Urteil vom 16.06.2016 -
BVerwG 2 WD 2.16ECLI:DE:BVerwG:2016:160616U2WD2.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 16.06.2016 - 2 WD 2.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:160616U2WD2.16.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 2.16

  • TDG Nord 4. Kammer - 04.11.2015 - AZ: TDG N 4 VL 4/14

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 16. Juni 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtliche Richterin Flottillenarzt Dr. Brunn und
ehrenamtlicher Richter Korvettenkapitän Walther,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Unter Zurückweisung der Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird auf die Berufung des Soldaten das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 4. November 2015 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
  2. Gegen den Soldaten wird wegen eines Dienstvergehens eine Bezügekürzung um ein Zwanzigstel für die Dauer von zehn Monaten verhängt.
  3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
  4. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Bund auferlegt, der auch die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Gründe

I

1 ...

2 ...

3 ...

4 ...

5 ...

6 ...

7 ...

8 ...

II

9 1. Das Verfahren ist nach Anhörung des Soldaten mit Verfügung des Inspekteurs der Marine vom ..., dem Soldaten ausgehändigt am..., eingeleitet worden. Zuvor war die Vertrauensperson angehört und ihre Stellungnahme dem Soldaten eröffnet worden. Nach Verzicht des Soldaten auf die Gewährung des Schlussgehörs hat die Wehrdisziplinarschaft dem Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom ..., zugestellt am ..., ein Dienstvergehen zur Last gelegt.

10 2. Die ... Kammer des Truppendienstgerichts ... hat auf dieser Grundlage mit Urteil vom ... gegen den Soldaten wegen eines Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von zehn Monaten verbunden mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge auf die Dauer von zehn Monaten um ein Zwanzigstel verhängt.

