Beschluss vom 28.10.2025 -
BVerwG 11 VR 15.25ECLI:DE:BVerwG:2025:281025B11VR15.25.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.10.2025 - 11 VR 15.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:281025B11VR15.25.0]

Beschluss

BVerwG 11 VR 15.25

In der Verwaltungsstreitsache hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 28. Oktober 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wiedmann beschlossen:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 24,33 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung in ein von ihm bewirtschaftetes Grundstück.

2 Der Beschluss der Bundesnetzagentur vom 18. März 2025 stellt den Plan nach § 24 Abs. 1 NABEG für die Errichtung und den Betrieb des sogenannten SuedOstLink (Vorhaben Nr. 5 und 5a der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz - BBPlG) im Abschnitt A2 (Sachsen-Anhalt Süd/Thüringen Nord) fest. Der Beschluss ist bestandskräftig. Die geplante Leitung nimmt Teile des vom Antragsteller gepachteten Grundstücks Flurstück ..., Flur ..., Gemarkung P., für Erdkabel und Schutzstreifen dauerhaft und für (u. a.) Lagerflächen und Zuwegungen vorübergehend in Anspruch.

3 Am 7. Juli 2025 beantragte die beigeladene Vorhabenträgerin die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 18 Abs. 5 NABEG i. V. m. § 44b Abs. 1 EnWG in diese Flächen. Der Antragsgegner lud unter anderem den Antragsteller mit Schreiben vom 25. Juli 2025, zugegangen am 29. Juli 2025, zur mündlichen Verhandlung am 26. August 2025. Mit Schreiben vom 23. August 2025 nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers zum Besitzeinweisungsantrag Stellung.

4 Der Antragsgegner führte die mündliche Verhandlung am 26. August 2025 durch. An dieser Verhandlung nahmen auch der Bevollmächtigter des Antragstellers und Herr X. für den Antragsteller teil. Der Antragsgegner wies die Beigeladene mit Beschluss vom 1.  September 2025 antragsgemäß mit Wirkung ab dem 15. September 2025, 0:00 Uhr, in den Besitz eines Teilbereichs des Grundstücks von etwa 41 m² dauerhaft und von ca. 57 m² vorübergehend ein. Die Besitzeinweisung in den vorübergehend benötigten Teilbereich endet mit Abschluss der Bauarbeiten, voraussichtlich am 28. Oktober 2026.

5 Der Antragsteller hat gegen den Besitzeinweisungsbeschluss vorläufigen Rechtsschutz beantragt und Klage erhoben. Der Besitzeinweisungsbeschluss sei formell und materiell rechtswidrig, insbesondere fehle es an einer Weigerung des Antragstellers i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG. Der Beigeladenen sei das Scheitern vorheriger Vertragsverhandlungen anzulasten. Sie habe diese grundlos am 20. August 2025 abgebrochen, obwohl für den 21. August 2025 ein gemeinsamer Besprechungstermin vereinbart gewesen sei. Auch sei die Verwirklichung des Vorhabens nicht eilbedürftig.

6 Antragsgegner und Beigeladene verteidigen den Besitzeinweisungsbeschluss und beantragen, den Antrag abzulehnen.

II

7 Über den Antrag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i. V. m. § 6 Satz 2 Nr. 1 BBPlG (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 9 ff. und vom 29. Juli 2025 - 11 VR 5.25 - juris Rn. 6).

8 Der gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die nach § 44b Abs. 7 Satz 1 EnWG sofort vollziehbare vorzeitige Besitzeinweisung bleibt erfolglos. Er ist unbegründet.

9 Die im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das bereits durch die gesetzliche Regelung des § 44b Abs. 7 Satz 1 EnWG betonte öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der vorzeitigen Besitzeinweisung überwiegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Maßgeblich für diese Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit diese bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bereits absehbar sind. Diese Prüfung ist auf die binnen der Frist des § 44b Abs. 7 Satz 2 EnWG dargelegten Gründe beschränkt.

10 I. Der Beschluss leidet nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht an den geltend gemachten Verfahrensmängeln.

11 1. Mit den - der Sache nach gleichlautenden - Einwänden zur Nichteinhaltung der Sechs-Wochen-Frist des § 44b Abs. 2 Satz 1 EnWG, zur (angeblichen) Befangenheit der Mitarbeiterinnen des Antragsgegners sowie zu etwaigen Begründungsmängeln des Besitzeinweisungsbeschlusses hat sich der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. August 2025 im Verfahren gegen einen anderen, gegenüber dem Antragsteller ergangenen Besitzeinweisungsbeschluss für den SuedOstLink auseinandergesetzt und diese zurückgewiesen (BVerwG, Beschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - juris Rn. 11 ff.). Darauf nimmt der beschließende Senat Bezug.

12 2. Der Antragsteller ist ordnungsgemäß beteiligt worden. Nach § 44b Abs. 2 Satz 1 und 2 EnWG hat die Enteignungsbehörde über den Antrag auf Besitzeinweisung mit den Beteiligten mündlich zu verhandeln und hierzu den Antragsteller und die Betroffenen zu laden. Die Ladungsfrist beträgt nach § 44b Abs. 2 Satz 4 EnWG drei Wochen. Sie wurde durch die am 29. Juli 2025 beim Bevollmächtigten des Antragstellers eingegangene Ladung gewahrt.

13 3. Auch die Einwände gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung führen auf keinen Verfahrensfehler. Mit der Rüge, in der mündlichen Verhandlung habe eine echte Erörterung der Sache, insbesondere zu den Hintergründen des von der Beigeladenen erklärten Abbruchs der Verhandlungen, nicht stattgefunden, dringt der Antragsteller nicht durch. Nach dem bisherigen Verfahrensablauf war jedenfalls offensichtlich, dass der Antragsteller für die Schließung einer Mitnutzungsvereinbarung auf eine Vertragsstrafenregelung nicht verzichten und die Beigeladene eine solche nicht akzeptieren wird. Weiterer Erörterungen bedurfte es daher nicht.

