Verfahrensinformation

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist eine Zweckentfremdungssatzung, gemäß der städtischer Wohnraum nur mit Genehmigung der Vollzugsbehörde anderen als Wohnzwecken zugeführt werden darf.


Der Antragsteller ist Eigentümer von zwei Dachgeschosswohnungen im räumlichen Geltungsbereich der Satzung, die er als Ferienwohnungen vermietet. Seinen Normenkontrollantrag, mit dem er begehrt, die Zweckentfremdungssatzung für unwirksam zu erklären, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung, dass ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers nicht bestehe, als unzulässig verworfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bewertung des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht geteilt, das Absehen von einer mündlichen Verhandlung als verfahrensfehlerhaft beanstandet und den Rechtsstreit unter Aufhebung des Beschlusses zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sodann über den Normenkontrollantrag wiederum ohne mündliche Verhandlung entschieden und ihn mit dem hier angefochtenen Beschluss erneut mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs komme es für die Ausübung und Betätigung des in § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO eingeräumten Ermessens in Bezug auf die Entscheidung, ob eine mündliche Verhandlung entbehrlich sei, auf die Sicht des erstinstanzlich zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag berufenen Gerichts an. Maßgeblich sei also, ob das Normenkontrollverfahren nach den erstinstanzlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs offensichtlich unzulässig sei. Dessen Ermessensausübung sei nur dann zu beanstanden, wenn sie auf sachfremden Erwägungen oder auf grober Fehleinschätzung beruhe. Eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die diese Vorgaben nicht beachte, greife in gesetzeswidriger Weise nicht nur in das dem Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof durch § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausdrücklich eröffnete Verfahrensermessen, sondern auch in den Grundsatz freier richterlicher Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) über. Sie könne deshalb als Rechtsakt ultra vires die in § 144 Abs. 6 VwGO in Bezug auf die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts grundsätzlich intendierte Bindungswirkung nicht entfalten. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zur Klärung dieser Frage zugelassen.


Urteil vom 29.04.2022 -
BVerwG 5 CN 2.21ECLI:DE:BVerwG:2022:290422U5CN2.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 29.04.2022 - 5 CN 2.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:290422U5CN2.21.0]

Urteil

BVerwG 5 CN 2.21

  • VGH München - 23.08.2021 - AZ: VGH 12 N 21.1996

In der Normenkontrollsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß, Dr. Harms und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Antragstellers wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. August 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zurückverwiesen.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Der Antragsteller ist Eigentümer zweier Dachgeschosswohnungen in N., die er eigenen Angaben zufolge zur Fremdenverkehrsnutzung vermietet. Er begehrt im Wege der Normenkontrolle, die Zweckentfremdungsverbotssatzung der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2019 vollumfänglich, hilfsweise teilweise für unwirksam zu erklären. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen.

2 Im sich anschließenden Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs mit Beschluss vom 2. Juni 2021 - 5 BN 1.21 - gestützt auf § 133 Abs. 6 VwGO aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung an diesen zurückverwiesen. Die Nichtdurchführung der im vorliegenden Fall gebotenen mündlichen Verhandlung begründe einen Verfahrensmangel. Das nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO dem Verwaltungsgerichtshof zukommende Verfahrensermessen, auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden, sei hier durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in der Weise eingeschränkt, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen sei. Diese dürfe auch nicht deshalb unterbleiben, weil der Normenkontrollantrag nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs offensichtlich unzulässig sei. Dies treffe nämlich nicht zu. Dem Antragsteller fehle aus im Einzelnen näher dargelegten Gründen nicht offensichtlich das erforderliche Rechtsschutzinteresse.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Normenkontrollantrag mit Beschluss vom 23. August 2021 wiederum ohne mündliche Verhandlung wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als (offensichtlich) unzulässig verworfen. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts entfalte als Rechtsakt ultra vires die in § 144 Abs. 6 VwGO grundsätzlich intendierte Bindungswirkung nicht. Er greife in gesetzeswidriger Weise in das dem Normenkontrollgericht durch § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ausdrücklich eröffnete Verfahrensermessen sowie in den Grundsatz freier richterlicher Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO über.

4 Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision rügt der Antragsteller, dass sich die angefochtene Entscheidung über den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2021 hinwegsetze und § 47 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK sowie das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verletze. Das von der Prozessordnung nicht gedeckte Absehen von einer mündlichen Verhandlung stelle einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 Nr. 3 VwGO dar, weshalb auch § 144 Abs. 4 VwGO nicht anwendbar sei.