11 Die Kammer hat den Soldaten von einem Teil der Vorwürfe freigestellt und ihrer Entscheidung im Übrigen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
"Zu Anschuldigungspunkt 2:
Vom ... bis zum ... und vom ... bis zum ... weilte Frau ... zu Urlaubszwecken in A., wobei sie jeweils bei ihrem Ehemann, dem Soldaten, im ... Hotel wohnte. Im ersten Urlaubszeitraum nutzten sie gemeinsam - wie zuvor ausgeführt - zunächst ein Zimmer im ... und anschließend die dienstliche Unterkunft des Soldaten im ... Stock, während des zweiten Urlaubszeitraums bewohnten sie durchgängig die dienstliche Unterkunft des Soldaten im ... Stock. Für beide Zeiträume hatte der Soldat zuvor jeweils einen schriftlichen Antrag auf Erholungsurlaub i. V. m. einer Familienheimfahrt (... bzw. ...), unter Eintragung des ... Hotels als Urlaubsanschrift, eingereicht, die vom Kommandeur ..., FKpt ..., am ... bzw. am ... genehmigt wurden. Die Absicht, seine Ehefrau im ... und ... im Rahmen von Familienheimfahrten nach A. kommen zu lassen, hatte der Soldat dem FKpt ... bereits bei dessen Übernahme des Einsatzkontingentes im ... mitgeteilt, ohne dabei die Frage deren Unterbringung zu thematisieren. Als nach Beendigung der ersten Urlaubsphase (...) dem FKpt ... 'Empfindlichkeiten' aus der ... über das Verhalten des Soldaten im Zusammenhang mit der Hotelzimmernutzung zur Kenntnis gelangten, nahm er dies zum Anlass, dem Soldaten telefonisch zu empfehlen, während der zweiten Urlaubsphase die Ehefrau in einem anderen Hotel unterzubringen. Dieser Empfehlung kam der Soldat nicht nach. Im ständigen Befehl Nummer ... des Kommandeurs Deutsches Einsatzkontingent ... vom 2. April 2011 ('Besuchs- und Übernachtungsregelung für das Hotel ...') heißt es unter 3.3 (private Übernachtungen):
'Ehegatten/Lebenspartnerinnen/Lebenspartnern und Kindern von Kontingentangehörigen, die in A. stationiert sind, kann die Wohnerlaubnis zu Besuchszwecken jeweils kurzzeitig (in der Regel bis zu einer Woche) erteilt werden, falls eine vergleichbare anderweitige Wohnmöglichkeit in angemessener Entfernung nicht verfügbar ist.
Übernachtungen sind nur bei Kontingentangehörigen möglich, die ihre Zimmer allein bewohnen.
Die Erlaubnis zum Wohnen in der dienstlichen Unterkunft des Hotels
... wird auf Antrag schriftlich und auf Widerruf erteilt.
Zuständig für die Erteilung der Wohnerlaubnis ist der Kommandeur ...
Der Antrag ist beim Leiter ... zu stellen.
...'
Anträge auf Erteilung einer Wohnerlaubnis für seine Ehefrau in der dienstlichen Unterkunft hat der Soldat zu keinem Zeitpunkt beim Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents ... gestellt. Die Kammer glaubt dem Soldaten seine Einlassungen, den genauen Wortlaut des vorgenannten Befehls nicht gekannt zu haben sowie Anfang Februar 2012 bei Antritt seines Dienstes als Leiter ... die für die ... relevante Befehlssammlung lediglich 'durchgeblättert' zu haben. Folglich kann ihm hinsichtlich der ersten Urlaubsphase 'nur' zum Vorwurf gemacht werden, fahrlässig dieser Anweisung nicht nachgekommen zu sein. Gerade im Auslandseinsatz ist die (positive) Kenntnis des Kontingentführers über den Aufenthalt von Familienangehörigen von Kontingentangehörigen in deren Unterkünften aus Sicherheitsgründen von großer Wichtigkeit. Dies hätte der Soldat unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen. Daran vermag auch die Einlassung des FKpt... , ihm sei dieser Befehl selbst nicht bekannt gewesen, nichts zu ändern. Vom Vorwurf, hinsichtlich der zweiten Urlaubsphase es unterlassen zu haben, eine entsprechende Erlaubnis zum Wohnen in der dienstlichen Unterkunft eingeholt zu haben, war der Soldat freizustellen. Aufgrund des mit FKpt ... zeitlich vor Beginn der zweiten Urlaubsphase geführten Telefongesprächs durfte er davon ausgehen, dass der Kontingentführer trotz Empfehlung der Nutzung eines anderen Hotels keine Einwände gegen die Unterbringung im ... Hotel hatte (konkludente Genehmigung).
Zu Anschuldigungspunkt 3:
Am ... fuhr der Soldat mit einem von ihm selbst gesteuerten Dienst-Kfz (Mitsubishi Geländewagen) zum Flughafen A., um seine dort eingetroffene Ehefrau abzuholen und anschließend in das ... Hotel zu verbringen.
Am ... brachte er sie vom Hotel wieder zurück zum Flughafen A., damit diese ihren Rückflug antreten konnte (Zeitansatz pro Fahrt ca. 15 bis 20 Minuten). Bei dem Dienstfahrzeug handelt es sich um einen zivilen, bei einer örtlichen Autovermietung angemieteten Mitsubishi Geländewagen, der durch Aufkleber und Schilder in der Windschutzscheibe als Dienst-Kfz der ... gekennzeichnet war. In Nummer 103 der zur Tatzeit gültigen ZDv 43/2 (Kraftfahrvorschrift für die Bundeswehr/Bestimmungen für den Kraftfahrbetrieb von Dienstfahrzeugen) heißt es:
'Nicht der Bw angehörige Personen dürfen grundsätzlich nicht in DFzg mitgenommen werden. Dies gilt nicht, wenn
- Die Mitnahme dienstlich notwendig ist, was von der bzw. dem den Einsatz des DFzg anordnenden Vorgesetzten nach Nr. 441 aktenkundig zu machen ist,
