Beschluss vom 27.08.2025 -
BVerwG 11 VR 8.25ECLI:DE:BVerwG:2025:270825B11VR8.25.0

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    BVerwG, Beschluss vom 27.08.2025 - 11 VR 8.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:270825B11VR8.25.0]

Beschluss

BVerwG 11 VR 8.25

In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 27. August 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger beschlossen:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12 094 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung in von ihm bewirtschaftete Grundstücke.

2 Der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 18. März 2025 stellt den Plan nach § 24 Abs. 1 NABEG für die Errichtung und den Betrieb des sogenannten SuedOstLink (Vorhaben Nr. 5 und 5a der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz - BBPlG) im Abschnitt A2 (Sachsen-Anhalt Süd/​Thüringen Nord) fest. Der Beschluss ist bestandskräftig. Die geplante Leitung nimmt Teile der vom Antragsteller bewirtschafteten Flächen auf den Flurstücken ..., ..., ..., ..., Flur ..., Gemarkung P., dem Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung P. und dem Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung R. für eine Erdverkabelung und für Schutzstreifen dauerhaft und für (u. a.) Arbeitsflächen und Zuwegungen vorübergehend in Anspruch.

3 Am 28. Mai 2025 beantragte die beigeladene Vorhabenträgerin die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 18 Abs. 5 NABEG i. V. m. § 44b Abs. 1 EnWG in diese Flächen. Der Antragsgegner lud unter anderem den Antragsteller mit Schreiben vom 17. Juni 2025 zur mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2025. Im Nachgang zu dieser mündlichen Verhandlung beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. Juli 2025 die mit der Sache befassten Mitarbeiterinnen des Antragsgegners wegen Besorgnis der Befangenheit vom weiteren Verfahren auszuschließen. Den Befangenheitsantrag lehnte der Präsident des Antragsgegners durch Schreiben vom 29. Juli 2025 ab.

4 Mit Beschluss vom 30. Juli 2025 wies der Antragsgegner die Beigeladene in den Besitz eines Teilbereichs der Grundstücke von etwa 17 815 m² dauerhaft und von ca. 33 475 m² vorübergehend ein; die Besitzeinweisung in die vorübergehend benötigten Teilbereiche endet mit Abschluss der Bauarbeiten, voraussichtlich am 18. Juli 2027.

5 Der Antragsteller hat gegen den Besitzeinweisungsbeschluss vorläufigen Rechtsschutz beantragt und Klage erhoben. Der Besitzeinweisungsbeschluss sei formell und materiell rechtswidrig, insbesondere fehle es an einer Weigerung des Antragstellers i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG. Der Beigeladenen sei das Scheitern vorheriger Vertragsverhandlungen anzulasten. Auch sei die Verwirklichung des Vorhabens nicht eilbedürftig.

6 Antragsgegner und Beigeladene verteidigen den Besitzeinweisungsbeschluss und beantragen, den Antrag abzulehnen.

II

7 A. Das Bundesverwaltungsgericht ist für den Antrag zuständig. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren für Vorhaben betreffen, die - wie hier - in dem Bundesbedarfsplangesetz bezeichnet sind. Gemäß § 6 Satz 2 Nr. 1 BBPlG ist § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO (u. a.) auch anzuwenden für auf diese Vorhaben bezogene Zulassungen des vorzeitigen Baubeginns. Der Begriff des vorzeitigen Baubeginns erfasst die vorzeitige Besitzeinweisung, die einen zügigen Baubeginn ermöglichen soll (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 9 ff. und vom 29. Juli 2025 - 11 VR 5.25 - juris Rn. 6).

8 B. Der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die nach § 44b Abs. 7 Satz 1 EnWG sofort vollziehbare vorzeitige Besitzeinweisung bleibt erfolglos. Er ist unbegründet.

9 Die im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das bereits durch die gesetzliche Regelung des § 44b Abs. 7 Satz 1 EnWG betonte öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der vorzeitigen Besitzeinweisung überwiegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die vorzeitige Besitzeinweisung voraussichtlich als rechtmäßig. Dabei ist die gerichtliche Prüfung auf die binnen der Frist des § 44b Abs. 7 Satz 2 EnWG dargelegten Gründe beschränkt.

