Verfahrensinformation

Der Kläger wendet sich gegen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses. Das Vorhabengrundstück liegt im unbeplanten Innenbereich. Auf dem benachbarten Grundstück des Klägers befindet sich ein Gebäudekomplex mit Büro- und Wohnräumen. Bei Erteilung der Genehmigung ging der Beklagte davon aus, dass die unmittelbare Umgebung des Vorhabengrundstücks einem Mischgebiet entspreche. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben: Das Vorhabengrundstück liege in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet. Ein Feuerwehrgerätehaus gehöre zu den "Anlagen für Verwaltungen" und sei dort gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB und § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig. Dass der Beklagte keine Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme getroffen habe, verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten, weil ihm kein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zustehe. Das Vorhaben erweise sich aber als rücksichtslos.


Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Ein Nachbar könne auf der Grundlage des Anspruchs auf Wahrung der Gebietsart nur eine bauliche Nutzung verhindern, die ihrer Art nach weder regelmäßig noch ausnahmsweise in dem jeweiligen Baugebiet zulässig sei. Weiter gehe sein Abwehranspruch auch dann nicht, wenn die Baugenehmigungsbehörde das Erfordernis einer Ausnahme verkannt habe. Das Vorhaben erweise sich nach dem Ergebnis einer Sonderfallprüfung auch nicht als rücksichtslos.


Der Senat hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob der Gebietserhaltungsanspruch einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB umfasst.


Beschluss vom 15.09.2020 -
BVerwG 4 B 46.19ECLI:DE:BVerwG:2020:150920B4B46.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.09.2020 - 4 B 46.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:150920B4B46.19.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 46.19

  • VG Münster - 05.04.2017 - AZ: VG 2 K 1345/15
  • OVG Münster - 23.09.2019 - AZ: OVG 10 A 1114/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Klägerinnen zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2019 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen werden zurückgewiesen.
  2. Auf die Beschwerde des Klägers zu 3 wird die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2019 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen aufgehoben. Die Revision des Klägers zu 3 wird zugelassen.
  3. Die Klägerinnen zu 1 und 2 tragen die Gerichtsgebühren für die Zurückweisung der Beschwerde je zur Hälfte; im Übrigen ist das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Klägerinnen zu 1 und 2 zu je 1/3, ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren insgesamt auf 30 000 € festgesetzt, für den erfolglos gebliebenen Teil der Beschwerde auf 20 000 €. Für das Revisionsverfahren des Klägers zu 3 wird der Wert des Streitgegenstandes vorläufig auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die Beschwerde des Klägers zu 3 ist begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Revisionsverfahren gibt voraussichtlich Gelegenheit zur Klärung der Frage, ob der Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen (Gebietserhaltungsanspruch) einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB umfasst.

2 2. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Beschwerden der Klägerinnen zu 1 und 2 bleiben ohne Erfolg. Die Rechtssachen haben nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Klägerinnen ihnen beimessen.

3 Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4 und vom 12. Mai 2020 - 4 BN 3.20 - juris Rn. 3).

4 a) Die Fragen zur Gebietsverträglichkeit eines Feuerwehrgerätehauses im allgemeinen Wohngebiet und zum Inhalt des Gebietserhaltungsanspruchs bei Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB wären in einem Revisionsverfahren der Klägerinnen zu 1 und 2 nicht entscheidungserheblich. Denn sie setzen einen Gebietserhaltungsanspruch voraus, der diesen Klägerinnen nicht zusteht.

5 Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, Urteile vom 11. Mai 1989 - 4 C 1.88 - BVerwGE 82, 61 <75>, vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 <155 ff.>, vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 <375 ff.> und vom 9. August 2018 - 4 C 7.17 - BVerwGE 162, 363 Rn. 15). Diese Grundsätze lassen sich auf den Schutz von Nachbarn, deren Grundstücke in demselben faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB liegen, übertragen (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Dezember 2011 - 4 B 32.11 - BauR 2012, 1218 und vom 10. Januar 2013 - 4 B 48.12 - BauR 2013, 934).

