Verfahrensinformation

Der 1. Wehrdienstsenat verhandelt erst- und letztinstanzlich über ein Wahlanfechtungs-verfahren. Sechs Vertrauenspersonen aus verschiedenen Einheiten der Bundeswehr haben die Wahl zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss vom Juni 2019 angefochten. Der Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung ist das oberste Personalvertretungsgremium der Soldatinnen und Soldaten. Er besteht aus 35 Mitgliedern, die alle vier Jahre von den Vertrauenspersonen der Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere gewählt werden. Hinzu kommen derzeit 28 soldatische Mitglieder des Hauptpersonalrats beim Bundesministerium der Verteidigung. Der Gesamtvertrauenspersonenausschuss wird zu allen Grundsatzregelungen des Ministeriums im personellen, sozialen und organisatorischen Bereich angehört und kann von sich aus Vorschläge zu den entsprechenden Dienstvorschriften und Organisationserlassen unterbreiten. Ausgenommen sind lediglich Rechtsverordnungen und Gesetze.


Die sechs Antragsteller rügen eine Reihe von formellen Fehlern bei der Wahlbekanntmachung sowie Unregelmäßigkeiten bei der Wahldurchführung. Insbesondere sei ein gewählter Unteroffiziersbewerber in einen falschen Wahlbereich eingruppiert worden; es hätten in verschiedenen Wahlbereichen nur unvollständige Wahlverzeichnisse vorgelegen; die Briefwahlunterlagen seien verspätet überlassen worden und im Bundeswehrkommando USA/Kanada sei die Bewerberliste weder bekanntgemacht noch ausgehändigt worden.


Gegenstand der Erörterung wird die Frage sein, ob die Wahlanfechtung zulässig ist., insbesondere ob die erforderliche Zahl von form- und fristgerechten Anfechtungserkärungen vorliegt. Das Bundesministerium der Verteidigung hält die Wahlanfechtung in der Sache für im Wesentlichen unbegründet. Die Mehrzahl der beanstandeten Bekanntmachungs- und Durchführungsfehler sei zweifelhaft und habe sich jedenfalls auf das Wahlergebnis nicht ausgewirkt. Lediglich die Eingruppierung des Unteroffiziersbewerbers in einen falschen Wahlbereich begegne Bedenken und könne zu einer partiellen Ungültigkeit der Wahl führen.


Pressemitteilung Nr. 45/2020 vom 30.07.2020

Anfechtung der Wahl zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss erfolglos

Die Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung vom Juni 2019 muss nicht wiederholt werden. Dies hat heute der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig entschieden. Nach eingehender Prüfung der eingereichten Wahlanfechtungserklärungen und der geltend gemachten Wahlmängel hat das Gericht die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. An der im Großen Sitzungssaal des Gerichts verkündeten Entscheidung haben neben drei Berufsrichtern auch drei Vertrauenspersonen der Bundeswehr als ehrenamtliche Richter mitgewirkt.


Die ungewöhnlich große Besetzung des Gerichts ist darauf zurückzuführen, dass das Soldatenbeteiligungsgesetz (SBG) der Wahl eine besondere Bedeutung beimisst. Der Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung ist das oberste Personalvertretungsgremium der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Er wird zu allen Grundsatzregelungen im personellen, sozialen und organisatorischen Bereich der Bundeswehr angehört und kann von sich aus Vorschläge zu den entsprechenden Dienstvorschriften und Organisationserlassen unterbreiten.


Bei der alle vier Jahre stattfindenden Wahl sind ca. 2300 Vertrauenspersonen der Bundeswehr wahlberechtigt. Sie geben ihre Stimmen in einer reinen Briefwahl ab. Für die unterschiedlichen Organisationsbereiche der Bundeswehr werden insgesamt 35 Repräsentanten der Mannschaftssoldaten, Unteroffiziere und Offiziere gewählt. Nach der letzten Wahl im Juni 2019 haben sechs Soldaten eine Reihe von formellen Fehlern im Wahlausschreiben, in der Gesamtbewerberliste und bei den Stimmzetteln geltend gemacht und Unregelmäßigkeiten bei der Wahldurchführung gerügt. Kurz vor der Sitzung hat ein Soldat seinen Anfechtungsantrag zurückgenommen.


