaltungsgericht lediglich landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe berücksichtigt. Diese Verengung des Begriffs "Betrieb" in § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO ist unzutreffend.

8 a) Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ist für alle Arten betrieblicher Organisationsformen offen, eine Unterscheidung nach der Größe ist darin nicht angelegt. Insoweit gilt nichts anderes als im Rahmen des Privilegierungstatbestands des § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB; dort werden Vollerwerbs- und Nebenerwerbsbetriebe - ungeachtet der bei der Feststellung der Voraussetzungen eines Nebenerwerbsbetriebs oftmals schwierigen Abgrenzung zur bloßen Liebhaberei - gleichbehandelt. Der Betrieb zeichnet sich durch eine spezifisch betriebliche Organisation und die Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung aus, die ein auf Dauer lebensfähiges Unternehmen kennzeichnen. Der Gewinnerzielungsabsicht kommt dabei indizielle Bedeutung zu. Auf die Größe des Betriebs als solche kommt es folglich nicht entscheidend, sondern nur als ein Indiz an (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 4 C 9.11 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 387 Rn. 7 ff.; so schon Urteile vom 27. Januar 1965 - 4 C 41.65 - BVerwGE 26, 121 <124> und vom 24. August 1979 - 4 C 3.77 - Buchholz 406 § 35 BBauG Nr. 158 S. 103; siehe dazu Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 35 Rn. 46 ff. und Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand Januar 2023, § 35 Rn. 28 f.). Dieser Begriff des landwirtschaftlichen Betriebs wird verbreitet auch für § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO als maßgeblich erachtet (so etwa VGH Mannheim, Urteil vom 8. Januar 2002 - 5 S 1973/01 - juris Rn. 2 ff.; VGH Kassel, Urteil vom 15. Februar 2005 - 3 N 1095/03 - juris Rn. 29 ff.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 5 BauNVO Rn. 27; Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 5a BauNVO Rn. 43; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 5 Rn. 17; Arnold, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 46; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2018 § 5 Rn. 1.43).

9 b) Teleologische Erwägungen führen nicht dazu, Nebenerwerbsbetriebe von den in § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als für das Dorfgebiet wesensbestimmenden landwirtschaftlichen Betrieben nicht umfasst anzusehen. Ob eine wesensbestimmende Prägung des Dorfgebiets als "ländliches Mischgebiet" (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 1995 - 4 B 258.95 - Buchholz 406.12 § 5 BauNVO Nr. 3 S. 5; Urteile vom 23. April 2006 - 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377 Rn. 10 und vom 6. Juni 2019 - 4 C 10.18 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 21) allein durch Nebenerwerbsbetriebe erreicht werden kann, bedarf hier keiner Klärung; denn nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist es möglich, Haupterwerbsbetriebe auf den betreffenden Flächen unterzubringen. Zur erforderlichen Prägung können die Nebenerwerbsbetriebe jedenfalls beitragen. Dies gilt insbesondere wegen ihres spezifischen Störpotenzials, das sich aufgrund der geringeren Größe der Wirtschaftsstelle nur graduell von dem des Vollerwerbsbetriebs unterscheidet. Aufgrund des Strukturwandels der Landwirtschaft mit einer wachsenden Anzahl auch ausgesiedelter Großbetriebe und einem Anteil von Nebenerwerbsbetrieben in Höhe von über 50 % (siehe Hörnicke, DVBl 2021, 694 <695>; Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2011, 323 <324 f.>) kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Dorfgebiet - ungeachtet der gleichermaßen wesensbestimmenden Wohn- und gewerblichen Nutzung - dem Grunde nach den Vollerwerbsbetrieben vorbehalten bleiben soll. Die in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO normierte Pflicht zur vorrangigen Rücksichtnahme begünstigt jeglichen landwirtschaftlichen Betrieb.

10 c) Einer Orientierung am weiten Verständnis des Begriffs des landwirtschaftlichen Betriebs in § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB steht nicht entgegen, dass bei der Vorhabenzulassung im Rahmen der Prüfung der für die Betriebseigenschaft erforderlichen Dauerhaftigkeit und Lebensfähigkeit des Betriebs nicht zuletzt die Eigenschaften und Fähigkeiten des Betriebsführers als Indiz herangezogen werden. Bei der generalisierenden und von einer konkreten Inhaberschaft abstrahierenden planbezogenen Bewertung reicht es, im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse auf eine Mindestgröße für einen Nebenbetrieb und somit auf ein objektivierbares Merkmal abzustellen (a. A. Otto, ZfBR 2021, 626 <627>).

11 d) Die der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Erwägungen sind nicht tragfähig.

