Beschluss vom 29.06.2022 -
BVerwG 4 B 6.22ECLI:DE:BVerwG:2022:290622B4B6.22.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 29.06.2022 - 4 B 6.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:290622B4B6.22.0]
Beschluss
BVerwG 4 B 6.22
- OVG Lüneburg - 18.11.2021 - AZ: 7 KS 3/13
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juni 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2021 ergangenen Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren und - unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Oberverwaltungsgerichts - für das erstinstanzliche Verfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Kläger wendet sich als Enteignungsbetroffener gegen die Planfeststellung für eine Hochspannungsfreileitung. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen (OVG Lüneburg, Urteil vom 18. November 2021 - 7 KS 3/13 -; zuvor OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Oktober 2016 - 7 KS 3/13 - DVBl 2017, 262; BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - BVerwGE 162, 114). Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet.
2 1. Der Kläger hat geltend gemacht, er sei unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 NVwVfG i. V. m. § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG nach einer Planänderung im Planaufstellungsverfahren nicht erneut beteiligt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat den Einwand aus drei Gründen zurückgewiesen: Der Kläger habe ihn nicht - wie geboten - binnen der Frist des § 6 Satz 1 UmwRG nach Einbeziehung des Planergänzungsbeschlusses in die Klage erneut erhoben (UA S. 19), der Beklagte sei zu einer erneuten Beteiligung nicht verpflichtet gewesen (UA S. 20 f.) und schließlich sei ein - unterstellter - Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG i. V. m. § 46 VwVfG unbeachtlich, weil er die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst habe (UA S. 21 f.).
3 Ist ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, setzt die Zulassung der Revision voraus, dass in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund erfolgreich geltend gemacht wird (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3 und vom 26. August 2019 - 4 BN 1.19 - NVwZ 2020, 326 Rn. 28; <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 139>). Hinsichtlich der dritten, selbständig das Urteil tragenden Begründung der Vorinstanz macht die Beschwerde keinen Zulassungsgrund geltend. Auf die hinsichtlich der anderen Begründungen geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision kommt es nicht an.
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2. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob in einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für den trassengleichen "Ersatzneubau" einer Hochspannungsfreileitung als Vorbelastungen nur die durch die abzubauende Bestandsleitung tatsächlich bereits verursachten oder auch die durch sie rechtlich "vorgegebenen" Auswirkungen berücksichtigt werden können.
5 Die Frage führt nicht zur Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom 12. Mai 2020 - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3).
6 Die Beschwerde möchte mit ihrer, keinem konkreten Tatbestandsmerkmal zugeordneten Frage die Grenze zwischen einer - aus ihrer Sicht zulässigen - Berücksichtigung einer Vorbelastung und einer - aus ihrer Sicht unzulässigen – "saldierenden" Berücksichtigung einer rechtlich verstandenen Prägung bestimmen lassen. Sie geht indes daran vorbei, dass nach dem Verständnis der Vorinstanz der Verträglichkeitsprüfung kein saldierender Ansatz zugrunde gelegt worden ist (UA S. 29); daran ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Die Einwände der Beschwerde gegen die Ausführungen zu Beschränkungen der Wuchshöhe und der Mastzahl wenden sich damit allein gegen die daran anknüpfende Beurteilung des Einzelfalls; eine solche Kritik legt den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dar.
7 Hiervon unabhängig zeigt die Beschwerde die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht auf. Die Hinweise auf die Senatsurteile vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - (BVerwGE 154, 73 Rn. 113 ff.) und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - (BVerwGE 157, 73) genügen nicht. Das Senatsurteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - (a. a. O. Rn. 118) betrifft nicht den Fall eines Ersatzbaus auf gleicher Trasse, sondern eines Neubaus auf einer anderen Trasse. Das Senatsurteil vom 15. Dezember 2016 (a. a. O.) äußert sich nicht zum Habitatschutzrecht. Allein der Umstand, dass beide Verfahren Planfeststellungsbeschlüsse für die Errichtung einer Leitung und Rückbau einer anderen zum Gegenstand hatten, führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage.
8 Schließlich legt die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit der Frage nicht hinreichend dar. Ihre nicht weiter erläuterte Auffassung, das Oberverwaltungsgericht habe hinsichtlich der Wuchshöhenbeschränkung und der Mastzahl einen rechtlich nicht benannten und klärungsbedürftigen "Saldierungsansatz" bzw. "überwirkenden Bestandsschutz" zugrunde gelegt, findet im angegriffenen Urteil keine Stütze.
9 3. Die Beschwerde rügt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO als verletzt, weil die Vorinstanz einen Einwand zum Artenschutzrecht nicht zutreffend zur Kenntnis genommen habe.
10 Insoweit verfehlt die Beschwerde die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt die Norm eine Darlegung, welches Vorbringen das Gericht (angeblich) nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt dieses Vorbringen für die Entscheidung von Bedeutung gewesen wäre (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42 und Beschluss vom 7. Februar 2022 - 4 BN 38.21 - juris Rn. 5). Auf der von der Beschwerde angeführten Stelle des Schriftsatzes vom 7. Mai 2021 ist - anders als behauptet - nicht ausdrücklich gerügt, bestimmte Schadensbegrenzungsmaßnahmen hätten nach Abschluss des Baus keine Wirkung mehr entfalten können; die Ausführungen vergleichen den Landschaftspflegerischen Begleitplan in der Fassung des Planfeststellungs- und in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses und beanstanden, die Bauarbeiten seien entgegen Bauzeitbeschränkungen ohne jahreszeitliche Beschränkungen durchgeführt worden. Hiervon unabhängig legt die Beschwerde nicht substantiiert dar, warum ein aus ihrer Sicht zutreffendes Verständnis des Vorbringens entscheidungserheblich gewesen wäre. Dazu genügt nicht der Vortrag, bestimmte Maßnahmen hätten bei richtigem Verständnis "in der Artenschutzprüfung nicht plausibel zugrunde gelegt werden" können.
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4. Hinsichtlich der fachplanerischen Alternativenprüfung hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob räumliche Trassenalternativen einer als "Ersatzneubau" bezeichneten Neuerrichtung einer abzubauenden Bestands-Freileitung andere und damit in der Abwägung auszuklammernde Vorhaben sind.
12 Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Das Oberverwaltungsgericht hat die Abwägung räumlicher Trassenalternativen selbständig tragend mit der Erwägung gebilligt, dass eine alternative Trasse im ursprünglichen Planfeststellungsverfahren nicht ersichtlich gewesen und im Zuge des Planänderungs- und -ergänzungsverfahrens eine hinreichend vertiefende Betrachtung eines alternativen Trassenverlaufs deutlich zum Ausdruck gebracht worden sei (UA S. 49). Einen Grund für die Zulassung der Revision insoweit macht die Beschwerde nicht geltend.
13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt dem Vorschlag in Nr. 34.2.3 ("Beeinträchtigung eines Landwirtschaftsbetriebes" - Haupterwerb) des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang). Ein Abschlag für den Abbau der Bestandsleitung ist nicht veranlasst. Der Senat hat den Streitwert nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG für die Vorinstanz von Amts wegen geändert. Dazu ist er im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde befugt (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2021 - 4 BN 61.20 - juris Rn. 7 f. m. w. N.).