10 I. Der Beschluss leidet nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.

11 1. Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 EnWG hat die Enteignungsbehörde spätestens sechs Wochen nach Eingang des Antrags auf Besitzeinweisung mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln. Der Antragsteller rügt zwar zutreffend, dass diese Frist nicht eingehalten worden ist. Das verhilft seinem Antrag aber nicht zum Erfolg. Die 6-Wochen-Frist dient der Verfahrensbeschleunigung und damit ausschließlich dem öffentlichen Interesse sowie dem Interesse des Vorhabenträgers; sie ist nicht zugunsten von anderen Verfahrensbeteiligten drittschützend (vgl. Missling, in: Theobald/​Kühling, Energierecht, Stand April 2025, § 44b EnWG Rn. 14; Riege, in: Assmann/​Peiffer, BeckOK EnWG, Stand 1. Juni 2025, § 44b Rn. 41).

12 2. Der Antragsteller ist ordnungsgemäß beteiligt worden. Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 und 2 EnWG hat die Enteignungsbehörde über den Antrag auf Besitzeinweisung mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln und hierzu den Antragsteller und die Betroffenen zu laden. Die Ladungsfrist beträgt nach § 44b Abs. 2 Satz 4 EnWG drei Wochen. Sie wurde durch die am 20. Juni 2025 beim Bevollmächtigten des Antragstellers eingegangene Ladung gewahrt.

13 3. Auch die Einwände gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung führen auf keinen Verfahrensfehler.

14 Ziel der mündlichen Verhandlung ist es, die Sach- und Rechtslage zu erörtern und möglichst eine einvernehmliche Lösung zu finden (Greinacher, in: Elspas/​Graßmann/​Rasbach <Hrsg.>, EnWG, 2. Aufl. 2023, § 44b Rn. 11; Kment, in: Kment, EnWG, 3. Aufl. 2023, § 44b Rn. 15). Sie dient insbesondere dazu, etwaige Einwendungen des Antragstellers gegen den Antrag auf Besitzeinweisung zu erörtern und ist der Sache nach eine besondere Form der Anhörung in einem Verwaltungsverfahren. Der Beschluss über die Besitzeinweisung darf erst nach dieser mündlichen Verhandlung ergehen, die Behörde entscheidet aber - anders als etwa das Verwaltungsgericht - nicht aufgrund der mündlichen Verhandlung (BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2024 - 11 VR 4.24 - juris Rn. 16; vgl. zum förmlichen Verwaltungsverfahren: Sachs/​Kamp, in: Stelkens/​Bonk/​Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 67 Rn. 4).

15 Der Antragsteller legt nicht dar, dass die mündliche Verhandlung am 23. Juli 2025 diesen Anforderungen nicht genügt hätte, er insbesondere in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Verhandlungsleiterin die Sach- und Rechtslage nach dem Stand der Akten aufbereitet und aus einem vorbereiteten Dokument abgelesen hat. Denn nur auf der Grundlage der der Behörde zur Verfügung stehenden Informationen, namentlich der Angaben im Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung, können mit den Betroffenen etwaige Einwendungen zielführend erörtert werden. Über den vorliegend zentralen Punkt, einer etwaigen "Weigerung" des Antragstellers, den Besitz der für den Bau der Erdkabel benötigten Grundstücke der Beigeladenen zu überlassen, wurde zudem - unstreitig - diskutiert. Weitergehende Verhandlungen über eine einvernehmliche Lösung, wie sie der Antragsteller vermisst, waren nicht veranlasst, zumal offensichtlich war, dass der Antragsteller von seiner Forderung einer Vertragsstrafenregelung - in welcher Form auch immer - nicht absehen (siehe zuletzt Schreiben seines Bevollmächtigten vom 17. Juli 2025 an den Antragsgegner) und der Vorhabenträger eine solche nicht akzeptieren werde.

16 Anders als der Antragsteller meint, lässt der geschilderte Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht erkennen, dass die mit der Sache befassten Mitarbeiterinnen des Antragsgegners wegen Besorgnis der Befangenheit im weiteren Verfahren nicht hätten tätig werden dürfen. Der Präsident des Antragsgegners durfte daher den Befangenheitsantrag - wie geschehen - zurückweisen. Der Antragsteller wirft den Mitarbeiterinnen des Antragsgegners vor, sich bereits auf eine "vorgefertigte" Meinung zu seinen Lasten festgelegt zu haben. Die Mitarbeiterinnen des Antragsgegners waren indes berechtigt, sich vor der mündlichen Verhandlung zu den aufgeworfenen Rechtsfragen eine vorläufige Meinung zu bilden. Allein das Äußern einer - jedenfalls vertretbaren - Rechtsauffassung in der mündlichen Verhandlung begründet keine Besorgnis der Befangenheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 2024 - 11 VR 13.24 - juris Rn. 15; Schlatmann, in: Kopp/​Ramsauer, VwVfG, 26. Aufl. 2025, § 21 Rn. 14).

