Verfahrensinformation



Der Kläger ist ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 27jähriger algerischer Staatsangehöriger. Das LKA Niedersachsen hat ihn als „Gefährder“ (Funktionstyp Akteur) eingestuft. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden ist er der neo-salafistischen Szene zuzurechnen und sympathisiert mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“. Im Februar 2017 ordnete das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport nach § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Abschiebung des Klägers nach Algerien an. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG vorliegen. Die Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs des Klägers ergeben habe, dass er sich in Göttingen im Kreis einer radikalislamistischen Gruppierung bewege und sich als Sympathisant des IS zu erkennen gegeben habe. Von ihm gehe die Gefahr einer islamistisch motivierten Gewalttat aus, weil er schon in der Vergangenheit Gewalttaten verübt und weitere für die Zukunft angekündigt habe. Die Stadt Göttingen hat gegen den Kläger ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG angeordnet.


Mit Beschluss vom 21. März 2017 hat das bei Klagen gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG in erster und letzter Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Es hat die Abschiebung aber von der Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abhängig gemacht, dass dem Kläger keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Nach Erteilung der Zusicherung wurde der Kläger Mitte Juli 2017 nach Algerien abgeschoben. Mit seiner Klage wendet er sich gegen die ergangene Abschiebungsanordnung, die er für rechtswidrig hält.


Pressemitteilung Nr. 56/2017 vom 22.08.2017

Bundesverwaltungsgericht bestätigt Abschiebungsanordnungen gegen zwei islamistische Gefährder

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute die Klagen von zwei salafistischen Gefährdern gegen Abschiebungsanordnungen des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (Innenministerium) abgewiesen. Das Ministerium hatte im Februar 2017 die Abschiebung eines Algeriers und eines Nigerianers gemäß § 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) angeordnet. Nachdem deren Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt worden waren, wurden sie abgeschoben.


Das bei Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG in erster und letzter Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht hat die Anordnungen heute als rechtmäßig bestätigt. Nach der im Jahr 2005 eingeführten Regelung des § 58a AufenthG kann ein Ausländer zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung abgeschoben werden. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht inzwischen bestätigten Maßstab des 1. Revisionssenats bedarf es für die hierfür erforderliche, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose einer Bedrohungslage, bei der sich das vom Ausländer ausgehende Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann. Diese Voraussetzungen sieht der Senat im Fall der beiden salafistischen Gefährder auch nach neuerlicher Überprüfung auf der Grundlage einer Gesamtschau vielfältiger Anhaltspunkte und Indizien als erfüllt an. Sie waren insbesondere beide seit längerem in der radikal-islamistischen Szene in Deutschland verankert, sympathisierten mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) und hatten mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt.


In beiden Fällen sah das Gericht auch keine Abschiebungsverbote wegen der Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung in den Zielländern ihrer Abschiebung. Im Fall des Algeriers hatte das Gericht die Abschiebung zunächst von der Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abhängig gemacht, dass dem Betroffenen keine derartigen Gefahren drohen. Nach einem Gespräch des Klägers mit dem Algerischen Generalkonsulat während seiner Inhaftierung in Deutschland konnte aber davon ausgegangen werden, dass er in Algerien wegen seines Verhaltens in Deutschland nicht als Terrorist behandelt wird, weshalb zum Zeitpunkt seiner Abschiebung kein reales Risiko für eine Verletzung von Art. 3 EMRK mehr bestand. Auch der Kläger ging davon aus, dass ihm in Algerien nichts droht, weshalb er selbst um seine Abschiebung gebeten hatte. Diese Einschätzung bestätigte sich nach seiner Ankunft und Befragung in Algerien.


Das Bundesverwaltungsgericht hat in beiden Verfahren die Entscheidung über das vom Innenministerium gegen die Kläger verhängte unbefristete Einreise- und Aufenthaltsverbot abgetrennt und an das zuständige Verwaltungsgericht Göttingen verwiesen.


BVerwG 1 A 2.17 - Urteil vom 22. August 2017

BVerwG 1 A 3.17 - Urteil vom 22. August 2017


Beschluss vom 21.03.2017 -
BVerwG 1 VR 1.17ECLI:DE:BVerwG:2017:210317B1VR1.17.0

Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Abschiebungsanordnung gegen Algerier

Leitsätze:

1. Die auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Zuwanderungsgesetz aufgenommene Regelung in § 58a AufenthG ist nicht wegen Überschreitens der Kompetenzgrenzen des Vermittlungsausschusses (formell) verfassungswidrig.

2. Für eine auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose im Sinne des § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedarf es keiner konkreten Gefahr im Sinne des Polizeirechts, vielmehr genügt auf der Grundlage einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage eine vom Ausländer ausgehende Bedrohungssituation im Sinne eines beachtlichen Risikos, das sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann.

3. Bei der Abschiebungsanordnung hat die zuständige Behörde in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Ein nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellter Asylantrag steht dem Vollzug einer Abschiebungsanordnung nicht entgegen.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 11 Abs. 1 und 5, § 54 Abs. 1 Nr. 2, §§ 58a, 59 Abs. 2 und 3, § 60 Abs. 1 bis 9
    GG Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 6, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 2 und 3, Art. 38 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1, Art. 77, 83, 84
    EMRK Art. 8
    RL 2008/115/EG Art. 7 Abs. 4, Art. 11 Abs. 2
    RL 2011/95/EU Art. 21 Abs. 2 Buchst. a

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.03.2017 - 1 VR 1.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:210317B1VR1.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 VR 1.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. März 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsanordnung des Antragsgegners vom 16. Februar 2017 anzuordnen, wird mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Antragsteller erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden darf, wonach dem Antragsteller in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 EMRK).
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Antragsverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller, ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 27-jähriger algerischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung nach Algerien. Er wurde am 9. Februar 2017 im Rahmen einer Groß-Razzia verhaftet. Mit Verfügung vom 16. Februar 2017 ordnete das Ministerium - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Antragstellers nach Algerien an. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Antragsteller nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden als "Gefährder (Funktionstyp Akteur)" der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen sei, mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) sympathisiere und mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt habe. Daraus ergebe sich die auf Tatsachen gestützte Prognose, dass vom Antragsteller eine terroristische Gefahr ausgehe. Am gleichen Tag wurde gegen ihn Abschiebungshaft bis einschließlich 24. März 2017 verhängt. Seine Abschiebung nach Algerien ist für den 22. März 2017 geplant.

2 Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2017 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Er hält schon die Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Verfügung für verfassungswidrig, im Übrigen aber auch deren Voraussetzungen hier nicht für erfüllt. Weiterhin beruft er sich auf das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG, denn er sei im Fall seiner Rückführung nach Algerien einer konkreten Leibes- und Lebensgefahr ausgesetzt. Der Antragsgegner verteidigt die angegriffene Verfügung. Der Senat hat eine Liste von Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in Algerien erstellt und ergänzend eine Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) eingeholt. Die in der Liste aufgeführten Erkenntnismittel und die auf die Anfrage des Senats eingegangene Auskunft des AA vom 1. März 2017 wurden den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.

II

3 Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Ministeriums vom 16. Februar 2017 anzuordnen, ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das öffentliche Interesse. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung bestehen keine ernstlichen Zweifel (1.). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die einer Abschiebung des Antragstellers nach Algerien entgegenstehen könnten, liegen nicht vor (2.).

4 1. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung bestehen keine ernstlichen Zweifel. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.

5 a) Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß.

6 aa) Der formellen Verfassungsmäßigkeit steht nicht entgegen, dass sie im Regierungsentwurf zum Zuwanderungsgesetz nicht enthalten war, sondern auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses in das Gesetz aufgenommen worden ist. Die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses und ihre Grenzen sind in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergeben sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus der Funktion und der Stellung des Vermittlungsausschusses in dem gemäß dem Grundgedanken des Art. 20 Abs. 2 GG durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 77 ff. GG ausgestalteten Gesetzgebungsverfahren. Danach hat der Vermittlungsausschuss kein eigenes Gesetzesinitiativrecht, sondern vermittelt zwischen den zuvor parlamentarisch beratenen Regelungsalternativen. Seine faktische Gestaltungsmacht wird durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt. Dem Vermittlungsausschuss kommt nur die Aufgabe zu, auf der Grundlage des Gesetzesbeschlusses und des vorherigen Gesetzgebungsverfahrens Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die sich ausgehend vom Anrufungsbegehren im Rahmen der parlamentarischen Zielsetzung des Gesetzgebungsvorhabens bewegen und die jedenfalls im Ansatz sichtbar gewordenen politischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat ausgleichen. Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die in dieses eingeführten Anträge und Stellungnahmen der Abgeordneten und des Bundesrates sowie im Falle einer Regierungsvorlage gegebenenfalls der Bundesregierung bestimmt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Form der Bundestag die Anträge und Stellungnahmen in seinem Gesetzesbeschluss berücksichtigt. Der Vermittlungsvorschlag muss dem Bundestag aber aufgrund der dort geführten parlamentarischen Debatte zurechenbar sein. Er ist deshalb inhaltlich und formal an den durch den Bundestag vorgegebenen Rahmen gebunden. Der Vermittlungsausschuss darf einen Regelungsgegenstand daher nur aufgreifen, wenn die betreffenden Anträge und Stellungnahmen im Gesetzgebungsverfahren vor dem Gesetzesbeschluss bekannt gegeben worden sind und die Abgeordneten die Möglichkeit hatten, diese zu erörtern. Dabei muss der Regelungsgegenstand in so bestimmter Form vorgelegen haben, dass seine sachliche Tragweite dem Grunde nach erkennbar wird. Dies muss nicht in Form eines ausformulierten Gesetzentwurfs erfolgen, eine allgemeine Zielformulierung genügt jedoch nicht. Dabei ist auch von Bedeutung, ob die Stellungnahme einen hinreichend klaren Bezug zu dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren aufweist (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104 <121 ff.> = juris Rn. 54 ff. m.w.N.).

7 Im Anrufungsbegehren der Bundesregierung vom 3. Juli 2003 (BT-Drs. 15/1365) war der Vermittlungsauftrag nicht auf einzelne Teile des Gesetzentwurfs beschränkt, sondern umfasste das gesamte Zuwanderungsgesetz. Dies eröffnete einen weiten Vermittlungsrahmen, der durch die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 30. Juni 2004 (BT-Drs. 15/3479) nicht überschritten worden ist. Auch § 58a AufenthG bewegt sich innerhalb des durch die Auffassungsunterschiede im Parlament und die Gegenläufigkeit im Bundestag und im Bundesrat gesteckten Rahmens (s.a. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 11 ff.; a.A. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 58a AufenthG, Stand Januar 2017, Rn. 1; Erbslöh, NVwZ 2007, 155 <156 f.>). Insbesondere aus der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Innenausschusses vom 7. Mai 2003 (BT-Drs. 15/955 S. 49) ergibt sich, dass die Fraktion der CDU/CSU eine grundlegende Umgestaltung und Überarbeitung des Gesetzentwurfs in sicherheitsrechtlicher Hinsicht gefordert und in diesem Zusammenhang zur Bekämpfung des Terrorismus ausdrücklich eine "Möglichkeit der Ausweisung bei Terrorismusverdacht" gefordert hat. Auch an anderen Stellen finden sich im Bericht Hinweise auf Forderungen zur effektiven Abwehr terroristischer Aktivitäten, etwa durch Verschärfung der Versagungsgründe (S. 7 f.), lebenslange Einreisesperren (S. 10) und Erweiterung der Ausweisungstatbestände (S. 25). Die Nähe des vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen § 58a AufenthG mit den sich aus dem Bericht des Innenausschusses ergebenden Forderungen ergibt sich besonders deutlich aus dem in den Bericht aufgenommenen Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU, § 11 Abs. 1 AufenthG um einen Satz 5 zu ergänzen und eine Befristung bei terroristischen Taten kraft Gesetzes auszuschließen (S. 10). Die Formulierung "terroristische Taten" wurde später im Vermittlungsverfahren durch "aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a" ersetzt. Dies zeigt, dass Maßnahmen zur effektiven Abwehr terroristischer Aktivitäten bereits zuvor Gegenstand der parlamentarischen Beratung waren und der Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu § 58a AufenthG, der eine in ihren Wirkungen einer vollziehbaren Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung weitgehend gleichstehenden Abschiebungsanordnung zum Gegenstand hat, einen hinreichenden inhaltlichen Sachzusammenhang mit den im Gesetzgebungsverfahren jedenfalls im Ansatz sichtbar gewordenen politischen Meinungsverschiedenheiten aufweist und sich damit im Rahmen der dem Vermittlungsausschuss gesetzten Kompetenzgrenzen hält. Dem steht nicht entgegen, dass § 58a AufenthG in seiner konkreten Ausgestaltung nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratungen war. Denn die Kompromissfunktion des Vermittlungsverfahrens beschränkt sich nicht auf die Wahl zwischen verschiedenen bereits vorformulierten Gesetzentwürfen, sondern soll im Rahmen der im Gesetzgebungsverfahren sichtbar gewordenen politischen Meinungsverschiedenheiten eine Einigung herbeiführen. Dies bedingt notwendigerweise eine gewisse Eigeninitiative beim Finden eines Kompromisses innerhalb des vorgegebenen verfassungsrechtlichen Rahmens (Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 15). In diesem Rahmen bewegt sich die vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagene Lösung, die mit der Schaffung einer neuen Möglichkeit der Aufenthaltsbeendigung bei besonders gefährlichen Ausländern einen Mittelweg zwischen dem im Gesetzentwurf enthaltenen Verzicht auf jegliche Verschärfung des Ausweisungsrechts und der Forderung der CDU/CSU-Fraktion nach einer reinen Verdachtsausweisung aufzeigt.

