Beschluss vom 09.10.2023 -
BVerwG 1 WNB 7.23ECLI:DE:BVerwG:2023:091023B1WNB7.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.10.2023 - 1 WNB 7.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:091023B1WNB7.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 7.23

  • TDG Nord 5. Kammer - 09.02.2023 - AZ: N 5 BLa 4/22 und N 5 RL 3/23

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch
am 9. Oktober 2023 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Soldaten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Nord vom 9. Februar 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Der Soldat trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht prozessordnungsgemäß dargelegt sind bzw. nicht vorliegen.

2 1. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO kommt der Sache nicht zu.

3 a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der vorliegenden Literatur ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren klärungsfähig sind Rechtsfragen, die sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten lassen, weil es maßgeblich auf konkrete Umstände des Einzelfalles ankommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2023 - 1 WNB 6.22 - juris Rn. 3 m. w. N.).

4 b) Die vom Antragsteller aufgeworfenen Rechtsfragen,
"ob die Erteilung eines Befehls, der ungeachtet jeglicher ggf. bestehender persönlicher Kontraindikationen, ohne Anamnese vor der unmittelbaren Injektion und ausschließlich und nur die Injektion (eines Arzneimittels) verlangt, eine strafbare Befehlsbefugnisüberschreitung nach § 38 WStG darstellt und/oder rechtswidrig ist",
und
"ob ein Vorgesetzter sich wegen Anmaßen von Befehlsbefugnissen nach § 38 WStG strafbar macht, wenn er entgegen den Dienstvorschriften (vgl. § 10 Abs. 4 SG) von Soldaten die Offenbarung seines Impfstatus verlangt ... und/oder dadurch einen rechtswidrigen Befehl erteilt",
rechtfertigen keine Zulassung der Rechtsbeschwerde.

5 aa) Die erste Rechtsfrage verlangt die Zulassung der Rechtsbeschwerde deshalb nicht, weil diese Frage in diesem Verfahren nicht entscheidungserheblich ist und sie sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren auch nicht stellen würde.

6 Das Truppendienstgericht hatte in der angefochtenen Entscheidung darüber zu befinden, ob der an den Antragsteller gerichtete Befehl des Leiters ..., sich eigenverantwortlich um die Erstimmunisierung gegen das SARS-CoV-2-Virus zu kümmern, rechtswidrig gewesen ist. Diesem Befehl lässt sich nicht entnehmen, dass die Erstimmunisierung unabhängig von einer individuellen medizinischen Kontraindikation und ohne eine vorherige Anamnese zur Feststellung einer entsprechenden Indikation erfolgen soll. Damit fehlt es schon an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme des Antragstellers, mit dem Befehl mache sich der Befehlsgeber nach § 38 WStG strafbar. Die Feststellungen der Vorinstanz zum Inhalt des Befehls sind nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffen worden.

7 Soweit der Antragsteller auf die Ausführungen des Senats unter Rn. 31 des Beschlusses vom 7. Juli 2022 - 1 WB 2.22 - (BVerwGE 176, 138) verweist, führt dies nicht weiter. Der Senat hat dort klargestellt, dass Gegenstand des dort zu entscheidenden Verfahrens nur der allgemeine Verwaltungserlass zur Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in die Liste der verpflichtenden Basisimpfungen sei und der zu verwendende Impfstoff in dem Erlass nicht definitiv festgelegt werde; dies geschehe erst dann, wenn der jeweilige Soldat keinen gültigen Impfnachweis vorgelegt, der Truppenarzt dessen medizinische Impftauglichkeit festgestellt und den infrage kommenden Impfstoff bestimmt habe; dann befehle der Disziplinarvorgesetzte einzelfallbezogen gegenüber dem betroffenen Soldaten die Duldung einer bestimmten Impfung mit einem konkreten Impfstoff. Zu den konkreten Voraussetzungen eines Befehls zur Durchsetzung der besagten Duldungspflicht hat sich der Senat dagegen - anders als der Antragsteller meint - nicht geäußert und insoweit auch keine Vorgaben gemacht, deren Missachtung zur Rechtswidrigkeit eines entsprechenden Befehls führen könnte.