17 4. Schließlich führt die Rüge, der Besitzeinweisungsbeschluss leide an einem Begründungsmangel, weil er den Sachverhalt ergebnisorientiert falsch darstelle, nicht auf einen Rechtsfehler. Die vom Antragsteller beanstandeten Ausführungen entsprechen den Angaben im Schreiben seines Bevollmächtigten vom 17. Juli 2025. Auf den Seiten 7 und 8 sind die Forderungen des Antragstellers für eine Zustimmung zusammengefasst und wird unter Ziffer 5 ausdrücklich eine Regelung über eine "pauschale Vertragsstrafe in Höhe von 5 001 Euro" zu Gunsten des Antragstellers gefordert. Lediglich auf Seite 10 des genannten Schriftsatzes wird alternativ eine Vertragsstrafenregelung nach "Hamburger Brauch" ins Spiel gebracht.

18 II. Der Besitzeinweisungsbeschluss vom 30. Juli 2025 erweist sich nach gegenwärtigem Erkenntnisstand als materiell rechtmäßig.

19 Nach § 44b Abs. 1 Satz 1 und 2 EnWG hat die Enteignungsbehörde den Träger des Vorhabens auf Antrag nach Feststellung des Plans in den Besitz einzuweisen, wenn der sofortige Beginn von Bauarbeiten geboten ist und sich (u. a.) der Besitzer weigert, den Besitz eines für den Bau von Erdkabeln im Sinne des § 43 EnWG benötigten Grundstücks durch Vereinbarung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche zu überlassen. Der Planfeststellungsbeschluss muss vollziehbar sein. Diese Voraussetzungen liegen vor.

20 1. Die vom Antragsteller bewirtschafteten Grundstücke werden für den Bau einer Erdkabeltrasse im Sinne des § 43 EnWG benötigt. Der vollziehbare Planfeststellungsbeschluss vom 18. März 2025 sieht die Inanspruchnahme der Grundstücke vor.

21 2. Ein sofortiger Beginn der Bauarbeiten im Sinne von § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ist geboten.

22 Davon ist auszugehen, wenn das Interesse der Allgemeinheit oder des Vorhabenträgers an dem sofortigen Beginn der Ausführung des Vorhabens das private Interesse des Betroffenen, von der Besitzeinweisung verschont zu werden, überwiegt. Ein solches Überwiegen ist in der Regel dann anzunehmen, wenn dem Vorhaben eine gewisse Dringlichkeit innewohnt, wobei die Bedeutung des Vorhabens Indizwirkung entfalten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2023 ‌- 7 A 2.23 - BVerwGE 180, 363 Rn. 21 m. w. N.). So liegt es hier.

23 Die gesetzlichen Regelungen indizieren einen sofortigen Beginn der Bauarbeiten. Der Planfeststellungsbeschluss vom 18. März 2025 lässt den Abschnitt A2 des sogenannten SuedOstLink zu, eines Vorhabens, das unter Nr. 5 und 5a der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz geführt wird. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BBPlG besteht für das Vorhaben und damit für alle seine Abschnitte ein vordringlicher Bedarf.

24 Der Beginn der Bauarbeiten duldet keinen Aufschub. Dabei sind die Nachteile, insbesondere zeitliche Verzögerungen, zu berücksichtigen, die ohne den Erlass einer Besitzeinweisung zu gewärtigen sind und mit Erlass der Besitzeinweisung vermieden werden können. Der Vorhabenträger hat diese Nachteile schlüssig darzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2023 - 7 A 2.23 - BVerwGE 180, 363 Rn. 22; Beschlüsse vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 18 f. und vom 27. Dezember 2024 - 11 VR 13.24 - juris Rn. 24). Dem ist die Beigeladene nachgekommen. Im Besitzeinweisungsantrag hat sie ausführlich die einzelnen Baumaßnahmen im Fachlos 3 und Mischlos 1, die die vom Antragsteller genutzten Grundstücke betreffen, und deren zeitliche Abfolge beschrieben. Sie hat dargelegt, dass ein rechtzeitiger Baubeginn auch mit Blick auf die von der Beigeladenen mit Baufirmen festgelegten Bauzeitenpläne geboten ist, um den SuedOstLink termingerecht im Jahr 2027 in Betrieb nehmen zu können. Aufgrund der nicht erteilten Bauerlaubnis durch den Antragsteller hätten die Baumaßnahmen nicht rechtzeitig begonnen werden können. Dementsprechend ergebe sich ein Bauverzug mit nun tatsächlich realisierbaren Bauzeiten für die Baumaßnahmen im Fachlos 3 und Mischlos 1 vom 6. August 2025 bis zum 18. Juli 2027. Sie hat ferner darauf verwiesen, dass eine weitere Verzögerung negative Auswirkungen auf die Bauabläufe und Baubehinderungsanzeigen mit hohen Kosten für das Gesamtvorhaben zur Folge habe sowie die termingerechte Inbetriebnahme des SuedOstLink gefährden würde.