8 Selbst wenn eine Überschreitung der Kompetenzgrenzen bejaht würde, würde dieser Verfahrensfehler mangels Evidenz zumindest nicht die Gültigkeit der angegriffenen Norm berühren. Zwar sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu den Grenzen der Tätigkeit des Vermittlungsausschusses seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Dezember 1999 - 2 BvR 301/98 - (BVerfGE 101, 297) geklärt (BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 - BVerfGE 125, 104 <132> = juris Rn. 77), sodass sich die am Gesetzgebungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz beteiligten Organe nicht auf Unkenntnis berufen könnten. Ein Verfahrensfehler ist aber nur dann evident, wenn er aus der Perspektive eines unvoreingenommenen, mit den Umständen vertrauten Beobachters offenkundig war. Zumindest daran fehlt es, da der Vermittlungsvorschlag - wie dargelegt - an konkrete Vorgaben der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses anknüpft.

9 bb) Der Bundesgesetzgeber war auch befugt, die Zuständigkeit für den Erlass von Abschiebungsanordnungen den obersten Landesbehörden aufzuerlegen. Nach Art. 83 und 84 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt, und regeln selbst die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Allerdings kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrats in Ausnahmefällen wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln (Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG).

10 Die Zuweisung der Zuständigkeit für den Erlass von Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG an die obersten Landesbehörden beruht offenbar auf der Erwägung des Bundesgesetzgebers, dass es wegen der besonderen Gefährlichkeit des erfassten Personenkreises regelmäßig einer zügigen Beurteilung der Sicherheitslage in enger Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden anderer Länder und des Bundes bedarf. Dies genügt als Rechtfertigung für eine bundeseinheitliche Zuständigkeitszuweisung an die obersten Landesbehörden. Ob dies gleichermaßen für die Eintrittsbefugnis des Bundesministeriums des Innern nach § 58a Abs. 2 AufenthG gilt, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.

11 cc) § 58a AufenthG ist - in der nachfolgend näher dargelegten Auslegung - auch materiell verfassungsgemäß. Angesichts der besonderen Gefahren, denen der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer Aufenthaltsbeendigung nach § 58a AufenthG begegnen will, ist die Vorschrift nicht unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat das regelhafte gestufte Verfahren des Erlasses eines Grundverwaltungsaktes (Ausweisung), einer Abschiebungsandrohung mit Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise und der nachfolgenden Abschiebung im Fall der Nichtbefolgung der Ausreisepflicht als administrativ und zeitlich zu aufwändig angesehen, um den in § 58a AufenthG benannten besonders schwerwiegenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter zu begegnen. Auch wenn es im regelhaften Ausweisungsrecht die Möglichkeit der Beschleunigung durch Anordnung des Sofortvollzugs gibt, bedarf diese doch der besonderen Begründung im Einzelfall, von der der Gesetzgeber bei den hier zu begegnenden besonderen Gefahren absehen wollte und durfte. Die vom Antragsteller angeführten Maßnahmen, mit denen einer besonderen Gefährlichkeit eines Ausreisepflichtigen in der Regel zu begegnen ist, wie Anordnung von Abschiebungshaft, Anordnung von Gewahrsam nach dem jeweiligen Polizei- und Ordnungsrecht des betroffenen Bundeslandes oder Überwachungsmaßnahmen nach § 56 AufenthG sind nicht gleich wirksam wie eine schnelle Entscheidung in dem eintaktigen Verfahren nach § 58a AufenthG, die regelmäßig mit einer deutlich verkürzten Abschiebungshaft einhergeht, deren Anordnung nicht den erhöhten Voraussetzungen einer längeren Haftdauer unterliegt.

12 Die mit dem Erlass einer Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes verbundenen Einschränkungen beim Rechtsschutz stehen im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG. Ein gesetzlich angeordneter Sofortvollzug einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verstößt nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn die verfassungsrechtlichen Bindungen beachtet werden (BVerfG, Beschluss vom 21. März 1985 - 2 BvR 1642/83 - BVerfGE 69, 220, 229). Dies ist hier der Fall. Die grundrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährt keinen Anspruch auf mehrere hintereinander geschaltete Rechtsmittel gegen eine Aufenthaltsbeendigung und keinen Anspruch auf eine Anrufung mehrerer gerichtlicher Instanzen. Mit § 58a Abs. 4 AufenthG ist dem Ausländer hinreichender Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet. Denn danach ist dem Ausländer nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung unverzüglich Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen, es sei denn, er hat sich zuvor anwaltlichen Beistands versichert. Er ist hierauf auch hinzuweisen, ebenso wie auf die Rechtsfolgen der Abschiebungsanordnung und die gegebenen Rechtsbehelfe. Die Frist von sieben Tagen zur Stellung eines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung, der noch nicht (abschließend) begründet werden muss, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Vor Ablauf dieser Frist darf die Anordnung nicht vollzogen werden. Im Übrigen hat der rechtzeitig gestellte Antrag zur Folge, dass die Abschiebung bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht vollzogen werden darf.

13 b) Die angegriffene Abschiebungsanordnung ist bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 80 Rn. 158 am Ende) nicht zu beanstanden. Dabei kann bei der Frage der formellen Rechtmäßigkeit dahinstehen, ob ein Ausländer vor Erlass einer Abschiebungsanordnung angehört werden muss, da dem Antragsteller vor Erlass Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Die Verfügung ist auch materiell nicht zu beanstanden.

14 aa) Die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.

15 Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinem Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (vgl. Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand November 2016, § 58a AufenthG Rn. 6).

16 Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen (Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 15). Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind.

17 Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative, bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit (Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 11; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 27; Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 7; a.A. Erbslöh, NVwZ 2007, 155 <160>, wonach eine Abschiebungsanordnung nur in Fällen außergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, mit dem in naher Zukunft zu rechnen ist, in Betracht kommt). In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 7). Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt (s.a. Eckertz-Höfer, in: Barwig u.a. <Hrsg.>, Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 1. Aufl. 2007, S. 105 <117>). Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat.

18 Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen.

19 Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 14 f.; a.A. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, 11. Aufl. 2016, AuslR, § 58a AufenthG Rn. 28; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 18), bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 15).

20 Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 8; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 31). Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann.

21 Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht.

22 Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle (Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2016, § 58a AufenthG Rn. 17; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 58a AufenthG Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 58a AufenthG Rn. 37 ff.). Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde.

23 bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ist er der radikal-islamistischen Szene in Deutschland zuzurechnen und pflegt u.a. Kontakte mit Personen, die einer aus dem Umfeld der verbotenen Organisation "Kalifatstaat" hervorgegangenen G. islamistisch-salafistischen Gruppierung mit jihadistischer Tendenz angehören. Er sympathisiert mit der terroristischen Vereinigung sog. "Islamischer Staat" (IS) und deren Märtyrerideologie, ist gewaltbereit und hat mehrfach angedroht, eine Gewalttat mit Hilfe einer Waffe zu begehen. Zwar ist den Sicherheitsbehörden noch kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden. Hier bestand aber aufgrund der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Einbindung in eine G. islamistisch-salafistische Gruppierung mit jihadistischer Tendenz ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG.

24 Für die Beurteilung des Senats, dass vom Antragsteller eine terroristische Gefahr ausgeht, sind vor allem folgende Umstände maßgeblich, die sich aus der Ausländerakte des Antragstellers (AA), der Akte des Ministeriums (MI), den Erkenntnissen aus der Telefonüberwachung sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren ergeben:

25 Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat sich der Antragsteller seit Anfang 2016 islamistisch radikalisiert. Auf seinem Facebookprofil hat er sich in szenetypischer salafistischer Pose dargestellt und seine Hand unter Abspreizung des Zeigefingers zur Faust geballt. Außerdem hat er in dem von ihm genutzten Zimmer in der gemeinsamen Wohnung der Familie eine weiße Flagge mit den typischen IS-Symbolen angebracht. Er hört islamistische Kampflieder (sog. Nadschids), auch wenn er möglicherweise deren Text nicht (vollständig) versteht (zu Nadschids als gewaltverherrlichende Kampfgesänge vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 60). Er hat regelmäßig an Treffen und Seminaren der G. Salafisten um K.V. in dessen Räumlichkeiten in der Schneiderei N. in der G-Straße und in privaten Schulungsräumen in der H-Straße teilgenommen. Bei einer Durchsuchung der Räume der Schneiderei am 9. Februar 2017 wurde dort eine schussfähige Waffe (Revolver) und Munition gefunden (Bl. 96 MI). Im Schulungsobjekt in der H-Straße wurden drei IS-Flaggen, eine Machete und eine Softairwaffe gefunden (Bl. 99 MI).

26 Das Vorbringen des Antragstellers, mit der auf Facebook eingenommenen Pose habe er nur seinen muslimischen Glauben bekunden wollen, die Flagge sehe der IS-Flagge lediglich ähnlich, habe die Symbole und Aufschriften aber in schwarz auf weißem Grund und nicht in weiß auf schwarzem Grund (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 15 f. und 19 - "Shahada-Flagge" - und Schriftsatz vom 19. März 2017 S. 6), wertet der Senat als bloße Schutzbehauptungen. Auch wenn ein einzelnes für den IS typisches Ausdrucksmittel noch als Verbundenheit mit dem Ur-Islam gedeutet werden mag, ergibt doch die Zusammenschau der benutzten Symbole, gehörten Gesänge, getätigten Äußerungen und die Einbindung in die G. Salafistengruppe um die "Führungspersonen" K.V. und I.N., dass der Antragsteller damit nicht nur ein Glaubensbekenntnis, sondern eine Verbundenheit mit dem IS zum Ausdruck gebracht hat. Zu den aufgefundenen Waffen und IS-Flaggen in den Räumen von K.V. bemerkt er nur, er wisse von deren Auffinden nichts und habe die Waffen nicht besessen (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 26). Dabei lässt er offen, ob ihm die Existenz der Waffen bekannt war und die IS-Flaggen etwa im Rahmen der Gruppentreffen oder Seminare aufgehängt waren. Hinzu kommt Folgendes: In einem Telefonat vom 26. Januar 2017 sagte der Antragsteller über Attentäter des IS, die zwei algerische Soldaten getötet haben, diese würden zu "Shehids" (Märtyrer) werden, obwohl sein Gesprächspartner dem widersprach (Bl. 297 unten MI). Damit identifiziert er sich ausdrücklich mit den Gewalthandlungen des IS. Er glorifiziert sie sogar, denn er sieht Märtyrer in islamistisch motivierten Attentätern, die staatliche Repräsentanten töten. Dieses Beweisergebnis wird nach gegenwärtigem Erkenntnisstand durch die Wiedergabe der Mitteilung seiner nach islamischem Ritus mit ihm verbundenen Frau nicht in Frage gestellt, der Antragsteller habe ihr gegenüber stets eine ablehnende Haltung gegenüber islamistisch geprägten Anschlägen eingenommen (Schriftsatz vom 19. März 2017 S. 8). Denn es spricht einiges dafür, dass sich der Antragsteller im Verlauf der Monate vor seiner Verhaftung zunehmend radikalisiert hat. Dafür spricht u.a. seine Aussage vom 26. Januar 2017 über die IS-Attentäter als Märtyrer.

27 Für ein beachtliches Risiko, dass der Antragsteller einen terroristischen Anschlag begeht, spricht auch seine Einbindung in die örtliche Salafistenszene. Diese entwickelte sich nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden im Umfeld der ehemalige XY-Moschee in der L-Straße. Dabei handelte es sich um den Treffpunkt der 2001 verbotenen Kaplangemeinschaft, die einen grundgesetzwidrigen Kalifatstaat errichten wollte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. November 2002 - 6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35). Zu dieser Gruppe, die nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden nunmehr eine salafistische Prägung mit jihadistischer Tendenz aufweist, zählen u.a. der n. Staatsangehörige X, der einen terroristischen Anschlag plante und gegen den eine gesonderte Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erging, sowie die Herren N. und V., die als "Führungspersonen" der salafistischen Szene eingestuft werden. Herr V. soll nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden als Anwerber für den sog. Islamischen Staat (IS) tätig sein (Bl. 46 MI). Aus den Reihen dieser Gruppierung sei es bereits zu mindestens zwei Ausreisen in das vom IS kontrollierte Gebiet in Syrien/Irak gekommen, aus denen ein Selbstmordanschlag im Irak resultierte, bei dem elf Menschen getötet und mehr als zwanzig zum Teil schwer verletzt worden seien. Herr N. soll Kontaktperson zu dem ausgereisten Selbstmordattentäter Vo. gewesen sein, der an dem vorgenannten Selbstmordanschlag im Irak am 13. Juni 2015 beteiligt gewesen sein soll (Bl. 37 MI). Der Antragsteller wird durch den ständigen Austausch mit diesen Personen in der Bereitschaft bestärkt, auch selbst einen solchen Anschlag zu begehen, durch den man zum Märtyrer wird (vgl. sein Telefonat vom 26. Januar 2017 zur Tötung der zwei algerischen Soldaten durch den IS). Der Einfluss dieses Personenkreises auf den Antragsteller wird nicht dadurch relativiert, dass er auch Kontakte zu einzelnen Christen hat und insbesondere zu den Eltern seiner Lebensgefährtin ein gutes Verhältnis pflegt (Schriftsatz vom 19. März 2017 S. 9). Dass die G. Gruppe gewaltbereit ist, wird durch die aufgefundenen Waffen in den Räumen von K.V., die für Treffen und Seminare der Gruppe genutzt wurden, bestätigt. Zu einer islamistischen Radikalisierung des Antragstellers dürfte auch seine Teilnahme an einem Seminar in der ...-Moschee in K. im Mai 2016 beigetragen haben, in der der radikale salafistische Prediger A.W. auftrat. Einer der Seminarteilnehmer war nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden auch der spätere Berliner Attentäter A.A. (Bl. 52 MI). Den Besuch dieses Seminars räumt der Antragsteller ein (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 25 f.).