- Es sich um Angehörige ausländischer Streitkräfte handelt.
In diesen Fällen erfolgt die Mitnahme unentgeltlich.
Sollen darüber hinaus im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht der Bw angehörige Personen in DFzg mitgenommen werden, haben diese für die Mitnahme gemäߧ 63 Abs. 4 Bundeshaushaltsordnung (BHO) i.V.m. § 63 Abs 3 BHO ein Nutzungsentgelt zu entrichten, es sei denn, die Mitnahme erfolgt in ohnehin verkehrenden, für Bw-Angehörige unentgeltlich bereitgestellten DFzg der Bw und führt nicht dazu, dass wegen ihrer Mitnahme zusätzliche DFzg einzusetzen sind. Die bzw. der den Einsatz des DFzg anordnende Vorgesetzte nach Nr. 441 hat die Gründe für die Mitnahme aktenkundig zu machen.
In allen Fällen der Mitnahme von nicht der Bw angehörigen Personen und/oder Angehörigen ausländischer Streitkräfte ist vor Fahrtantritt im Fahrauftrag (Anlage 16) unter Bemerkungen im Teil III einzutragen:
'Nichtangehörige der Bw/Angehörige ausländischer Streitkräfte dürfen mitgenommen werden.'
Im Einsatz können Nichtangehörige der Bw im Rahmen der Erfüllung des Auftrages ohne Kostenerstattung mitgenommen werden. Ein Eintrag im Teil III des Fahrauftrages ist nicht erforderlich.'
Die Einlassung des um diese Bestimmung wissenden Soldaten, das Abholen und Zurückbringen von Familienangehörigen vom und zum Flughafen in A. mit Dienst-Kfz sei 'üblich' und angesichts der hohen Gefährdungslage in A. bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch notwendig gewesen, verfängt nicht. Den Nutzungen des Dienst-Kfz mangelte es jeweils am dienstlichen Zweck, da diese rein privater Natur waren. Sie dienten einzig und allein der Sicherstellung des Urlaubs der Ehefrau. Selbst bei Unterstellung einer entsprechenden Praxis der (rechtswidrigen) Nutzung von Dienst-Kfz zum Transport von Familienangehörigen kann dies zu keiner Rechtfertigung führen. Wenn der Soldat die Gefährdungslage in A. als Rechtfertigungsgrund bemüht, muss er sich entgegenhalten lassen, dass er nicht gezwungen war, die Familienheimfahrt mit seiner Ehefrau in A. durchzuführen. Die Argumentation der Verteidigung, vorliegend sei die in Nummer 103 Absatz 2 der ZDv 43/12 geregelte Ausnahme der (entgeltlichen) Mitnahme nicht der Bundeswehr angehörenden Personen in einem Dienstfahrzeug einschlägig, geht fehl. Sie verkennt, dass auch bei dieser Variante der Fahrt des (die Person mitnehmenden) Dienst-Kfz ein dienstlicher Zweck zugrunde liegen muss. Daran mangelte es hier, sowohl die 'Leerfahrten' (Hinfahrt vom Hotel zum Flughafen am ... I Rückfahrt vom Flughafen zum Hotel am ...) wie auch 'Mitnahmefahrten' (Rückfahrt vom Flughafen zum Hotel am ... I Hinfahrt vom Hotel zum Flughafen am...) hatten mit der Erfüllung des hoheitlichen Auftrags der Bundeswehr nichts zu tun. Aus dem gleichen Grund verfängt der Hinweis der Verteidigung auf die in Nummer 103, letzter Absatz, der ZDv 43/12 formulierte Ausnahme nicht, wonach im Einsatz Nichtangehörige der Bundeswehr im Rahmen der Erfüllung des Auftrages ohne Kostenerstattung mitgenommen werden können.
Zu Anschuldigungspunkt 4:
Mit Schreiben vom ... beschwerte sich der Zeuge KptLt ..., S4 der ..., über den Soldaten. In seiner Beschwerde bezog sich KptLt ... auf ein am Abend des ... stattgefundenes persönliches Gespräch zwischen dem Soldaten und dem als S 401 der ... dem Beschwerdeführer direkt unterstellten HptBtsm ..., in deren Verlauf sich der Soldat gegenüber HptBtsm ... kritisch über den Beschwerdeführer äußerte. In diesem Gespräch hatte HptBtsm ... dem Soldaten mitgeteilt, dass er sich von KptLt ... nicht richtig eingearbeitet fühle. Am ... wies der Soldat den KptLt ... auf die seitens des HptBtsm ... vorgebrachte Kritik an dessen Person hin, weshalb KptLt ... anschließend HptBtsm ... darauf ansprach. Der Soldat, der um die gegen ihn erhobene Beschwerde wusste, trat daraufhin zwischen dem ... und dem ... zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten zweimal an den HptBtsm ... heran. In den dann jeweils nur wenige Minuten dauernden Gesprächen, wobei das erste im Lobbybereich des Hotels und das zweite im ...-Bereich stattfand, wies der Soldat den HptBtsm ... eingedenk anstehender Ermittlungen auf die Notwendigkeit hin, ihre Aussagen miteinander abzusprechen. Die Einlassung des Soldaten, es habe nur ein Gespräch zwischen ihm und HptBtsm ... stattgefunden, in welchem er den HptBtsm ... lediglich aus Fürsorgegründen aufgefordert habe, sich im Falle einer Vernehmung nach bestem Wissen und Gewissen zu erinnern, sieht die Kammer durch die glaubwürdige Aussage des glaubhaften Zeugen HptBtsm ... als widerlegt an. HptBtsm ... selbst, so seine Einlassung, war von dem Ansinnen des Soldaten weder 'irritiert' noch fühlte er sich 'unter Druck gesetzt'; er habe dem Soldaten erwidert, in einer Vernehmung werde er nur das aussagen, was vorgefallen ist und nichts anderes."

