Beschluss vom 29.12.2023 -
BVerwG 8 B 31.23ECLI:DE:BVerwG:2023:291223B8B31.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.12.2023 - 8 B 31.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:291223B8B31.23.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 31.23

  • VG Chemnitz - 28.02.2023 - AZ: 4 K 1045/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Dezember 2023
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller, Dr. Meister und Dr. Naumann
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 28. Februar 2023 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1 Die Beklagte ordnete der Klägerin mit Bescheid vom 25. Juni 2020 zwei Flurstücke zu, die von 1952 bis 1958 dem Geschäftsbetrieb der SDAG Wismut dienten (Industrielle Absetzanlage Dänkritz II). Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und vorgetragen, die Flurstücke seien nach Art. 6 § 1 Abs. 1 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut - WismutAGAbkG (BGBl. 1991 II S. 1138) der Beigeladenen zuzuordnen, weil sie der SDAG Wismut noch am 30. Juni 1990 zur unbefristeten und unbegrenzten Nutzung überlassen gewesen seien. Sollten die Flurstücke bereits früher aus deren Betriebsvermögen ausgeschieden sein, müssten sie wegen bestimmungsgemäßer Lagerung gefährlicher Sonderabfälle als Verwaltungsvermögen dem zuständigen Aufgabenträger - dem Freistaat Sachsen - zugewiesen werden. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.

2 Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) und beruht auch darauf (1.). Dies führt zu seiner Aufhebung und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, da die im Übrigen erhobenen Divergenz- und Grundsatzrügen keine Revisionszulassung rechtfertigen (2.).

3 1. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet das Gericht, die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2002 - 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 109; Beschluss vom 28. März 2011 - 8 B 44.10 - ZOV 2011, 131 Rn. 17). Zwar muss es nicht auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten eingehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Wenn es aber auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die nach seiner eigenen Rechtsauffassung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt das darauf schließen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat (BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23; Beschluss vom 13. März 2020 - 8 B 1.20 - ZOV 2020, 118 Rn. 7).

4 Diesen Maßstab zugrunde gelegt, hat das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Es hat ihren Vortrag nicht erwogen, die verfahrensgegenständlichen Flurstücke seien, wegen bestimmungsgemäßer Lagerung gefährlicher Sonderabfälle, jedenfalls dem Freistaat Sachsen als Verwaltungsvermögen zuzuordnen, wenn ihre Zuordnung an die Beigeladene nach Art. 6 § 1 Abs. 1 WismutAGAbkG nicht in Betracht komme.

5 Die Klägerin hat dieses Argument sowohl in ihrer Klagebegründung vom 14. September 2020 (Seite 7) als auch mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2022 (Seite 6) vorgebracht. Es war eines ihrer beiden Hauptargumente gegen die Zuordnung der verfahrensgegenständlichen Flurstücke an sie. Das Verwaltungsgericht hat sich damit nicht auseinandergesetzt. Im Tatbestand seiner Entscheidung hat es diesen Vortrag nicht erwähnt. In den Entscheidungsgründen geht es zwar auf Seite 8 auf den tatsächlichen Vortrag zur Nutzung der Flurstücke ein. Es setzt sich jedoch mit dem zentralen rechtlichen Argument der Klägerin, hieraus folge die Zuordnung der Flurstücke als Verwaltungsvermögen zum Freistaat Sachsen, nicht auseinander.

6 Nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts kam es auf die Frage, ob die verfahrensgegenständlichen Flurstücke als Verwaltungsvermögen anzusehen sind, für die Entscheidung auch an. Rechtsgrundlage für die Zuordnung der Flurstücke an die Klägerin ist ausweislich der Entscheidungsgründe Art. 22 des Einigungsvertrages (EV) i. V. m. §§ 1 ff. VZOG. Das ergibt sich, obwohl dort als einschlägige Norm Art. 21 EV genannt wird, aus der Wiedergabe des Textes des Art. 22 EV. Voraussetzung für die Zuordnung eines Vermögenswertes als Finanzvermögen nach Art. 22 EV ist, dass der Vermögenswert nicht unmittelbar bestimmten Verwaltungsaufgaben dient. Das Verwaltungsgericht hat diese (negative) Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift auch für gegeben erachtet, weil es die Entscheidung, die verfahrensgegenständlichen Flurstücke an die Klägerin zuzuordnen, nach Art. 22 EV für gerechtfertigt gehalten hat.