28 Die Gewaltbereitschaft des Antragstellers ergibt sich auch aus Telefonaten, deren Inhalt durch die gerichtlich angeordnete Telefonüberwachung bekannt geworden ist. So hat er in einem Telefonat am 18. Oktober 2016 gegenüber Herrn N. erklärt, er sei einem "D." begegnet, der ihn wohl nicht möge, weil er Moslem sei. Er habe vor dem keine Angst und würde ihm "ein Messer in den Hals stecken" (Bl. 218 MI). In einem anderen Telefonat vom gleichen Tag mit einem "P." hat er einen Rollstuhlfahrer, den er kennt, als einen "Köter" und als "dreckig" bezeichnet und angegeben, ihm liebend gern den "Kopf abschneiden" zu wollen. Allah hätte seine Gründe dafür, dass dieser im Rollstuhl sitze. In einem weiteren Telefonat mit Herrn N. vom 19. Januar 2017 hat er angegeben, dass er bei einem Streit mit einem unbekannten Mann (Lateinamerikaner), der ihn und seine Frau beleidigt habe, ein Messer gezogen habe und es habe einsetzen wollen, wobei der Unbekannte letztlich flüchtete (Bl. 292 f. MI). Er sei mit dem Messer auf den Mann zugelaufen und habe es in ihn "reinmachen" wollen (Bl. 292 MI). Auch hat er seinen Gesprächspartner N. aufgefordert, sich jetzt immer zu bewaffnen, wenn er mit seinen Schwestern rausgehe. Man müsse sich jetzt viel größere Messer besorgen. Der Kläger hat auf "Allah" geschworen, dass er das jetzt tun werde (Bl. 293 MI). Der Antragsteller räumt die Aussagen über den "D." und den Rollstuhlfahrer zwar ein, die Bekannte von ihm seien. Ein Messer habe er gegen den "D." aber nicht gezogen, auch wenn er das so im Gespräch mit Herrn N. gesagt habe. Über den Rollstuhlfahrer habe er sich geärgert, weil er diesen verdächtigt habe, eine für den Antragsteller unangenehme Information über die heimliche Nutzung eines Firmenwagens weitergegeben zu haben (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 21 f.). Die mitgeschnittenen Aussagen vom 19. Januar 2017, er habe in den Mann sein Messer "reinmachen" wollen und man müsse sich jetzt immer mit Messern bewaffnen, träfen zu, sie läsen sich aber so, als habe er sich damit brüsten und den Vorfall etwas ausschmücken wollen (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 24). Der Senat wertet diese Relativierung der getätigten Aussagen als bloße Schutzbehauptungen. Aber selbst wenn sich der Antragsteller über den "D." und den Rollstuhlfahrer geärgert haben sollte, belegen die Aussagen in den Telefonaten vom 18. Oktober 2016 die Bereitschaft des Antragstellers, Gewalttaten an Leib und Leben jedenfalls dann zu begehen, wenn er wütend oder verärgert ist. Die Bezugnahmen auf "Allah" weisen indes darauf, dass bei den Gründen für Wut oder Verärgerung es keine klare Trennlinie zwischen privat-persönlichen und religiös-ideologischen Gründen für ihn gibt. Unglaubhaft ist die Behauptung, er führe trotz der gegenteiligen Aussage im Telefonat mit Herrn N. kein Messer bei sich, vielmehr hat der Antragsteller auf "Allah" geschworen, dass er sich zukünftig sogar mit noch größeren Messern bewaffnen werde. Die Wut des Klägers, die schnell zu Gewalthandlungen führen kann, richtet sich nicht nur gegen Privatpersonen, sondern auch gegen Repräsentanten des Staates, und zwar aus Gründen, die aus der radikal-islamischen Einstellung des Antragstellers resultieren. Denn er hat - wie er selbst einräumt - in einem Gespräch am 24. November 2016 über Polizeibeamte geäußert, sie seien "schmutzige Polizisten, Kuffar, elendige Hunde, ich hasse sie!" (Bl. 36 MI). Er erklärt diese Aussagen über Polizeibeamte damit, dass er sich über ein konkretes Polizeihandeln gegenüber einer verschleierten Muslima geärgert habe. Aus seiner "Wut heraus" bzw. "aufgrund seines hitzigen Temperaments" habe er diese beleidigenden Äußerungen getätigt (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 22 f.).

29 Die Biographie des Antragstellers belegt, dass er Gewalttaten nicht nur ankündigt, sondern sie auch umsetzt. Er ist seit seinem 14. Lebensjahr immer wieder durch Gewaltdelikte aufgefallen. So wurde gegen ihn im Oktober 2004 Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, weil er einer weiblichen Person mit seinen Stollen-Fußballschuhen gegen die Rippen getreten hatte, wodurch diese schmerzhafte Hämatome erlitt (Bl. 19 AA). Das Verfahren wurde nach Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt (Bl. 22 AA). Es folgten Strafanzeigen, jugendrichterliche Weisungen und Verurteilungen u.a. wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung (Tatzeit 2006, Bl. 86, 123 AA), Körperverletzung in zwei Fällen (Tatzeit 2008, Bl. 90 AA), mehrere körperliche Übergriffe gegen die damalige Freundin (Tatzeit: 2009 bis 2010, Bl. 96 AA), Körperverletzung (Tatzeit: Oktober 2012, Bl. 244 AA), weitere Verurteilungen als nunmehr Erwachsener wegen Körperverletzung (Tatzeit April 2012, Bl. 250 AA, Tatzeit Januar 2013, Bl. 240 AA) und schließlich eine Verurteilung im September 2014 wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Bl. 318 ff. AA). Die Bewährungszeit wurde wegen weiterer Straftaten bis zum 18. März 2019 verlängert (Bl. 104 MI).

30 Aufgrund der Gewaltbereitschaft des Antragstellers, der immer wieder durch Rohheitsdelikte aufgefallen ist und sich auch aktuell entsprechend geäußert hat, seiner bekundeten Sympathie für den IS und für Attentäter des IS sowie seiner Einbindung in die G. Salafistengruppe mit Kontakten zu Selbstmordattentätern besteht ein beachtliches Risiko, dass der Antragsteller mit einer terroristischen Gewalttat ein Fanal setzt, mit dem seine Verachtung der säkularen Welt europäischer Prägung zum Ausdruck kommt. Dieses Risiko kann sich jederzeit realisieren. Die Einschätzung des Senats zu dem vom Antragsteller ausgehenden Risiko entspricht weitgehend der polizeilichen Einschätzung vom 7. Februar 2017, wonach sich aus der Summe der gewonnenen Erkenntnisse "die konkrete Gefahr eines (auch niedrigschwelligen) islamistisch motivierten Anschlages" (Bl. 63 MI) ergibt. Ideologische Einwirkung auf eine gewaltbereite Person kann in die Ausführung einer nach § 58a AufenthG relevanten Gewalttat umschlagen; die damit verbundenen Prognoseprobleme unterstreicht der Fall des Berliner Attentäters A.A..

31 Dem steht die Einschätzung seiner Bewährungshelferin vom 13. Februar 2017 nicht entgegen, der Glaube habe dem Antragsteller geholfen, "zur Ruhe zu kommen, auf Drogen zu verzichten und ein geregeltes Leben zu führen" (Bl. 102 MI). Offenbar kennt die Bewährungshelferin den Antragsteller nur unzureichend, was schon daran deutlich wird, dass er ausweislich der polizeilichen Erkenntnisse, aber entgegen den Ausführungen der Bewährungshelferin, regelmäßig Drogen konsumiert, was er selbst auch einräumt. Zudem hat er während dieser Zeit über einen längeren Zeitraum ein Kraftfahrzeug ohne Führerschein geführt und sich damit strafbar gemacht. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Zusammenleben mit der ihm nach islamischem Ritus angetrauten Frau das Risiko einer terroristischen Gewalttat zu verringern vermochte. Vielmehr begleitete ihn seine Frau zu Veranstaltungen der salafistischen Szene, so etwa zum Seminar "Rolle der Frau im Islam", das am 8. Oktober 2016 stattgefunden hatte (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 21). Im Übrigen äußerte sie in einem Gespräch mit dem Kläger am 7. September 2016, dass sie doch auch "Islam" sei und nicht der Grund dafür sein wolle, dass der Antragsteller seine Pläne nicht umsetze (S. 172 f. MI). Sie trägt Kopftuch, obwohl sie damit rechnet, dass ihr deshalb gekündigt wird. In dem Gespräch mit dem Antragsteller vom 7. September 2016 erklärte sie weiter, es gehe darum, dass "diese scheiß Kuffar einfach nur leiden". Sie warte auf die Strafe Allahs hier in Deutschland. Die Strafe werde kommen, dann werde es den Muslimen gut gehen (S. 171 MI).

32 cc) Die Abschiebungsanordnung ist als Rückkehrentscheidung auch mit der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) zu vereinbaren. Insbesondere musste dem Antragsteller keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm wegen des von ihm geplanten Anschlags eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die nationale Sicherheit ausgeht (Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG). Ob die Regelung in § 11 Abs. 1 und 5 AufenthG, wonach mit der Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das nicht befristet werden kann, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, mit Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG zu vereinbaren ist, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn der Antragsgegner hat zusammen mit der Abschiebungsanordnung ein (unbefristetes) Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und damit eine behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots getroffen. Ob er auch hierfür zuständig war oder ob eine solche Entscheidung nur von der Ausländerbehörde getroffen werden kann, weil es sich bei § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG nicht um eine abweichende Zuständigkeitsbestimmung, sondern möglicherweise nur um ein verwaltungsinternes Zustimmungserfordernis handelt, bedarf im Aussetzungsverfahren keiner Entscheidung. Gleiches gilt für die Frage, ob die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zur erst- und letztinstanzlichen Entscheidung über Streitigkeiten gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG und deren Vollziehung sich auch auf die vom Antragsgegner getroffene Befristungsentscheidung erstreckt. Denn die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung hängt allenfalls von einer rechtzeitig vor der Abschiebung getroffenen behördlichen Befristungsentscheidung ab, nicht aber von deren Rechtmäßigkeit (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Januar 2017, § 59 AufenthG Rn. 322).

33 dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden terroristischen Gefahr ein höheres Gewicht beimisst als dessen Interesse am Verbleib in Deutschland. Das Ministerium hat gewürdigt, dass der Antragsteller in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Hier leben seine Mutter, seine Geschwister und seine ihm nach islamischem Ritus angetraute Frau, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Er beherrscht die deutsche Sprache, ist hier zur Schule gegangen und hat die Zulassung zum Studium an der Fachhochschule erreicht. Allerdings gelang ihm aufgrund zahlreicher begangener Straftaten keine Verfestigung seines Aufenthalts und allenfalls eine partielle Integration in den freiheitlichen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland und seine ihn tragende Gesellschaft. Seit Mitte 2016 hält er sich auf der Grundlage einer Fiktionsbescheinigung in Deutschland auf, da seine Aufenthaltserlaubnis bis zum 30. Juni 2016 befristet war und danach nicht verlängert wurde.

34 Der Antragsgegner hat berücksichtigt, dass der Antragsteller Algerien nur von Besuchsaufenthalten kennt und keine Nachweise darüber vorliegen, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang er die arabische Sprache beherrscht. Der Kläger gibt allerdings selbst an, dass er die algerische Sprache versteht, nicht hingegen das Hocharabisch (Schriftsatz vom 19. März 2017 S. 5). Außerdem hat nach den Angaben des Antragstellers dessen Mutter in Algerien Häuser gebaut (Anhörung vom 15. Februar 2017, Bl. 120 MI). Er selbst will in den nächsten fünf Jahren dort hinziehen. Jedenfalls will er mit seiner Frau "in ein islamisches Gebiet" ausreisen, da er sich hier nicht wohl fühlt (Anhörung vom 15. Februar 2017, Bl. 121 MI, Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 18 und 25). Allerdings möchte er zunächst die arabische Sprache zumindest in Grundzügen erlernen (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 18).

35 Trotz der Verwurzelung des Antragstellers in die hiesigen Verhältnisse ist die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung unter den hier gegebenen Umständen eines jederzeit möglichen Terroranschlags durch den Antragsteller auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK wegen der von ihm ausgehenden Gefahr nicht unverhältnismäßig.