12 Durch die Unterbringung seiner Ehefrau in einer dienstlichen Unterkunft ohne die Erlaubnis des Kommandeurs des Einsatzkontingents einzuholen, habe der Soldat fahrlässig die Gehorsamspflicht und die Wohlverhaltenspflicht verletzt. Durch die mehrfache Nutzung eines Dienst-Kfzs zu privaten Zwecken habe er ferner vorsätzlich gegen die Pflichten zum treuen Dienen, zum Gehorsam und zu vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst verstoßen. Indem der Soldat versucht habe, auf eine Zeugenaussage Einfluss zu nehmen, habe er vorsätzlich die Fürsorgepflicht, die Kameradschaftspflicht und die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt. Er habe damit ein Dienstvergehen begangen und als Vorgesetzter in Haltung und Pflichterfüllung ein schlechtes Beispiel gegeben.

13 Das Dienstvergehen sei von erheblicher disziplinarer Relevanz. Die Pflicht zum treuen Dienen fordere von jedem Soldaten, alles zu unterlassen, was die Streitkräfte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben schwächen könne. Dem liefe die dienstlich nicht veranlasste Nutzung eines Dienstkraftfahrzeuges aus privaten Motiven zuwider. Die Gehorsamspflicht gehöre zu den zentralen Pflichten jedes Soldaten. Die Fürsorgepflicht gehöre zu den wesentlichen Pflichten eines Vorgesetzten. Auch die Verletzung der Kameradschaftspflicht wiege schwer. Die Wohlverhaltenspflicht habe funktionalen Bezug auf den militärischen Dienstbetrieb und daher erhebliche Bedeutung. Der Soldat sei voll schuldfähig gewesen und habe zum Teil fahrlässig, zum Teil vorsätzlich gehandelt. Erschwerend wirkten seine Stellung als Leiter der ..., seine vorzeitige Rückführung nach Deutschland und seine Vorgesetztenstellung. Milderungsgründe lägen nicht in den Umständen der Tat, wohl aber in der bisherigen Führung und der Persönlichkeit des Soldaten. Dieser sei nicht vorbelastet und habe durchgängig sehr gute Leistungen erbracht. Zu berücksichtigen sei das mehrjährige faktische Beförderungsverbot durch das Verfahren, sodass das geringstmögliche Beförderungsverbot tat- und schuldangemessen sei, es aber aus generalpräventiven Gründen und zur Pflichtenmahnung mit einer Kürzung der Dienstbezüge verbunden werden müsse.

14 3. Gegen das ihr am ... zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft am ... beschränkt auf die Bemessung der Maßnahme Berufung eingelegt. Die Dauer des verhängten Beförderungsverbotes verstoße gegen § 60 Abs. 2 WDO. Als angemessene Maßnahme sei ein Beförderungsverbot für 12 Monate zu verhängen.

15 Der Soldat hat gegen das ihm am ... zugestellte Urteil am ... ebenfalls beschränkt auf die Bemessung der Maßnahme Berufung eingelegt. Die verhängte Maßnahme sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die zusätzliche Kürzung der Dienstbezüge sei nicht geboten gewesen. Das Beförderungsverbot habe Auswirkungen auf den Werdegang des Soldaten, weil dieser ohne das Verfahren im ... zum Fregattenkapitän befördert worden wäre. Wegen der bereits entgangenen Beförderung sei eine mildere Maßnahme ausreichend, zumal das faktische Beförderungsverbot wegen des Berufungsverfahrens andauern werde. Eine Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von 6 Monaten sei ausreichend.

III

16 Beide Berufungen sind zulässig. Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist unbegründet, während die Berufung des Soldaten überwiegend begründet ist.

17 Beide Rechtsmittel sind auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt eingelegt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

18 1. Das Truppendienstgericht hat festgestellt, der Soldat hätte wissen können und müssen, dass er nach dem ständigen Befehl Nummer ... des Kommandeurs des Deutschen Einsatzkontingents vom ... für die Unterbringung seiner Ehefrau in der dienstlichen Unterkunft im ... Hotel im ... eine Erlaubnis des Kommandeurs des Deutschen Einsatzkontingents benötigt hätte, die er nicht eingeholt hatte. Es hat dies als fahrlässige Verletzung der Pflichten aus § 11 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG gewertet. Ferner hat es festgestellt, dass der Soldat in Kenntnis des dies untersagenden Befehls in der ZDv 43/2 seine Ehefrau mit einem Dienstwagen vom Flughafen abgeholt und später zum Flughafen zurückgefahren und damit vorsätzlich die Pflichten aus §§ 7, 11 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt habe. Schließlich habe der Soldat einen ihm unterstellten Soldaten auf eine gegen ihn selbst gerichtete Beschwerde angesprochen und auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Aussagen abzusprechen. Damit habe er vorsätzlich die Pflichten aus § 10 Abs. 3, § 12 Satz 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verletzt.

19 Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei und für den Senat damit bindend. Ob die Tat- und Schuldfeststellungen vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei getroffen wurden, darf vom Senat nicht überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt.

20 2. Ein Prozesshindernis im Sinne von § 108 Abs. 3 Satz 1, § 123 Satz 3 WDO steht einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.