6 Dagegen besteht grundsätzlich kein gebietsübergreifender, von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiger Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen. Stehen Grundstücke nicht in dem für ein Plangebiet typischen wechselseitigen Verhältnis, das sie zu einer bau- und bodenrechtlichen Schicksalsgemeinschaft zusammenschließt, fehlt es an dem spezifischen bauplanungsrechtlichen Grund, auf dem der nachbarschützende - von konkreten Beeinträchtigungen unabhängige - Gebietserhaltungsanspruch als Abwehrrecht beruht (BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 - 4 B 55.07 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 32 und vom 10. Januar 2013 - 4 B 48.12 - BauR 2013, 934).

7 Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts liegen die Grundstücke der Klägerinnen zu 1 und zu 2 im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Kolpingsiedlung II", der für das Grundstück der Klägerin zu 1 ein allgemeines Wohngebiet und für das Grundstück der Klägerin zu 2 ein Mischgebiet festsetzt. Das Vorhabengrundstück liegt dagegen im unbeplanten Innenbereich der Beigeladenen (UA S. 2 f.). Damit fehlt es an einem gebietsinternen, wechselseitigen Austauschverhältnis als Voraussetzung eines Gebietserhaltungsanspruchs. Daran vermag der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht zum Zwecke der Prüfung einer Rechtsverletzung unterstellt hat, das Grundstück der Klägerin zu 1 und das Vorhabengrundstück lägen in "demselben allgemeinen Wohngebiet" (UA S. 11 f.), nichts zu ändern.

8 b) aa) Zu der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen ergänzenden Prüfung im Sonderfall nach Nr. 3.2.2 TA Lärm wirft die Beschwerde folgende Fragen auf:
Erfordert die Zumutbarkeitsprüfung von Immissionsrichtwertüberschreitungen durch ein Feuerwehrgerätehaus in einem allgemeinen Wohngebiet unter dem Gesichtspunkt der örtlichen Ausprägung der Sozialadäquanz nur, dass der ins Auge gefasste Standort bei isolierter Betrachtung als geeignet befunden wird, oder ist eine Standortalternativenprüfung erforderlich?
Ist eine solche Prüfung jedenfalls dann erforderlich, wenn die gebietsbezogenen Immissionsrichtwerte für allgemeine Wohngebiete sowohl hinsichtlich des Dauerschallpegels als auch beim Spitzenpegel deutlich überschritten werden? Können allenfalls knapp unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr liegende Immissionswertüberschreitungen als sozialadäquat eingestuft werden, wenn nicht einmal geklärt ist, ob andere Standorte in Betracht kommen, an denen solche Pegelüberschreitungen nicht zu befürchten sind?

9 Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>).

10 In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die baurechtliche Prüfung - im Gegensatz zum Planfeststellungsrecht mit seiner aus dem Abwägungsgebot als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eröffneten Alternativenprüfung (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - 4 C 15.83 - BVerwGE 71, 166 <171 f.>) - an das aus dem Bauantrag ersichtliche Vorhaben gebunden ist. Zu prüfen ist, ob das Vorhaben an dem gewählten Standort Nachbarrechte verletzt. Ist dies nicht der Fall, kann es nicht durch einen Hinweis auf einen vermeintlich besser geeigneten Alternativstandort zu Fall gebracht werden (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1997 - 4 B 97.97 - NVwZ-RR 1998, 357). Dies gilt auch hier.

11 bb) Sofern die Beschwerden geklärt wissen möchten, ob eine Standortalternativenprüfung hätte vorgenommen werden müssen, weil das Oberverwaltungsgericht die Durchführung einer ergänzenden Prüfung des Sonderfalls unter anderem mit der besonderen Standortbindung des Vorhabens begründet hat, lässt sich auch dies ohne Revisionsverfahren verneinen.

12 Der TA Lärm kommt eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG konkretisiert. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsschutzrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt (BVerwG, Urteile vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 und vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 - BVerwGE 145, 145 Rn. 18). Das Regelungskonzept der TA Lärm lässt aber für eine einzelfallbezogene tatrichterliche Würdigung insofern Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffnet (BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 - 4 B 3.14 - UPR 2014, 313 Rn. 6).