36 2. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG steht dem Erlass einer Abschiebungsanordnung zwar nicht entgegen, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.

37 Für eine Verfolgung des Antragstellers wegen dessen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine mögliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder terroristischer Betätigung stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG dar. Der Antragsteller selbst trägt eine solche Gefahr im Übrigen auch selbst nicht vor.

38 Der Antragsteller beruft sich auf das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG, denn er befürchtet, im Fall seiner Rückführung nach Algerien einer konkreten Leibes- und Lebensgefahr ausgesetzt zu sein. Er bezieht sich auf einen Bericht von Amnesty International vom Juli 2015, wonach in Algerien Personen, die unter dem Verdacht des Islamismus stehen, der konkreten Gefahr besonders schwerer körperlicher Misshandlungen, Folter und akuter Lebensgefahr ausgesetzt seien (Schriftsatz vom 16. Februar 2017 S. 5 ff.). Weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 noch die des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen im Ergebnis vor.

39 a) Die vom Antragsteller angesprochene Gefahr der Verhängung der Todesstrafe für Delikte, die im Zusammenhang mit dem Terrorismus stehen, besteht hier nicht mit entscheidungserheblicher Wahrscheinlichkeit. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 stellt das algerische Strafgesetzbuch zwar unter anderem die Komplizenschaft mit den Anführern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus bzw. "subversiver" Bestrebungen werde bereits das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren sanktioniert (Bericht S. 15).

40 Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller hiernach die Todesstrafe drohen könnte. Sein Verhalten, das Grundlage für die ergangene Abschiebungsanordnung ist, erreicht nach deutschem Recht schon nicht die Schwelle der Strafbarkeit. Soweit das algerische Strafrecht betroffen ist, ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der Antragsteller einer algerischen aufständischen Bewegung angehören oder auch nur der Komplizenschaft verdächtigt werden könnte. Im Übrigen wird die Todesstrafe in Algerien seit 1993 nicht mehr vollstreckt (Bericht S. 21). Rechtsgrundlage für die Verfolgung fundamentalistisch motivierter Straftaten ist seit 1992 zudem die Anti-Terrorismus-Verordnung. Danach wird die Gründung einer terroristischen oder subversiven Vereinigung mit lebenslanger Freiheitsstrafe und die Mitgliedschaft mit zehn bis zwanzig Jahren Freiheitsentzug bestraft (Bericht S. 15 f.). Unter diesen Tatbestand der Verordnung fällt nach der dem Senat erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 auch die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Salafismus ist nach der erteilten Auskunft kein Straftatbestand, es sei denn die Mitgliedschaft ist mit terroristischen oder kriminellen Aktivitäten verbunden. Eine Ergänzung des Strafgesetzbuches von 2016 definiert das Strafmaß für die Rekrutierung für eine terroristische Vereinigung mit fünf bis zehn Jahren Haft oder Geldstrafe.

41 b) Die vom Antragsteller angesprochene Gefahr der Folter oder einer anderen gegen Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung oder Bestrafung erscheint gering, kann aber nicht völlig ausgeschlossen werden (Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG).

42 Im Fall der Abschiebung des Antragstellers ist nach der dem Senat erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 mit seiner Befragung durch die algerische Polizei zu rechnen. Wird dieser bekannt, dass er wegen der Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat abgeschoben wurde, ist es möglich, dass er für einige Zeit in Polizeigewahrsam genommen wird. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 gibt es ernstzunehmende Hinweise darauf, dass es im Polizeigewahrsam nach wie vor zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (S. 20). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Algerische Verfassung Folter und unmenschliche Behandlung verbietet. Zudem ist Folter im algerischen Strafgesetz seit 2004 ein Verbrechen (Lagebericht S. 20). Weiterhin ist der algerische Sicherheitsdienst DRS, dem Folter gegenüber Terrorismusverdächtigen vorgeworfen wurde, nach dem aktuellen Jahresbericht von Amnesty International im Jahr 2016 aufgelöst worden. An seine Stelle ist danach nun ein "Security Services Directorate" getreten, das unmittelbar dem Präsidenten berichten soll (Amnesty International Report 2016/17 S. 63). Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Französische Conseil d'Etat in zwei Beschlüssen aus dem Jahr 2016 entschieden hat, dass der Abschiebung algerischer Staatsangehöriger nach Algerien Art. 3 EMRK nicht entgegensteht, auch wenn die Entscheidungen nicht auf eine eigene Sachaufklärung des Gerichts, sondern darauf gestützt sind, dass keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen wurden, dass die wegen Unterstützung des islamistisch motivierten Terrorismus ausgewiesenen Algerier die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu erwarten hätten (siehe die Gerichtsbeschlüsse vom 6. April 2016 - No 398217, vom 19. August 2016 - No 402457 - im Originaltext mit auszugsweiser deutscher Übersetzung in der Erkenntnismittelliste des Senats). Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 15. Mai 2012 (Nr. 33809/08, Labsi/Slowakei Rn. 121 ff.) die dem damaligen Beschwerdeführer drohende Gefahr in Algerien in den Jahren 2008 bis 2012 dahin beurteilt, dass Art. 3 EMRK der vollzogenen Abschiebung entgegenstand und die Einhaltung der erteilten Zusicherungen aufgrund eines fehlenden Monitoring-Systems nicht überprüft werden konnte. Mittlerweile hat Algerien allerdings zahlreiche Reformen durchgeführt und den Grundrechtsschutz in der Algerischen Verfassung mit der Verfassungsreform von 2016 nochmals normativ gestärkt. Der mit Foltervorwürfen in Verbindung gebrachte Sicherheitsdienst DRS wurde aufgelöst. Algerien ist an zahlreiche internationale Menschenrechtskonventionen gebunden, auch an das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und den Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 S. 20).

43 Nach wie vor etwa bestehenden Gefahren kann mit geeigneten diplomatischen Zusicherungen begegnet werden. Der Senat hat die Abschiebung daher von der Bedingung abhängig gemacht, dass entsprechende Zusicherungen erteilt werden. Der EGMR sieht in solchen Zusicherungen unter bestimmten Voraussetzungen ein geeignetes Instrument zur Ausräumung der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung selbst bei Staaten, in denen - anders als in Algerien - systematisch gefoltert und misshandelt wird (Urteil vom 17. Januar 2012 - Nr. 8139/09, Othmann/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2013, 487 Rn. 193 - 204). Für Algerien hat das Auswärtige Amt die Anfrage des Senats am 1. März 2017 dahin beantwortet, dass das algerische Justizministerium den deutschen Behörden in einem Auslieferungsfall schriftliche Garantien für Prozess- und Haftbedingungen gegeben habe. Beim bisherigen Auslieferungsverkehr mit Algerien vertraue z.B. Frankreich darauf, dass einschlägige Konventionen weitestgehend eingehalten würden. Es könne von einem algerischen Interesse ausgegangen werden, im Hinblick auf Zusicherungen als "verlässlicher Partner" angesehen zu werden. Eine unabhängige Überprüfung von Haftbedingungen könne nunmehr durch das IKRK und den algerischen Roten Halbmond vorgenommen werden (insoweit anders als noch zur Lage im Zeitpunkt der Beurteilung durch den EGMR im Rahmen seines o.g. Urteils vom 15. Mai 2012 "Labsi/Slowakei"). Der Senat sieht keinen hinreichenden Grund, an dieser Auskunft zu zweifeln. Auch das Oberlandesgericht Hamm hat die Auslieferung eines wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gesuchten Algeriers aufgrund der Erteilung von Zusicherungen für zulässig erklärt (Beschluss vom 16. Februar 2017 - III - 2 Ausl. 21/16 OLG Hamm).

44 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.

Beschluss vom 22.08.2017 -
BVerwG 1 A 9.17ECLI:DE:BVerwG:2017:220817B1A9.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.08.2017 - 1 A 9.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:220817B1A9.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 A 9.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. August 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Der Rechtsstreit wird hinsichtlich der Anordnung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots im Bescheid des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 16. Februar 2017 unter dem Aktenzeichen 1 A 9.17 abgetrennt.
  2. Insoweit erklärt sich das Bundesverwaltungsgericht für unzuständig.
  3. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Göttingen verwiesen.

Gründe

1 Mit Bescheid vom 16. Februar 2017 ordnete das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport gestützt auf § 58a AufenthG die Abschiebung des Klägers nach Algerien an. Gleichzeitig wurde entschieden, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG unbefristet angeordnet wird. Gegen beide Entscheidungen hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Klage erhoben.

2 Soweit sich die Klage gegen die Anordnung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet, ist das angerufene Gericht nicht zuständig. Insoweit war der Rechtsstreit daher nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 3 VwGO) zuständige Verwaltungsgericht Göttingen zu verweisen.

3 Nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG und ihre Vollziehung. Diese Zuständigkeit erstreckt sich nach dem Wortlaut nicht auf das vom Beklagten zusammen mit der Abschiebungsanordnung verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot. Dieses steht auch nicht in einem zwingenden Konnex mit der Abschiebungsanordnung. Allein der Umstand, dass die Abschiebungsanordnung und die Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot hier von der obersten Landesbehörde in einem Bescheid verfügt worden sind, ändert nichts daran, dass es sich bei der Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot um eine eigenständige (Folge-)Entscheidung handelt. Aus Gründen der Verfahrens- und der Prozessökonomie und zur Verhinderung divergierender gerichtlicher Entscheidungen mag es sachdienlich sein, wenn die Behörde, die eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlässt, zugleich über die Dauer des damit einhergehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots entscheidet und beide Entscheidungen der gerichtlichen Überprüfung durch ein und dasselbe Gericht unterliegen. Dies zu regeln ist indes Aufgabe des Gesetzgebers.

4 Den Regelungen in § 11 und § 58a AufenthG und in § 50 VwGO kann eine derartige Konzentration auf eine Behörde und ein Gericht - de lege lata - nicht entnommen werden. Denn § 11 Abs. 5 AufenthG erfasst auch Fallkonstellationen, in denen das Einreise- und Aufenthaltsverbot an die Anordnung oder den Vollzug einer Maßnahme anknüpft, die nicht in die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde fällt. Außerdem fehlt es selbst bei Abschiebungsanordnungen der obersten Landesbehörde an einer eigenen Kompetenz zur abschließenden Entscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots, da § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG der obersten Landesbehörde nur die Entscheidung über die Zulassung einer Ausnahme von der lebenslangen Wiedereinreisesperre des § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zuweist. Insoweit unterscheidet sich § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG etwa von den Regelungen in § 11 Abs. 7, § 75 Nr. 12 und § 71 Abs. 3 Nr. 1c AufenthG, die in bestimmten Fällen ausdrücklich und abweichend von der allgemeinen Zuständigkeit der Ausländerbehörden nach § 11 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einer anderen Behörde die abschließende Entscheidung über die Anordnung bzw. Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots übertragen. Bei § 75 Nr. 12 AufenthG hat der Gesetzgeber dies damit begründet, dass es aus verwaltungsökonomischen Gründen und aufgrund der größeren Sachnähe sinnvoll sei, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst zusammen mit der jeweiligen Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für den Fall der Abschiebung vornimmt (BT-Drs. 18/5420 S. 28). Er hat deshalb ausdrücklich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch für die bei ablehnenden Entscheidungen zu erlassenden Befristungsentscheidungen (befristeten Einreiseverbote) für zuständig erklärt.

5 Dies hindert den Gesetzgeber indes nicht, im Zuge einer ohnehin erforderlichen Anpassung des § 11 AufenthG an die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - Rückführungsrichtlinie - die Frage der behördlichen und gerichtlichen Zuständigkeit für ein an den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich der Zuständigkeit für weitere daran anknüpfende Folgeentscheidungen - etwa für eine nachträgliche Änderung der Dauer und für die Erteilung einer Betretenserlaubnis - auf eine Behörde und ein Gericht zu konzentrieren. Einer gesetzlichen Überarbeitung des § 11 AufenthG bedarf es schon deshalb, weil das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie nicht mit deren Art. 11 Abs. 2 zu vereinbaren ist. Denn danach bedarf das mit einer Rückkehrentscheidung (vgl. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie) einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot (vgl. Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie) stets einer behördlichen oder richterlichen Einzelfallentscheidung, die auch seine Dauer festlegen muss.

6 Bei einer Änderung der Zuständigkeitsbestimmungen wird der Gesetzgeber auch der unionsrechtlichen Frage nachzugehen haben, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aufgrund des mit ihr verfolgten sicherheitspolitischen Zwecks in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie - fällt (vgl. hierzu etwa die Differenzierung zwischen rückführungsbedingten und nicht zu migrationsbedingten Zwecken erlassenen Einreiseverboten im Anhang zur Empfehlung der Kommission vom 1. Oktober 2015 für ein gemeinsames "Rückkehr-Handbuch", das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist <C(2015) 6250 final S. 62>, und zwischen Rückkehrentscheidungen gegen Ausländer wegen ihres illegalen Aufenthalts und nicht der Rückführungsrichtlinie unterfallenden Rückkehrverfahren aus anderen Beweggründen, insbesondere bei Gefahr für die öffentliche Ordnung, in der gutachterlichen Stellungnahme des Conseil d’Etat vom 10. Oktober 2012 - avis n° 360317). Gleiches gilt für die Frage, ob die Rückführungsrichtlinie bei unterstellter Anwendbarkeit eine lebenslange Wiedereinreisesperre - wie sie § 11 Abs. 5 AufenthG bei Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG im Regelfall vorsieht - zulässt (vgl. dazu u.a. die divergierenden Auffassungen des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 2011 - 2011/21/0237 - und des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 26. August 2014 - C-5819/2012).