21 Aus der Verfahrensdauer kann sich, steht wie hier nicht die Höchstmaßnahme in Rede, in Ausnahmefällen ein Verfahrenshindernis ergeben (BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - juris Rn. 40). In extrem gelagerten Fällen kann wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses eine Einstellung in Betracht kommen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 1089/09 - juris Rn. 6 für das Strafverfahren, und BGH, Urteil vom 7. Dezember 2009 - StbSt (R) 2/09 - NJW 2010, 1155 <1156> = juris Rn. 15 für das berufsrechtliche Verfahren gegen Steuerberater).

22 An derartig extremen Belastungen fehlt es hier auch unter Berücksichtigung der aus den noch darzulegenden Gründen unangemessen langen Dauer des Disziplinarverfahrens. Die Verfahrensdauer bewirkt hier weder ihrem Umfang nach noch im Hinblick auf ihre Auswirkungen eine Belastung, die die Fortsetzung des Verfahrens unverhältnismäßig machen würde. Das Verfahren hat von seiner Einleitung an gerechnet über zwei Instanzen etwa drei Jahre und zwei Monate und damit insgesamt betrachtet nicht extrem lange gedauert. Da im ... die Aushändigung der Beförderungsurkunde zum Fregattenkapitän zurückgestellt wurde, besteht bereits seit diesem Zeitpunkt faktisch ein Beförderungsverbot. Diesem den Soldaten belastenden Umstand kann im Rahmen der Bemessungserwägungen mildernd Rechnung getragen werden, sodass die Verfahrensverzögerung bei Fortführung des Verfahrens einen angemessenen Ausgleich finden kann.

23 Das Verfahren ist auch nicht deswegen einzustellen, weil eine einfache Disziplinarmaßnahme gemäß § 17 Abs. 2 WDO nicht mehr verhängt werden dürfte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 WD 14.13 - juris Rn. 13). Denn auch unter Berücksichtigung des mildernden Umstandes einer überlangen Verfahrensdauer erreichen die für den Soldaten sprechenden mildernden Kriterien kein so hohes Gewicht, dass nach der Gesamtabwägung nur noch eine einfache Disziplinarmaßnahme tat- und schuldangemessen wäre.

24 3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

25 a) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen nicht leicht, weil zentrale Pflichten gerade des Vorgesetzten wie auch jedes Soldaten verletzt wurden, dies zudem mehrfach geschah und der Soldat in der exponierten Position des Leiters der ... versagt hat.

26 Gewicht verleiht dem Dienstvergehen bereits die Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG). Sie gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung.

27 Die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG) gehört zu den vornehmlichsten Pflichten eines Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen, die das - berechtigte - Gefühl haben müssen, dass sie von diesem nicht nur als Befehlsempfänger betrachtet werden, sondern dass dieser von den ihm eingeräumten Befehls- und sonstigen Befugnissen nur unter angemessener Berücksichtigung ihrer persönlichen Belange Gebrauch macht, dass er sich bei allen Handlungen und Maßnahmen von Wohlwollen gegenüber dem jeweiligen Untergebenen leiten lässt und dass er stets bemüht ist, ihn vor Schäden und unzumutbaren Nachteilen zu bewahren (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 1. März 2007 - 2 WD 4.06 - Buchholz 449 § 10 SG Nr. 56 m.w.N.). Diese Verpflichtung hat im militärischen Bereich besondere Bedeutung. Denn im militärischen Über- und Unterordnungsverhältnis sind Untergebene besonders schutzbedürftig.

28 Die Kameradschaftspflicht ist in den Streitkräften nicht minder bedeutsam. Denn der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht gemäß § 12 Satz 1 SG wesentlich auf Kameradschaft. Die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben erfordert im Frieden und in noch höherem Maße im Einsatzfalle gegenseitiges Vertrauen sowie das Bewusstsein, sich jederzeit aufeinander verlassen zu können. Ein Vorgesetzter, der die Rechte seines Kameraden verletzt, untergräbt den dienstlichen Zusammenhalt, stört den Dienstbetrieb und kann damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2007 - 2 WD 4.06 - juris Rn 46 m.w.N.).

29 Der Gehorsamsverstoß wiegt schwer (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 2 WD 16.12 - juris Rn. 48). Die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG) gehört zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden Soldaten. Alle Streitkräfte beruhen auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Vorsätzlicher Ungehorsam stellt daher stets ein sehr ernstzunehmendes Dienstvergehen dar (BVerwG, Urteil vom 16. März 2011 - 2 WD 40.09 - juris Rn. 52 m.w.N.). Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr in Frage gestellt sein.

30 Aber auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, BVerwG, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 - m.w.N. - und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies war hier der Fall.