13 Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass hier Umstände vorliegen, die bei der Regelfallprüfung nach Nr. 3.2.1 TA Lärm keine Berücksichtigung finden, nach Art und Gewicht jedoch wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung haben, ob die Anlage zum Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen relevant beiträgt. Hierbei hat es unter anderem berücksichtigt, dass gemäß Nr. 3.2.2 Buchst. b TA Lärm eine besondere Standortbindung der zu beurteilenden Anlage besteht, die sich auf die Akzeptanz der Geräuschimmissionen auswirken kann. Es ist davon ausgegangen, dass die wirksame und zuverlässige Erfüllung der Aufgabe der Feuerwehr die Errichtung von Feuerwehrhäusern in der Nähe der zu schützenden Wohnbebauung und ihrer Bewohner voraussetze. Für einen Standort der Freiwilligen Feuerwehr sei neben der Verfügbarkeit eines ausreichend großen Grundstücks wesentlich, dass er günstig an das Verkehrsnetz angebunden sei, die Abdeckung des ihm zugewiesenen Einsatzradius entsprechend der vorgegebenen Hilfsfristen ermögliche und räumlich so in das Wohnumfeld eingebunden sei, dass die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr ihn in kürzester Zeit erreichen und die mit der Alarmierung beginnenden Ausrückzeiten eingehalten werden könnten. Die sich aus diesen Kriterien ergebende Standortbindung sei ein Umstand, der sich auf die Akzeptanz der einsatzbedingten Immissionen auswirken könne (UA S. 19 f.). Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

14 Die Würdigung, ob aufgrund solcher und weiterer Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmissionen eine ergänzende Prüfung im Sonderfall durchzuführen ist, ist Aufgabe der Tatsachengerichte (BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 - 4 B 3.14 - UPR 2014, 313 Rn. 9; siehe auch Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 31 zur Vergabe eines Impulszuschlags). Eine Alternativenprüfung sieht die TA Lärm aber auch im Fall einer Sonderfallprüfung nicht vor.

15 c) Die ebenfalls im Zusammenhang mit der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen ergänzenden Prüfung im Sonderfall aufgeworfenen Fragen:
Ist die Schwelle der zumutbaren Geräuschimmissionen durch ein Feuerwehrgerätehaus gegenüber im allgemeinen Wohngebiet gelegener Wohnbebauung verletzt, wenn nachts beim Dauerschallpegel der für allgemeine Wohngebiete geltende Immissionsrichtwert von 40 dB(A) und beim Spitzenpegel sogar der Immissionsrichtwert für Gewerbegebiete von 70 dB(A) deutlich überschritten wird?
Gilt ausnahmsweise dann etwas anderes, wenn die Richtwertüberschreitung vergleichsweise selten (etwa 25 mal jährlich) erwartet wird, ohne dass die Genehmigung des Feuerwehrgerätehauses den zulässigen Einsatzbetrieb hierauf beschränkt?
Ist die Grenze der Zumutbarkeit überschritten, wenn der Anwohner im allgemeinen Wohngebiet vor die Wahl gestellt wird, entweder zur Wahrung seiner Schlafbedürfnisse bei geschlossenem Fenster zu schlafen oder unvermitteltes Aufwachen wegen massiver Spitzenpegelüberschreitungen durch nächtliche Feuerwehreinsätze hinzunehmen?
Darf in dieser Situation auf bauliche oder organisatorische Maßnahmen zur Lärmminderung bereits deshalb verzichtet werden, weil - trotz erheblicher Immissionsrichtwertüberschreitungen - die Schwelle der Gesundheitsgefahr nicht überschritten ist?
Stellt damit die Wahrung der Schwelle der Gesundheitsgefahr letztlich den einzigen Maßstab für die Prüfung der Sozialadäquanz und damit der Wahrung des Rücksichtnahmegebots dar?
Ist die Grenze der Zumutbarkeit von nächtlichen Immissionsrichtwertüberschreitungen durch ein Feuerwehrgerätehaus gegenüber Wohnnutzungen im allgemeinen Wohngebiet so lange nicht verletzt, wie die Schwelle zur Gesundheitsgefährdung nicht überschritten wird?
führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts aufwerfen. Ist schon die Frage, ob aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine ergänzende Prüfung im Sonderfall gemäß Nr. 3.2.2 durchzuführen ist, den Tatsachengerichten zugewiesen (BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 - 4 B 3.14 - UPR 2014, 313 Rn. 9; siehe auch Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 31), gilt dies erst recht für die Frage, wie die konkreten Umstände im Rahmen der Prüfung zu gewichten und zu bewerten sind. Dass die Klägerinnen das Ergebnis der Prüfung für falsch halten, vermag hieran nichts zu ändern. Mit ihrer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht belegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. März 2014 - 4 B 3.14 - UPR 2014, 313 Rn. 9).