7 Mit der Verweisung des Rechtsstreits ist keinerlei Vorentscheidung über die Erfolgsaussichten der Klage verbunden. Das Verwaltungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob für die Klage ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, nachdem die Ausländerbehörde - in Reaktion auf die Ausführungen des Senats im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - eine eigene Anordnung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots erlassen hat, die der Kläger nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt der Verfügung angefochten hat.

8 Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 2 GVG der Endentscheidung vorbehalten.

Urteil vom 22.08.2017 -
BVerwG 1 A 2.17ECLI:DE:BVerwG:2017:220817U1A2.17.0

Abschiebungsanordnung gegen algerischen Islamisten

Leitsatz:

Die Gefahrenprognose im Rahmen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG kann sich im Verlauf eines Klageverfahrens auch durch Erklärungen von Vertretern des Zielstaats, die nicht den Charakter einer Zusicherung haben, bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Abschiebung soweit verändern, dass kein reales Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung mehr besteht.

  • Rechtsquellen
    AufenthG § 11 Abs. 1 und 5, § 54 Abs. 1 Nr. 2, §§ 58a, 59 Abs. 2 und 3, § 60 Abs. 1 bis 8
    GG Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 6, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 2 und 3, Art. 38 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1, Art. 77, 83, 84
    EMRK Art. 3, 8
    RL 2008/115/EG Art. 7 Abs. 4, Art. 11 Abs. 2

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.08.2017 - 1 A 2.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:220817U1A2.17.0]

Urteil

BVerwG 1 A 2.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. August 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen eine auf § 58a AufenthG gestützte Abschiebungsanordnung. Zusätzlich begehrt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erfolgten Abschiebung.

2 Der Kläger wurde am 26. Januar 1990 in H. als Kind algerischer Eltern geboren. Er hat fünf Geschwister. Im Jahr 2002 zog die Familie nach G. Im Jahr 2004 verstarb sein Vater. Der Kläger, der eine Halbwaisenrente bezog, lebte bis November 2016 zusammen mit einem seiner Brüder bei seiner Mutter in G., danach bei seiner mit ihm nach islamischem Ritus verheirateten Frau. Er erhielt - bedingt durch die Begehung von Straftaten - jeweils nur befristete Aufenthaltserlaubnisse und Fiktionsbescheinigungen, die letzte Aufenthaltserlaubnis war gültig bis zum 30. Juni 2016. Der Kläger erlangte im Juni 2016 die Fachhochschulreife und war ab Wintersemester 2016/17 an der Hochschule ... in G. als Student eingeschrieben. Zuvor war er mehreren unterschiedlichen befristeten Teilzeitbeschäftigungen nachgegangen. Der Kläger ist seit seinem 14. Lebensjahr immer wieder durch Gewaltdelikte aufgefallen und wurde wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte verurteilt. Im September 2014 wurde gegen ihn wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

3 Am 9. Februar 2017 wurde der Kläger im Rahmen einer Groß-Razzia verhaftet und in Gewahrsam genommen. Mit Bescheid vom 16. Februar 2017 ordnete das ... Ministerium ... gestützt auf § 58a AufenthG die Abschiebung des Klägers nach Algerien an (Ziffer 1). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG vorliegen (Ziffer 3), und entschieden, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 5 AufenthG unbefristet angeordnet wird (Ziffer 4).

4 Die Abschiebungsanordnung wurde damit begründet, dass vom Kläger auf der Grundlage einer tatsachengestützten Gefahrenprognose eine besondere Gefahr im Sinne des § 58a AufenthG ausgehe. Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sei er als "Gefährder (Funktionstyp Akteur)" der radikal-islamistischen Szene in G. zuzurechnen, sympathisiere mit der verbotenen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" ("IS") und habe mehrfach Gewalttaten unter Einsatz von Waffen angekündigt. Er verkehre seit Anfang 2016 regelmäßig in einem Kreis von ... Salafisten, der dem "IS" nahestehe und diesen glorifiziere. In einem Telefonat vom Oktober 2016 habe er erklärt, er würde einer näher bezeichneten Person ein Messer in den Hals stecken und einem ihm bekannten Rollstuhlfahrer liebend gern den Kopf abschneiden. In einem weiteren Telefonat vom Januar 2017 habe er angegeben, dass er bei einem Streit mit einem unbekannten Mann (Lateinamerikaner) ein Messer gezogen habe und es habe einsetzen wollen, wobei der Unbekannte letztlich flüchtete. Er habe Seminare der Salafistengruppe besucht, an denen mehrere islamistische Gefährder teilgenommen hätten und in deren Räumen Waffen gefunden worden seien. Seine enge Einbindung in sicherheitsgefährdende Strukturen, seine politische Motivlage und die Ankündigung von Gewalttaten lasse die Begehung einer terroristischen Tat jederzeit befürchten. Bei der Ermessensausübung seien die persönlichen Belange des in Deutschland geborenen und verwurzelten Klägers und deren besonderes Gewicht berücksichtigt worden. Diese müssten aber aufgrund seines Verhaltens und der sich daraus ergebenden hohen Gefährdungslage hinter den öffentlichen Interessen an der Abwehr der von ihm ausgehenden terroristischen Gefahr zurückstehen. Andere Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung und sonstige Möglichkeiten der Gefahrenabwehr reichten nicht aus, um einer terroristischen Gefahr unverzüglich, wirksam und dauerhaft zu begegnen. Der Kläger wurde am 16. Februar 2017 in Abschiebungshaft genommen.

5 Am 17. Februar 2017 hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - mit der Maßgabe abgelehnt, dass der Kläger erst nach Erlangung einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle abgeschoben werden darf, wonach ihm in Algerien keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (Art. 3 EMRK). Am 20. Juni 2017 übermittelte das Algerische Außenministerium der Deutschen Botschaft in Algier die schriftliche Erklärung, dass gegen den Kläger in Algerien kein Strafverfahren anhängig sei und weitere Garantien damit überflüssig seien. Zuvor hatte der Kläger bereits in einer Anhörung durch die Haftrichterin am 12. Mai 2017 erklärt, er wolle nach Algerien ausreisen. Seine Prozessbevollmächtigte und er erklärten, sie gingen davon aus, dass Algerien die erbetene Zusicherung nicht unterzeichnen werde. Mitarbeiter des algerischen Generalkonsulats hätten dem Kläger mitgeteilt, dass ihm dort nichts drohe. Am 18. Mai 2017 erschien der Kläger erneut vor der Haftrichterin zur Aufnahme einer Erklärung. Darin verzichtete er ausdrücklich auf die Einholung einer Zusicherung, wie sie dem Beklagten im Beschluss des Senats vom 21. März 2017 aufgegeben worden war, und bat um unverzügliche Durchführung der Abschiebung. Daraufhin wurde er am 12. Juli 2017 nach Algerien abgeschoben.

6 Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, von ihm gehe keine Gefahr im Sinne von § 58a AufenthG aus. Er habe zwar die Äußerung über den Rollstuhlfahrer im Oktober 2016 getätigt, sich über diesen aber zuvor geärgert, weil er vermutet habe, dieser habe verraten, dass er und ein Freund ein Fahrzeug unbefugt benutzt hatten. Bei dem anderen Vorfall im Oktober 2016 habe er tatsächlich kein Messer gezogen, obwohl er das seinem Gesprächspartner anders geschildert habe. Gleiches gelte für den Vorfall vom Januar 2017. Er habe sich mit seinen Äußerungen wichtigmachen wollen, jedoch nicht über die Konsequenzen seiner Worte nachgedacht und sich von seinen Emotionen leiten lassen. Daraus ließen sich keine Rückschlüsse auf eine von ihm ausgehende terroristische Gefahr ziehen. Auch die algerischen Behörden hätten nach seiner Abschiebung den Eindruck gewonnen, dass von ihm keine terroristische Gefahr ausgehe. Sie seien vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass er ein "unschuldiges Kind, das zu viel redet," sei. Im Übrigen sei der Vollzug der Abschiebung rechtswidrig gewesen, weil sie ohne Vorlage der vom Senat geforderten Zusicherung erfolgt sei.

7 Der Kläger beantragt,
die Verfügung des ... Ministeriums ... vom 16. Februar 2017 aufzuheben und festzustellen, dass der Vollzug der Abschiebung des Klägers rechtswidrig gewesen ist.

8 Der Beklagte beantragt,
die Klage hinsichtlich beider Klageanträge abzuweisen.

9 Er verteidigt die angegriffene Verfügung. Die Ausführungen des Klägers seien nicht geeignet, die von ihm ausgehende Gefahr zu relativieren. Bei der Ermessensausübung sei die persönliche Situation umfassend gewürdigt worden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot habe jedenfalls zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht mehr bestanden.

10 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

11 Der Senat hat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Liste von Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in Algerien erstellt und ergänzend eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt (Auskunft vom 1. März 2017).

12 Mit Bescheid vom 4. April 2017 hat die Ausländerbehörde der Stadt G. entschieden, dass das an die Abschiebung des Klägers geknüpfte Einreise- und Aufenthaltsverbot unbefristet angeordnet wird. Hinsichtlich des im angegriffenen Bescheid angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots wurde der Rechtsstreit mit Beschluss vom 22. August 2017 - 1 A 9.17 - an das Verwaltungsgericht G. verwiesen.

13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Streitakte und die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II

14 Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des N... Ministeriums ... vom 16. Februar 2017 ist zulässig, aber unbegründet (1.). Das Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebung ist unzulässig (2.).

15 1. Der Zulässigkeit der Klage gegen die Abschiebungsanordnung steht die zwischenzeitliche Abschiebung des Klägers nicht entgegen. Hierdurch hat sich die gegen ihn ergangene Abschiebungsanordnung nicht erledigt. Ein Verwaltungsakt erledigt sich erst dann, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen, oder wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich entfallen ist (BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1). Daran gemessen hat sich die Abschiebungsanordnung mit dem Vollzug der Abschiebung nicht erledigt, da von ihr weiterhin rechtliche Wirkungen ausgehen (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 11.15 - InfAuslR 2017, 137 Rn. 29). Sie bildet unter anderem die Grundlage für die Rechtmäßigkeit der Abschiebung und darauf aufbauende Rechtsfolgen, etwa die Haftung des Klägers für die durch seine Abschiebung entstandenen Kosten nach §§ 66, 67 AufenthG.

16 2. Die Klage ist aber unbegründet. Die Abschiebungsanordnung im Bescheid des ... Ministeriums ... vom 16. Februar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

17 Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung einer Abschiebungsentscheidung ist in Fällen, in denen der Ausländer weder abgeschoben wurde noch freiwillig ausgereist ist, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.  März 2012 - 1 C 3.11 - BVerwGE 142, 179 Rn. 13); dies ist bei einer auf § 58a AufenthG gestützten Abschiebungsanordnung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des nach § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO in erster und letzter Instanz zuständigen Senats. Ist der Ausländer hingegen - wie hier - in Vollzug der gegen ihn ergangenen Abschiebungsanordnung zuvor abgeschoben worden, führt dies zwar regelmäßig nicht zur Erledigung der die Abschiebung anordnenden Verfügung. Mit dem Vollzug der Abschiebungsanordnung ist aber der mit dieser Maßnahme verfolgte Zweck eingetreten, und die Berücksichtigung nach der Abschiebung eintretender neuer Umstände - zu Gunsten wie zu Lasten des Betroffenen - widerspräche ihrem Charakter als Vollstreckungsmaßnahme (s.a. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Dezember 2017, § 59 AufenthG Rn. 252). Nachträgliche Änderungen sind daher in einem Verfahren nach § 11 AufenthG zu berücksichtigen. Auch in Bezug auf die - inzidente - Prüfung von Abschiebungsverboten kommt es darauf an, ob diese im Zeitpunkt der Abschiebung vorlagen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der hinsichtlich der Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung im Zielstaat auf den Zeitpunkt der Abschiebung abstellt und nachträglich bekannt werdende Tatsachen nur ergänzend heranzieht (EGMR, Urteil vom 14. März 2017 - Nr. 47287/15, Ilias u. Ahmed/Ungarn - Rn. 105 m.w.N).

18 Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen.

19 2.1 Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris Rn. 20 ff. und vom 26. Juli 2017 - 2 BvR 1606/17 - juris Rn. 18; BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 6 ff. und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 9 ff.).

20 2.2 Die Abschiebungsanordnung ist - wie bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dargelegt - formell rechtmäßig.

21 a) Der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG obliegt nicht der Ausländerbehörde, sondern der obersten Landesbehörde, hier also dem handelnden ... Ministerium .... Auch dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 9 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 12).

22 b) Dem Kläger ist vor Erlass der Verfügung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, so dass dahinstehen kann, ob bei einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG angesichts des Gewichts des mit dieser Maßnahme einhergehenden Grundrechtseingriffs und zur Wahrung der Verteidigungsrechte eine Anhörung zumindest im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Bekanntgabe durchgeführt werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 22).

