Beschluss vom 28.05.2020 -
BVerwG 1 VR 3.19ECLI:DE:BVerwG:2020:280520B1VR3.19.0

Unzulässig gewordener Eilantrag gegen sofort vollziehbaren Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG

Leitsatz:

Ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird - ebenso wie eine Klage - unzulässig, wenn der Antragsteller einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten (Ausschluss-)Frist mitzuteilen, ohne Angabe eines triftigen Grundes nicht nachkommt.

  • Rechtsquellen
    VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 3, § 80 Abs. 5, § 82, § 123
    AufenthG § 58a, 60 Abs. 5

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.05.2020 - 1 VR 3.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:280520B1VR3.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 VR 3.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Mai 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
  3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Antragsverfahren auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der im Dezember 1998 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Nach seiner im Oktober 2015 erfolgten Einreise wurde er als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung des Antragsgegners vom 25. November 2019 (Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Zusammenhang mit einer Abschiebungsanordnung gemäß § 58a AufenthG).

2 Nachdem der Antragsteller im Februar 2018 wegen dringenden Tatverdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB in Untersuchungshaft genommen worden war, hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 6. Februar 2019 den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers gemäß § 73b Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 AsylG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen und festgestellt, dass kein nationales Abschiebungsverbot bestehe. Mit Bescheid vom 23. Mai 2019 hatte das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Ausländerbehörde die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers widerrufen, dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak angedroht und für den Fall der Abschiebung gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von 10 Jahren verhängt. Ein Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers gegen diesen Bescheid beim Verwaltungsgericht Kassel blieb ohne Erfolg.

3 Durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. September 2019 (2 OJs 23/18) wurde der Antragsteller wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

4 Mit Verfügung vom 9. September 2019 ordnete der Antragsgegner auf der Grundlage von § 58a AufenthG die Abschiebung des Antragstellers in den Irak (Ziffer I.) sowie für den Fall der Abschiebung ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer III.) an. Zugleich stellte er fest, dass der Abschiebung in den Irak derzeit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstehe, welches jedoch unter bestimmten Voraussetzungen entfalle (Ziffer II.).

5 Der Antragsteller hat am 13. September 2019 gegen diese Verfügung Klage erhoben (1 A 7.19 ) und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 28. Mai 2020 - 1 VR 2.19 -) gestellt.

6 Mit Bescheid vom 25. November 2019 widerrief der Antragsgegner die unter Ziffer II. des Bescheids vom 9. September 2019 erfolgte Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG und ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an. Hiergegen hat der Antragsteller eine weitere Klage erhoben (1 A 8.19 ) und den streitgegenständlichen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

7 Am 26. November 2019 wurde der Antragsteller auf der Grundlage der vollziehbaren Abschiebungsandrohung im Bescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 23. Mai 2019 in den Irak abgeschoben. Einen zuvor gestellten Antrag auf Untersagung der Abschiebung im Wege der einstweiligen Anordnung hatte der Senat mangels erstinstanzlicher Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt und den Antragsteller auf seinen beim Verwaltungsgericht Kassel gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verwiesen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. November 2019 - 1 VR 4.19 -).

8 Mit gerichtlicher Verfügung vom 19. Dezember 2019 ist der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers u.a. gebeten worden, bis zum 20. Januar 2020 mitzuteilen, ob bzw. inwieweit die beim Senat anhängigen Verfahren 1 A 7.19 , 1 A 8.19 , 1 VR 2.19 und 1 VR 3.19 fortgeführt werden sollen, ggf. eine Klage- bzw. Antragsbegründung vorzulegen, die zumindest in den Eilrechtsschutzverfahren auch das fortbestehende Rechtsschutzinteresse erläutert, und eine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Antragstellers bzw. Klägers mitzuteilen.

9 Mit gerichtlicher Verfügung vom 25. Februar 2020 ist dem Prozessbevollmächtigten u.a. in direkter bzw. entsprechender Anwendung des § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO unter Hinweis auf die grundsätzlich ausschließende Wirkung der gesetzten Frist aufgegeben worden, bis zum 31. März 2020 die Klagen durch Mitteilung der aktuellen ladungsfähigen Anschrift zu ergänzen. Am 31. März 2020 teilte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, als aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers bzw. Antragstellers werde die Stadt Bagdad in der Republik Irak angegeben. Darüber hinaus werde als Korrespondenzanschrift die Anschrift des Prozessbevollmächtigten mitgeteilt. Das Rechtsschutzinteresse bestehe fort, weil der Antragsteller gegebenenfalls früher oder später einmal wieder nach Deutschland oder in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (legal) einreisen wolle.

II

10 A. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten, für den es schon an der Vorlage einer vollständig ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fehlt, ist auch deswegen abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

11 B. Der aus Anlass des Widerrufsbescheids des Antragsgegners vom 25. November 2019 gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, weil es dem Antragsteller jedenfalls für den begehrten Eilrechtsschutz am Rechtsschutzinteresse fehlt und weil er seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Ausschlussfrist mitgeteilt hat.

12 1. Die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für die Entscheidung über diesen Antrag folgt aus § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO i.d.F. von Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294). Danach entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug u.a. über Streitigkeiten gegen Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG und ihre Vollziehung. Darunter fällt der Sache nach auch die vorliegende Streitigkeit, bei der es um die bei jeder Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG (eigentlich) inzident zu prüfende Frage geht, ob ihrem Vollzug in den in Aussicht genommenen Zielstaat Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegenstehen (§ 58a Abs. 3 AufenthG). Mit dem "Widerruf" des in der Abschiebungsanordnung (ohne entsprechende Rechtsgrundlage ausdrücklich) festgestellten Abschiebungsverbots hat der Antragsgegner seine ursprüngliche Beurteilung dieser Frage geändert. Damit handelt es sich der Sache nach um eine Abänderung der Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG, deren Überprüfung nur in demselben Rechtszug erfolgen kann, wie die Abschiebungsanordnung selbst; nichts anderes gilt für den vorläufigen Rechtsschutz.

13 2. Dahinstehen kann, ob der wörtlich gestellte Antrag,
"vorläufig festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot vorliegt, insbesondere die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 vorliegen",
als Antrag nach § 123 VwGO hier statthaft ist oder ob dieser gemäß §§ 88, 123 Abs. 5 VwGO dahin auszulegen ist, dass beantragt wird, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage 1 A 8.19 gegen den Bescheid vom 25. November 2019 anzuordnen.

14 Der Antrag auf (gerade) vorläufigen Rechtsschutz ist jedenfalls unzulässig, weil es dem Antragsteller insoweit an einem Rechtsschutzinteresse fehlt. Eine vorläufige Aussetzung des Vollzugs des Widerrufs des festgestellten Abschiebungsverbots bzw. die vorläufige Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots brächte dem bereits in den Irak abgeschobenen Antragsteller derzeit und auf absehbare Zeit keinen konkreten tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil. Eine Abschiebung in den Irak auf der Grundlage der Abschiebungsanordnung des Antragsgegners vom 9. September 2019 droht dem Antragsteller derzeit nicht, weil er sich bereits im Irak befindet. Die absehbare Möglichkeit einer Wiedereinreise ist nicht konkret vorgetragen und im Hinblick auf das durch die Abschiebung wirksam gewordene Einreiseverbot aus dem Bescheid der Ausländerbehörde vom 23. Mai 2019 auch nicht ersichtlich. Auf die Rechtmäßigkeit und den Bestand der durchgeführten, auf eine ausländerbehördliche Abschiebungsandrohung gestützte Abschiebung hätte die hier begehrte Eilentscheidung keine Auswirkung, weil sich die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts auf die Prüfung von Abschiebungsverboten im Zusammenhang mit der Vollziehung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG beschränkt.

15 3. Der Antrag ist zudem auch deshalb unzulässig, weil der Antragsteller nach seiner Abschiebung in den Irak trotz Aufforderung und Fristsetzung gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt hat.

16 a) Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist (BVerwG, Urteile vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff., und vom 15. August 2019 - 1 A 2.19 - juris Rn. 14). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird (BVerwG, Beschluss vom 1. September 2005 - 1 B 79.05 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 2. Februar 1996 - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom 11. November 1999 - 1 BvR 1203/99 - juris Rn. 1; BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und Beschluss vom 14. Februar 2012 - 9 B 79.11 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11). In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19). Die vorgenannten Grundsätze gelten entsprechend für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 bzw. § 123 VwGO.

17 b) Nach diesen Maßstäben ist der Antrag unzulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den Antrag nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom 25. Februar 2020 gesetzten, mit Ablauf des 31. März 2020 verstrichenen Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des - entsprechend anwendbaren - § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist er in der genannten Verfügung hingewiesen worden.

18 Die im Schriftsatz vom 31. März 2020 mitgeteilte, als "ladungsfähige Anschrift" bezeichnete Angabe "Stadt Bagdad in der Republik Irak" erfüllt mangels hinreichender Genauigkeit offensichtlich nicht die Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift. Die Anschrift des Prozessbevollmächtigten als "Korrespondenzanschrift" vermag - wie oben ausgeführt - die Angabe der Wohnungsanschrift des Antragstellers selbst nicht zu ersetzen. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise von der Angabe der ladungsfähigen Anschrift abgesehen werden kann, sind schon deshalb nicht erfüllt, weil der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nicht mitgeteilt hat, aus welchen Gründen er die genaue Wohnungsanschrift des Antragstellers nicht angegeben hat oder etwa nicht angeben konnte.

19 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG; Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.