31 Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden hier des Weiteren dadurch bestimmt, dass der Soldat aufgrund seines Dienstgrades als Korvettenkapitän in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 VorgV). Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 2009 - 2 WD 7.08 - m.w.N. -, vom 13. Januar 2011 - 2 WD 20.09 - Rn. 28 und vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - juris Rn. 30 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6>).

32 Außerdem stand der Soldat nicht nur wegen seines herausgehobenen Vorgesetztendienstgrades, sondern vor allem im Hinblick auf seine Funktion als Leiter der ... besonders im Fokus seiner Untergebenen und Kameraden, sodass die negative Beispielswirkung seines wiederholten Fehlverhaltens hohes Gewicht hat.

33 b) Das Dienstvergehen hatte nachteilige Auswirkungen für den Dienstbetrieb, weil der Soldat wegen der disziplinaren Ermittlungen seinen Auslandseinsatz vorzeitig beenden musste. Von deutlich geringerem Gewicht sind dagegen der wirtschaftliche Schaden des Bundes durch die zwei privaten Fahrten mit dem dienstlichen Kfz und die Beeinträchtigungen des Hauptbootsmannes ..., der nie in den Verdacht einer Falschaussage geraten ist und sich nach eigener Aussage auch nicht durch den Soldaten unter Druck gesetzt fühlte.

34 c) Die Beweggründe des Soldaten sprechen nicht für ihn. Er hat die eigene Bequemlichkeit und die Erlangung persönlicher Vorteile über die Befolgung von Befehlen gestellt und versucht, seine Position in einem Beschwerdeverfahren durch die Einflussnahme auf einen möglichen Zeugen zu verbessern. Dies war eigennützig.

35 d) Das Maß der Schuld des Soldaten, an dessen uneingeschränkter Schuldfähigkeit es keine Zweifel gibt, wird vor allem dadurch bestimmt, dass er im Schwerpunkt der Pflichtverletzungen vorsätzlich gehandelt hat. Die fahrlässigen Verfehlungen fallen dagegen deutlich weniger ins Gewicht.

36 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern könnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2008 - 2 WD 18.07 - m.w.N.), liegen nicht vor.

37 e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien "Persönlichkeit" und "bisherige Führung" sind dem Soldaten die überzeugenden Leistungen der Vergangenheit, die durch die planmäßige Beurteilung vom ... und die förmlichen Anerkennungen ausgewiesen sind, zugutezuhalten.

38 Für ihn spricht auch eine Nachbewährung (zu den Voraussetzungen: BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Denn er hat sich nicht nur seit den Pflichtverletzungen tadelfrei geführt, vielmehr seine Leistungen auch gesteigert. Dies steht zur Überzeugung des Senates nicht nur aus den Steigerungen der Durchschnittsbewertungen der in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Beurteilungen fest. Es ergibt sich auch aus den Bekundungen des Leumundszeugen, der von einer Leistungssteigerung gerade auch in den Bereichen berichtete, in denen nach der letzten planmäßigen und der Sonderbeurteilung der Soldat Schwächen aufwies. So hat der Leumundszeuge dargelegt, dass der Soldat gerade sein Führungsverhalten deutlich reflektiert und verbessert habe. Damit hat er in dem Bereich an sich gearbeitet, in dem seine Leistungsschwächen auch Mitursache der Pflichtverletzungen waren.

39 Der Senat hält dem Soldaten auch seine Unrechtseinsicht zugute. Auf Nachfrage hat er bestätigt, dass er seinen Umgang mit Dienstkraftfahrzeugen seit den Vorfällen gründlicher reflektiere und kritischer überprüfe. Auch mit seinem Führungsverhalten und dem Umgang mit Untergebenen habe er sich intensiv beschäftigt.

40 f) Bei der Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände und unter Berücksichtigung der bereits eingetretenen pflichtenmahnenden Wirkungen des Verfahrens ist hier eine am unteren Rand des nach § 59 Satz 1 WDO Zulässigen zu bemessende Bezügekürzung tat- und schuldangemessen und trägt den general- wie spezialpräventiven Zwecken des Disziplinarverfahrens ausreichend Rechnung.

41 Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2010 - 2 WD 9.09 - juris) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen".

42 Vom Truppendienstgericht ist im Ergebnis zutreffend die Verhängung eines Beförderungsverbotes als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen in den Blick genommen worden.