5 Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II

6 Die Revision des Antragstellers ist begründet. Der angefochtene Beschluss beruht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Der Senat kann nicht entscheiden, ob er sich aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO aufzuheben und die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen, wobei der Senat in Ausübung seines insoweit bestehenden Ermessens an einen anderen Spruchkörper zurückverweist (2.).

7 1. Der angefochtene Beschluss verstößt gegen § 144 Abs. 6 VwGO. Danach hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen. Missachtet ein Gericht die Bindungswirkung der zurückweisenden Entscheidung, liegt darin ein Verfahrensmangel, der unabhängig von der hier der Sache nach mit der Revisionsbegründung erhobenen entsprechenden Verfahrensrüge im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. RG, Urteil vom 7. Oktober 1918 - VI 230/18 - RGZ 94, 11 <13>; BGH, Urteil vom 23. Juni 1992 - XI ZR 227/91 - NJW 1992, 2831 <2832>; BFH, Urteil vom 4. November 2004 - III R 38/02 - juris Rn. 37; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 137 Rn. 39; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 137 Rn. 204 Fn. 162; Krüger, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 563 Rn. 16; Kessal-Wulf, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand 1. März 2022, § 563 Rn. 7; Prütting/Winter, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2021, § 563 Rn. 14). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Normenkontrollanträge des Antragstellers nicht erneut ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mangels Rechtsschutzbedürfnisses als (offensichtlich) unzulässig verwerfen dürfen.

8 a) Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO gilt auch für den hier in Rede stehenden zurückverweisenden Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2021 - 8 B 31.20 - juris Rn. 3). Sie ist angesichts des beschränkten Gegenstandes eines solchen Beschlusses zwar auf die Beurteilung des erfolgreich gerügten Verfahrensmangels (und anderer nicht durchgreifender Rügen) durch das Bundesverwaltungsgericht beschränkt (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2020 - 2 B 23.20 - juris Rn. 11). In diesem Umfang erstreckt sie sich aber - wie bei einem zurückweisenden Revisionsurteil - auf alle rechtlichen Gesichtspunkte, die den zurückweisenden Beschluss des Revisionsgerichts nach § 133 Abs. 6 VwGO tragen. Dies sind diejenigen entscheidungstragenden Erwägungen, die das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Auslegung der maßgeblichen (verfahrensrechtlichen) Rechtsnormen und der Rechtsanwendung im Einzelfall, also des Subsumtionsschlusses, abweichend vom Oberverwaltungsgericht beurteilt hat. Darüber hinaus werden rechtliche Erwägungen erfasst, die notwendige Voraussetzung für die unmittelbaren Aufhebungsgründe sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2020 - 6 B 33.20 - juris Rn. 7). Das entspricht dem Zweck des § 144 Abs. 6 VwGO, den Verfahrensbeteiligten Rechtssicherheit für die weitere Prozessführung zu geben und ein Hin- und Herschieben der Streitsache zwischen den Instanzen zu vermeiden (BVerwG, Beschluss vom 23. November 2020 - 6 B 33.20 - juris Rn. 6 m.w.N.). Es wäre für die Beteiligten eines Rechtsstreits untragbar und mit der rechtlichen Bedeutung einer revisionsgerichtlichen Entscheidung unvereinbar, wenn das Tatsachengericht im zweiten Rechtsgang die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts als für seine Entscheidung unmaßgeblich behandeln dürfte (BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2020 - 2 B 23.20 - juris Rn. 10). Darüber hinaus ist bei einer neuerlichen Befassung mit derselben Sache auch das Bundesverwaltungsgericht an seine in der zurückverweisenden Entscheidung niedergelegte Rechtsauffassung im gleichen Umfang wie die Vorinstanz gebunden (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2011 - 7 B 26.11 - juris Rn. 11 und Urteil vom 14. Oktober 2020 - 8 C 23.19 - BVerwGE 169, 375 Rn. 20).