Der 1. Wehrdienstsenat hat nach eingehender Erörterung der Rechtsfragen die Wahlanfechtung in erster und letzter Instanz als unzulässig zurückgewiesen. Nach § 52 Abs. 1 SBG muss die Wahl zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses von fünf Wahlberechtigten bei Gericht angefochten werden. Dieses Quorum von fünf wirksamen Anfechtungserklärungen ist nicht erreicht worden, denn eine Anfechtungserklärung stammte von einem nicht wahlberechtigten früheren Mitglied des 7. Gesamtvertrauenspersonenausschusses. Der Betreffende war zwar nach § 40 Abs. 2 Satz 1 SBG erneut wählbar, aber nicht selbst stimm- und wahlberechtigt. Die Anfechtungsbefugnis setzt jedoch nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut diese aktive Wahlberechtigung voraus. Für eine Ausweitung des Kreises der anfechtungsberechtigten Personen durch richterliche Rechtsfortbildung ist kein Raum. Damit lagen nicht die erforderlichen fünf, sondern nur vier wirksame Anfechtungserklärungen vor.


BVerwG 1 WB 20.19 - Beschluss vom 30. Juli 2020


Beschluss vom 30.07.2020 -
BVerwG 1 WB 20.19ECLI:DE:BVerwG:2020:300720B1WB20.19.0

Erfolgloses Wahlanfechtungsverfahren

Leitsatz:

Wer nur zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss wählbar ist, kann die Wahl nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG nicht anfechten.

  • Rechtsquellen
    SBG § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 52 Abs.1 und 3
    SBGWV § 52 Abs. 2 Satz 2
    WDO § 90 Abs. 2 Satz 2

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.07.2020 - 1 WB 20.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:300720B1WB20.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 WB 20.19

In dem Wahlanfechtungsverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung am 30. Juli 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberleutnant Gill,
den ehrenamtlichen Richter Hauptfeldwebel Kopp und
den ehrenamtlichen Richter Oberstabsgefreiter Kübler
beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I

1 Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Wahlanfechtungsantrag gegen die Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung.

2 1. Mit Wahlausschreiben vom 24. Januar 2019 teilte der beim Bundesministerium der Verteidigung gebildete Zentrale Wahlvorstand allen Dienststellen der Bundeswehr mit, dass die Amtszeit des 7. Gesamtvertrauenspersonenausschusses am 16. Juni 2019 ablaufe. Für die anstehende Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss würden dezentrale Wahlvorstände gebildet, die Wählerverzeichnisse angelegt und Bewerbungen entgegengenommen. Gleichzeitig gab er einen "Vorläufigen Zeitplan" für die Wahl bekannt. Am 4. April 2019 stellte er die Gesamtbewerberliste zusammen, gab sie allen Dienststellen der Bundeswehr bekannt und übersandte ab dem 26. April 2019 die Wahlunterlagen an die dezentralen Wahlvorstände. Am 6. Juni 2019 zählte er die bei ihm eingegangenen Wahlunterlagen aus, erstellte am 13. Juni 2019 die Gesamtwahlniederschrift und veröffentlichte diese am 14. Juni 2019 im Intranet der Bundeswehr. Die Wahlbeteiligung lag danach bei 60,63 %.

3 2. Am 19. Juni 2019 hat Hauptmann ... unter der Bezeichnung "vorläufiger Verfahrensbevollmächtigter" namens der Antragsteller beantragt, die Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung für ungültig zu erklären. Im Text der im Original unterschriebenen Vollmachten ermächtigen die Antragsteller zu 1, 2, 4 und 5 Hauptmann ... vorläufig mit der Wahrnehmung ihrer Rechte und beantragen, die Wahl für ungültig zu erklären. Für den Antragsteller zu 6 liegt eine solche Erklärung nur als Kopie vor. Bei der für den Antragsteller zu 3 beigefügten Vollmacht handelt es sich um den Ausdruck einer einfachen E-Mail gleichen Inhalts.