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 155 Abs. 1 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde eine Gerichtsgebühr nur entsteht, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 5500 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens waren verhältnismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Klägerinnen zu 1 und 2 die Kosten im Maße ihres Unterliegens tragen und die Entscheidung über die restlichen Kosten der Endentscheidung vorbehalten bleibt (BVerwG, Beschluss vom 10. November 1980 - 1 B 802.80 - Buchholz 310 § 155 VwGO Nr. 7; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 - V ZR 343/02 - NJW 2004, 1048). Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG, die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren des Klägers zu 3 auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren des Klägers zu 3 wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 6.20 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (§ 55a Abs. 1 bis 6 VwGO sowie Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24. November 2017, BGBl. I S. 3803) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.

Urteil vom 29.03.2022 -
BVerwG 4 C 6.20ECLI:DE:BVerwG:2022:290322U4C6.20.0

Leitsätze:

1. Ein Feuerwehrgerätehaus ist eine Anlage für Verwaltungen im Sinne von § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO.

2. Ein Feuerwehrgerätehaus, das nach Größe und Ausstattung maßgeblich auch dem effektiven Brandschutz in der näheren Umgebung dient, ist im allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich.

3. Ein Grundstücksnachbar hat keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 2
    BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 3

  • VG Münster - 05.04.2017 - AZ: 2 K 1345/15
    OVG Münster - 23.09.2019 - AZ: 10 A 1114/17

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.03.2022 - 4 C 6.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:290322U4C6.20.0]

Urteil

BVerwG 4 C 6.20

  • VG Münster - 05.04.2017 - AZ: 2 K 1345/15
  • OVG Münster - 23.09.2019 - AZ: 10 A 1114/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Prof. Dr. Külpmann,
Dr. Hammer und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers zu 3 gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2019 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger zu 3 trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

I

1 Der Kläger zu 3 wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet.

2 Das Vorhabengrundstück A. Straße in B. (Gemarkung C., Flur ..., Flurstück ...) liegt im unbeplanten Innenbereich. Der Kläger zu 3 ist dinglich Berechtigter an dem Nachbargrundstück, das mit einem gewerblich und zu Wohnzwecken genutzten Gebäudekomplex bebaut ist.

3 Der Beklagte erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 7. Mai 2015 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Satellitenstandorts der Freiwilligen Feuerwehr. Dieser soll der Unterbringung von zwei Einsatzfahrzeugen dienen und über einen Sozialtrakt mit Aufenthalts-, Sozial- und Technikräumen verfügen. An dem für den Kläger zu 3 maßgeblichen Immissionsort darf im Normalbetrieb tags ein Beurteilungspegel von 55 dB(A) nicht überschritten werden. Für den Einsatz- bzw. Notfallbetrieb ist die Einhaltung eines Beurteilungspegels von tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) vorgesehen. Außerdem sind kurzzeitige Geräuschspitzen von tags 100 dB(A) und nachts 80 dB(A) zulässig.