9 b) Die Bindung an einen nach § 133 Abs. 6 VwGO zurückweisenden Beschluss entfällt - wie bei einem zurückweisenden Revisionsurteil –, soweit sich nach dessen Erlass die Sach- und Rechtslage in auch intertemporal entscheidungserheblicher Weise geändert hat. Dies ist der Fall, wenn eine (verfahrensrechtliche) Rechtsnorm, die Gegenstand der bindenden rechtlichen Beurteilung ist, inhaltlich geändert wird, außer Kraft tritt, oder sich der entscheidungserhebliche Streitstoff ändert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2020 - 6 B 33.20 - juris Rn. 7 und Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 5.19 - juris Rn. 8). Von der Bindung nach § 144 Abs. 6 VwGO befreit ist die Vorinstanz ferner dann, wenn das Bundesverfassungsgericht in verfassungsrechtlichen Fragen, der Gerichtshof der Europäischen Union zu Unionsrecht, der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts oder der in dieser Sache zuständige Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einem anderen Verfahren (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2011 - 7 B 26.11 - juris Rn. 9) nachträglich eine Rechtsauffassung zu entscheidungserheblichen Rechtsfragen vertreten, die von der in dem zurückverweisenden Beschluss grundsätzlich - d.h. fallübergreifend verallgemeinerungsfähig - abweicht (vgl. Eichberger/Bier, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 144 VwGO Rn. 126 m.w.N.).

10 Soweit danach die Bindungswirkung nicht entfällt, ist das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht berechtigt, die in der zurückverweisenden Entscheidung des Revisionsgerichts zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, soweit sie von der Bindungswirkung erfasst wird, einer inhaltlichen Prüfung zu unterziehen oder auch nur in Frage zu stellen. Anders als in den Fällen von Verweisungsbeschlüssen nach (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m.) § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, die bei extremen Rechtsverstößen ganz ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfalten (BVerwG, Beschlüsse vom 1. Juli 2004 - 7 VR 1.04 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 23 S. 11 und vom 7. Februar 2022 - 5 AV 5.21 - juris Rn. 7), kommt dem nach § 144 Abs. 6 VwGO durch eine zurückverweisende Entscheidung gebundenen Gericht keinerlei Prüfkompetenz hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit dieser Entscheidung zu, die allein in der Verantwortung des Revisionsgerichts liegt. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, kann sich der Bindungswirkung selbst dann nicht entziehen, wenn es verfassungsrechtliche Bedenken gegen die zurückverweisende Entscheidung hegt (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1983 - 2 BvL 8/83 - BVerfGE 65, 132 <137 f.>) oder es der Ansicht ist, ein Rechtssatz sei übersehen oder falsch ausgelegt worden oder die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts sei greifbar gesetzeswidrig (BGH, Urteil vom 21. November 2006 - XI ZR 347/05 - NJW 2007, 1127 <1129>; Heßler, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 563 Rn. 3a). Demnach sind die Einwände des Verwaltungsgerichtshofs von vornherein nicht geeignet (vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 144 Rn. 28), die Bindungswirkung des zurückverweisenden Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2021 - 5 BN 1.21 - in Abrede zu stellen und insoweit irrelevant.

11 Dessen ungeachtet weist der Senat darauf hin, dass der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs eine Fehlinterpretation des von ihm in Bezug genommenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1999 - 4 CN 9.98 - (BVerwGE 110, 203 <215>) zugrunde liegt. Soweit in diesem Urteil ausgeführt ist, eine Ausnahmesituation, in der von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden könne, liege u.a. deshalb nicht vor, weil der Normenkontrollantrag "nach den erstinstanzlichen Feststellungen [nicht] offensichtlich unzulässig" sei, ist dies keineswegs dahin zu verstehen, das Oberverwaltungsgericht habe die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags abschließend zu beurteilen. Vielmehr ist es - wie in sonstigen Revisionsverfahren - auch in normenkontrollrechtlichen Revisionsverfahren Sache des Revisionsgerichts, die Zulässigkeit von Rechtsschutzanträgen eigenständig und ohne Bindung an die Beurteilung der Vorinstanz zu prüfen und verbindlich hierüber zu entscheiden. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus auch auf den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO beruft, trägt er dem Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift nicht Rechnung. Die Freiheit, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände und nicht auf die Auslegung des anzuwendenden Rechts (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 6 B 55.20 - juris Rn. 4; vgl. Dawin, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 108 VwGO Rn. 9; Rixen, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 108 Rn. 15). Ebenso wenig ist die richtige Rechtsanwendung (Subsumtion) einer freien Überzeugungsbildung des Tatrichters vorbehalten, in welche das Revisionsgericht "übergreifen" könnte. Die Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter den rechtlichen Maßstab unterliegt vielmehr - und dies gilt gleichermaßen für das materielle wie das Prozessrecht - der grundsätzlich uneingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1996 - 6 B 8.95 - NJW 1996, 2945 <2946>, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 8 C 23.19 - BVerwGE 169, 375 Rn. 33 m.w.N. sowie etwa Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 137 Rn. 40).