8 bb) Die zweite Rechtsfrage würde sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren so nicht stellen und könnte damit auch einer grundsätzlichen Klärung nicht zugeführt werden, weil sich aus den mit der Rechtsbeschwerde bezeichneten Dienstvorschriften nicht ergibt, dass einem Soldaten nicht befohlen werden darf, einen Impfnachweis nach erfolgter Impfung vorzulegen. Der Verweis auf Nr. 204 Satz 3 der Zentralen Dienstvorschrift A-800/3 "Ärztliche Schweigepflicht" verfängt schon deshalb nicht, weil sich diese Regelung nur auf die Offenlegung von Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit ärztlichen Empfehlungen zu Einschränkungen bei dienstlichen Tätigkeiten oder der Möglichkeit zur Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten bezieht; zur Offenbarung des Impfstatus äußert sich die Regelung hingegen nicht. Entsprechende Bezüge lassen sich auch nicht in Nr. 209, 401 und 801 der Zentralen Dienstvorschrift A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" finden. Auch aus dem strafrechtlichen Verbot der Verletzung von Privatgeheimnissen aus § 203 StGB folgt nichts für die Frage, ob ein Soldat dienstlich im Zusammenhang mit seiner Duldungspflicht aus § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zur Offenlegung seines Impfstatus verpflichtet werden kann.

9 Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde aus Nr. 210 und Abschnitt 4.2 ZDv A-840/8 sowie der AR A-1-840/8-4000 meint ableiten zu können, dass der Antragsteller nicht als aktiver Soldat automatisch auch ohne die Aufnahme in eine Stellenbesetzungsliste für eine Einsatzoption unter die Duldungspflicht fällt, ist bereits geklärt, dass diese Rechtsauffassung unzutreffend ist, weil nach der Regelungstechnik der fraglichen Erlasse alle aktiven Soldatinnen und Soldaten zum "Hilfs- und Katastrophenschutz Inland" zählen, sodass sie für das dafür vorgesehene Impfschema duldungspflichtig sind (BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 26). Die Bestimmungen in Nr. 209 und 801 ZDv A-840/8 geben bereits nach ihrem eindeutigen Wortlaut nichts für die Rechtsauffassung des Antragstellers her.

10 2. Soweit der Antragsteller seine Ausführungen zu den Abweichungen der angefochtenen Entscheidung von dem Beschluss des Senats vom 7. Juli 2022 - 1 WB 2.22 - (BVerwGE 176, 138) der Sache nach als Divergenzrüge (§ 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO) verstanden wissen möchte, dringt er damit schon deshalb nicht durch, weil diese Rüge nicht prozessordnungsgemäß dargelegt ist.

11 Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die gemäß § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrunds der Divergenz voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, den angefochtenen Beschluss tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2017 - 1 WNB 3.16 - juris Rn. 13 m. w. N.). Der Hinweis auf eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung formulierten Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen dagegen nicht (BVerwG, Beschluss vom 12. April 2018 - 2 WNB 3.18 - juris Rn. 4).

12 Nach diesen Maßstäben lässt sich nicht erkennen, inwiefern das Truppendienstgericht einen von dem Beschluss des Senats vom 7. Juli 2022 abweichenden Rechtssatz aufgestellt haben sollte. Entsprechende Rechtssätze benennt die Nichtzulassungsbeschwerde weder ausdrücklich noch der Sache nach. Die Darlegungen des Antragstellers beschränken sich darauf, eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung der in der besagten Senatsentscheidung aufgestellten Rechtssätze zu beanstanden.

13 3. Verfahrensmängel im Sinne von § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO sind gleichfalls nicht ausreichend dargelegt. Bei der Geltendmachung einer Verfahrensrüge ist nach § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO die verletzte Verfahrensvorschrift zu bezeichnen. Ferner ist neben den Tatsachen, aus denen sich der Mangel ergeben soll, insbesondere darzulegen, inwiefern die Entscheidung auf der Verletzung beruhen kann. Diesen Erfordernissen genügt das Vorbringen des Antragstellers offensichtlich nicht. Das gilt auch mit Blick auf seine Kritik an einer angeblich unzureichenden Sachverhaltsaufklärung durch das Truppendienstgericht (vgl. zu den an eine Aufklärungsrüge zu stellenden und hier nicht ansatzweise erfüllten detaillierten Darlegungsanforderungen BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2023 - 1 WNB 6.22 - juris Rn. 11 m. w. N.).

14 4. Im Übrigen beschränkt sich die Nichtzulassungsbeschwerde darauf, nach Art einer Berufung inhaltliche Einwände gegen die Richtigkeit der truppendienstgerichtlichen Entscheidung geltend zu machen. Auch dies vermag den Darlegungsanforderungen offensichtlich nicht zu entsprechen, weil die Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung im Ernstfall keinen der Zulassungsgründe erfüllen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Oktober 2016 - 1 WNB 2.16 - juris Rn. 9).

15 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.