4 Zur Begründung des Wahlanfechtungsantrags macht der "vorläufige Verfahrensbevollmächtigte" neun im Einzelnen näher ausgeführte Wahlfehler geltend. Insbesondere entsprächen die Gesamtbewerberliste und die Stimmzettel nicht den Vorgaben des § 28 Abs. 2 Satz 1 SBGWV, weil darin nicht statthafte Zusatzinformationen aufgenommen worden seien, während die vorgeschriebenen Daten über den Beginn der Amtszeit fehlten. Diese Argumentation haben sich die Antragsteller später zu eigen gemacht.

5 Die Antragsteller beantragen,
die Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung für ungültig zu erklären.

6 Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
die Wahl zum 8. Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Bundesministerium der Verteidigung nicht für ungültig zu erklären und den Antrag zurückzuweisen.

7 Der Antrag sei unzulässig und unbegründet. Die geltend gemachten Wahlmängel seien überwiegend unwesentlich oder nicht für den Ausgang der Wahl erheblich. Zwar fehlten die Angaben über den Beginn der Amtszeit der Vertrauenspersonen in der Gesamtbewerberliste und auf den Stimmzetteln. Dieses Datum könne jedoch durch Rückrechnung aus der Angabe des Amtszeitendes ermittelt werden. Es handele sich auch nicht um eine wesentliche Wahlbestimmung.

8 3. Der Senatsvorsitzende hat mit Schreiben vom 27. Mai 2020 Hauptmann ... darauf hingewiesen, dass er nicht als Bevollmächtigter vor dem Bundesverwaltungsgericht auftreten könne, wenn er nicht die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst besitze. Hauptmann ... hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass dies bei ihm nicht der Fall sei. Ferner hat der Vorsitzende darauf aufmerksam gemacht, dass die Wahlanfechtungsbefugnis nach dem Gesetzeswortlaut von der Wahlberechtigung abhänge. Der Antragsteller zu 6 sei nach den Unterlagen als ehemaliges Mitglied des 7. Gesamtvertrauenspersonenausschusses zwar wählbar, aber nicht wahlberechtigt gewesen. Der Antragsteller zu 6 hat bestätigt, seinerzeit nicht mehr als Vertrauensperson tätig gewesen zu sein.

9 Der Senat hat mit den Beteiligten am 30. Juli 2020 die Sach- und Rechtslage in einer mündlichen Verhandlung erörtert. Kurz zuvor hat der Antragsteller zu 3 mitgeteilt, dass er die Wahlanfechtung nicht mehr unterstütze. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und der vom Zentralen Wahlvorstand vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

II

10 Der Wahlanfechtungsantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, weil die nach § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG erforderliche Anzahl von fünf wirksamen Anfechtungserklärungen nicht vorliegt.

11 1. Der Antrag ist zwar gemäß § 52 Abs. 1 SBG innerhalb von zwei Wochen nach Veröffentlichung des Wahlergebnisses beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen. Das Wahlergebnis wurde am 14. Juni 2019 im Intranet der Bundeswehr veröffentlicht und gilt damit gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 SBGWV als am 15. Juni 2019 bekanntgegeben. Der Wahlanfechtungsantrag ist bereits am 19. Juni 2019 bei Gericht und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach Bekanntgabe gestellt worden.

12 2. Es sind auch fünf formgerechte Anfechtungserklärungen eingegangen.

13 a) Der Antrag konnte zwar nicht von Hauptmann ... im Namen der Antragsteller gestellt werden, weil es ihm an der hierfür erforderlichen Postulationsfähigkeit fehlte. Über eine Wahlanfechtung wird nach § 52 Abs. 3 Satz 1 SBG unter entsprechender Anwendung der Wehrbeschwerdeordnung entschieden. Gemäß § 23a Abs. 1 WBO i.V.m. § 90 Abs. 2 Satz 2 WDO sind nur Personen als Verteidiger vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen, welche die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz (DRiG) haben oder die Voraussetzungen des § 110 Satz 1 DRiG (Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst) erfüllen. Dies ist bei Hauptmann ... nicht der Fall, so dass der von ihm gezeichnete Antrag nicht wirksam gewesen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 1975 - 1 WB 72.73 - BVerwGE 53, 53 <60 f.> zur früheren Rechtslage ohne Verweisungsnorm).