12 c) In Anwendung der dargelegten rechtlichen Vorgaben erfasst die Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2021 - 5 BN 1.21 - unter anderem, dass über den Normenkontrollantrag des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist, zumal der Normenkontrollantrag des Antragstellers nicht offensichtlich unzulässig ist. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts thematisieren fallbezogen das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers. Ihnen ist darüber hinaus zu entnehmen, dass auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags bestehen. Indem der Verwaltungsgerichtshof das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers erneut als offensichtlich nicht gegeben verneint und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung deshalb wiederum für nicht geboten erachtet hat, hat er die Bindungswirkung missachtet. Ob der angefochtene Beschluss noch weitere, vom Antragsteller geltend gemachte Verfahrensmängel, insbesondere auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 - 2 BvR 104/87 - juris Rn. 41) aufweist, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.

13 2. Der Senat kann ungeachtet der Frage des Vorliegens eines absoluten Revisionsgrundes nach § 138 Nr. 3 VwGO in Form einer sich auf das Gesamtergebnis des Verfahrens beziehenden Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, bei der eine Anwendung von § 144 Abs. 4 VwGO ausgeschlossen ist (BVerwG, Urteile vom 26. Februar 2003 - 8 C 1.02 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 67 S. 10 und vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <221>), nicht in der Sache selbst entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat keine der zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zweckentfremdungsverbotssatzung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen. Darüber hinaus hängt die Entscheidung über den Normenkontrollantrag maßgeblich von der in erster Linie dem Verwaltungsgerichtshof obliegenden, aber bislang nicht vorgenommenen Auslegung und Anwendung der dem Landesrecht angehörenden Vorschriften des Wohnraumzweckentfremdungsrechts ab (§ 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO).

14 Der Senat macht darüber hinaus von der in seinem Ermessen stehenden Möglichkeit Gebrauch, die Sache an einen anderen Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs zurückzuverweisen (§ 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Ermessen ist, weil die Bestimmung des gesetzlichen Richters berührt ist, zurückhaltend auszuüben und danach auszurichten, ob die Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper im Interesse des Vertrauens der Beteiligten in die Rechtspflege geboten ist (BVerwG, Urteil vom 15. April 1964 - 5 C 97.63 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 8 S. 9). Dies ist etwa der Fall, wenn es im Interesse des Vertrauens in die Rechtspflege und zur Vermeidung erneuter Verfahrensfehler angebracht ist (BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 - juris Rn. 45) oder wenn der vorinstanzlich bislang zuständige Spruchkörper in dieser Sache oder in vergleichbaren Fällen der Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO nicht Folge geleistet hat oder ernstliche Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bestehen (Eichberger/Bier, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 41. EL Juli 2021, § 144 VwGO Rn. 103; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 144 Rn. 54). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

15 Der bislang mit der Sache befasste Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs hat die Bindungswirkung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO - wie dargelegt - außer Acht gelassen. Es bestehen auch Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit gegenüber dem Antragsteller und dessen Rechtsschutzanliegen. Diese ergeben sich jedenfalls daraus, dass der Spruchkörper den Antragsteller in der (möglicherweise zutreffenden) Annahme, dieser begehe eine baurechtliche Ordnungswidrigkeit, abfällig als "Rechtsgenossen" tituliert, hinsichtlich dessen sich dem Spruchkörper nicht erschließe, weshalb diesem die "Wohltat einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle zuteilwerden" solle, obwohl bereits jetzt absehbar sei, dass diese aufgrund einer fehlenden Baugenehmigung nicht zu einer legalen Ferienwohnnutzung führen könne (BA Ziff. 4.1). Die Besorgnis erneuter Verfahrensfehler ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass der bislang mit der Sache befasste Spruchkörper des Verwaltungsgerichtshofs vor seiner erneuten Entscheidung im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung von einer Anhörung der Verfahrensbeteiligten bewusst abgesehen (vgl. BA Ziffer 2.2.7) und so angesichts des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2021 unter dem Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung einen weiteren Gehörsverstoß begangen hat.

16 3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Dabei wird zu beachten sein, dass gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2010 - 8 KSt 13.10 - juris).