25 Die Eilbedürftigkeit bezieht sich auf alle im verfahrensgegenständlichen Beschluss genannten Maßnahmen. Eine Unterscheidung zwischen vorübergehenden (temporären) und dauerhaften Maßnahmen ist nicht veranlasst und tatsächlich nicht möglich. Wie der Antragsgegner und die Beigeladene überzeugend dargelegt haben, würde eine entsprechende Aufspaltung dem geplanten Bauablauf nicht gerecht. So werden dauerhaft in Anspruch zu nehmende Flächen bereits zum beantragten Besitzeinweisungstermin am 6. August 2025 benötigt, namentlich für die Verlegung der Kabelleerrohre, in welche später die Kabel der Hochspannungsgleichstromleitung eingebracht werden. Zudem sind die dauerhaft in Anspruch zu nehmenden Flächen identisch mit den vorübergehend benötigten Flächen, da erstere vollständig in Bereich letzterer liegen. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus den dem streitgegenständlichen Beschluss beigefügten Lageplänen.

26 Die Interessen des Antragstellers treten dahinter zurück. Ihm drohen keine irreversiblen Schäden. Wie sich insbesondere aus den dem Schreiben vom 15. August 2025 beigefügten Fotos ergibt, sind die landwirtschaftlichen Flächen zwischenzeitlich abgeerntet. Auch trifft es nicht zu, dass die Verzögerungen in der Bauausführung auf die verspätete Antragstellung der Beigeladenen auf vorzeitige Besitzeinweisung zurückzuführen sind. Der Antrag ist so rechtzeitig gestellt worden, dass eine Besitzeinweisung zum beantragten Zeitpunkt (6. August 2025) ohne Weiteres ergehen konnte.

27 3. Der Antragsteller hat sich geweigert, der Beigeladenen den Besitz an den benötigten Flächen seiner Grundstücke freiwillig zu überlassen.

28 Eine Weigerung i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ist zwar nicht schon dann anzunehmen, wenn zwischen den Grundstückseigentümern oder -besitzern und dem Vorhabenträger Gespräche stattfinden. Dies ist im Vorfeld durchaus gewollt. An diese Verhandlungen sind aber keine zu hohen Anforderungen zu stellen (BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2023 - 7 VR 1.23 - BVerwGE 178, 1 Rn. 22). Von einer Weigerung ist deshalb schon dann auszugehen, wenn der Vorhabenträger dem Eigentümer oder Besitzer durch ein entsprechendes Angebot die Möglichkeit eröffnet, die Überlassung des Besitzes unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche durch eine Vereinbarung im Sinne des § 854 Abs. 2 BGB herbeizuführen und dieser das Angebot nicht annimmt (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 21 und vom 22. Februar 2024 - 11 VR 3.24 - juris Rn. 30). Die Beigeladene hat ihre Bemühungen um eine Vereinbarung mit dem Antragsteller im Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung vom 28. Mai 2025 unter Vorlage entsprechenden Schriftverkehrs ausführlich dargelegt. Sie hat dem Antragsteller (wiederholt) angeboten, ihr den Besitz unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche zu überlassen. Die Bemühungen sind erfolglos geblieben, eine Vereinbarung konnte auch in der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2025 über den Antrag auf vorzeitige Besitzeinweisung nicht getroffen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 22).