14 b) Es lagen gleichwohl fünf dem Schriftformerfordernis des § 17 Abs. 4 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO genügende Anträge vor. Denn die von Hauptmann ... in Kopie und später im Original vorgelegten unterschriebenen Vollmachten enthielten in ihrem Text zugleich eigene Anfechtungserklärungen der Antragsteller zu 1, 2, 4, 5 und 6. Da der Antragsteller zu 3 seine Wahlanfechtung später zurückgenommen hat, kommt es nicht mehr darauf an, dass seine nur durch einfache E-Mail abgegebene Erklärung - wie im Hinweisschreiben des Gerichts vom 27. Mai 2020 ausgeführt - ohnedies formunwirksam gewesen sein dürfte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Juli 2020 - 2 WRB 1.20 - Rn. 14 zu § 6 Abs. 2 WBO).

15 3. Antragsbefugt ist nach § 52 Abs. 1 SBG allerdings nur eine Gruppe von wenigstens fünf wahlberechtigten Personen, die gemeinsam die Gültigkeit der Wahl anfechten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 2017 - 1 WB 30.16 - BVerwGE 160, 247 Rn. 29 ff. und vom 17. Dezember 2018 - 1 WB 34.18 - Buchholz 450.1 § 1 WBO Nr. 2 Rn. 14). Dieses Mindest-Quorum ist nur erreicht, wenn alle fünf Antragsteller auch anfechtungsberechtigt sind.

16 Anfechtungsberechtigt bei der Wahl zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss sind gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG allerdings nur wahlberechtigte Personen. Aktiv wahlberechtigt sind nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SBG alle Vertrauenspersonen, die sich 21 Kalendertage vor dem Wahltag (hier dem 15. Mai 2019) im Amt befinden. Bewerber, die nach § 40 Abs. 2 SBG als Mitglieder des früheren Gesamtvertrauenspersonenausschusses erneut "wählbar", d.h. nur passiv wahlberechtigt sind, können die Wahl hingegen nach dem klaren Wortlaut des § 52 Abs. 1 Satz 1 SBG nicht selbst anfechten (Gronimus, Die Beteiligungsrechte der Vertrauenspersonen in der Bundeswehr, 8. Aufl. 2018, § 52 SBG Rn. 7).

17 Dass nur die aktiv Wahlberechtigten anfechtungsberechtigt sind, hat seinen Grund darin, dass sie aktuell als Vertrauenspersonen im Amt sind und dass diese Gruppe durch die Wahl im Gesamtvertrauenspersonenausschuss vertreten (repräsentiert) werden soll. Nur wenn eine genügende Zahl der aktiven Vertrauenspersonen das Wahlergebnis in Zweifel zieht, soll die Ordnungsgemäßheit der Wahl geprüft werden. Es liegt daher keine Regelungslücke in Bezug auf das Anfechtungsrecht der nur passiv wahlberechtigten früheren Mitglieder des Gesamtvertrauenspersonenausschusses vor, die im Wege der Analogie geschlossen werden müsste.

18 Von den fünf Antragstellern sind im vorliegenden Fall allerdings nur vier - wie vorgeschrieben - 21 Tage vor der Wahl als Vertrauenspersonen einer Einheit tätig und damit aktiv wahlberechtigt gewesen. Der Antragsteller zu 6 ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Vertrauensperson, sondern nur als Mitglied des 7. Gesamtvertrauenspersonenausschusses gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 SBG erneut wählbar gewesen. Er ist damit nicht anfechtungsberechtigt gewesen und das hat zur Folge, dass das von § 52 Abs. 1 SBG vorgeschriebene Quorum von fünf Wahlberechtigten nicht erreicht worden ist.