43 Den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildet die mehrfache, vorsätzliche Inanspruchnahme dienstlichen Materials zu privaten Zwecken jeweils unter Verletzung gegen die Gehorsamspflicht:
Steht die Inanspruchnahme dienstlichen Materials zu privaten Zwecken in Rede, ist Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig ein Beförderungsverbot bzw. eine Gehaltskürzung, in schweren Fällen auch eine Dienstgradherabsetzung (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 2010 - 2 WD 43.09 - juris Rn. 45 = NZWehrr 2012, 122 m.w.N. und vom 10. Oktober 2013 - 2 WD 33.12 - Rn. 63). Der Senat hat in der Vergangenheit die Verletzung der Gehorsamspflicht - je nach Schwere des Verstoßes - mit einer Gehaltskürzung, einem Beförderungsverbot oder auch einer Dienstgradherabsetzung geahndet (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. August 2007 - 2 WD 27.06 - BVerwGE 129, 181 Rn. 85 und vom 23. Juni 2011 - 2 WD 21.10 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 56 Rn. 49 m.w.N.) und bei einer Kombination von Pflichtverletzungen den Umständen des Falles auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen einzelfallbezogen Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2014 - 2 WD 10.13 - Rn. 87 ff.). Dabei hat er das disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher eingestuft, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben von Kameraden, sind (BVerwG, Urteil vom 23. April 2015 - 2 WD 7.14 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 48 Rn. 51 ff. m.w.N.).
Da hier einerseits zwei Hin- und Rückfahrten vom Hotel zum Flughafen in Rede stehen, andererseits der wirtschaftliche Schaden des Bundes gering ist und durch den Ungehorsam keine Gefahren für Leib und Leben Dritter geschaffen wurden, liegt ein insgesamt mittelschwerer Fall vor. Ein leichter Fall ist nicht anzunehmen, weil schon dieser Teil der Pflichtverletzungen die Verletzung von zwei Pflichten kombiniert, die je für sich ein Beförderungsverbot rechtfertigen.

44 Die Pflichtverletzungen gegenüber dem Hauptbootsmann ... verlangen keine schärfere Maßnahmeart. Hier stehen zwar zentrale Vorgesetztenpflichten in Rede. Die versuchte Einflussnahme auf das Aussageverhalten eines Untergebenen wiegt aber deutlich weniger schwer als eine - regelmäßig mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahndende - entwürdigende Behandlung eines Untergebenen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2012 - 2 WD 1.11 - Buchholz 449 § 7 SG Nr. 57 Rn. 72 f m.w.N.) oder die Einbeziehung eines Untergebenen in eigenes strafbares Verhalten, welches im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ebenfalls grundsätzlich zur Dienstgradherabsetzung führen würde (BVerwG, Urteil vom 19. April 2007 - 2 WD 7.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 21 Rn. 43). Auch dieser Teilaspekt des einheitlichen Dienstvergehens wäre isoliert betrachtet mit einem Beförderungsverbot angemessen sanktioniert.

45 Deutlich geringer wiegt dagegen die fahrlässige Nichteinholung einer erforderlichen Genehmigung, die daher kein die Schwere des Dienstvergehens prägendes Gewicht hat und auch keine härtere Maßnahmeart verlangt.

46 bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.

47 aaa) Wegen der konkret entgangenen Beförderung und der unangemessen langen Verfahrensdauer ist es geboten, vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nach unten abzuweichen und anstelle des den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildenden Beförderungsverbotes eine Bezügekürzung zu verhängen.

48 (1) Eine konkret durch das Verfahren entgangene Beförderung und die erheblichen Nachteile im beruflichen Fortkommen durch das faktische Beförderungsverbot des laufenden Verfahrens wirken maßnahmemildernd (BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2012 - 2 WD 32.11 - Rn. 49, vom 17. Januar 2013 - 2 WD 25.11 - Rn. 84 und vom 27. Juni 2013 - 2 WD 5.12 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 44 Rn. 54). Wie der Soldat selbst in seinem letzten Wort beim Truppendienstgericht ausgesagt und der Leumundszeuge dem Senat bestätigt hat, ist auch im Kameradenkreis bekannt geworden, dass der Soldat trotz seines Dienstalters wegen des laufenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens noch nicht den Dienstgrad eines Fregattenkapitäns erreicht hat. Damit wirkt sich das faktische Beförderungsverbot nicht nur auf den Soldaten pflichtenmahnend aus, sein Bekanntwerden erfüllt auch bereits generalpräventive Verfahrenszwecke.

49 (2) Maßnahmemildernd ist darüber hinaus die Verfahrensdauer einzustellen.

50 Eine überlange Verfahrensdauer, die einen Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung innerhalb angemessener Frist durch Art. 6 EMRK darstellt, begründet einen Milderungsgrund bei solchen Disziplinarmaßnahmen, die wie das Beförderungsverbot der Pflichtenmahnung dienen. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern können (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2003 - 2 WD 2.02 - NZWehrr 2004, 83 ff. und juris Rn. 18; vom 26. September 2006 - 2 WD 2.06 - BVerwGE 127, 1 <32>; vom 13. März 2008 - 2 WD 6.07 - Rn. 116; vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - juris Rn. 122; vom 4. Mai 2011 - 2 WD 2.10 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 47, vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - juris Rn. 39 f. m.w.N. sowie vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 62).

