Beschluss vom 14.12.2022 -
BVerwG 1 B 51.22ECLI:DE:BVerwG:2022:141222B1B51.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.12.2022 - 1 B 51.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:141222B1B51.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 51.22

  • VG Osnabrück - 22.03.2018 - AZ: 7 A 90/16
  • OVG Lüneburg - 14.04.2022 - AZ: 2 LB 12/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. April 2022 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) (1.) und auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) (2.) gestützte Beschwerde war zu verwerfen, weil ihre Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

3 1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.).

4 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen zuzulassen,
"Welche Anforderungen sind an die Annahme einer 'starken Vermutung' [vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2020 - C-238/19] für eine Verknüpfung zwischen der Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) genannten Voraussetzungen mit einem der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 3 i.V.m. § 3b AsylG) genannten Verfolgungsgründe - sowie deren Widerlegung - zu stellen und welche Bedeutung kommt einer solchen 'starken Vermutung' im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) zu?
bzw.
Ist im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 19.11.2020 - C-238/19 - mit einer starken Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU an einen der Verfolgungsgründe aus Art. 10 RL 2011/95/EU anknüpfen entweder hinsichtlich der Überzeugungsbildung gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder hinsichtlich der Verteilung der Beweislast im Bereich des Art. 9 Abs. 2 lit. e RL 2011/95/EU bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ein von der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG schutzorientiert ein abweichender Maßstab dahingehend anzuwenden, dass eine Versagung der Flüchtlingseigenschaft gegen diese 'starke Vermutung' nur möglich ist, wenn diese nach Überzeugung des Tatrichters vollständig widerlegt ist, verbleibende Zweifel also zur Schutzgewährung führen ('benefit of doubt') bzw. die Last der Nichterweislichkeit oder eines Nonliquet der Beklagten zufällt und ist dieser für den Schutzsuchenden günstigere Maßstab neben der Feststellung der Konnexität auch bei der Feststellung der Gefahr der Verfolgungshandlung und des Bestehens des Verfolgungsgrundes anzulegen?",

5 weil deren Entscheidungserheblichkeit schon nicht dargelegt ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

6 Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. Januar 2013 - 4 BN 18.12 - juris Rn. 2 und vom 17. September 2019 - 1 B 41.19 (1 PKH 20.19 ) - juris Rn. 7). Die Beschwerde setzt sich indessen nicht substantiiert damit auseinander, dass das Berufungsgericht seine Auffassung, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung liege auch unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor, nicht allein auf die fehlende Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund stützt. Vielmehr führt das Berufungsgericht ausdrücklich aus (BA S. 8), die Voraussetzungen seien "in zweifacher Hinsicht" nicht erfüllt, da der Senat "[z]um einen" – und insoweit selbstständig tragend - bereits nicht davon ausgehe, dass der Wehr- bzw. Reservedienst in der syrischen Armee Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fielen.

7 Zur näheren Begründung seiner Einschätzung nimmt das Berufungsgericht zudem vollumfänglich Bezug auf seine Urteile vom 22. April 2021 (- 2 LB 147/18 und 408/20 -). Nach den dortigen Ausführungen liegt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung unter Berücksichtigung des in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG aufgenommenen Regelbeispiels einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG nicht vor, weil nach dem aktuellen Stand des Konflikt- bzw. Kriegsgeschehens die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG im Falle des Wehr- bzw. Reservedienstes in der syrischen Armee nicht (mehr) als erfüllt anzusehen seien (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 408/20 - S. 30 bis 34 bzw. juris Rn. 72 ff., ebenfalls unter ausdrücklichem Hinweis, dass die Anforderungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG "in zweifacher, die Entscheidung jeweils selbstständig tragender Weise" nicht als erfüllt anzusehen sind).

8 Entgegen der Auffassung der Beschwerde bezieht sich die vom Gerichtshof postulierte "starke Vermutung" nicht auf die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG als solche; dass der Militärdienst in einem Konflikt Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, ist deshalb unabhängig von einer Vermutung festzustellen.

9 Die aufgeworfene Grundsatzfrage setzt indes das - vom Berufungsgericht gerade verneinte - Vorliegen einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG als gegeben voraus und bezieht sich allein auf die weitere, die Entscheidung ebenfalls selbstständig tragende ("Zum anderen", BA S. 8), Erwägung der fehlenden Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund (vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 22. April 2021 - 2 LB 408/20 - S. 34 bzw. juris Rn. 80 "Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ..."). Entgegen der Annahme der Beschwerdebegründung lassen die Entscheidungsgründe des Berufungsbeschlusses nicht erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die nötige Überzeugungsgewissheit hinsichtlich der Verneinung des Vorliegens einer Verfolgungshandlung verfehlt.

10 Unabhängig davon fehlt es auch insoweit an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, weil das Berufungsgericht die (geänderten) tatsächlichen Verhältnisse (im Ergebnis abweichend von der Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Januar 2021 - 3 B 109.18 - juris) dahin gewürdigt hat, dass die vom Gerichtshof der Europäischen Union postulierte "starke Vermutung" eines Konnexes von (unterstellter) Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund als widerlegt anzusehen sei. Keine andere Beurteilung rechtfertigt daher, dass der Senat mit Beschluss vom 20. Juli 2021 - 1 B 26.21 (1 C 21.21 ) - gegen das vom Berufungsgericht benannte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zur Klärung der Frage - auf die sich der Kläger eingangs ebenfalls beruft - zugelassen hat,
"welche Anforderungen an die Annahme einer 'starken Vermutung' (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 - C-238/19 - RN. 57) für eine Verknüpfung zwischen der Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG) genannten Voraussetzungen mit einem der in Art. 10 der Richtlinie 2011/95/EU (§ 3a Abs. 3 i. V. m. § 3b AsylG) genannten Verfolgungsgründe - sowie deren Widerlegung - zu stellen sind und welche Bedeutung einer solchen 'starken Vermutung' im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) zukommt."

11 Denn insoweit sind im hier vorliegenden Fall nicht Fragen des rechtlichen Maßstabes, sondern der tatrichterlichen Bewertung betroffen.

12 2. Ein Verfahrensfehler, der zur Zulassung der Revision führte (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), ist ebenfalls nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet.

13 2.1 Dies gilt zunächst, soweit die Beschwerde einen Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) darin sieht, dass das Berufungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.

14 Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ist das sich auf die Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung beziehende Einstimmigkeitserfordernis erfüllt, steht die Entscheidung, ob ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss befunden wird, im Ermessen des Gerichts. Die Grenzen des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessens sind weit gezogen (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 11 m. w. N.). Mit dem Grad der Schwierigkeit der Rechtssache wächst auch das Gewicht der Gründe, die gegen die Anwendung des § 130a VwGO und für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sprechen. Die Grenzen von § 130a Satz 1 VwGO sind erreicht, wenn im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 12 m. w. N.).

15 Daran gemessen ist nicht dargelegt, dass die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens nach § 130a VwGO hier ermessensfehlerhaft gewesen sei.

16 a) Das Berufungsgericht hat die Beteiligten zu seiner Absicht, durch Beschluss nach § 130a VwGO zulasten des Klägers zu entscheiden, mit Verfügung vom 10. März 2022 vorab gehört. Dabei hat es auf seine im April 2021 ergangenen Urteile Bezug genommen, nach denen syrischen Staatsangehörigen, die sich als Rekruten oder Reservisten durch Flucht ins Ausland dem Wehrdienst entzogen haben, nicht aufgrund einer deshalb unterstellten oppositionellen Gesinnung politische Verfolgung durch den syrischen Staat drohe und ebenso wenig mit der Ableistung des Wehrdienstes in der syrischen Armee für nach Syrien zurückkehrende Wehrpflichtige in der Regel eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Kriegsverbrechen verbunden sei. Das Gericht hat ausdrücklich mitgeteilt, es sei beabsichtigt, dem Berufungsbegehren der Beklagten zu entsprechen. Der Kläger hat sich innerhalb der gesetzten Äußerungsfrist zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 130a VwGO nicht geäußert und insbesondere weder neu zur Sache vorgetragen noch einen Beweisantrag zu einer bestimmten Beweistatsache gestellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2007 - 5 B 157.07 (5 PKH 28.07 ) - juris). Damit bestand für das Berufungsgericht kein Anlass, von einer Entscheidung nach § 130a VwGO abzusehen oder seine Ermessensentscheidung zu ergänzen. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach dann keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden muss, wenn die Rechtssache keine Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft, die sich nicht unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen (EuGH, Urteil vom 26. Juli 2017 - C-348/16 [ECLI:​EU:​C:​2017:​591], Moussa Sacko - Rn. 47 m. w. N.). Für die Berufungsinstanz gelten jedenfalls keine strengeren Maßstäbe (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 29. Oktober 1991 - Nr. 22/1990/213/275, Helmers - NJW 1992, 1813).

17 b) Ebenso wenig gebot Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Norm findet auf den vorliegenden Rechtsstreit keine direkte Anwendung (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 15 m. w. N.). Davon unberührt bleibt, dass die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 EMRK entwickelten Anforderungen bei konventionskonformer Anwendung im Rahmen der Ermessensausübung nach § 130a VwGO vom Berufungsgericht zu berücksichtigen sind.

18 c) Das nach nationalem Recht in konventionskonformer Auslegung eröffnete Ermessen, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, war hier auch nicht mit Blick auf Unionsrecht eingeschränkt oder ausgeschlossen.

19 Weder Art. 46 RL 2013/32/EU noch Art. 47 Abs. 1 und 2 GRC oder eine andere Bestimmung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sehen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem mit dem Rechtsbehelf befassten Gericht zwingend vor. Jedenfalls dann, wenn das Gericht der Auffassung ist, dass es seiner Verpflichtung zur umfassenden ex-nunc-Prüfung des Rechtsbehelfs nach Art. 46 Abs. 3 RL 2013/32/EU allein auf der Grundlage des Akteninhalts einschließlich der Niederschrift oder des Wortprotokolls der persönlichen Anhörung des Antragstellers nachkommen kann, kann es die Entscheidung treffen, den Antragsteller im Rahmen des Rechtsbehelfs nicht anzuhören und von einer mündlichen Verhandlung abzusehen (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 16 m. w. N.). Davon ausgehend hat die Beschwerde keine Gründe aufgezeigt, aus denen das Berufungsgericht unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

20 d) Das Ermessen des Berufungsgerichts, im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO zu entscheiden, war auch nicht dadurch eingeschränkt, dass bereits die Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit Zustimmung der Beteiligten (und damit ohne den Beteiligten die Möglichkeit des persönlichen Vortrages zu nehmen) ohne mündliche Verhandlung ergangen ist.

21 Zwar verlangt die bei der Ermessensausübung zu beachtende Regelung des Art. 6 Abs. 1 EMRK nach der ständigen, auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die Beteiligten im gerichtlichen Verfahren mindestens einmal die Gelegenheit erhalten, zu den entscheidungserheblichen Rechts- und Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Wenn die Beteiligten in der ersten Instanz Gelegenheit zu einer mündlichen Verhandlung hatten und sie freiwillig und ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO), steht dem Berufungsgericht die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 130a VwGO aber grundsätzlich offen. Auf die Gründe, aus denen ein Beteiligter von der ihm in erster Instanz jedenfalls eröffneten Möglichkeit, in einer mündlichen Verhandlung persönlich zur Sache vorzutragen, keinen Gebrauch gemacht hat, kommt es dabei nicht an (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 19 m. w. N.).

22 e) Allein aus dem Hinweis des Klägers, dass eine schwierige, volatile und unklare Sach- und Rechtslage bestehe und daher vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tagesaktuelle Erkenntnisse heranzuziehen seien, folgt nicht die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Dass das Berufungsgericht von einer nicht hinreichend aktuellen Erkenntnislage ausgegangen sei, legt die Beschwerde nicht einmal ansatzweise dar.

23 2.2 Die Rüge, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO sei verletzt, weil die richterliche Überzeugungsbildung einschließlich der Sachverhalts- und Beweiswürdigung in nicht unionsrechtskonformer Weise erfolgt sei, legt schon im Ansatz einen Verfahrensfehler nicht dar.

24 Denn Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272> und Beschluss vom 4. Mai 2020 - 1 B 17.20 - juris Rn. 4). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung ("Überzeugungsgrundsatz") im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Beschluss vom 25. April 2018 - 1 B 11.18 - juris Rn. 3 m. w. N.; ferner BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 58 Rn. 20 und vom 5. Oktober 2021 - 1 B 63.21 - juris Rn. 9). Dies wird mit der der Sache nach allein erhobenen Rüge eines unzutreffenden rechtlichen Prüfungsmaßstabes nicht hinreichend geltend gemacht (vgl. zum Ganzen auch bereits BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 95.21 - juris Rn. 21 ff.).

25 Unabhängig davon bezöge sich dieser Verfahrensfehler - seine im Übrigen hinreichend substantiierte Bezeichnung unterstellt - ebenfalls auf die Frage eines Zusammenhanges von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund und nicht auf die selbstständig tragende Verneinung einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.

26 2.3 Soweit die Beschwerde darüber hinaus eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 Abs. 1 VwGO) geltend macht, weil der Kläger persönlich anzuhören gewesen wäre, um seine Beweggründe für die Entziehung von der Wehrpflicht zu ermitteln, verfehlt sie ebenfalls die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

27 Die Beschwerde legt schon nicht dar, weshalb die aus ihrer Sicht aufklärungsbedürftige Motivation des Klägers für seine Wehrdienstentziehung nach der insoweit allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblich sein und damit der angefochtene Beschluss im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf dem vermeintlichen Verfahrensfehler beruhen könnte.

28 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

29 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.