23 2.3 Die Verfügung ist - wie der Senat bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt hat - auch materiell nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr. Eine solche ging vom Kläger bei Abschiebung aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose aus.

24 a) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120>). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 15 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 17).

25 Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 16 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 18).

26 Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative des § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt. Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 19). Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 17).

27 Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 18 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 20).

28 Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 19 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 21).

29 Diese Auslegung steht trotz der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Einklang mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr mit dem Ziel schon der Straftatenverhinderung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Dann bedarf es aber zumindest einer hinreichend konkretisierten Gefahr in dem Sinne, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen. Hierfür reichen allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, vielmehr müssen bestimmte Tatsachen im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung gewichtiger Schutzgüter führt. Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 112 f.).

30 Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 20 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 22).

31 Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 21 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 23).

32 Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 22 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 24).

33 b) In Anwendung dieser Grundsätze ging vom Kläger im (maßgeblichen) Zeitpunkt der Abschiebung aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG aus. Wie der Senat bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt hat, gehörte der Kläger vor seiner Inhaftierung im Februar 2017 der radikal-islamistischen Szene in Deutschland an und pflegte unter anderem Kontakte mit Personen, die einer aus dem Umfeld der verbotenen Organisation "Kalifatstaat" hervorgegangenen islamistisch-salafistischen Gruppierung mit jihadistischer Tendenz angehörten. Er sympathisierte mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" ("IS") und deren Märtyrerideologie, war gewaltbereit und hat mehrfach angedroht, eine Gewalttat mit Hilfe einer Waffe zu begehen.

34 Der Kläger hat sich seit Anfang 2016 islamistisch radikalisiert. Auf seinem Facebookprofil hatte er sich in szenetypischer salafistischer Pose dargestellt und seine Hand unter Abspreizung des Zeigefingers zur Faust geballt. Außerdem hatte er in dem von ihm genutzten Zimmer in der gemeinsamen Wohnung der Familie eine weiße Flagge mit den typischen "IS"-Symbolen angebracht, wie bei einer Wohnungsdurchsuchung am 11. März 2016 festgestellt wurde. Er hörte islamistische Kampflieder (sog. Nadschids), auch wenn er möglicherweise deren Text nicht (vollständig) verstand (zu Nadschids als gewaltverherrlichende Kampfgesänge vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 60). Er nahm regelmäßig an Treffen und Seminaren der G. Salafisten um K.V. in dessen Räumlichkeiten in der Schneiderei K. in der G.-straße und in privaten Schulungsräumen in der H.-straße teil. Bei einer Durchsuchung der Räume der Schneiderei am 9. Februar 2017 wurde dort eine schussfähige Waffe (Revolver) und Munition gefunden. Im Schulungsobjekt in der H.-straße wurden drei "IS"-Flaggen, eine Machete und eine Softairwaffe gefunden.

35 Das Vorbringen des Klägers, mit der auf Facebook eingenommenen Pose habe er nur seinen muslimischen Glauben bekunden wollen, die Flagge sehe der "IS"-Flagge lediglich ähnlich, habe die Symbole und Aufschriften aber in schwarz auf weißem Grund und nicht in weiß auf schwarzem Grund ("Shahada-Flagge"), wertet der Senat als bloße Schutzbehauptungen. Auch wenn ein einzelnes für den "IS" typisches Ausdrucksmittel noch als Verbundenheit mit dem Ur-Islam gedeutet werden mag, ergibt doch die Zusammenschau der benutzten Symbole, gehörten Gesänge, getätigten Äußerungen und die Einbindung in die G. Salafistengruppe um die "Führungspersonen" K.V. und I.N., dass der Kläger damit nicht nur ein Glaubensbekenntnis, sondern eine Verbundenheit mit dem "IS" zum Ausdruck gebracht hat. Zu den aufgefundenen Waffen und "IS"-Flaggen in den Räumen von K.V. bemerkte er nur, er wisse von deren Auffinden nichts und habe die Waffen nicht besessen. Dabei lässt er offen, ob ihm die Existenz der Waffen bekannt war und die "IS"-Flaggen etwa im Rahmen der Gruppentreffen oder Seminare aufgehängt waren. Hinzu kommt Folgendes: In einem Telefonat vom 26. Januar 2017 sagte der Kläger über Attentäter des "IS", die zwei algerische Soldaten getötet hatten, diese würden zu "Shehids" (Märtyrer) werden, obwohl sein Gesprächspartner dem widersprach. Damit identifizierte er sich ausdrücklich mit den Gewalthandlungen des "IS". Er glorifizierte sie sogar, denn er sah Märtyrer in islamistisch motivierten Attentätern, die staatliche Repräsentanten töten. Dieses Beweisergebnis wird durch die Wiedergabe der Mitteilung seiner nach islamischem Ritus mit ihm verheirateten Frau nicht in Frage gestellt, der Kläger habe ihr gegenüber stets eine ablehnende Haltung gegenüber islamistisch geprägten Anschlägen eingenommen. Denn es spricht einiges dafür, dass sich der Kläger im Verlauf der Monate vor seiner Verhaftung zunehmend radikalisiert hat. Dafür spricht unter anderem seine Aussage vom 26. Januar 2017 über die "IS"-Attentäter als Märtyrer.

36 Für ein beachtliches Risiko, dass der Kläger einen terroristischen Anschlag begehen würde, spricht auch seine Einbindung in die örtliche Salafistenszene. Diese entwickelte sich nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden im Umfeld der ehemalige XY-Moschee in der L.straße .... Dabei handelte es sich um den Treffpunkt der 2001 verbotenen Kaplangemeinschaft, die einen grundgesetzwidrigen Kalifatstaat errichten wollte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. November 2002 - 6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35). Zu dieser Gruppe, die nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden nunmehr eine salafistische Prägung mit jihadistischer Tendenz aufweist, zählten unter anderem der nigerianische Staatsangehörige X, der einen terroristischen Anschlag plante und gegen den eine gesonderte Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erging, sowie die Herren I.N. und K.V., die als "Führungspersonen" der salafistischen Szene eingestuft wurden. Herr V. soll nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden als Anwerber für den sog. "Islamischen Staat" ("IS") tätig gewesen sein. Aus den Reihen dieser Gruppierung sei es bereits zu mindestens zwei Ausreisen in das vom "IS" kontrollierte Gebiet in Syrien/Irak gekommen, aus denen ein Selbstmordanschlag im Irak resultierte, bei dem elf Menschen getötet und mehr als zwanzig zum Teil schwer verletzt worden seien. Herr N. soll Kontaktperson zu dem ausgereisten Selbstmordattentäter P. gewesen sein, der an dem vorgenannten Selbstmordanschlag im Irak am 13. Juni 2015 beteiligt gewesen sein soll. Der Kläger wurde durch den ständigen Austausch mit diesen Personen in der Bereitschaft bestärkt, auch selbst einen solchen Anschlag zu begehen, durch den er zum Märtyrer wird (vgl. sein Telefonat vom 26. Januar 2017 zur Tötung der zwei algerischen Soldaten durch den "IS"). Der Einfluss dieses Personenkreises auf den Kläger wird nicht dadurch relativiert, dass er auch Kontakte zu einzelnen Christen hatte und insbesondere zu den Eltern seiner mit ihm nach islamischem Ritus verheirateten Frau ein gutes Verhältnis pflegte. Dass die G. Gruppe gewaltbereit war, wird durch die aufgefundenen Waffen in den Räumen von K.V., die für Treffen und Seminare der Gruppe genutzt wurden, bestätigt. Zu einer islamistischen Radikalisierung des Klägers dürfte auch seine Teilnahme an einem Seminar in der ...-Moschee in K. im Mai 2016 beigetragen haben, an dem nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden auch der spätere Berliner Attentäter A. A. teilgenommen hatte. Den Besuch dieses Seminars hat der Kläger eingeräumt (Schriftsatz vom 7. März 2017 S. 25 f.), bestritten hat seine Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung nur das dortige Auftreten des radikalen salafistischen Predigers D.Z.

37 Die Gewaltbereitschaft des Klägers ergibt sich auch aus Telefonaten, deren Inhalt durch die gerichtlich angeordnete Telefonüberwachung bekannt geworden war. So hat er in einem Telefonat am 18. Oktober 2016 gegenüber Herrn I.N. erklärt, er sei einem "D." begegnet, der ihn wohl nicht möge, weil er Moslem sei. Er habe vor dem keine Angst und würde ihm "ein Messer in den Hals stecken". In einem anderen Telefonat vom gleichen Tag mit einem "P." hat er einen Rollstuhlfahrer, den er kennt, als einen "Köter" und als "dreckig" bezeichnet und angegeben, ihm liebend gern den "Kopf abschneiden" zu wollen. Allah hätte seine Gründe dafür, dass dieser im Rollstuhl sitze. In einem weiteren Telefonat mit Herrn I.N. vom 19. Januar 2017 hat er angegeben, dass er bei einem Streit mit einem unbekannten Mann (Lateinamerikaner), der ihn und seine Frau beleidigt habe, ein Messer gezogen habe und es habe einsetzen wollen, wobei der Unbekannte letztlich flüchtete. Er sei mit dem Messer auf den Mann zugelaufen und habe es in ihn "reinmachen" wollen. Auch hat er seinen Gesprächspartner I.N. aufgefordert, sich jetzt immer zu bewaffnen, wenn er mit seinen Schwestern rausgehe. Man müsse sich jetzt viel größere Messer besorgen. Der Kläger hat auf "Allah" geschworen, dass er das jetzt tun werde. Der Kläger hat die Aussagen über den "D." und den Rollstuhlfahrer zwar eingeräumt, die Bekannte von ihm seien. Ein Messer habe er gegen den "D." aber nicht gezogen, auch wenn er das so im Gespräch mit Herrn I.N. gesagt habe. Über den Rollstuhlfahrer habe er sich geärgert, weil er diesen verdächtigt habe, eine für den Kläger unangenehme Information über die heimliche Nutzung eines Firmenwagens weitergegeben zu haben. Die mitgeschnittenen Aussagen vom 19. Januar 2017, er habe in den Mann sein Messer "reinmachen" wollen und man müsse sich jetzt immer mit Messern bewaffnen, träfen zu, er habe sich damit aber brüsten und den Vorfall etwas ausschmücken wollen. Der Senat wertet diese Relativierung der getätigten Aussagen als bloße Schutzbehauptungen. Aber selbst wenn sich der Kläger über den "D." und den Rollstuhlfahrer geärgert haben sollte, belegen die Aussagen in den Telefonaten vom 18. Oktober 2016 die Bereitschaft des Klägers, Gewalttaten an Leib und Leben jedenfalls dann zu begehen, wenn er wütend oder verärgert war. Die Bezugnahmen auf "Allah" weisen indes darauf, dass bei den Gründen für Wut oder Verärgerung es keine klare Trennlinie zwischen privat-persönlichen und religiös-ideologischen Gründen für ihn gab. Unglaubhaft ist die Behauptung, er habe trotz der gegenteiligen Aussage im Telefonat mit Herrn I.N. kein Messer bei sich geführt, vielmehr hat der Antragsteller auf "Allah" geschworen, dass er sich zukünftig sogar mit noch größeren Messern bewaffnen werde. Die Wut des Klägers, die schnell zu Gewalthandlungen führen kann, richtete sich nicht nur gegen Privatpersonen, sondern auch gegen Repräsentanten des Staates, und zwar aus Gründen, die aus der radikal-islamischen Einstellung des Klägers resultierten. Denn er hat - wie er selbst einräumt - in einem Gespräch am 24. November 2016 über Polizeibeamte geäußert, sie seien "schmutzige Polizisten, Kuffar, elendige Hunde, ich hasse sie!". Er erklärte diese Aussagen über Polizeibeamte damit, dass er sich über ein konkretes Polizeihandeln gegenüber einer verschleierten Muslima geärgert habe. Aus seiner "Wut heraus" bzw. "aufgrund seines hitzigen Temperaments" habe er diese beleidigenden Äußerungen getätigt.

38 Die Biographie des Klägers belegt, dass er Gewalttaten nicht nur angekündigt, sondern sie auch umgesetzt hat. Er ist seit seinem 14. Lebensjahr immer wieder durch Gewaltdelikte aufgefallen. So wurde gegen ihn im Oktober 2004 Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben, weil er einer weiblichen Person mit seinen Stollen-Fußballschuhen gegen die Rippen getreten hatte, wodurch diese schmerzhafte Hämatome erlitt. Das Verfahren wurde nach Erbringung von Arbeitsleistungen eingestellt. Es folgten Strafanzeigen, jugendrichterliche Weisungen und Verurteilungen unter anderem wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung (Tatzeit 2006), Körperverletzung in zwei Fällen (Tatzeit 2008), mehrere körperliche Übergriffe gegen die damalige Freundin (Tatzeiten 2009 bis 2010), Körperverletzung (Tatzeit Oktober 2012), weitere Verurteilungen als nunmehr Erwachsener wegen Körperverletzung (Tatzeiten April 2012 und Januar 2013) und schließlich eine Verurteilung im September 2014 wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde wegen weiterer Straftaten bis zum 18. März 2019 verlängert.