51 Ob die Dauer eines konkreten Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Falls und folgender Kriterien zu beurteilen: die Schwierigkeit des Falls, das Verhalten des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte sowie die Bedeutung des Rechtsstreits für den Betroffenen (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017> m.w.N., BVerwG, Urteil vom 6. September 2012 - 2 WD 26.11 - juris Rn. 36). Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich und es ist nicht auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungs- bzw. Anhaltswerte abzustellen, unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 <154> Rn. 29). Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 6 EMRK zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (§ 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, 5 C 23.12 D, BVerwGE 147, 146 <159> Rn. 42). Bei der Verfahrensgestaltung kommt dem Gericht ein Spielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind.

52 Es kann offenbleiben, ob die Verfahrensdauer eines Disziplinarverfahrens ab der förmlichen Einleitung zu berücksichtigen ist (so EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8455/04 -, NVwZ 2010, 1015 LS) oder wegen der Regelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. WDO erst ab Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht. Denn zwischen der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens im ... und der Einreichung der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht im ... ist das Verfahren durch Ermittlungen, insbesondere die Vernehmung verschiedener Zeugen, und die Gewährung von Akteneinsicht kontinuierlich betrieben worden.
Nachdem das Truppendienstgericht allerdings die Anschuldigungsschrift zugestellt, eine Stellungnahme des Verteidigers und eine Erwiderung der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingeholt hatte, hat es das Verfahren bis zu der Ladung für den Hauptverhandlungstermin Anfang ... nicht weiter gefördert. Dies mag auf eine Überlastung der Truppendienstgerichtskammer zurückzuführen sein, hierin begründete Verfahrensverzögerungen sind allerdings dem Staat zuzurechnen und rechtfertigen es nicht, einen Soldaten länger als nötig den Belastungen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens auszusetzen.
Auch wenn man berücksichtigt, dass die Vorbereitung einer Hauptverhandlung mit acht Zeugen einen nicht unerheblichen Aufwand mit sich bringt, wäre dieser in einem "mehrmonatigen Gestaltungszeitraum" (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013, 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 <164> Rn. 53) zu bewältigen gewesen, zumal zu berücksichtigen war, dass die Bedeutung des Verfahrens für die Beteiligten hoch war. Denn zum einen ist ein gewichtiges Dienstvergehen in der Form der Verletzung zentraler Pflichten zu ahnden. Für den Soldaten hatte sich das Verfahren durch die konkret unterbliebene Beförderung bereits nachteilig auf sein berufliches Fortkommen ausgewirkt. Jedenfalls um mehrere Monate hat das Verfahren länger als angemessen gedauert. Hinzu kommt dann auch noch, dass das Berufungsverfahren maßgeblich durch ein Versehen der Truppendienstkammer verursacht worden ist, die eine von § 60 WDO nicht vorgesehene Dauer des Beförderungsverbots verhängt hatte.

53 bbb) Für die Bemessung von Dauer und Umfang der Bezügekürzung sind die erschwerenden Aspekte, die bei der Bestimmung des Ausgangspunktes der Zumessungserwägungen noch nicht berücksichtigt sind, mit den mildernden Umständen in der Person und der Führung des Soldaten in Ausgleich zu bringen. Da hier schon wegen der unterbliebenen Aushändigung der bereits ausgefertigten Beförderungsurkunde und der überlangen Verfahrensdauer vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nach unten abgewichen wird, ist bei der konkreten Bemessung der nächst milderen Maßnahmeart der obere Rand des gesetzlich Zulässigen in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016, 2 WD 6.15 - juris Rn. 45). Hiernach überwiegen die mildernden Aspekte, nämlich die sehr guten Leistungen des Soldaten in der Vergangenheit, seine Nachbewährung und die Unrechtseinsicht, so deutlich das Gewicht der zu den den Schwerpunkt des Dienstvergehens bildenden Pflichtverletzungen hinzutretenden Belange, dass eine Bezügekürzung am unteren Rand des nach § 59 Satz 1 WDO Zulässigen ausreichend, aber auch geboten ist, um den Soldaten künftig an die Beachtung seiner Dienstpflichten zu mahnen und den Eindruck einer Bagatellisierung der Vorfälle zu vermeiden.

54 4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 139 Abs. 2, Abs. 3, § 140 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 WDO. Da das Rechtsmittel des Soldaten nur zu einem sehr geringen, keine gesonderten Kosten verursachenden Teil ohne Erfolg geblieben ist, entspricht es der Billigkeit, ihn von den Kosten vollständig freizustellen.