4 Das Verwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben. Das Vorhaben verstoße gegen das in § 15 BauNVO zum Ausdruck kommende Gebot der Rücksichtnahme, da die Immissionsrichtwerte der TA Lärm zur Nachtzeit für ein allgemeines Wohngebiet überschritten würden. Auf die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Ein Feuerwehrgerätehaus sei als Anlage für Verwaltungen in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig und dort auch gebietsverträglich. Das Fehlen einer Ermessensentscheidung über die Zulassung einer Ausnahme verletze den Kläger zu 3 nicht in eigenen Rechten, weil ein Nachbar insoweit keinen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens habe. Die Genehmigung des Feuerwehrgerätehauses verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Geräuschimmissionen erwiesen sich nach einer ergänzenden Prüfung im Sonderfall gemäß Nr. 3.2.2 der TA Lärm als zumutbar.

5 Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, ein Feuerwehrgerätehaus sei im faktischen allgemeinen Wohngebiet nicht gebietsverträglich, da das Ein- und Ausrücken der Einsatzfahrzeuge sowie die An- und Abreise der Einsatzkräfte mit dem Pkw Immissionen auslösten, die zu gebietsunüblichen Störungen führten und Unruhe in das Gebiet brächten. Jedenfalls habe er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 34 Abs. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 BauGB, um eine sonst drohende schleichende Gebietsveränderung abzuwehren.

6 Beklagter und Beigeladene verteidigen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

II

7 Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht ist ohne Verstoß gegen revisibles Recht davon ausgegangen, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung den Kläger zu 3 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insbesondere ist der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers zu 3 gewahrt.

8 Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Durch Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 <155 ff.>, vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 <374 f.> und vom 6. Juni 2019 - 4 C 10.18 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 10 m. w. N.). In einem faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB besteht ein identischer Nachbarschutz (BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 <156>).

9 1. Das zur Genehmigung gestellte Feuerwehrgerätehaus gehört zu den Anlagen für Verwaltungen und ist deshalb in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO seiner Art nach ausnahmsweise zulässig.

10 "Anlagen für Verwaltungen" ist ein städtebaurechtlicher Sammelbegriff, der Anlagen und Einrichtungen umfasst, in denen oder von denen aus verwaltet wird, sofern das Verwalten einem erkennbaren selbständigen Zweck dient (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 4 BauNVO Rn. 128 ff.; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 11 ff.). § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 8 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO, die zwischen Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäuden unterscheiden, machen deutlich, dass Verwaltung i. S. d. § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nicht auf die Erledigung von Verwaltungsaufgaben in Bürogebäuden beschränkt ist (Stock a. a. O. Rn. 130). Die ausnahmsweise Zulässigkeit von Anlagen für Verwaltungen nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO setzt ausweislich des Wortlauts nicht voraus, dass die jeweilige Anlage der Gebietsversorgung dient. Ein Feuerwehrgerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr ist daher eine Anlage für Verwaltungen in diesem Sinne, nämlich für die Verwaltung des landesrechtlich geregelten Brandschutzes (ebenso VGH München, Urteil vom 16. Januar 2014 - 9 B 10.25 28 - NVwZ-RR 2014, 508 <509>; OVG Magdeburg, Beschluss vom 23. Juni 2020 - 2 M 32/20 - NVwZ-RR 2020, 914 <918>; Stock a. a. O. Rn. 131; Vietmeier, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 4 Rn. 86; Schimpfermann/Stühler, in: Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 4 Rn. 12).

11 2. Das Feuerwehrgerätehaus ist im allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich.

12 Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt. Das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit bestimmt dabei nicht nur die regelhafte Zulässigkeit, sondern erst recht den vom Verordnungsgeber vorgesehenen Ausnahmebereich. Zwischen der jeweiligen spezifischen Zweckbestimmung des Baugebietstypus und dem jeweils zugeordneten Ausnahmekatalog besteht ein gewollter funktionaler Zusammenhang. Die normierte allgemeine Zweckbestimmung ist daher auch für Auslegung und Anwendung der tatbestandlich normierten Ausnahmen bestimmend (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 21. März 2002 - 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155 <157 f.>, vom 18. November 2010 - 4 C 10.09 - BVerwGE 138, 166 Rn. 18, vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 - BVerwGE 142, 1 Rn. 15 und vom 20. März 2019 - 4 C 5.18 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 21 Rn. 19).