29 Der Antragsteller macht geltend, er habe sich nicht im Sinne von § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG geweigert. Denn er sei mit einer Überlassung unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche einverstanden, eine Einigung sei vielmehr an der fehlenden Bereitschaft der Beigeladenen gescheitert, weitere Absprachen - insbesondere zu möglichen Vertragsstrafen - zu treffen. Diese Regelungswünsche lassen indes die Weigerung im Sinne von § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG nicht entfallen. Gegenstand der Weigerung in § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ist die Einräumung des Besitzes unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche ab dem Zeitpunkt, in dem der Planfeststellungsbeschluss vollziehbar ist (vgl. § 44b Abs. 1 Satz 2 EnWG; BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 2024 - 11 VR 13.24 - juris Rn. 35). Will ein Betroffener die Besitzüberlassung von weiteren Erläuterungen, Darlegungen - oder wie hier - vertraglichen Zugeständnissen des Vorhabenträgers in Bezug auf die geplanten Maßnahmen abhängig machen, steht dies der Annahme einer Weigerung folglich nicht entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 2024 - 11 VR 10.24 - juris Rn. 20). Es kommt daher nicht auf die zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen im Einzelnen streitige Frage an, in welchen Punkten bereits Einigkeit erzielt war und welche Aussichten für eine einverständliche Lösung noch bestanden. Auch der Antragsgegner war nicht verpflichtet, dies weiter aufzuklären oder insoweit auf eine weitergehende, die Frage der Besitzüberlassung überschreitende Vereinbarung hinzuwirken.

30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an den Ziffern 34.2.4 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.

Beschluss vom 23.09.2025 -
BVerwG 11 VR 10.25ECLI:DE:BVerwG:2025:230925B11VR10.25.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.09.2025 - 11 VR 10.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:230925B11VR10.25.0]

Beschluss

BVerwG 11 VR 10.25

In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 23. September 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wiedmann beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg. Der Senat hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Der Antragsteller hat daher keinen Anspruch auf Fortführung des Verfahrens gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2 Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht jedoch, deren (Rechts-)Auffassung zu folgen. Die Vorschrift ist nur verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. Januar 2020 - 2 BvR 2592/18 - NStZ-RR 2020, 115 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42). Die Anhörungsrüge ist dagegen kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Sie verleiht insbesondere keinen Anspruch, dass das Gericht seine Entscheidung anhand der Einwände noch einmal überdenkt und, wenn es an ihr festhält, durch eine ergänzende oder vertiefende Begründung rechtfertigt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2023 - 4 BN 46.22 - juris Rn. 2 m. w. N.)

3 Die Anhörungsrüge wirft dem Senat vor, entscheidungserheblichen Vortrag übergangen zu haben. Der Antragsteller habe dargelegt, dass er zu jedem Zeitpunkt der Gespräche mit der Vorhabenträgerin seine Zustimmung zur Inbesitznahme erklärt und lediglich die Aufnahme einer moderaten Vertragsstrafenregelung, etwa nach Hamburger Brauch, für die Zeit nach Abschluss der Bauarbeiten gefordert habe. Eine Einigung sei zum Greifen nah gewesen und letztlich ausschließlich an der Vorhabenträgerin gescheitert, die die Verhandlungen im August 2025 grundlos abgebrochen habe. Das Gericht habe diesen differenzierten Vortrag des Antragstellers nicht aufgegriffen und seine berechtigten und nachvollziehbaren Änderungswünsche fehlerhaft als Weigerung i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ausgelegt. Der Beschluss sei in diesem Punkt mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, aber insbesondere auch mit der systematischen und teleologischen Auslegung der Norm unvereinbar. Eine Weigerung des Antragstellers liege nicht vor. Das führt auf keinen Gehörsverstoß.

4 Der Senat hat den Vortrag des Antragstellers zu den Verhandlungen um eine unstreitige Beilegung des Konflikts zur Kenntnis genommen, aber mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der "Weigerung" des § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG anders als der Antragsteller bewertet (vgl. S. 9 und 10 des Beschlussabdrucks). Auch im Übrigen wiederholt und vertieft die Anhörungsrüge lediglich den Vortrag aus dem Eilverfahren, greift die materiell-rechtliche Würdigung des Senats als verfehlt an und will auf diese Weise eine erneute Überprüfung erreichen. Hierfür ist die Anhörungsrüge nicht der richtige Rechtsbehelf (siehe schon BVerwG, Beschluss vom 24. November 2011 - 8 C 13.11 - juris Rn. 2). Schließlich kann der Vorwurf eines Gehörsverstoßes nicht auf Unterlagen gestützt werden, die erstmals mit der Anhörungsrüge vorgelegt wurden.

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.