39 Aufgrund der Gewaltbereitschaft des Klägers, der immer wieder durch Rohheitsdelikte aufgefallen ist und sich auch bis zu seiner Verhaftung entsprechend geäußert hat, seiner bekundeten Sympathie für den "IS" und für Attentäter des "IS" sowie seiner Einbindung in die G. Salafistengruppe mit Kontakten zu Selbstmordattentätern bestand zum hier maßgeblichen Zeitpunkt seiner Abschiebung ein beachtliches Risiko, dass der Kläger mit einer terroristischen Gewalttat ein Fanal setzten würde, mit dem seine Verachtung der säkularen Welt europäischer Prägung zum Ausdruck kommt. Dieses Risiko konnte sich jederzeit realisieren. Die Einschätzung des Senats zu dem vom Kläger ausgehenden Risiko entspricht weitgehend der polizeilichen Einschätzung vom 7. Februar 2017, wonach sich aus der Summe der gewonnenen Erkenntnisse "die konkrete Gefahr eines (auch niedrigschwelligen) islamistisch motivierten Anschlages" ergab. Ideologische Einwirkung auf eine gewaltbereite Person kann in die Ausführung einer nach § 58a AufenthG relevanten Gewalttat umschlagen; die damit verbundenen Prognoseprobleme unterstreichen unter anderem die Fälle des Berliner Attentäters A. A. und des Hamburger Messerattentäters vom Juli 2017.

40 Dem steht die Einschätzung der Bewährungshelferin des Klägers vom 13. Februar 2017 nicht entgegen, der Glaube habe ihm geholfen, "zur Ruhe zu kommen, auf Drogen zu verzichten und ein geregeltes Leben zu führen". Offenbar kannte die Bewährungshelferin den Kläger nur unzureichend, was schon daran deutlich wird, dass er ausweislich der polizeilichen Erkenntnisse, aber entgegen den Ausführungen der Bewährungshelferin, auch noch zum Zeitpunkt der Erstellung ihres Berichts regelmäßig Drogen konsumierte, was er selbst auch eingeräumt hat. Zudem hat er während dieser Zeit über einen längeren Zeitraum ein Kraftfahrzeug ohne Führerschein geführt und sich damit strafbar gemacht. Auch gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das Zusammenleben mit seiner mit ihm nach islamischem Ritus verheirateten Frau das Risiko einer terroristischen Gewalttat zu verringern vermochte. Vielmehr begleitete ihn seine Frau zu Veranstaltungen der salafistischen Szene, so etwa zum Seminar "Rolle der Frau im Islam", das am 8. Oktober 2016 stattgefunden hatte. Im Übrigen äußerte sie in einem Gespräch mit dem Kläger am 7. September 2016, dass sie doch auch "Islam" sei und nicht der Grund dafür sein wolle, dass der Kläger seine Pläne nicht umsetze. In dem Gespräch mit dem Kläger vom 7. September 2016 erklärte sie weiter, es gehe darum, dass "diese scheiß Kuffar einfach nur leiden". Sie warte auf die Strafe Allahs hier in Deutschland. Die Strafe werde kommen, dann werde es den Muslimen gut gehen.

41 Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich an der vom Kläger ausgehenden Gefahr der Begehung einer terroristischen Gewalttat bis zu seiner Abschiebung im Juli 2017 etwas geändert hat. Die fünfmonatige Inhaftierung und die hierdurch unterbrochenen Kontakte zu Angehörigen der radikal-islamistischen Szene reichen hierfür nicht. Es spricht alles dafür, dass der Kläger bei einem Verbleib in Deutschland wieder in seinen salafistisch geprägten Bekanntenkreis mit jihadistischer Tendenz zurückgekehrt wäre. Zwar hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung durch die Haftrichterin am 12. Mai 2017 erklärt, er sei kein Terrorist und habe nichts geplant. Daraus ergeben sich jedoch keine veränderte Einstellung zum Salafismus und seiner Märtyrerideologie sowie keine Persönlichkeitsveränderung des seit seiner Jugend zu Gewalttaten neigenden Klägers. Die Ausführung oder Planung einer konkreten terroristischen Tat wurden dem Kläger gar nicht vorgeworfen, wohl aber teilt der Senat die Prognose des Beklagten, dass vom Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Abschiebung noch ein beachtliches Risiko ausging, dass er eine solche Tat begehen würde, und sich dieses Risiko jederzeit realisieren konnte. Nicht entscheidungserheblich ist, ob sich der Kläger in den sechs Wochen seit seiner Abschiebung infolge des Aufenthalts in Algerien verändert hat, wozu er nichts vorgetragen hat, denn maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung ist der Zeitpunkt der Abschiebung.

42 Der Senat hat bei seiner Risikoprognose die vom Kläger vorgetragene Tatsache berücksichtigt, dass er nach seiner Abschiebung am 13. Juli 2017 in Algerien/B. bei der "La brigade criminelle" von Psychologen und von auf Terrorismus geschultem Fachpersonal über einen Zeitraum von ca. vier Stunden zu den sich aus der Abschiebungsanordnung der Beklagten ergebenden Erkenntnissen angehört worden sei und man dort zu dem Ergebnis gekommen sei, dass von dem Kläger eine terroristische Gefahr sicher nicht ausgehe. Das den Kläger begutachtende Personal habe diesen als ein "unschuldiges Kind" beschrieben, "das zu viel redet". Dies ist auch bei Abstellen auf den Zeitpunkt der Abschiebung berücksichtigungsfähig, weil es sich um eine Einschätzung zur Person des Klägers und der von ihm ausgehenden Gefahr handelt, die auf die Zeit vor der Abschiebung zurückwirkt. Der Senat misst dieser Einschätzung aber nur ein begrenztes Gewicht bei, das im Ergebnis nicht geeignet ist, die in Deutschland gewonnenen Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des Klägers zu relativieren. Denn die Erkenntnisse des algerischen Personals stützen sich auf Gespräche und Beobachtungen während eines Zeitraums von ca. vier Stunden. Der Senat kann sich hingegen auf Erkenntnisse aus einem Zeitraum von der Einschulung des Klägers bis zu seiner Abschiebung stützen. Seine Ausländerakte umfasst unter anderem mehr als 15 Schulzeugnisse des Klägers, Unterlagen über strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Strafurteile, die Einschätzung seiner Bewährungshelferin vom 13. Februar 2017 und Erkenntnisse aus einer mehrmonatigen polizeilichen Überwachung und Telekommunikationsüberwachung. Daraus ergibt sich das Gegenteil eines "unschuldigen Kindes", wie er in Algerien eingestuft worden sein soll. Vielmehr vermerkt schon das Zeugnis aus seiner ersten Schulklasse vom Juli 1998, er gerate "häufig in Konflikte mit anderen Kindern", in den Folgezeugnissen ist mehrfach vermerkt, er müsse noch "lernen, sich an Regeln zu halten", er sei "manchmal sehr aufbrausend". Er ist seit seinem 14. Lebensjahr immer wieder durch Gewaltdelikte aufgefallen, wiederholt strafrechtlich verurteilt worden und hat ausweislich der Telefonüberwachung mehrere Personen damit bedroht, sie mit einem Messer zu verletzen oder zu töten. Der Erkenntniswert dieser Unterlagen, in denen Lehrer, Sozialarbeiter, Strafverfolgungsbehörden und Richter den Kläger über einen Zeitraum von achtzehn Jahren einschätzen und der Kläger in den dokumentierten Telefongesprächen über mehrere Monate selbst zu Wort kommt, ergeben ein in sich stimmiges Bild der Gewaltbereitschaft und Einbindung in die salafistische Szene, die durch den Eindruck der algerischen Fachkräfte in ihrer vierstündigen Anhörung nicht entkräftet werden können, zumal den Algeriern die vorgenannten Unterlagen über den Kläger nicht vorlagen. Der Senat ist daher der Anregung der Klägerbevollmächtigten nicht gefolgt, die Unterlagen der algerischen "La brigade criminelle" beizuziehen.

43 Zur Einschätzung des vom Kläger ausgehenden Gefahrenpotentials bedurfte es weder einer persönlichen Anhörung des Klägers noch der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens, wie das die Klägervertreterin angeregt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats bewegen sich die Tatsachengerichte bei der für eine Aufenthaltsbeendigung erforderlichen Gefahrenprognose regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 12; Beschluss vom 11. September 2015 - 1 B 39.15 - InfAuslR 2016, 1 Rn. 12). Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Im Übrigen oblag es dem Senat, den Sinn der durch die Telefonüberwachung dokumentierten vom Kläger getätigten Äußerungen - wie geschehen - im Wege der richterlichen Beweiswürdigung zu erschließen (ähnlich BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2014 - 6 A 3.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 44). Es bedurfte auch keiner persönlichen Anhörung des Klägers, da die umfangreichen, dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisse ausreichten, um eine zuverlässige Einschätzung der Persönlichkeit des Klägers und der von ihm ausgehenden Gefahr zu treffen. Anderes gilt nur dann, wenn es - wie z.B. früher in Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer - ausschließlich um die Überprüfung einer inneren Einstellung geht, die sich nur durch persönliche Anhörung ermitteln lässt (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1990 - 6 C 4.88 - juris Rn. 8). Auch im Asylverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung bei, soweit es um dessen individuelle Verfolgungsgründe oder etwa um dessen religiöse Identität geht (BVerwG, Urteile vom 30. August 1982 - 9 C 1.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 41 = juris Rn. 15 und vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 <182>). So liegt der Fall hier nicht, hier geht es vielmehr um die Beurteilung des vom Kläger in Deutschland ausgehenden Gefahrenpotentials, die der Senat auf der Grundlage der Feststellung äußerer Tatsachen (Handlungen, Äußerungen etc.) vornimmt.

44 c) Selbst wenn man unterstellt, dass die Abschiebungsanordnung eine dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) unterfallende Rückkehrentscheidung darstellt, ist sie mit den sich hieraus dann ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.

45 Insbesondere musste dem Kläger keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm wegen des von ihm geplanten Anschlags eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die nationale Sicherheit ausging (Art. 7 Abs. 4 Richtlinie 2008/115/EG). Dem steht nicht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entgegen, wonach nicht automatisch auf normativem Weg oder durch die Praxis davon abgesehen werden darf, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 11. Juni 2015 - C-554/13 [ECLI:​EU:​C:​2015:​377] - Rn. 70). Denn in den Fällen des § 58a AufenthG liegt bereits in der einzelfallbezogenen Prüfung und Feststellung des Tatbestands die vom EuGH (Urteil vom 11. Juni 2015 - C-554/13 - Rn. 50, 57) verlangte einzelfallbezogene Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des betreffenden Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, die so gravierend ist, dass von der Fristsetzung zur freiwilligen Ausreise ganz abgesehen werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 70).

46 Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung steht bei unterstellter Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG auch nicht entgegen, dass das Ministerium in Ziffer 4 des angegriffenen Bescheids ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet hat (vgl. hierzu die Ausführungen des Senats im Verweisungsbeschluss vom heutigen Tag - 1 A 9.17 -). Die Regelung in § 11 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG, wonach bei jeder Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das von der Ausländerbehörde beim Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht befristet werden darf, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, stünde dann zwar nicht im Einklang mit Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG. Denn danach bedarf ein mit einer Rückkehrentscheidung einhergehendes Einreiseverbot immer einer Einzelfallentscheidung zu seiner Dauer. Diese unionsrechtliche Vorgabe hätte im Falle ihrer Anwendbarkeit zur Folge, dass bei einer Abschiebungsanordnung allein durch eine Abschiebung ohne eine solche Einzelfallentscheidung kein Einreise- und Aufenthaltsverbot entstehen würde. Auch eine fehlerhafte behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreiseverbots würde nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen, da es sich hierbei um eine eigenständige und selbstständig anfechtbare Entscheidung zu den Rechtsfolgen einer vollzogenen Abschiebungsanordnung handelt.

47 d) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots (teil-)rechtswidrig. Nach der gesetzlichen Konstruktion des § 58a AufenthG führt das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat, nach (rechtzeitiger) Ankündigung aber in einen anderen (aufnahmebereiten oder -verpflichteten) Staat abgeschoben werden darf. Die zuständige Behörde hat beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der Abschiebung in den beabsichtigten Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder in Anknüpfung an den subsidiären Schutz (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Wird im gerichtlichen Verfahren ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot festgestellt, bleibt die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Übrigen hiervon unberührt (§ 58a Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung).