13 Das allgemeine Wohngebiet dient gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Es soll nach Möglichkeit ein grundsätzlich ungestörtes Wohnen gewährleisten. Die Gebietsunverträglichkeit beurteilt sich für § 4 BauNVO daher in erster Linie nach dem Kriterium der gebietsunüblichen Störung (BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155 <159>). Ein Vorhaben ist gebietsunverträglich, wenn es aufgrund seiner "typischen Nutzungsweise" störend wirkt. Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden Betrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Entscheidend ist nicht, ob die mit der Nutzung verbundenen immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. Die geschützte Wohnruhe ist nicht gleichbedeutend mit einer immissionsschutzrechtlichen Lärmsituation. Bei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den Wohngebietscharakter als solchen stören (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19 Rn. 11).

14 Von dem Feuerwehrgerätehaus geht trotz der Unruhe, die von den gelegentlichen Einsätzen vor allem zur Nachtzeit ausgelöst wird, keine gebietsunübliche Störung aus. Es dient der Beigeladenen − worauf das angefochtene Urteil zutreffend hinweist (UA S. 19) − zur Erfüllung der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe des Brandschutzes (vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz − BHKG NRW − vom 17. Dezember 2015, GV NRW S. 886). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BHKG NRW unterhalten die Gemeinden für den Brandschutz und die Hilfeleistung den örtlichen Verhältnissen entsprechend leistungsfähige Feuerwehren als gemeindliche Einrichtungen. Diese Aufgabenzuweisung setzt die Errichtung von Feuerwehrhäusern im Gemeindegebiet gerade in der Nähe der zu schützenden Wohnbebauung voraus. Einer besonders engen Anbindung an das Wohnumfeld bedarf es wegen des Zusammenhangs zwischen Anfahrt- und Ausrückzeiten, wenn die Feuerwehr mit Freiwilligen besetzt wird (vgl. § 7 Abs. 2 BHKG NRW).

15 Zugleich dient das Feuerwehrgerätehaus einem städtebaulichen Belang, nämlich der Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung nach § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB. Die − ausnahmsweise − Zulässigkeit von Feuerwehrgerätehäusern in einem allgemeinen Wohngebiet ist damit das Ergebnis einer überlegten Städtebaupolitik. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, von diesem Ergebnis über das Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit abzuweichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2019 - 4 C 5.18 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 21 Rn. 19). Ein Feuerwehrgerätehaus, das nach Größe und Ausstattung maßgeblich auch dem effektiven Brandschutz in der näheren Umgebung dient, ist im allgemeinen Wohngebiet daher gebietsverträglich (ebenso VGH München, Urteil vom 16. Januar 2014 - 9 B 10.25 28 - NVwZ-RR 2014, 508 <509>; OVG Magdeburg, Beschluss vom 23. Juni 2020 - 2 M 32/20 - NVwZ-RR 2020, 914 <918>; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 4 BauNVO Rn. 132; Hornmann, in: Spannowsky/Hornmann/Kämper BeckOK BauNVO, Stand April 2022, § 4 Rn. 130).

16 3. Die Zulassung des Vorhabens wahrt das von § 31 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 3 BauNVO vorausgesetzte Regel-Ausnahme-Verhältnis.

17 Dass die in einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung nur ausnahmsweise zulässigen Arten Ausnahmen bleiben müssen, legt der Verordnungsgeber durch die in §§ 2 ff. BauNVO beziehungsweise − über § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO − der Bebauungsplan fest. Gleiches gilt nach § 34 Abs. 2 BauGB in einem faktischen Baugebiet. Das Vorliegen einer Ausnahme ist daher tatbestandliche Voraussetzung der Ermessensentscheidung durch die Genehmigungsbehörde (ebenso Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 31 Rn. 25; Spieß, in: Jäde/Dirnberger, BauGB, 9. Aufl. 2018, § 31 Rn. 9; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand Oktober 2021, § 31 Rn. 20). Ein Vorhaben, dessen Zulassung das Regel-Ausnahme-Verhältnis beseitigt, darf die Behörde auch im Ermessenswege nicht zulassen. Ein Nachbar kann kraft seines Gebietserhaltungsanspruchs die Wahrung dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses verlangen. Denn er hat einen Anspruch darauf, dass die regelhaft zulässigen Nutzungsarten ihr prägende Wirkung behalten und keine Gemengelage oder ein anderes Baugebiet entsteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 <161>; Söfker a. a. O.).