14 II. Der Besitzeinweisungsbeschluss vom 1. September 2025 erweist sich nach gegenwärtigem Erkenntnisstand als materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen nach § 44b Abs. 1 Satz 1 und 2 EnWG liegen vor.

15 1. Das vom Antragsteller bewirtschaftete Grundstück wird für den Bau eines Erdkabels im Sinne des § 43 EnWG benötigt. Der vollziehbare Planfeststellungsbeschluss vom 18. März 2025 sieht die Inanspruchnahme des Grundstücks vor.

16 2. Ein sofortiger Beginn der Bauarbeiten im Sinne von § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ist geboten. Dies ergibt sich im Einzelnen aus den Erwägungen im Senatsbeschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - (juris Rn. 21 ff.), der zwischen denselben Beteiligten ergangen ist. Hieran hält der Senat fest.

17 3. Der Antragsteller hat sich geweigert, der Beigeladenen den Besitz an den benötigten Flächen seines Grundstücks freiwillig zu überlassen.

18 Bereits in seinem Beschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - hat der Senat unter Rn. 28 entschieden:
"... Von einer Weigerung ist deshalb schon dann auszugehen, wenn der Vorhabenträger dem Eigentümer oder Besitzer durch ein entsprechendes Angebot die Möglichkeit eröffnet, die Überlassung des Besitzes unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche durch eine Vereinbarung im Sinne des § 854 Abs. 2 BGB herbeizuführen und dieser das Angebot nicht annimmt (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2023 - 4 VR 4.23 - juris Rn. 21 und vom 22. Februar 2024 - 11 VR 3.24 - juris Rn. 30)."

19 Im Beschluss vom 1. Oktober 2025 - 11 VR 12.25 - hat der Senat sodann unter Rn. 17 folgendes ausgeführt:
"Mit dem Tatbestandsmerkmal der "Weigerung" und dem Vortrag des Antragstellers hat sich der Senat im Beschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - (juris Rn. 28 f.) befasst. Auch in Ansehung der Ausführungen des Antragstellers in der Anhörungsrüge vom 31. August 2025, die der Senat mit Beschluss vom 23.  September 2025 - 11 VR 10.25 - zurückgewiesen hat, sowie in diesem Verfahren, hält er an seiner Auffassung zum Begriff der Weigerung i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG fest. Sie steht im Übrigen im Einklang mit § 150 Abs. 2 BGB. Danach gilt die Annahme eines Angebots unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als Ablehnung mit einem neuen Angebot. Da der Antragsteller das Angebot der Beigeladenen auf Überlassung des Besitzes an den Flächen unter Vorbehalt sämtlicher Entschädigungsansprüche nur unter der Voraussetzung der Regelung einer Vertragsstrafe anzunehmen bereit ist, liegt hierin eine Ablehnung des Angebots und damit eine Weigerung i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG."

20 Mit diesen Ausführungen setzt sich der Antragsteller nicht auseinander, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Wiederholung seines Vortrages aus früheren Verfahren. Soweit er in diesem Zusammenhang auf den Abbruch der Vertragsverhandlungen durch die Beigeladene verweist und damit eine Weigerung des Antragstellers i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG in Abrede stellt, dringt er auch damit nicht durch. Im Beschluss vom 27. August 2025 - 11 VR 8.25 - hat der Senat unter Rn. 29 auf folgendes hingewiesen:
".... Gegenstand der Weigerung in § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG ist die Einräumung des Besitzes unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche ab dem Zeitpunkt, in dem der Planfeststellungsbeschluss vollziehbar ist (vgl. § 44b Abs. 1 Satz 2 EnWG; BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 2024 - 11 VR 13.24 - juris Rn. 35). Will ein Betroffener die Besitzüberlassung von weiteren Erläuterungen, Darlegungen - oder wie hier - vertraglichen Zugeständnissen des Vorhabenträgers in Bezug auf die geplanten Maßnahmen abhängig machen, steht dies der Annahme einer Weigerung folglich nicht entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. November 2024 - 11 VR 10.24 - juris Rn. 20). Es kommt daher nicht auf die zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen im Einzelnen streitige Frage an, in welchen Punkten bereits Einigkeit erzielt war und welche Aussichten für eine einverständliche Lösung noch bestanden. Auch der Antragsgegner war nicht verpflichtet, dies weiter aufzuklären oder insoweit auf eine weitergehende, die Frage der Besitzüberlassung überschreitende Vereinbarung hinzuwirken."

21 Folglich genügt es für eine Weigerung i. S. v. § 44b Abs. 1 Satz 1 EnWG, dass der Antragsteller und die beigeladene Vorhabenträgerin - wie hier - versucht haben, eine einvernehmliche Lösung zu finden, und nach dem Scheitern der Verhandlungen der Antragsteller das Angebot der Beigeladenen auf Einräumung des Besitzes an den benötigten Flächen unter Vorbehalt aller Entschädigungsansprüche - zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 26. August 2025 - abgelehnt hat.

22 Dass der Antragsteller am 23. September 2025 von seiner Forderung nach einer Vertragsstrafenregelung abgerückt ist, obwohl er diese Forderung nach wie vor als berechtigt ansieht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses ist der Zeitpunkt seines Erlasses (BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2025 - 11 VR 12.25 - juris Rn. 11 m. w. N.) und noch in der mündlichen Verhandlung am 26. August 2025 hatte der Antragsteller die Erteilung einer Bauerlaubnis ohne Vertragsstrafenregelung abgelehnt.

23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an den Ziffern 34.2.4 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025.