7 Das Urteil beruht auf dem Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO).

8 Ob das Nichterwägen des genannten Vortrags der Klägerin zugleich einen Verstoß gegen das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 VwGO) darstellt, kann danach dahinstehen. Gleiches gilt für die Frage, ob das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch dadurch verletzt hat, dass es ihr Vorbringen nicht berücksichtigt habe, die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen im Bereich der Industriellen Absetzanlage Dänkritz II sei nach der Bewertung der Beigeladenen aufgrund besonderer ökologischer Risiken vordringlich und die Sanierung der Industriellen Absetzanlagen stellten allgemein eine der größten Herausforderungen bei der Sanierung der Wismutstandorte dar.

9 2. Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit der Zurückverweisung an die Vorinstanz gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, weil die von der Klägerin im Übrigen erhobenen Divergenzrügen (a) und die Grundsatzrüge (b) keine Revisionszulassung rechtfertigen.

10 a) Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 2023 - 8 B 24.23 - juris Rn. 7 m. w. N.).

11 Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin schon deswegen nicht gerecht, weil er keinen Rechtssatz in dem angefochtenen Urteil herausarbeitet, der von den in den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. September 1998 - 3 C 13.97 - (Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 17) und vom 27. April 2006 - 3 C 23.05 - (Buchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 16) enthaltenen Rechtssätzen abweichen könnte. Der Satz des Verwaltungsgerichts, die Vermögenszuordnung an die Klägerin finde seine Rechtsgrundlage in Art. 21 EV (gemeint ist Art. 22) i. V. m. §§ 1 ff. VZOG stellt keinen Rechtssatz dar, mit dem das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO begründet werden könnte, weil er sich nur auf den vorliegenden Einzelfall bezieht. Die sich daran anschließende bloße Wiedergabe des Textes von Art. 22 EV ist von vornherein kein von einem Gericht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufgestellter Rechtssatz. Den Rechtssatz, dass alle ehemals von der SDAG Wismut genutzten Grundstücke, die der endgültigen Verwahrung des neben den festen Rückständen der Erzaufbereitung vorhandenen radioaktiv und chemisch kontaminierten Wassers dienten und als sogenannte Wismut-Altstandorte nicht nach Art. 6 § 1 WismutAGAbkG der Wismut GmbH zuzuordnen sind, kein Verwaltungsvermögen nach Art. 21 EV, sondern nach Art. 22 Abs. 1 EV Finanzvermögen in Treuhandverwaltung der Bundesrepublik Deutschland darstellen, hat das Verwaltungsgericht nicht aufgestellt. Es hat sich in seinen Entscheidungsgründen, wie ausgeführt (Rn. 5), zu der Frage, ob die verfahrensgegenständlichen Grundstücke Verwaltungsvermögen darstellen, überhaupt nicht verhalten. Insoweit liegt allenfalls ein Übersehen des Rechtssatzes aus der Entscheidung vom 24. September 1998 - 3 C 13.97 - 2. Leitsatz, aber kein prinzipieller Auffassungsunterschied vor.

12 b) Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

13 Die Frage, ob
Standorte des ehemaligen Uranbergbaus im Beitrittsgebiet, die als Wismut-Altstandorte nicht zum Vermögen der beigeladenen Wismut GmbH gehören und die wegen der dort lagernden radioaktiven Abfälle zu sanieren sind, nach Art. 21 Abs. 2 Einigungsvertrag dem jeweils betroffenen Land zuzuordnen sind,

14 wäre in ihrer Allgemeinheit in dem von der Klägerin angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Sie zielt nicht auf die Entwicklung eines Rechtssatzes, sondern auf die Frage, wie eine bestimmte Gruppe von Rechtsstreitigkeiten zuordnungsrechtlich zu behandeln ist. Der Senat könnte darauf nur mit einer umfassenden Differenzierung antworten und müsste gedachte Sachverhalte zugrunde legen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. August 2023 - 8 B 5.23 - juris Rn. 5 und vom 2. September 1998 - 6 BN 6.98 - juris Rn. 10).

15 Die Kostenentscheidung muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden (Art. 6 § 1 Abs. 2 WismutAGAbkG und § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG).