Beschluss vom 05.10.2022 -
BVerwG 6 B 8.22ECLI:DE:BVerwG:2022:051022B6B8.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.10.2022 - 6 B 8.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:051022B6B8.22.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 8.22

  • VG Köln - 23.06.2016 - AZ: 13 K 1300/14
  • OVG Münster - 11.11.2021 - AZ: 16 A 1676/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. November 2021 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt von der Beklagten Auskunft zu den beim Bundesamt für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) über ihn gespeicherten personenbezogenen Daten.

2 In seinem auf Auskunftserteilung gerichteten Antrag beim Bundesamt vom Februar 2013 verwies der Kläger auf den Sachverhalt "rechtswidrige Datenübermittlung des BKA vom 08.10.2010 zum 'No Border Camp' in Brüssel". Er legte ferner dar, dass sein besonderes Interesse an der Auskunftserteilung aus anhängigen oder noch zu führenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren folge. Zugleich machte er deutlich, dass er den Auskunftsanspruch nicht auf diesen konkreten Sachverhalt beschränke. Das Bundesamt erteilte ihm im Sommer 2013 zusammengefasst Auskunft zum "No Border Camp" und den weiteren zu seiner Person vorhandenen personenbezogenen Daten. Eine darüberhinausgehende umfassende Auskunft zu etwaigen weiteren Datenspeicherungen über ihn im Ermessenswege lehnte es ab. Ohne weiteren Sachvortrag des Klägers zu bestimmten Sachverhalten stehe der weitergehenden Auskunftserteilung ein unverhältnismäßiger Rechercheaufwand und die Gefahr einer Ausforschung gegenüber.

3 Nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger im Frühjahr 2014 Klage erhoben, mit der er sein Auskunftsbegehren weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 23. Juni 2016 das Verfahren eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, über den Auskunftsanspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Ermessensausübung des Bundesamts sei fehlerhaft gewesen. Weder in den angegriffenen Bescheiden noch auf Nachfrage habe das Bundesamt nachvollziehbar und plausibel konkretisiert, woraus sich der unverhältnismäßige Verwaltungsaufwand sowie die Ausforschungsgefahr ergebe.

4 Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beklagte Berufung eingelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten das Bundesamt unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag zu entscheiden, soweit der Kläger Auskunft über diejenigen Daten begehrt, die ausschließlich in Papierakten vorgehalten werden sowie zu denjenigen Daten, die zu seiner Person vom Bundesamt zum Sachverhalt "Datenübermittlung des BKA vom 08.10.2010 zum 'No Border Camp' in Brüssel" gespeichert sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision in dem Berufungsurteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, der die Beklagte entgegentritt.

II

6 Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die Prüfung der fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt.

7 1. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass die Beschwerde eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die sich in dem erstrebten Revisionsverfahren als entscheidungserheblich erweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - WissR 2001, 377 Rn. 2 = juris Rn. 3 und vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 7).

8 Der Kläger hat mit seinem Vorbringen in der Beschwerde die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO in Bezug auf die von ihm geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht erfüllt. Er beschränkt sich auf allgemeine rechtliche Erwägungen, die - über weite Teile wörtlich - frühere Ausführungen aus dem Berufungsverfahren wiederholen. Eine fallübergreifende klärungsbedürftige Rechtsfrage revisiblen Rechts ist seinem Vorbringen nicht zu entnehmen. Er kritisiert im Wesentlichen die seiner Ansicht nach unzutreffende Auslegung seines auf § 15 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG gestützten Auskunftsbegehrens durch das Berufungsgericht, die damit zusammenhängende Beschränkung dieses Auskunftsanspruchs auf personenbezogene Daten im Zusammenhang mit dem von ihm dargelegten konkreten Sachverhalt, die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung der Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG sowie die Ablehnung seines ihm zustehenden Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Auskunftsbegehren als Verletzung des in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten informationellen Selbstbestimmungsrechts sowie von Art. 19 Abs. 4 GG. Mit dieser Urteilskritik im Stile einer Berufungs- oder Revisionsbegründung wird jedoch keine für eine Grundsatzzulassung notwendige Frage des revisiblen Rechts formuliert, die klärungsbedürftig wäre und sich in einer Vielzahl von Fällen stellte; vielmehr erschöpft sich das Vorbringen in einer Beanstandung der fehlerhaften Anwendung von Bundes- bzw. Bundesverfassungsrecht. Dies reicht zur Darlegung der Grundsatzbedeutung der Rechtssache nicht aus (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Februar 2007 - 6 B 81.06 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 83 Rn. 6 und vom 8. Mai 2019 - 6 B 23.19 - juris Rn. 7). Es ist nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, aus einem solchen Vorbringen am Maßstab der höchstrichterlichen Rechtsprechung etwaige in Betracht kommende fallübergreifende Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung herauszuarbeiten. Deren Formulierung und die Darlegung ihrer Entscheidungserheblichkeit obliegt dem Beschwerdeführer.

9 2. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, der im Widerspruch zu einem ebensolchen Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 17. März 2022 - 4 BN 30.21 - juris Rn. 3). Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genanntes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge hingegen nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328 sowie vom 22. Juli 2020 - 6 B 9.20 - juris Rn. 12, jeweils m. w. N.). Auch diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

10 Der Kläger wendet sich - wie bei der Grundsatzrüge - im Stile einer Berufungs- oder Revisionsbegründung gegen die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung und macht insoweit ausschließlich eine fehlerhafte Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung geltend. Dabei bezieht er sich unter anderem auf die aus seiner Sicht unzureichende Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG sowie die von der damaligen Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Gesetzgebungsverfahren abgegebenen Stellungnahme zum Gesetzentwurf und weist ergänzend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hin. Im Übrigen rügt er, dass die bundesverfassungs- und bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die das Berufungsgericht in dessen Urteil herangezogen hat, die dort vertretene Auffassung nicht tragen könnten. Diese Ausführungen lassen eine Divergenz nicht ansatzweise erkennen. Gleiches gilt für seinen Einwand, die Protokollierungspflichten des § 13 Abs. 4 BVerfSchG böten am Maßstab des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 142/15 - (BVerfGE 150, 244) zur automatisierten Fahrzeugkennzeichenkontrolle keinen hinreichenden Schutz.

11 3. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO substantiierten Tatsachen- und Rechtsvortrag (BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Der verletzte prozessuale Rechtssatz muss dargelegt, die verletzte Rechtsnorm sollte genannt werden. Zudem muss die Beschwerde begründen, dass und aus welchen Gründen die angegriffene Entscheidung auf dem bezeichneten Verfahrensfehler beruhen kann. Es muss ersichtlich werden, dass diese Entscheidung bei Vermeidung des Fehlers möglicherweise anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1. Oktober 2014 - 10 B 52.14 - juris Rn. 3 und vom 9. Oktober 2020 - 6 B 51.20 - juris Rn. 10). Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt.

12 Die Beschwerde behauptet zwar, das Berufungsgericht habe seine Aufklärungspflicht, den Überzeugungsgrundsatz sowie das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, hierauf beruhe das Urteil. Sie geht hierbei allerdings von der - unzutreffenden - tatsächlichen Annahme aus, das Berufungsgericht habe den Antrag des Klägers auf Beiziehung der vollständigen Verwaltungsakte mit den über ihn enthaltenen personenbezogenen Daten übergangen. Die Beschwerde übersieht, dass das Oberverwaltungsgericht im Urteil ausführlich begründet, warum es keine Veranlassung gesehen hat, den Sachverhalt gemäß § 86 Abs. 1 VwGO weiter aufzuklären und die über den Kläger beim Bundesamt geführten Akten beizuziehen (UA S. 31 ff.). Den angeblichen Verfahrensfehlern fehlt es damit an dem von der Beschwerde bezeichneten tatsächlichen Anknüpfungspunkt. Zudem beschränkt sich die Beschwerde darauf, den von ihr angegriffenen Verfahrensablauf ohne hinreichend substanziellen rechtlichen Vortrag als fehlerhaft zu bezeichnen.

13 Auch soweit die Beschwerde ohne nähere Erläuterung beanstandet, das Unterlassen der Beiziehung durch das Berufungsgericht beruhe auf "rechtlich nicht nachvollziehbaren Gründen" (S. 31 der Beschwerdebegründung), legt sie keinen Verfahrensfehler dar. Es genügt nicht, dass sie die im Urteil angeführten Gründe nicht für überzeugend hält. Ob ein Verstoß gegen die Pflicht des Tatsachengerichts, den Sachverhalt umfassend aufzuklären, vorliegt, ist vielmehr auf der Grundlage seines materiell-rechtlichen Standpunkts zu beurteilen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2019 - 6 B 30.19 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 117 Rn. 22 m. w. N.). Dazu, welche weiteren Ermittlungen auf der Grundlage dieser berufungsgerichtlichen Perspektive erforderlich gewesen, aber nicht angestellt worden sind, verhält sich die Beschwerde indessen nicht.

14 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.