12 Die Erwähnung von landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO könnte bei einer auf die Gesetzessystematik abstellenden Argumentation nur dann Rückschlüsse auf das Verständnis von § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zulassen, wenn damit eine Sonderregelung für grundsätzlich bereits von den letztgenannten Vorschriften erfasste bauliche Nutzungen getroffen würde. Dem ist aber nicht so. Vielmehr stehen die Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetriebe und die Nebenerwerbsstellen ohne sachliche Überschneidung nebeneinander.

13 aa) Die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO genannten Nebenerwerbsstellen finden sich mit derselben Bedeutung in § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1 BauNVO. Die Nebenerwerbsstelle hat eine inhaltliche Nähe zur Kleinsiedlung und steht zwischen dieser und dem Nebenerwerbsbetrieb. Sie ist in Anlehnung an eine frühere förderrechtliche Bestimmung (§ 143 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung i. d. F. vom 3. April 1957, BGBl. I S. 322) – bei fließendem Übergang zur Kleinsiedlung - eine Siedlerstelle mit einem Wohngebäude, einem Wirtschaftsteil und einer Landzulage, die aufgrund ihrer Größe und Bodenbeschaffenheit geeignet und bestimmt ist, dem Siedler durch weitgehende Selbstversorgung aus den Erträgnissen des Bodens und der Tierhaltung sowie gegebenenfalls durch Einkünfte aus einer bescheidenen Marktleistung eine spürbare Ergänzung des Einkommens zu ermöglichen; ihr fehlt die Betriebseigenschaft (OVG Münster, Urteil vom 25. Januar 2013 - 10 A 2269/10 - juris Rn. 82 ff. und Beschluss vom 10. Mai 2017 - 8 B 1081/16 - juris Rn. 24 f.; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 2 BauNVO Rn. 50, 57; Vietmeier, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 2 Rn. 23 ff.; Karber, in: BeckOK BauNVO, Stand April 2023, § 2 Rn. 43 f.).

14 bb) Keinen Anlass für ein abweichendes Verständnis der Regelung gibt die Verwendung des Begriffs der Nebenerwerbsstelle in der Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Das Bundesverwaltungsgericht spricht in Entscheidungen zum landwirtschaftlichen (Nebenerwerbs-)Betrieb im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zwar ebenfalls von Nebenerwerbsstellen (siehe Urteil vom 27. Januar 1967 - 4 C 41.65 - BVerwGE 26, 121 Ls. 1 und nachfolgend Urteile vom 24. Oktober 1980 - 4 C 35.78 - <insoweit in Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 171 nicht abgedruckt> juris Rn. 10, vom 11. April 1986 - 4 C 67.82 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 234 S. 154, vom 16. Dezember 2004 - 4 C 7.04 - BVerwGE 122, 308 S. 311 f. und zuletzt vom 11. Oktober 2012 - 4 C 9.11 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 387 Rn. 7; diese Begrifflichkeit übernehmend Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 17). Damit ist aber ersichtlich nicht der in der Baunutzungsverordnung verwendete eigenständige städtebauliche Begriff gemeint. Die genannten Entscheidungen umschreiben mit der Nebenerwerbsstelle vielmehr - soweit ersichtlich - die sächlichen Grundlagen einer landwirtschaftlichen Produktion, die bei entsprechender Organisation und Nachhaltigkeit und einer beständigen Teilnahme am Marktgeschehen als "betrieblich" eingestuft werden kann.

15 cc) Auch die mit dem Gesetz zur Mobilisierung von Bauland - Baulandmobilisierungsgesetz - vom 14. Juni 2021 (BGBl. I S. 1802) neu eingefügte Bestimmung des § 5a BauNVO über die Baugebietskategorie des Dörflichen Wohngebiets erlaubt nicht den Schluss, dass dem § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BauNVO jedenfalls in dem für die Überprüfung des Bebauungsplans maßgeblichen Zeitpunkt seiner Feststellung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 2017 - 4 C 5.16 - BVerwGE 160, 104 Rn. 10 ff.) und angesichts der in seiner Begründung (S. 3) enthaltenen Bezugnahme auf die Baunutzungsverordnung i. d. F. vom 21. November 2017 (BGBl. I S. 3786) das vom Oberverwaltungsgericht vertretene Begriffsverständnis zugrunde liegt.

16 Nach § 5a Abs. 1 Satz 1 BauNVO dienen Dörfliche Wohngebiete dem Wohnen sowie der Unterbringung von land- und forstwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen und nicht wesentlich störenden Gewerbegebieten. Zulässig sind u. a. nach § 5a Abs. 2 Nr. 2 BauNVO Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetriebe und die dazugehörigen Wohnungen und Wohngebäude sowie nach § 5a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäuden mit entsprechenden Nutzgärten. Aus dieser "auffälligen" und inkongruenten Terminologie (so Finger, in: Brügelmann, BauGB, Stand Januar 2023, § 5a BauNVO Rn. 24), bei der sich nicht alle für die Zweckbestimmung prägenden Nutzungen in der Aufzählung der allgemein zulässigen Nutzungsarten wiederfinden, folgt, dass im gegebenen Regelungszusammenhang der im Rahmen der Zweckbestimmung erwähnte Begriff der Nebenerwerbsstelle wegen des Bezugs zu und der Ausfüllung in § 5a Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gerade auf die Betriebseigenschaft nicht verzichten kann und somit weiter und anders zu verstehen ist als in § 2 Abs. 2 Nr. 1, § 5 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, nämlich im Sinne des Nebenerwerbsbetriebs. Des Weiteren ist festzustellen, dass die Nebenerwerbsstelle auch in § 5a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO keine ausdrückliche Erwähnung findet und somit - mangels eines nachvollziehbaren Grundes für ihren Ausschluss - entweder mittels eines Erst-Recht-Schlusses von § 5a Abs. 2 Nr. 2 BauNVO miterfasst anzusehen oder aufgrund einer entsprechenden Anwendung des § 5a Abs. 2 Nr. 3 BauNVO als allgemein zulässig einzustufen ist (vgl. Blechschmidt, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 5a BauNVO Rn. 44 f.).

17 Der so zu verstehenden Neuregelung liegt ersichtlich kein reflektierter Umgang mit dem bislang in der Baunutzungsverordnung verwendeten Begriff der Nebenerwerbsstelle zugrunde. Dies erklärt sich wohl daraus, dass die Neuregelung offensichtlich an die vom Bundesverwaltungsgericht zu § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB verwendete Terminologie anknüpft. Dies wird auch bestätigt durch die knappen Erläuterungen in der Begründung zum Gesetzentwurf. Dort wird auf die Empfehlungen der Baulandkommission verwiesen, die beim Dörflichen Wohngebiet nur von landwirtschaftlichen Betrieben (im Neben- und Haupterwerb) spricht, die Nebenerwerbsstelle in ihrer spezifischen Bedeutung in der Begrifflichkeit der Baunutzungsverordnung aber nicht erwähnt (vgl. BT-Drs. 19/24838 S. 34 <Zu Art. 2, Zu Nummer 3>).

18 2. Das angegriffene Urteil beruht auf der bundesrechtswidrigen Beschränkung des § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO auf Vollerwerbsbetriebe.

19 Die nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts gebotene Orientierung an den im Plangebiet vorhandenen landwirtschaftlichen (Vollerwerbs-)Betrieben bildet nur eine Regel, so dass die nachfolgende normative Abstützung für die Entscheidung tragend ist (UA S. 14 f.).

20 Soweit das Oberverwaltungsgericht am Ende der Prüfung, ob über die festgestellten drei Grundstücke hinaus noch weitere zur Ansiedlung von Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher (Vollerwerbs-)Betriebe zur Verfügung stehen, auf den Wertschöpfungsdruck durch eine gegebene Wohnnutzung und den Denkmalschutz verweist, die einer Umnutzung als landwirtschaftliche Wirtschaftsstelle entgegenstünden (UA S. 16 f.), kann angesichts der unbestimmten Angaben nicht davon ausgegangen werden, dass diese Hinderungsgründe alle in Betracht zu ziehenden Grundstücke betreffen.

21 3. Die Prüfung, ob auf den Grundstücken in den Festsetzungen als Dorfgebiet Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Nebenbetriebe untergebracht werden können, ist dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass das Revisionsgericht im Interesse einer abschließenden Entscheidung auf den Akteninhalt des vorinstanzlichen Verfahrens zugreift und diesen verwertet (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2017 - 7 C 35.15 - Buchholz 451.224 § 3 KrWG Nr. 2 Rn. 32; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 137 Rn. 60 ff.). Die Antragsgegnerin hat eine detaillierte Übersicht zu den einzelnen Flächen mit der Festsetzung MD zu den Akten gereicht (Schriftsatz vom 6. Oktober 2020). Diese bedarf aber der tatrichterlichen Würdigung, die dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist.

22 Es spricht viel dafür, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Prüfung und den rechtlichen Folgerungen ungeachtet der räumlichen Trennung der Flächen die Festsetzung eines einheitlichen Dorfgebiets zugrunde zu legen hat. Angesichts des in der Begründung zum Bebauungsplan betonten Planungsziels, den ursprünglichen Dorfkern von Sülldorf in seiner Struktur mit dem Sülldorfer Kirchenweg als "Dorfstraße" zu erhalten (S. 4 f.), erscheint nicht zuletzt wegen des Siedlungscharakters eines Straßendorfs (UA S. 19) eine zusammenfassende Betrachtung aller Flächen angezeigt, auch wenn in der Begründung zum Bebauungsplan nachfolgend von festgesetzten Dorfgebieten die Rede ist (S. 49 ff.).