48 Vorliegend bestand im maßgeblichen Zeitpunkt der Abschiebung des Klägers im Juli 2017 kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG. Soweit es um die von der Klägervertreterin in ihrer Klagebegründung vor Erstellung der Erkenntnismittelliste des Senats und vor Erteilung der Auskunft des Auswärtigen Amtes angesprochene Gefahr der Verhängung der Todesstrafe geht, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 21. März 2017 (1 VR 1.17 Rn. 39 f.) Folgendes ausgeführt:
"Die vom Antragsteller angesprochene Gefahr der Verhängung der Todesstrafe für Delikte, die im Zusammenhang mit dem Terrorismus stehen, besteht hier nicht mit entscheidungserheblicher Wahrscheinlichkeit. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 stellt das algerische Strafgesetzbuch zwar unter anderem die Komplizenschaft mit den Anführern einer aufständischen Bewegung unter Todesstrafe. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus bzw. 'subversiver' Bestrebungen werde bereits das Verteidigen derartiger Aktivitäten mit Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren sanktioniert (Bericht S. 15).
Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller hiernach die Todesstrafe drohen könnte. Sein Verhalten, das Grundlage für die ergangene Abschiebungsanordnung ist, erreicht nach deutschem Recht schon nicht die Schwelle der Strafbarkeit. Soweit das algerische Strafrecht betroffen ist, ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der Antragsteller einer algerischen aufständischen Bewegung angehören oder auch nur der Komplizenschaft verdächtigt werden könnte. Im Übrigen wird die Todesstrafe in Algerien seit 1993 nicht mehr vollstreckt (Bericht S. 21). Rechtsgrundlage für die Verfolgung fundamentalistisch motivierter Straftaten ist seit 1992 zudem die Anti-Terrorismus-Verordnung. Danach wird die Gründung einer terroristischen oder subversiven Vereinigung mit lebenslanger Freiheitsstrafe und die Mitgliedschaft mit zehn bis zwanzig Jahren Freiheitsentzug bestraft (Bericht S. 15 f.). Unter diesen Tatbestand der Verordnung fällt nach der dem Senat erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 auch die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Salafismus ist nach der erteilten Auskunft kein Straftatbestand, es sei denn die Mitgliedschaft ist mit terroristischen oder kriminellen Aktivitäten verbunden. Eine Ergänzung des Strafgesetzbuches von 2016 definiert das Strafmaß für die Rekrutierung für eine terroristische Vereinigung mit fünf bis zehn Jahren Haft oder Geldstrafe."

49 An dieser Einschätzung, die vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen worden ist, hält der Senat fest. Die Restzweifel, die der Senat zum Zeitpunkt seiner Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes noch im Hinblick auf eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung durch algerische Sicherheitsorgane hatte, wurden durch die Entwicklung bis zur Abschiebung des Klägers insoweit ausgeräumt, als hierfür jedenfalls kein reales Risiko mehr bestand. Dieser Maßstab ist entscheidungserheblich, wenn es um das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK geht.

50 Der Senat hat zur Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in seinem Beschluss vom 21. März 2017 (1 VR 1.17 Rn. 41 ff.) Folgendes ausgeführt:
"Die vom Antragsteller angesprochene Gefahr der Folter oder einer anderen gegen Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung oder Bestrafung erscheint gering, kann aber nicht völlig ausgeschlossen werden (Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG).
Im Fall der Abschiebung des Antragstellers ist nach der dem Senat erteilten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 mit seiner Befragung durch die algerische Polizei zu rechnen. Wird dieser bekannt, dass er wegen der Gefahr der Begehung einer terroristischen Tat abgeschoben wurde, ist es möglich, dass er für einige Zeit in Polizeigewahrsam genommen wird. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 gibt es ernstzunehmende Hinweise darauf, dass es im Polizeigewahrsam nach wie vor zu Übergriffen bis hin zu Folter kommt (S. 20). Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Algerische Verfassung Folter und unmenschliche Behandlung verbietet. Zudem ist Folter im algerischen Strafgesetz seit 2004 ein Verbrechen (Lagebericht S. 20). Weiterhin ist der algerische Sicherheitsdienst DRS, dem Folter gegenüber Terrorismusverdächtigen vorgeworfen wurde, nach dem aktuellen Jahresbericht von Amnesty International im Jahr 2016 aufgelöst worden. An seine Stelle ist danach nun ein "Security Services Directorate" getreten, das unmittelbar dem Präsidenten berichten soll (Amnesty International Report 2016/17 S. 63). Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass der Französische Conseil d'Etat in zwei Beschlüssen aus dem Jahr 2016 entschieden hat, dass der Abschiebung algerischer Staatsangehöriger nach Algerien Art. 3 EMRK nicht entgegensteht, auch wenn die Entscheidungen nicht auf eine eigene Sachaufklärung des Gerichts, sondern darauf gestützt sind, dass keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen wurden, dass die wegen Unterstützung des islamistisch motivierten Terrorismus ausgewiesenen Algerier die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zu erwarten hätten (siehe die Gerichtsbeschlüsse vom 6. April 2016 - No 398217, vom 19. August 2016 - No 402457 - im Originaltext mit auszugsweiser deutscher Übersetzung in der Erkenntnismittelliste des Senats). Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 15. Mai 2012 (Nr. 33809/08, Labsi/Slowakei Rn. 121 ff.) die dem damaligen Beschwerdeführer drohende Gefahr in Algerien in den Jahren 2008 bis 2012 dahin beurteilt, dass Art. 3 EMRK der vollzogenen Abschiebung entgegenstand und die Einhaltung der erteilten Zusicherungen aufgrund eines fehlenden Monitoring-Systems nicht überprüft werden konnte. Mittlerweile hat Algerien allerdings zahlreiche Reformen durchgeführt und den Grundrechtsschutz in der Algerischen Verfassung mit der Verfassungsreform von 2016 nochmals normativ gestärkt. Der mit Foltervorwürfen in Verbindung gebrachte Sicherheitsdienst DRS wurde aufgelöst. Algerien ist an zahlreiche internationale Menschenrechtskonventionen gebunden, auch an das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und den Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2017 S. 20).
Nach wie vor etwa bestehenden Gefahren kann mit geeigneten diplomatischen Zusicherungen begegnet werden."

51 Die Einschätzung des Senats, dass zum Zeitpunkt der Abschiebung - trotz Fehlens der im März geforderten Zusicherung - für den Kläger kein reales Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung mehr bestand, gründet sich auf folgende Tatsachen: Der Beklagte hatte sich über das Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland um die Erteilung der Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle bemüht. Der Fall des Klägers wurde von den algerischen Behörden geprüft. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers berichtete in der mündlichen Verhandlung, dass sich nach ihren Informationen "zwanzig Richter" in Algerien die Unterlagen zum Kläger angesehen hätten und zum Ergebnis gekommen seien, dass keine Bedenken gegen seine Aufnahme bestünden. Mitarbeiter des Algerischen Generalkonsulats haben mit dem Kläger ein Gespräch geführt und ihm versichert, dass ihm dort nichts passieren werde. Das Algerische Außenministerium hat der Deutschen Bundesregierung mit Verbalnote vom 12. Mai 2017 mitgeteilt, dass gegen den Kläger in Algerien kein Strafverfahren anhängig sei und damit weitere Garantieerklärungen überflüssig seien. Der Fall war Gegenstand der Presseberichterstattung in Deutschland. Aufgrund der Aufmerksamkeit, die der Fall des Klägers auf deutscher und algerischer Regierungsebene und in der deutschen Öffentlichkeit gewonnen hat, der abgegebenen Erklärungen des Algerischen Außenministeriums und des Generalkonsulats sowie des Interesses des algerischen Staates, in den Rechtsbeziehungen mit Deutschland als "verlässlicher Partner" angesehen zu werden (vgl. die Antwort des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2017 betreffend das Auslieferungsverfahren), gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Abschiebung kein reales Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung (mehr) in Algerien drohte. Das bestätigen im Übrigen die Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass der Kläger nach Ankunft in Algerien zwar über einen Zeitraum von etwa vier Stunden angehört, dabei aber würdevoll behandelt worden sei. Dort sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass von dem Kläger eine terroristische Gefahr "sicher nicht ausgehe", er vielmehr ein "unschuldiges Kind, das zu viel redet" sei. Die Behörde habe ihn gehen lassen und ihm mitgeteilt, dass er von nun an ein freies Leben führen könne (Schriftsatz vom 14. Juli 2017 S. 2).

52 Damit fehlte es im maßgeblichen Zeitpunkt der Abschiebung des Klägers im Juli 2017 an den Voraussetzungen für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG.

53 e) Der Erlass einer Abschiebungsanordnung durch die oberste Landesbehörde war im maßgeblichen Zeitpunkt der Abschiebung weder ermessensfehlerhaft noch unverhältnismäßig. Der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Aufgaben und kann auch sehr weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23/73 und 1 BvR 155/73 - BVerfGE 35, 382 <402 f.>, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - BVerfGE 141, 220 Rn. 96, 132). Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 58a AufenthG vor, hat die oberste Landesbehörde zu prüfen, ob sie eine Abschiebungsanordnung erlässt oder ggf. anderweitige Maßnahmen durch die Ausländerbehörde - etwa der Erlass einer sofort vollziehbaren Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung - oder Maßnahmen auf der Grundlage des allgemeinen Polizeirechts ausreichen (Entschließungsermessen); ein Auswahlermessen kommt hingegen nur bei mehreren möglichen Zielstaaten in Betracht, was hier nicht der Fall ist.

54 Vorliegend hat das Ministerium sein Entschließungsermessen ermessensfehlerfrei dahingehend ausgeübt, dass andere im Aufenthaltsgesetz vorgesehene Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung oder sonstige gefahrenabwehrrechtliche Möglichkeiten nicht ausreichen, um der besonderen vom Kläger ausgehenden Gefahr wirksam zu begegnen. Dies ist unter den hier gegebenen Umständen angesichts des an anderer Stelle festgestellten beachtlichen Risikos, dass der Kläger eine mit einfachsten Mitteln jederzeit realisierbare terroristische Tat in Deutschland begeht (siehe Hamburger Messerattacke vom Juli 2017) und der allenfalls begrenzten Wirksamkeit auch aufwändigerer Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen nicht zu beanstanden.

55 Die Abschiebungsanordnung erweist sich angesichts der vom Kläger ausgehenden Gefahr eines jederzeit möglichen Terroranschlags auch im Übrigen als verhältnismäßig. Dabei kann dahinstehen, ob es für den Erlass einer Abschiebungsanordnung einer umfassenden Würdigung und Abwägung der möglicherweise betroffenen Interessen des Ausländers bedarf, oder ob sich dies aufgrund des sicherheitspolitischen Charakters der Vorschrift regelmäßig erübrigt, weil diese eine Gefahrenlage indiziert, für die der Gesetzgeber bereits auf abstrakt-genereller Ebene eine Abwägung zu Lasten des Ausländers vorgenommen hat, so dass grundsätzlich von einem überragenden öffentlichen Interesse an einer unmittelbaren Aufenthaltsbeendigung auszugehen ist und die Abschiebung in aller Regel nur bei Vorliegen eines von der zuständigen Behörde in eigener Zuständigkeit zu prüfenden Abschiebungsverbots unterbleiben darf (sog. intendiertes Ermessen). Denn der Beklagte hat bei seiner Entscheidung die privaten Interessen des in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Klägers berücksichtigt, der als faktischer Inländer keine oder allenfalls geringe Bindungen an das Land seiner Staatsangehörigkeit hat. Trotz seiner Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse ist dem volljährigen und arbeitsfähigen Kläger, der mit seinen arabischen Sprachkenntnissen algerischer Prägung im Staat seiner Staatsangehörigkeit kommunizieren kann, der Aufbau einer Existenz in Algerien auch unter Berücksichtigung der damit verbundenen Anfangsschwierigkeiten möglich und zumutbar, zumal seine Mutter dort über Immobilienbesitz verfügt. Der Kläger selbst hatte schon vor Ergehen der streitgegenständlichen Anordnung den Wunsch, in ein arabisches Land wie Algerien auszureisen. Er musste sein Vorhaben nun lediglich - wie er selbst angibt - um drei Jahre vorziehen. Damit ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte unter den hier gegebenen Umständen eines jederzeit möglichen Terroranschlags den privaten und familiären Belangen des Klägers nicht den Vorzug gegeben hat, und ist die Aufenthaltsbeendigung auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 35).

56 3. Der Feststellungsantrag, mit dem der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erfolgten Abschiebung vom 12. Juli 2017 begehrt, ist unzulässig, weil dem Kläger hierfür das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

57 Zwar ist die Abschiebung des Klägers ohne Vorliegen einer Zusicherung einer algerischen Regierungsstelle erfolgt, die den Anforderungen im - nicht nach § 80 Abs. 7 VwGO geänderten - Beschluss des Senats vom 21. März 2017 (1 VR 1.17 ) entspricht. Auf die Beachtung eines Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK konnte der Kläger auch materiellrechtlich nicht verzichten. Zum Zeitpunkt der Abschiebung bestand jedoch, wie oben näher ausgeführt, kein reales Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung mehr und auch kein anderes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG. Dem Kläger war zudem von Mitarbeitern des Algerischen Generalkonsulats versichert worden, dass ihm dort nichts passieren werde, wie die Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung erneut bestätigte. Wenn der Kläger vor diesem Hintergrund in einem eigens dafür anberaumten Termin am 18. Mai 2017 gegenüber der Haftrichterin erklärte, dass er auf die Einholung einer Zusicherung verzichte, und um unverzügliche Abschiebung bat, kann er sich später prozessual nicht darauf berufen, entgegen der vom Senat für erforderlich gehaltenen Zusicherung abgeschoben worden zu sein. Wegen der Treuwidrigkeit eines solchen prozessualen Verhaltens fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Feststellung. Anhaltspunkte für ein Fehlen der freien Willensbildung bei Abgabe der Erklärung liegen nicht vor. Zudem hätte der Kläger bis zur erfolgten Abschiebung fast zwei Monate Zeit gehabt, um eine übereilt abgegebene Erklärung zu widerrufen.

58 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.