18 Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (dort UA S. 12 f.), auf die sich das angefochtene Urteil stützt, wird die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks durch Mehrfamilienhäuser mit Wohnnutzung geprägt. Auch die daneben vorhandenen Nutzungen stellen sich überwiegend als in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO regelhaft zulässige Nutzungsarten dar. Anhaltspunkte dafür, dass die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens das nach § 34 Abs. 2 BauGB maßgebliche Regel-Ausnahmeverhältnis des § 4 BauNVO stören könnte, bestehen daher nicht.

19 4. Der Beklagte hat bei der Zulassung des Feuerwehrgerätehauses nach § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO kein Ermessen ausgeübt und damit ermessensfehlerhaft gehandelt (UA S. 13). Dies verletzt kein subjektives Recht des Klägers zu 3. Denn ein Grundstücksnachbar hat keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme. Dies sieht das Oberverwaltungsgericht richtig.

20 § 31 Abs. 1 BauGB ist nicht aus sich heraus drittschützend (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1982 - 4 C 49.79 - Buchholz 406.11 § 31 BBauG Nr. 21 S. 5). Der Drittschutz reicht im Falle einer Ausnahme daher nicht weiter, als die Festsetzung, von der die Ausnahme gemacht wird, ihn vermittelt. Wie dargelegt, vermitteln Gebietsfestsetzungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i. V. m. §§ 2 ff. BauNVO Planbetroffenen im Baugebiet einen Rechtsanspruch auf Bewahrung der Gebietsart. Über § 34 Abs. 2 BauGB gilt in faktischen Baugebieten ein identischer Schutz. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung der Ausnahme folgt hieraus nicht. Denn bei Vorliegen der tatbestandlichen Ausnahmevoraussetzungen der § 34 Abs. 2, § 31 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO ist bereits sichergestellt, dass das zugelassene Vorhaben den Gebietscharakter unangetastet lässt. Zudem beruht der Gebietserhaltungsanspruch auf dem Gedanken eines wechselseitigen Austauschverhältnisses: Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen, und zwar unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung. An dieser gebietsweiten Wechselseitigkeit fehlt es aber bei der Ermessensentscheidung über die Ausnahme. Die Grundentscheidung für die regelhafte und ausnahmsweise Zulässigkeit ist bereits getroffen und darf durch die Behörde nicht aus Erwägungen, die für das gesamte Gebiet Geltung beanspruchen, im Ermessenswege geändert werden (BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 4 B 13.07 - BRS 71 Nr. 156 S. 728). Bei der Ermessensentscheidung der Behörde spielen daher regelmäßig Fragen des konkreten Grundstücks und seiner Situation eine Rolle, so dass es an einem wechselseitigen Austauschverhältnis unter den Grundeigentümern fehlt.

21 Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu § 31 Abs. 2 BauGB. Danach muss bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen (BVerwG, Urteil vom 9. August 2018 - 4 C 7.17 - BVerwGE 162, 363 Rn. 12 sowie Beschlüsse vom 8. Juli 1998 - 4 B 64.98 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 153 S. 70 und vom 27. August 2013 - 4 B 39.13 - ZfBR 2013, 783 Rn. 3). Die Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB und die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB sind insofern aber nicht vergleichbar. Die Ausnahme ist planimmanent, es besteht eine das Ermessen begrenzende Grundentscheidung für die ausnahmsweise Zulässigkeit (BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 4 B 13.07 - BRS 71 Nr. 156 S. 728). Bei der Befreiung wird hingegen an die Stelle der festgesetzten eine konkrete andere bebauungsrechtliche Ordnung gesetzt und damit im Rahmen der Ermessensentscheidung ein anderer Interessensausgleich vorgenommen (BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 71 S. 57). Sofern aus dem Urteil vom 23. August 1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 <366> Anderes folgen sollte, hält der Senat hieran nicht fest.

22 Weitere Verstöße gegen revisibles Recht sind weder gerügt noch ersichtlich.

23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.